BFH: Taxiverkehr mit Pferdefuhrwerken
BFH, Urteil vom 13.11.2019 – V R 9/18
ECLI:DE:BFH:2019:U.131119.VR9.18.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2020-85-4
Amtlicher Leitsatz
Ist im Gebiet einer Gemeinde der Verkehr mit PKW allgemein unzulässig, kann ein umsatzsteuerrechtlich begünstigter Verkehr mit Taxen auch ohne Personenkraftfahrzeuge (z.B. mit Pferdefuhrwerken) vorliegen, wenn die übrigen Merkmale des Taxiverkehrs in vergleichbarer Form gegeben sind.
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erbrachte in den Streitjahren 2015 und 2016 Personenbeförderungsleistungen mit Pferdekutschen auf einer zum Inland gehörenden Insel, auf der die Straßennutzung mit Kfz aufgrund einer sog. Kraftverkehrsfreiheit verkehrsrechtlich nur als sog. Sondernutzung zulässig ist.
Die Klägerin erbrachte ihre Leistungen mit zehn bis elf Kutschen mit Pferdebespannung. Vier dieser Kutschen waren wegen ihrer Aufbauten nur zum Warentransport geeignet. Die übrigen Kutschen dienten der Beförderung von Personen. Die Klägerin ging davon aus, dass sie als sog. Inseltaxi auf individuelle Bestellung Gäste vom Flughafen der Insel zu ihrem Feriendomizil und auch wieder zurückbringe. Mit Voranmeldung konnten auch Kutschen für andere Fahrten wie etwa Rund-, Ausflugs- oder Ereignisfahrten gebucht werden.
Für ihre Personenbeförderungsleistungen mit Pferdekutschen auf der kraftverkehrsfreien Insel begehrte die Klägerin den ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung davon aus, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach Abschn. 12.13 Abs. 4 Satz 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses nicht vorliegen. Es fehle an einer Zulassung i.S. von § 47 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Das FA erließ am 14.07.2017 einen Umsatzsteuerbescheid für 2015 und Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Januar bis Dezember 2016. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Nach Erhebung einer Klage zum Finanzgericht (FG) reichte die Klägerin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung 2016 ein, die nach § 168 der Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand und die gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde.
Mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 1679 veröffentlichten Urteil wies das FG die Klage ab. Danach unterliegen Personenbeförderungen mit Pferdekutschen auf einer autofreien Insel nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG. Auch eine Berufung auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) komme nicht in Betracht. Der steuerbegünstigte Verkehr mit Taxen erfordere eine Beförderung mit Kfz, an der es fehle.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Die Personen- und Gepäckbeförderung mit Hilfe von Pferdekutschen auf der autofreien Insel stelle die einzige Möglichkeit der öffentlichen Personen- und Gepäckbeförderung dar. Die Steuersatzermäßigung begehre sie nur für faktische Taxifahrten zu festen öffentlich bekannten Tarifen, nicht aber auch für die Inselrund- oder Ausflugsfahrten. Ihre Pferdekutschen seien die einzige Möglichkeit der öffentlichen Personen- und Gepäckbeförderung auf der Insel. Der früher verwendete Begriff der Droschke beziehe sich auch auf Pferdefuhrwerke. Ferner seien Umweltaspekte zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.09.2017 und die Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2016 vom 08.01.2018 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze durch die Personenbeförderung auf der Insel mit Hilfe von Pferdekutschen mit Ausnahme von touristischen Fahrten dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Für den Verkehr mit Taxen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG komme es auf das PBefG an. Es müsse sich um Kfz handeln. Es liege kein genehmigter Linienverkehr vor. Es handele sich auch nicht um Taxen i.S. von § 47 PBefG. Der Betrieb der Pferdekutschen sei an keinerlei Pflichten und Vorgaben gebunden. Es bestehe keine Betriebs- oder Beförderungspflicht. Keiner der gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände, die zudem eng auszulegen seien, liege vor. Begünstigt sei nur die Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr, nicht aber auch der allgemeine wirtschaftliche Verkehr. Eine Differenzierung nach unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten komme nicht in Betracht, da sonst dieselbe Beförderung nach Maßgabe dieser Besonderheiten unterschiedlich zu besteuern sei. Im Übrigen müssten dann auch Rikschas begünstigt werden.
Aus den Gründen
10 II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Ist im Gebiet einer Gemeinde der Verkehr mit PKW allgemein unzulässig, kann ein umsatzsteuerrechtlich begünstigter Verkehr mit Taxen auch ohne Personenkraftfahrzeuge (z.B. mit Pferdefuhrwerken) vorliegen, wenn die übrigen Merkmale des Taxiverkehrs in vergleichbarer Form gegeben sind.
11 1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG ermäßigt sich die Steuer für die Beförderung von Personen im Schienenbahnverkehr, im Verkehr mit Oberleitungsomnibussen (Obussen), im genehmigten Linienverkehr mit Kfz, im Verkehr mit Taxen, mit Drahtseilbahnen und sonstigen mechanischen Aufstiegshilfen aller Art und im genehmigten Linienverkehr mit Schiffen sowie die Beförderungen im Fährverkehr. Voraussetzung ist zudem, dass es sich um eine Beförderung innerhalb einer Gemeinde handelt oder dass die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 5 MwStSystRL. Danach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, eine Steuersatzermäßigung für die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks anzuordnen. Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass diese Ermächtigung selektiv ausgeübt werden kann. Dabei haben die Mitgliedstaaten zu beachten, dass zum einen nur konkrete und spezifische Aspekte der jeweiligen Kategorie von Leistungen herausgelöst werden und zudem der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht verletzt werden darf (EuGH-Urteil Pro Med Logistik und Pongratz vom 27.02.2014 in den verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, BStBl II 2015, 437, Rz 43 ff.).
12 2. Der gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG steuerbegünstigte Verkehr mit Taxen ist trotz fehlender Verweisung auf die Regelungen des PBefG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich entsprechend § 47 Abs. 1 PBefG auszulegen (BFH-Urteile vom 02.07.2014 - XI R 39/10, BFHE 246, 549, BStBl II 2015, 421, unter II.3., und vom 23.09.2015 - V R 4/15, BFHE 251, 444, BStBl II 2016, 494, unter II.2.c).
13 Dies entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers. So wurde z.B. das Wort "Kraftdroschkenverkehr" durch die Wörter "Verkehr mit Taxen" ersetzt und dies damit begründet, dass die Verwendung des Begriffs "Kraftdroschke" bei Einführung der Vorschrift in Anlehnung an das PBefG erfolgt und zwischenzeitlich das PBefG geändert worden sei und der Begriff "Kraftdroschken" durch den Begriff "Taxen" ersetzt worden sei (BTDrucks 16/2712, S. 75).
14 Danach setzt der Verkehr mit Taxen umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich eine Beförderung von Personen mit PKW voraus, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt.
15 Dabei ist ein Verstoß gegen die an den "Verkehr mit Taxen" geknüpften öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen ohne Auswirkungen auf die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung (BFH-Urteil in BFHE 251, 444, BStBl II 2016, 494, unter II.2.d bb).
16 3. § 47 PBefG kommt im Hinblick auf die fehlende Verweisung auf diese Vorschrift in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung keine abschließende Bedeutung zu. Der nationale Gesetzgeber knüpft durch die Verwendung von Begriffen des Personenbeförderungsrechts typisierend an die Regelungen des PBefG an. Die Maßgeblichkeit des PBefG beschränkt sich daher auf den durch § 1 dieses Gesetzes vorgegebenen Anwendungsbereich und damit auf die Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsbussen und mit Kfz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PBefG).
17 Ist im Gebiet einer Gemeinde der Verkehr mit Kfz vollständig ausgeschlossen, so dass es deshalb auch keinen Verkehr mit Taxen i.S. von § 47 Abs. 1 PBefG geben kann, folgt hieraus nicht zwingend, dass umsatzsteuerrechtlich ein Verkehr mit Taxen zu verneinen ist. Wenn § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG zur Abgrenzung von anderen Beförderungsformen mit Kfz auf den Verkehr mit Taxen verweist, will er damit insbesondere den Verkehr mit Mietwagen (§ 49 PBefG) vom Anwendungsbereich der Steuersatzermäßigung ausschließen.
18 Dem liegt die im Allgemeinen zutreffende Erwartung zugrunde, dass in den Gemeinden des Inlands der Verkehr mit Kfz zulässig ist. Trifft dies nicht zu, kann aus dem Begriff des Verkehrs mit Taxen nicht abgeleitet werden, dass es in diesen Gemeinden keine steuerbegünstigte Personenbeförderung gibt. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob alternative motorlose Verkehrsformen vorliegen, die dem steuerbegünstigten Verkehr mit Taxen auf der Grundlage von § 47 PBefG unter Ausschluss des nicht steuerbegünstigten Verkehrs mit Mietwagen nach § 49 PBefG entsprechen. Dabei ist auf die besonderen Merkmale dieser Verkehrsformen abzustellen, da ein Ausschluss von der Möglichkeit zur steuersatzbegünstigten Personenbeförderung in derartigen Gemeinden aus dem Begriff des Verkehrs mit Taxen nicht abzuleiten ist.
19 Die hiergegen gerichteten Einwendungen des FA greifen nicht durch. Die allgemeine Definition des Taxenverkehrs ist dort, wo es diesen nicht gibt, nicht maßgeblich, da sonst die Möglichkeit einer steuersatzbegünstigten Personenbeförderung ausgeschlossen wäre. Ein derartiger gesetzgeberischer Wille ist von § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG, der das Vorliegen eines Taxiverkehrs als gesetzlichen Regelfall unterstellt, nicht zu entnehmen. Die Ungleichbehandlung gegenüber der Personenbeförderung mit Pferdekutschen auf dem Festland fußt auf dem Verkehrsverbot auf der Insel. Über eine allgemeine Begünstigung der Personenbeförderung mit Pferdekutschen im gesamten Inland hat der erkennende Senat nicht zu entscheiden.
20 4. Danach ist das Urteil des FG, das ausschließlich auf den Begriff des Verkehrs mit Taxen in § 47 PBefG abgestellt hat, aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. In einem zweiten Rechtsgang hat das FG zunächst zu prüfen, ob die Gemeinde --entsprechend dem Vortrag der Klägerin-- aufgrund des niedersächsischen Straßen- und Wegerechts die Widmung der gemeindlichen Straßen und Wege dergestalt beschränkt hatte, dass PKW von der Straßennutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs ausgeschlossen waren und nur im Rahmen einer Sondernutzung betrieben werden konnten.
21 Sollte dies zutreffen, ist weiter zu entscheiden, ob und inwieweit die von der Klägerin mit Pferdefuhrwerken erbrachten Leistungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verkehrsarten als mit einem Verkehr mit Taxen ohne PKW vergleichbar angesehen werden können. Maßgeblich ist daher, ob die von der Klägerin durchgeführten Beförderungen dem Leitbild des Verkehrs mit Taxen i.S. von § 47 PBefG als Beförderung von Personen mit Wagen entspricht, die der Unternehmer an öffentlich zugänglichen Stellen --mit einer nach den Besonderheiten des Streitfalls faktischen Beförderungspflicht-- bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt. Zu prüfen ist auch, ob allgemeine Beförderungsentgelte (Tarife) oder jeweils speziell ausgehandelte Beförderungspreise vorliegen.
22 Gegen eine Steuersatzermäßigung spricht nach der Definition des Verkehrs mit Mietwagen in § 49 PBefG eine Beförderung von Personen mit Wagen, die nur im Ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen Fahrten ausgeführt werden, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt.
23 An der erforderlichen Vergleichbarkeit mit dem Verkehr mit Taxen kann es insbesondere bei den mit Voranmeldung durchgeführten Rund-, Ausflugs- oder Ereignisfahrten der Klägerin fehlen.
24 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.