BGH: Steuerhinterziehung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
BGH, Beschluss vom 8.8.2019 – 1 StR 87/19
ECLI:DE:BGH:2019:080819B1STR87.19.0
Volltext des Beschlusses: BB-ONLINE BBL2020-37-1
Aus den Gründen
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 751.900 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2 Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3 Der Angeklagte betrieb von 2010 bis 2017 das chinesische Buffet-Restaurant „P. “ in H. . Das Restaurant war einem Modemarkt angeschlossen und wurde auch von Busreisenden aufgesucht. Es verfügte über circa 190 Sitzplätze; nach einer Renovierung im Juli 2015 bot das „P. “ Platz für circa 220 Personen. Der Angeklagte manipulierte die Kassenumsätze des Restaurants, indem er oder – auf seine Anweisung hin – Kellner Umsätze aus der Kasse teilweise löschten. Der Angeklagte erreichte so, dass in seiner Buchhaltung nur 50 % seiner tatsächlichen Umsätze erfasst wurden. Für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 gab der Angeklagte nur teilweise und verspätet Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuererklärungen ab und ließ zuvor Schätzungsbescheide gegen sich ergehen. Soweit er Steuererklärungen nachreichte, verschwieg er die Hälfte seiner Ausgangsumsätze bzw. Betriebseinnahmen; für das Jahr 2014 gab er keine Steuererklärungen mehr ab. Infolge der Unkenntnis der tatsächlichen Umsätze bzw. Betriebsgewinne setzte das Finanzamt die Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuern für 2011 bis 2013 zu niedrig fest; für das Jahr 2014 ergingen vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens gegen den Angeklagten keine Schätzungsbescheide mehr. Die hinterzogenen Beträge bzw. im Falle des Versuchs (Einkommen- und Gewerbesteuer 2014; § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, § 53 StGB) vom Vorsatz umfassten Hinterziehungsbeträge beliefen sich im Tatzeitraum 2011 bis 2014 auf mehr als 1,1 Mio. Euro.
II.
4 Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand, weil das Landgericht den Umfang der Steuerhinterziehung und mithin den Schuldumfang betreffend alle Taten nicht frei von Rechtsfehlern bestimmt hat.
5 1. Seine Überzeugung, der Angeklagte habe im Tatzeitraum die Hälfte seiner Umsätze verschwiegen, hat es nicht tragfähig begründet.
6 a) Zwar muss das Revisionsgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. So ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Zu prüfen ist aber, ob die tatrichterliche Überzeugung in den Feststellungen und den sie tragenden Beweiserwägungen eine ausreichende Grundlage findet. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2018 – 2 StR 238/17 Rn. 8 mwN; vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13 Rn. 7 und vom 3. Juli 2018 – 1 StR 264/18 Rn. 5).
7 Bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, zu welcher das Tatgericht hier wegen der unvollständigen Buchführung berechtigt war, hat es für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, warum das von ihm ermittelte Schätzungsergebnis einem ordnungsgemäß durchgeführten Bestandsvergleich bzw. einer ordnungsgemäßen Einnahmeüberschussrechnung so gut wie möglich nahekommt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2016 – 1 StR 523/15 Rn. 19 f. mwN).
8 b) Dem halten die Urteilsgründe nicht stand. Das Landgericht stützt seine Überzeugung, der Angeklagte habe die Ausgangsumsätze bzw. Betriebseinnahmen in den Jahren 2011 bis 2014 um die Hälfte verkürzt, darauf, dass dieser Anteil der Umsätze jedenfalls ab 2015 verschwiegen worden sei. Das wiederum ergebe sich aus der Einlassung des Angeklagten, den übereinstimmenden Zeugenaussagen der Ermittler, deren Ermittlungsergebnissen sowie den dazu passenden verlesenen Urkunden. Es sei „nicht plausibel, weshalb der Angeklagte ab dem Jahr 2015 einen höheren Prozentsatz der Umsätze verschwiegen haben sollte, als in den Jahren von 2011 bis 2014“. Dieser Rückschluss ist nicht tragfähig belegt und lässt eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten, wonach er in den betreffenden Jahren 40 bis 45 % der Umsätze verschwiegen habe, vermissen. Die Beweiserwägungen, die ein Verschweigen des Umsatzes um die Hälfte belegen, beziehen sich – davon geht auch das Landgericht aus – ausschließlich auf den Zeitraum ab 2015. Sie tragen deshalb nicht ohne Weiteres die Annahme, der Angeklagte habe auch in den Tatjahren 2011 bis 2014 einen entsprechenden Anteil seiner Umsätze verkürzt. Insbesondere fehlt in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit der Feststellung des Landgerichts, an die die Einlassung des Angeklagten anknüpft, dass die Renovierung des Restaurants im Jahr 2015 zu einer Erhöhung der Anzahl der Sitzplätze geführt hat; denn bei einem Gaststättenbetrieb dieser Auslastung erscheint es durchaus denkbar, dass in der Folge Änderungen der betrieblichen Kalkulation den Angeklagten tatsächlich zu einer Erhöhung der Umsatzmanipulation veranlasst haben.
9 2. Angesichts der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten und vom Angeklagten auch eingeräumten Manipulation der Kasse und der Fälschung der in der Buchführung erfassten Umsätze kann vorliegend allerdings ausgeschlossen werden, dass im Tatzeitraum eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist, so dass der Schuldspruch von dem Rechtsfehler nicht berührt wird.
10 3. Da die Steuerberechnung fehlerhaft ist, kann auch die auf ihr beruhende Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der ersparten Steueraufwendungen keinen Bestand haben.
11 4. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat Folgendes:
12 Die Feststellungen des Landgerichts zu den Betriebsausgaben lassen besorgen, dass die Hinterziehungsbeträge hinsichtlich der Einkommen- und Gewerbesteuer zu hoch bemessen worden sind.
13 Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
„… Die Strafkammer hat zwar zugunsten des Angeklagten bedacht, dass ein erhöhter Umsatz in der Regel mit einem erhöhten Wareneinkauf einhergeht. Bereits ihr Ansatz, die jeweiligen Schwarzeinkäufe mittels pauschaler Sicherheitsabschläge in Anrechnung zu bringen, ist jedoch im vorliegenden Fall zu beanstanden, da sie sich mit der zum doppelten Umsatz korrespondierenden Einlassung des Angeklagten, im Monat etwa 15.000,00 Euro für Schwarzeinkäufe ausgegeben zu haben (Urteil S. 11), nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Dies wäre bei dem Restaurant des Angeklagten für sämtliche Jahre bereits deshalb veranlasst gewesen, als nach den Angaben der Zeugin W. ʹbeispielsweiseʹ im Jahr 2013 die Buchhaltung des Angeklagten einen Wareneinkauf von rund 125.000.- Euro und gesondert einen Schwund in Höhe von 76.000.- Euro ausgewiesen hatte und letzterer zum Wareneinkauf hätte addiert werden müssen (Urteil S. 12). Demgegenüber hat die Kammer bei der Berechnung der Gewerbe- und Einkommenssteuer für das Jahr 2013 lediglich einen geschätzten höheren Wareneinsatz in Höhe von 45.140,00 Euro berücksichtigt (Urteil S. 26-28), ohne sich zu der buchhalterisch ausgewiesenen Höhe des gesamten Wareneinkaufs zu verhalten. Dass der jeweils erklärte Wareneinsatz in der Buchhaltung regelhaft und fehlerhaft um den Schwund bereinigt worden sei, lässt sich der Aussage des
Zeugen Wa. entnehmen (Urteil S. 14).
Die Kammer hat zudem die nicht deklarierten Personalmehraufwendungen des Angeklagten bei den von ihr geschätzten Betriebskosten außer Acht gelassen, obwohl die Urteilsfeststellungen dazu Anlass geboten hätten. Nach den auf der Aussage der Zeugen W. und Wa. sowie auf der Einlassung des Angeklagten beruhenden Feststellungen hat der Angeklagte die elektronische Kasse regelmäßig dadurch manipuliert, dass er nachträglich einen Teil der Umsätze wie auch einen Teil der tatsächlich eingesetzten Kellner gelöscht hat (Urteil S. 3, 13, 15). Der Angeklagte hat diese Vorgehensweise auch eingeräumt und behauptet, seine Personalkosten nicht vollständig an die Buchhaltung gegeben zu haben (Urteil S. 11). Auch die Kammer ist davon ausgegangen, dass die Buchhaltung des Angeklagten nicht ordnungsgemäß geführt worden sei (Urteil S. 11). Daher wäre sie mit Blick auf ihre Feststellungen zu der Art der Manipulation gehalten gewesen, sich zu dem Umfang etwa nicht gebuchter Personalkosten als Betriebskostenfaktor im Urteil zu verhalten. …“
14 Im Rahmen der Berechnung der verkürzten Einkommen- und Gewerbesteuer wird das Landgericht zudem die verkürzte Umsatzsteuer, die es bei der Schätzung der tatsächlichen Betriebseinnahmen hinzugerechnet hat, gewinnmindernd zu berücksichtigen haben, denn dieser Vorteil hätte dem Angeklagten bei wahrheitsgemäßen Angaben ohne weiteres von Rechts wegen zugestanden, sodass das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) dem nicht entgegensteht (BGH, Beschlüsse vom 17. April 2008 – 5 StR 547/07 Rn. 23 aE; vom 13. Januar 1993 – 5 StR 466/92 Rn. 10 und vom 15. November 1989 – 3 StR 211/89 Rn. 5; Urteil vom 10. Juli 2019 – 1 StR 265/18 Rn. 45).