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Steuerrecht
14.08.2009
Steuerrecht
: Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung

BFH, Beschluss vom 29.7.2009 - XI B 24/09

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 11.3.2009 - 1 V 4305/08

LEITSATZ

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt.

UStG 1999 § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a; UStDV 1999 § 17a, § 17c; Richtlinie 77/388/EWG Art. 28a, Art. 28c

SACHVERHALT

I.

Die Beteiligten streiten um die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin).

Die Antragstellerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, ihr Unternehmensgegenstand die Vermietung von Video-Filmen sowie der Im- und Export von Fahrzeugen. Zum Geschäftsführer war der portugiesische Staatsangehörige L bestellt.

In der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2002 erklärte die Antragstellerin steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 12 661 246 € und in der berichtigten Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2003 solche in Höhe von 12 965 649 €.

Aufgrund einer Prüfung der Steuerfahndung (Teilbericht vom 17. Juni 2008) kam der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen wegen Nichterfüllung der sich aus § 6a Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) ergebenden Nachweispflichten nicht vorlägen.

Nach den Feststellungen der Steuerfahndung habe die Antragstellerin für ihre Verkäufe von gebrauchten Kraftfahrzeugen nach Portugal jeweils zwei Rechnungen erstellt, und zwar eine an einen Scheinerwerber und eine an den tatsächlichen Erwerber. Das Doppel der ersten Rechnung sei --zum Nachweis einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung-- für die eigene Buchhaltung bestimmt gewesen und auf portugiesische Scheinerwerber ausgestellt worden. Tatsächlich seien die Fahrzeuge jedoch ganz überwiegend an andere Händler in Portugal veräußert worden; bei 29 Verkäufen in 2002 und 4 Verkäufen in 2003 sei eine Zuordnung an Unternehmer in Portugal nicht möglich gewesen. Für die tatsächlichen Leistungsempfänger habe die Antragstellerin eine zweite Rechnung ausgestellt. Sofern die Fahrzeuge von den tatsächlichen Erwerbern bereits an private Abnehmer weiterveräußert waren bzw. später weiterveräußert wurden, habe die Antragstellerin die Rechnungen auf diese Privatpersonen mit dem Zusatz ausgestellt: "Diff.-Besteuerung nach § 25a UStG". Diese Rechnungen hätten dazu gedient, eine Erwerbsbesteuerung in Portugal zu verhindern. Die Antragstellerin habe ihren Abnehmern die Möglichkeit verschafft, die Fahrzeuge zu einem geringeren Preis an ihre Endkunden zu veräußern. Dadurch habe sie ihre Umsätze aus Fahrzeugverkäufen innerhalb weniger Jahre immens erhöhen können.

Aufgrund dieser Feststellungen erließ das FA für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide. Die Antragstellerin legte Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das FA unter Hinweis auf einen gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin im Strafverfahren ergangenen Haftprüfungsbeschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 30. Juli 2008 3 Ws 300/08 ablehnte.

Das daraufhin angerufene Finanzgericht (FG) gewährte in dem angefochtenen Beschluss die AdV, weil Einiges dafür spreche, dass die streitigen Umsätze größtenteils als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei seien.

a) Die Fahrzeuge seien nach den Feststellungen der Steuerfahndung tatsächlich als Lieferungen der Antragstellerin nach Portugal an (überwiegend) portugiesische Unternehmer gelangt. Dass diese Lieferungen nicht von der Antragstellerin belegt, sondern durch die Steuerfahndung festgestellt worden seien, sei unerheblich, da es für die Frage des Vorliegens von innergemeinschaftlichen Lieferungen grundsätzlich auf die objektiven Kriterien ankomme. Dem stehe nicht entgegen, dass die Antragstellerin die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbracht habe. Denn diese Nachweise seien nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen.

Die Nichterfüllung der formellen Nachweisanforderungen dürfe zwar nicht zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führen. Diese Einschränkung beziehe sich jedoch wegen des Grundsatzes der steuerlichen Territorialität allein auf den Mitgliedstaat, in dem der Endverbrauch erfolge. Die Nichterhebung von Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung durch den Herkunftsstaat der Lieferung könne daher nicht als Gefährdung des Steueraufkommens angesehen werden.

b) Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht sei zwar nicht erlaubt. Selbst wenn das Verhalten der Antragstellerin Züge einer Mehrwertsteuerhinterziehung trage, sei jedoch zweifelhaft, ob dies der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen entgegengehalten werden könne, weil die materiellen Voraussetzungen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nach summarischer Prüfung vorgelegen hätten.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot. Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordere, dass die fraglichen Umsätze einen dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufenden Steuervorteil zum Ergebnis hätten. Außerdem müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt werde. Im Streitfall entspreche die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen jedoch dem System der Mehrwertsteuer, wonach lediglich der innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland der Besteuerung unterworfen werde. Zudem sei es der Antragstellerin nicht um die Erlangung eigener umsatzsteuerlicher Vorteile gegangen, sondern darum, mehr Autos nach Portugal zu verkaufen. Ob dies ausreiche, um der Antragstellerin die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen wegen Missbräuchlichkeit zu versagen, bedürfe einer Klärung im Hauptsacheverfahren.

Das FA begründet seine --vom FG zugelassene Beschwerde-- wie folgt:

a) Die Antragstellerin habe für die streitgegenständlichen Umsätze weder den Buch- noch den Belegnachweis erbracht. Es stehe fest, dass die Belege (Rechnungen, CMR-Papiere u.Ä.) falsche Abnehmer auswiesen und in den Büchern wissentlich falsche Abnehmer aufgezeichnet worden seien.

b) Außerdem unterliege der Erwerb des Liefergegenstands beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat nicht i.S. von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG den Vorschriften der Umsatzbesteuerung. Unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. November 2008 1 StR 354/08 (BGHSt 53, 45) sei diese Vorschrift gemeinschaftsrechtlich dahingehend auszulegen, dass der Erwerb des Liefergegenstands beim Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat unterliege, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Erwerbsbesteuerung nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierung und falsche Angaben gezielt umgangen werden sollte, um dem Unternehmer oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sei eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt.

Im Streitfall hätten die Lieferungen einen Steuervorteil (Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) zur Folge gehabt, dessen Gewährung dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufe, da das Umsatzsteuersystem zugunsten einzelner Wettbewerber in ein Ungleichgewicht gebracht werde. Die Beteiligten eines Kettengeschäfts verschafften sich unter Ausnutzung der formalen Vorgaben Wettbewerbsvorteile, die vom Umsatzsteuersystem nicht bezweckt würden. Mit den streitgegenständlichen Umsätzen sei im Wesentlichen auch ein Steuervorteil bezweckt worden. Denn die konkrete Abwicklung der Fahrzeuggeschäfte habe allein dazu gedient, den Abnehmern der Antragstellerin nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu verschaffen.

c) Ergänzend verweist das FA auf das BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 26/05 (BFHE 219, 410, BStBl. II 2009, 49, BB 2008, 1265 m. Komm. Michel). Darin habe der BFH die Steuerbefreiung aufgrund fehlender Nachweise versagt, obwohl die von den vorgeblichen Abnehmern abweichenden tatsächlichen Abnehmer nach den Feststellungen des FG festgestanden hätten und ein kollusives Zusammenwirken des inländischen Lieferanten mit den tatsächlichen Abnehmern offensichtlich nicht vorgelegen habe.

Das FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Beschlusses des FG den Antrag auf AdV abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Die Umsatzsteuer sei keine Verkehr-, sondern eine Verbrauchsteuer. Da der "Verbrauch" der PKW nicht in Deutschland, sondern in Portugal stattgefunden habe, und Güter nur einmal "konsumiert" werden könnten, dürfe die Besteuerung nur in Portugal erfolgen.

AUS DEN GRÜNDEN

II.

Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des angefochtenen Verwaltungsakts durch das FG ist nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der FG unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl. II 1990, 71, BB 1989, 2444; vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 2002 und 2003 bejaht.

a) Eine nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

"1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,

2. der Abnehmer ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,

b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder

c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber und

3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung."

Die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein (§ 6a Abs. 3 Satz 1 UStG). Wie der Nachweis im Einzelnen zu führen ist, hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des Bundesrats in § 17a bis § 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 (Buch- und Belegnachweis) geregelt.

Buch- und Belegnachweis sind nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-146/05 --Collée--, Slg. 2007, I-7861) und dem Folgeurteil des BFH vom 6. Dezember 2007 V R 59/03 (BFHE 219, 469, BStBl. II 2009, 57, BB 2008, 594 m. Komm. Hiller) keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung, sondern bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung der --formellen-- Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbrachte.

b) Im Streitfall sprechen erhebliche Gesichtspunkte für das Vorliegen steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen.

aa) Die streitgegenständlichen Umsätze beruhen, was unstrittig ist, auf Lieferungen von Kraftfahrzeugen (PKW) an Abnehmer in Portugal. Bei diesen Abnehmern handelt es sich ganz überwiegend um portugiesische Unternehmer, die diese Fahrzeuge für ihr Unternehmen erworben haben. Soweit eine Zuordnung der Kfz-Lieferungen an Unternehmer weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch von der Steuerfahndung festgestellt wurde, und damit möglicherweise an Privatpersonen geliefert wurde, scheidet dagegen eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG aus.

bb) Die von den unternehmerisch tätigen Abnehmern erworbenen Fahrzeuge unterlagen auch i.S. von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG der Erwerbsbesteuerung in Portugal. Dass hierfür die bloße Steuerbarkeit in dem anderen Mitgliedstaat (Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 6a UStG Rz 52) genügt, ergibt sich aus Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) i.V.m. der entsprechenden portugiesischen Umsetzungsnorm. Daher ist insoweit irrelevant, ob diese Erwerbsbesteuerung in Portugal tatsächlich stattgefunden hat (vgl. EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-409/04 --Teleos--, Slg. 2007, I-7797, Randnrn. 69 ff.; BFH-Urteil in BFHE 219, 469, BStBl. II 2009, 57, BB 2008, 594 m. Komm. Hiller, unter II.1.a, sowie BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BB 2006, 1308).

cc) Dem FG ist auch insoweit zu folgen, als der im Rahmen eines fehlenden oder unzureichenden Buchnachweises relevante Gesichtspunkt einer Gefährdung des Steueraufkommens der Qualifizierung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen bei summarischer Prüfung nicht entgegensteht.

(1) Der EuGH hat in der Rs. Collée in Slg. 2007, I-7861 entschieden, das nationale Gericht müsse insoweit prüfen, ob die verspätete Erbringung des Buchnachweises zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führen oder die Erhebung von Mehrwertsteuer beeinträchtigen konnte (Randnr. 36). Die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung könne dabei aber nicht als eine Gefährdung des Steueraufkommens angesehen werden, weil solche Einnahmen nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität dem Mitgliedstaat zustünden, in dem der Endverbrauch erfolge (Randnr. 37; ähnlich Urteil vom 8. Mai 2008 Rs. C-95/07 --Ecotrade--, Slg. 2008, I-3457, Randnr. 71 im Rahmen der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens).

(2) Danach ist nicht auszuschließen, dass das FG zu Recht wegen eines fehlenden Besteuerungsrechts Deutschlands eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint hat. Dass es allein auf die Gefährdung des Steueraufkommens des Lieferstaats ankommt, entspricht auch einer weithin vertretenen Ansicht (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. November 2008 6 K 1463/08, juris; Winter, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2007, 881, 882; Hentschel, Deutsches Steuerrecht 2009, 1076, 1078; Huschens, EU-Umsatz-Steuer-Berater 2007, 21; Sterzinger, UR 2008, 169, 172). Davon scheint auch der BFH im Folgeurteil Collée in BFHE 219, 469, BStBl. II 2009, 57, BB 2008, 594 m. Komm. Hiller auszugehen. Darin schließt er die Gefährdung des Steueraufkommens deshalb aus, weil das FA dem S den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der GmbH an S über die fingierten Kfz-Lieferungen von vornherein versagte und zudem der Kläger die unrichtigen Rechnungen an S widerrufen hatte (vgl. unter II.2.b).

c) Allerdings ist letztlich noch offen und ungeklärt, ob die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung auch dann vorliegen, wenn der Lieferer an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers im Gemeinschaftsgebiet mitwirkt (vgl. dazu Beschlüsse des BGH in BGHSt 53, 45, und vom 19. Februar 2009 1 StR 633/08, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2009, 238).

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des EuGH, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist (vgl. EuGH-Urteile vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04 und C-440/04 --Kittel und Recolta Recycling--, Slg. 2006, I-6161, Randnr. 54, m.w.N.; vom 21. Februar 2006 Rs. C-255/02 --Halifax--, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 68 f.). Im Zusammenhang mit der Frage der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen nach Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH daher im Urteil Teleos in Slg. 2007, I-7797 entschieden, dass es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstieße, wenn vom Lieferanten gefordert würde, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Dass der Lieferant gutgläubig war, dass er alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat und dass seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist, sind danach wichtige Kriterien im Rahmen der Feststellung, ob er nachträglich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann (vgl. Leitsatz 2 sowie Randnrn. 65 f.).

aa) Mit der Ausstellung von Rechnungen, die den unzutreffenden Hinweis auf eine Differenzbesteuerung nach § 25a UStG trugen, hat die Antragstellerin an einer betrügerischen Handlung ihrer Abnehmer in Portugal mitgewirkt.

Es wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die Mitwirkung eines inländischen Unternehmers an einer Steuerhinterziehung, die sein ausländischer Abnehmer gegenüber dessen Mitgliedstaat begeht, es rechtfertigen kann, dass der deutsche Fiskus eine Steuer festsetzen darf, die nicht entstanden wäre, wenn der deutsche Unternehmer seinen wahren Abnehmer in seinen Büchern benannt und nicht einen Scheinabnehmer vorgetäuscht hätte. Dadurch könnte die Versagung der Steuerfreiheit möglicherweise einen unzulässigen Sanktionscharakter erhalten (vgl. dazu Randnr. 45 des Schlussantrags der Generalanwältin vom 11. Januar 2007 in der Rs. C-146/05 --Collée--, Slg. 2007, I-7861; sowie EuGH-Urteil Collée in Slg. 2007, I-7861, Randnr. 40).

bb) Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs wird vertreten, dass die für den Leistenden erkennbare Nichtbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Erwerber zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferung führe (Wäger, Urteilsanmerkung zum EuGH-Urteil Kittel und Recolta Recycling in Slg. 2006, I-6161, UR 2006, 599, 601). Dem könnte jedoch entgegenstehen, dass die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordert, dass die Umsätze trotz formaler Anwendung des Gemeinschaftsrechts und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Außerdem muss anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Denn das Missbrauchsverbot ist nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben als nur die Erlangung von Steuervorteilen (vgl. EuGH-Urteil Halifax in Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 74 ff.).

In diesem Zusammenhang stellt sich die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob die Vermeidung der Erwerbsbesteuerung durch den Abnehmer ein dem Lieferanten zuzurechnender Steuervorteil ist, den dieser auch im Wesentlichen bezweckt hat. Die Klärung dieser Frage kann jedoch nicht im vorläufigen Aussetzungsverfahren erfolgen, sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem wird auch die künftige Entscheidung des EuGH über die ihm vom 1. Strafsenat des BGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu berücksichtigen sein (Beschluss vom 7. Juli 2009 1 StR 41/09, juris).

d) Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide können --entgegen der Ansicht des FA-- auch nicht durch den Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 219, 410, BStBl. II 2009, 49, BB 2008, 1265 m. Komm. Michel ausgeräumt werden. Darin wurde die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen versagt, weil die Klägerin keinen Beleg vorlegte, aus dem sich leicht und einfach nachprüfbar ergab, dass sie oder ihr Abnehmer die Gegenstände der Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Das FG hatte zwar festgestellt, dass W und B die tatsächlichen Abnehmer waren, ungeklärt blieb dagegen, ob die Beförderung oder Versendung durch den Unternehmer oder den Abnehmer erfolgte. Damit ist der Streitfall, in dem eine Versendung durch Spediteure nach objektiver Beweislage feststeht, nicht vergleichbar.

3. Soweit Lieferungen an portugiesische Unternehmer weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch von der Steuerfahndung festgestellt wurden, ist bei der gebotenen summarischen Prüfung im Aussetzungsverfahren von nicht steuerbaren Lieferungen an private Abnehmer auszugehen.

a) Grenzüberschreitende Lieferungen an private Abnehmer sind zwar grundsätzlich im Ursprungsland steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Eine Besteuerung im Bestimmungsland ergibt sich jedoch nach § 3c Abs. 1 UStG für die Lieferungen von Gegenständen (mit Ausnahme neuer Fahrzeuge) im Wege der Beförderung oder Versendung durch den Lieferer in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats an einen Abnehmer i.S. von § 3c Abs. 2 UStG, wobei die sog. Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 UStG überschritten sein muss.

b) Im Streitfall lieferte die Antragstellerin gebrauchte Fahrzeuge mittels Spedition an Abnehmer in Portugal. Die sog. Lieferschwelle (ohne Umsatzsteuer) betrug und beträgt 31 424,27 € (BMF-Schreiben vom 13. September 2002 IV B 7 - S 7115- 14/02, BStBl. I 2002, 951; Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3c Rz 26) und dürfte bei 4 Kfz-Verkäufen in 2003 und bei 29 Kfz-Verkäufen in 2002 überschritten worden sein.

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