FG Berlin-Brandenburg: Umsatzsteuer für Kochboxen
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.1.2015 – 5 V 5260/14
Sachverhalt
I. Die Antragstellerin vertreibt per Internet Boxen, die sie mit von ihr zusammengestellten handelsüblichen und originalverpackten Lebensmitteln und Kochrezepten bestückt. Die Lebensmittel sind von der Antragstellerin mengenmäßig so ausgewählt, dass die Kunden die beigefügten Rezepte damit kochen können. Die Rezepte sind auch kostenlos im Internet abrufbar. Die Kunden können aus verschiedenen Sortimenten auswählen und die Boxen zu einem bestimmten Liefertermin bestellen oder auch ein Abonnement auswählen. Die Antragstellerin wirbt damit, dass die Lebensmittel aus kontrollierter Herkunft stammen, die Zutaten sorgfältig ausgewählt sind und die Rezepte gemeinsam mit Ernährungswissenschaftlern und Kochprofis entwickelt werden.
Die Antragstellerin behandelte ihre Umsätze in den Umsatzsteuervoranmeldungen als Lieferungen von Lebensmitteln zum ermäßigten Steuersatz. Dem folgte der Antragsgegner nach einer durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht. Er ging davon aus, dass die Antragstellerin dem Regelsteuersatz zu unterwerfende sonstige Leistungen erbringe, da die Lieferung von Lebensmitteln durch eine Vielzahl von anderen Dienstleistungen, wie z.B. der Zusammenstellung der Lebensmittel, der Beifügung der Rezepte, der Verpackung und der Zusendung nicht mehr im Vordergrund stehe. Zudem hätten die Kunden nicht die Möglichkeit, verschiedene Größen und Gewichtsmengen zu bestellen.
Die Antragstellerin hat Klage erhoben gegen die zunächst geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Monate Juni bis August 2012, die durch den Umsatzsteuer-Jahresbescheid vom 10.7.2014 ersetzt worden sind. Die Klage ist unter dem Az. 5 K 5295/13 anhängig. Hierüber hat der Senat noch nicht entschieden. Einen bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der Antragsgegner am 15.8.2014 abgelehnt (Bl. 17 der Verfahrensakte).
Zur Begründung des Antrags macht die Antragstellerin geltend, dass sie Lebensmittel liefere und die Umsätze somit dem ermäßigten Steuersatz unterfielen. Sie, die Antragstellerin, erbringe eine einheitliche Leistung, bei der die Hauptleistung, nämlich die Lieferung von unzubereiteten Lebensmitteln, die Nebenleistungen überwiege. Die Nebenleistungen seien – gegebenenfalls mit Ausnahme der Lieferung des Kochrezepts – den Bereichen Werbung, Marketing, Verpackung, Lieferung und Transport zuzuordnen und damit typische Nebenleistungen. Daran ändere sich auch nichts, wenn sie, die Klägerin, mit der kontrollierten Herkunft der Lebensmittel und der besonderen Auswahl der Zutaten werbe. Für die Zubereitung der Speisen seien ausschließlich die Kunden zuständig. Auch die Beifügung der Rezepte sei als Nebenleistung einzustufen. Sogar Supermärkte stellten ihren Kunden inzwischen Rezepte zur Verfügung.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2012 vom 10.7.2014 in Höhe von 62.854,31 € bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung im Verfahren 5 K 5295/13 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Antragstellerin habe ein Bündel verschiedener Dienstleistungs- und Lieferelemente geschaffen, bei denen die Leistungen von der Rezepteentwicklung bis zur Verpackung gegenüber der Lebensmittellieferung qualitativ überwiegen würden. Dies zeige sich auch an den Rezensionen der Kunden, die die Überlassung der Rezepte und die Auswahl der Produkte besonders in den Vordergrund stellen würden. Diese Elemente gäben der Leistung das Gepräge. Die Leistungen der Antragstellerin seien auch nicht mit Rezeptvorschlägen von Supermärkten vergleichbar, weil die Klägerin gerade auf ernährungspsychologische und ernährungsphysiologische Aspekte bei der Entwicklung der Rezepte und der Auswahl der Lebensmittel sowie der Portionierung der Zutaten abstelle. In dieser Weise bewerbe die Antragstellerin auch ihre Produkte und weise insbesondere darauf hin, dass bei der Entwicklung der Rezepte Ernährungsberater und Kochprofis hinzugezogen würden.
Neben der Verfahrensakte haben dem Gericht bei der Entscheidung die Akte des Hauptsacheverfahrens sowie die Rechtsbehelfsakte, die Akte mit Berichten über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen sowie die Sammelmappe für Umsatzsteuer-Voranmeldungen und die Hilfs-Umsatzsteuerakte vorgelegen.
Aus den Gründen
II. Der Antrag ist begründet. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand, auf dessen Überprüfung das Gericht im Rahmen eines bei ihm gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung beschränkt ist, bestehen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 und Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides. Es spricht momentan viel dafür, dass der Antragsgegner die Umsätze der Antragstellerin zu Unrecht dem Regelsteuersatz unterworfen hat.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz – UStG – ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 7 % für die Lieferungen der in der Anl. 2 bezeichneten Gegenstände. Davon erfasst werden die von der Antragstellerin an ihre Kunden versandten Lebensmittel.
Die Antragstellerin hat diese Lebensmittel nach dem derzeitigen Streitstand an ihre Kunden geliefert. Eine Lieferung liegt nach § 3 Abs. 1 UStG vor, wenn der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Das ist hier der Fall.
Die Lieferung der Klägerin wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht dadurch zu einer nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden sonstigen Leistung, dass die Klägerin die Lebensmittel aussucht, zusammenstellt, verpackt und versendet sowie bei der Versendung Rezepte beigefügt hat. Es spricht nämlich viel dafür, dass es sich dabei lediglich um im Verhältnis zur Hauptleistung der Lieferung der Lebensmittel untergeordnete Nebenleistungen handelt.
Eine Nebenleistung liegt vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern lediglich das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Maßgebend ist die Verkehrsauffassung im Einzelfall (siehe insgesamt Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 10.3.2011 – C-497/09 – Bog –, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2013, 256, Rn. 54 mwN; Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 13.1.2011 – V R 63/09, BStBl II 2011, 461 Rn 22 mwN; Urteil vom 8.8.2013 – V R 13/12, BFH/NV 2014, 123, Rn. 27). Hiervon ausgehend sind die Auswahl, die Verpackung und die Versendung der Lebensmittel in jedem Fall als unselbstständige Nebenleistungen anzusehen, weil diese aus der Sicht des Leistungsempfängers nur das Mittel darstellen, die von ihnen bestellten Lebensmittel zu erhalten. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf, dass die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben besondere Sorgfalt auf die Auswahl der angebotenen Produkte verwende. Dies reicht nämlich nicht aus, um die Lieferung der Lebensmittel zu einer sonstigen Leistung werden zu lassen. Die sorgfältige Auswahl der Lebensmittel stellt aus der Sicht der Kunden lediglich ein Mittel dar, um qualitativ hochwertige und damit optimale Lebensmittel zu erhalten. Die Auswahl der Lebensmittel dient damit unmittelbar der Hauptleistung, nämlich der Lieferung der bestellten Waren. Würde die besonders sorgfältige Auswahl von Lebensmitteln dazu führen, dass insgesamt eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vorliegt, würde jeder Fleischereibetrieb, der eine Herkunftsgarantie für die von ihm vertriebenen Fleischwaren abgibt, dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen erbringen. Dies widerspricht der für die Beurteilung maßgeblichen Verkehrsauffassung.
Die Lieferung der Lebensmittel wird auch durch die von der Antragstellerin vorgenommene Portionierung nicht zu einer dem Regelsteuersatz unterliegenden sonstigen Leistung. Es trifft zwar zu, dass die Kunden die Boxen bei der Antragstellerin zu dem Zweck bestellen, die von ihr vorgeschlagenen Rezepte kochen zu können. Dies ändert aber nichts daran, dass die Portionierung der Lebensmittel aus der Sicht des Kunden nur dem Zweck dient, die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können, d.h. insbesondere ohne einen – gegebenenfalls zu entsorgenden – Überschuss. Insoweit gelten die vorstehend gemachten Ausführungen entsprechend.
Schließlich ist auch die Beifügung der Rezepte als untergeordnete Nebenleistung anzusehen. Da die Rezepte kostenlos im Internet abrufbar sind, kommt diesen Rezepten keine Exklusivität zu. Angesichts der Möglichkeit des kostenlosen Abrufes ist ferner ersichtlich, dass die Antragstellerin für die Beifügung der Rezepte keine gesonderte Gegenleistung berechnet (zu diesem Kriterium EuGH, Urteil vom 11.6.2009 – C-572/07 – Tellmer Property –, Slg 2009, I-4983-5013, Rn. 22 ff.). Unabhängig davon geht es dem Kunden bei der Bestellung bei der Antragstellerin in erster Linie darum, Lebensmittel zu erhalten, mit denen er schmackhafte Gerichte zubereiten kann. Dabei stellen die mitgelieferten Rezepte zweifellos eine wesentliche Hilfe dar. Sie sind aus der Sicht des Kunden aber gleichwohl nur ein Mittel, um die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können. Dem stehen auch die von dem Antragsgegner herangezogenen Kundenrezensionen nicht entgegen. Denn wenn diese darin die Rezepte loben, so heißt dies nicht, dass es ihnen bei der Bestellung vorrangig auf den Erwerb der Rezepte ankommt, sondern dass diese Rezepte es ermöglichen, die gelieferten Lebensmittel optimal zu verarbeiten, wie dies bei einer untergeordneten Nebenleistung der Fall ist. Abgesehen davon sind die mitgelieferten Rezepte Druckerzeugnisse, deren Lieferung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Anl. 2 Nr. 49 UStG ohnehin dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.
Auch eine Gesamtschau führt im vorliegenden Fall nicht dazu, dass die Antragstellerin insgesamt eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung erbringt, weil die unabhängig von der Lieferung der Lebensmittel erbrachten Leistungen auch bei einer zusammenfassenden Betrachtung aus der Sicht des Kunden nur dem Zweck dienen, die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können. Die Lieferung dieser Lebensmittel steht auch ein bei einer Gesamtbetrachtung im Vordergrund.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.