FG Niedersachsen: Steuerfreie Umsätze aus der Kryokonservierung weiblicher Eizellen
FG Niedersachsen, Urteil vom 14.3.2013 - 5 K 9/11
Leitsatz
Umsätze aus der Kryokonservierung weiblicher Eizellen unterliegen auch dann der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG, wenn die Eizellen nach erfolgreicher erster Schwangerschaft zur Durchführung von weiteren Schwangerschaften vorgehalten werden.
§ 4 Nr 14 UStG 1999, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst c EWGRL 388/77, § 4 Nr 14 UStG 2005
Sachverhalt
Streitig ist die umsatzsteuerliche Behandlung der Erlöse aus der Kryokonservierung von befruchteten Eizellen.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Mitglieder der GbR betreiben eine Arztpraxis für Reproduktionsmedizin, in der die komplette Diagnostik und Therapie von Paaren mit Kinderwunsch stattfindet.
Die Praxis führt künstliche Befruchtungen durch. Dazu werden zunächst der Patientin -oftmals nach vorheriger Hormonbehandlung - Eizellen entnommen. Diese Eizellen (regelmäßig nicht mehr als fünf) werden befruchtet und anschließend in der Praxis kryokonserviert. Die Klägerin führt die Kryokonservierung nur für eigene Patienten mit der Diagnose „Unfruchtbarkeit" durch.
Die Kosten für die Kryokonservierung einschließlich der damit zusammenhängenden ärztlichen Leistungen werden den Patienten bis zur erfolgreichen erstmaligen Schwangerschaft über eine Abrechnungsstelle in Rechnung gestellt.
Die anschließende jährliche Verlängerung der Kryokonservierung wird direkt über die Praxis (Klägerin) abgerechnet.
Im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahr 2004 bis 2007 ermittelte die Prüferin folgende Erlöse (brutto) aus der jährlichen Verlängerung der Kryokonservierung:
2004 | 11.420,78 EUR |
2005 | 14.082,23 EUR |
2006 | 13.454,64 EUR |
2007 | 16.101,74 EUR. |
Nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover nahm die Prüferin folgende Unterscheidung hinsichtlich der Kryokonservierung vor (siehe Tz. 18 des BP-Berichts vom 29.03.2010):
„Soweit die Konservierung im Zusammenhang mit einer konkreten Fruchtbarkeitsbehandlung dazu dient, überzählige Eizellen aufzubewahren und in einem späteren Zyklus einzusetzen, kann sie Teil einer steuerfreien Heilbehandlung sein. Diese Heilbehandlung endet mit dem eingetretenen Erfolg, d.h. mit der Schwangerschaft.
Bei den Beträgen aus der erstmaligen Konservierung (Abrechnung über Abrechnungsstelle) ist davon auszugehen, dass diese der Heilbehandlung dienen, da zum Zeitpunkt der Aufbereitung/des Einfrierens eine Aussage über den Erfolg der Heilbehandlung nicht getroffen werden kann und daher davon auszugehen ist, dass diese noch nicht abgeschlossen ist. Die zur Konservierung durchgeführten vorbereitenden Maßnahmen (Analogziffern GOÄ 4655 und 4013) teilen dabei das Schicksal der Hauptleistung. Sofern die Konservierung daher innerhalb einer Behandlung erfolgt und nicht dazu dient, eine weitere Behandlung durchzuführen („zweite Schwangerschaft") ist diese umsatzsteuerfrei.
Bei den oben aufgeführten Beträgen für die Verlängerung der Lagerung (Abrechnung durch die Praxis) ist davon auszugehen, dass es sich insgesamt um eine umsatzsteuerpflichtige Leistung handelt, da sich der Zeitraum einer Heilbehandlung nicht über ein Jahr hinauszögert."
Der Beklagte erließ aufgrund der genannten Feststellungen der Außenprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen er die Umsätze aus der Verlängerung der Lagerung den umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zuordnete. Im Gegenzug gewährte er anteilige Vorsteuern aus der Kryokonservierung (siehe Tz 21 i. V. m. Anlage 4 des BP-Berichts vom 29. März 2010).
Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit ihrer Klage. Sie trägt vor, nach der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie und den sie konkretisierenden Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts seien ärztliche Leistungen steuerfrei, wenn sie zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen erbracht würden. Auch bei Leistungen zur vorbeugenden Gesundheitspflege gelte die Umsatzsteuerbefreiung. Danach sei alles, was der Prävention, der Diagnose, der Heilung oder der Linderung diene, umsatzsteuerfrei.
Entscheidend sei, dass mit der Behandlung ein konkretes medizinisch-therapeutisches Ziel verfolgt werde. Bei der Kryokonservierung im Rahmen der Reproduktionsmedizin - also dem Einfrieren und der Lagerung von Eizellen - liege ein konkretes therapeutisches Ziel vor, da die Schwangerschaft dem Bereich der Heilbehandlung zuzuordnen sei.
Wenn der BFH (XI R 83/07 - Einlegen von empfängnisverhütenden Spiralen) die Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft zum ärztlichen Kernbereich gynäkologischer Tätigkeit zähle, könne für den spiegelbildlichen Fall, nämlich der Herbeiführung einer gewollten Schwangerschaft, nicht anderes gelten.
In diesem Zusammenhang seien auch die Regelungen im Embryonenschutzgesetz zu berücksichtigen, wonach jeglicher Umgang mit kryokonservierten Eizellen unter dem absoluten und unbedingten Arztvorbehalt stehe.
Schließlich wendet sich die Klägerin gegen die Differenzierung hinsichtlich des Lagerzeitraums. So sei nicht nachzuvollziehen, warum der Beklagte einen Zeitraum vor erfolgreicher Behandlung und nach erfolgreicher Behandlung unterscheide. Unscharf sei auch, was der Beklagte unter einem „Erfolg" verstehe, nach dessen Eintritt eine Konservierung lediglich auf „Vorrat" erfolge.
Nach Auffassung der Klägerin bleibt die Aufbewahrung von Eizellen insbesondere dort eine Heilbehandlung, wo ein fortpflanzungswilliges Paar ein zweites Kind wünsche und hierfür die Hilfe der ärztlichen Kunst aus denselben Gründen benötige wie bereits bei der ersten Schwangerschaft.
Aus ärztlicher Sicht sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Maßnahmen zur Gewinnung weiblicher Eizellen um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Patientin handelt, der - wie jeder andere Eingriff auch - mit Risiken verbunden sei. Daher solle die Wiederholung eines solchen Eingriffs dort unterbleiben, wo sie unterbleiben könne, hier nämlich durch Konservierung von Eizellen, die durch einen durchgeführten und abgeschlossenen Eingriff bereits gewonnen werden konnten.
Rechtzeitig vor Ablauf des jeweils auf ein Jahr befristeten Vertrages über die Verwahrung der Eizellen stimme sich die Klägerin mit der Eizellen-Spenderin über die Frage einer möglichen Fortsetzung der Lagerdauer ab. Dies erfolge jeweils in standardisierter Form (vgl. den Lagervertrag und das mit Schriftsatz der Klägerin vom 13. März 2013 vorgelegte ärztliche Anschreiben).
In der mündlichen Verhandlung nahm die Klägerin Bezug auf die Entscheidung des BFH vom 16. Dezember 2010 (VI R 43/10, BStBl 2011, 414 - Aufwendungen für heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung) und führte aus, dass sich die dortigen Ausführungen zu „Krankheit", „Krankheitsfolge" und „Linderung" kongruent in das System der umsatzsteuerlichen Begrifflichkeiten einfügen ließen.
So sei ein unerfüllter Kinderwunsch nicht Krankheit, sondern Krankheitsfolge eines regelwidrigen Körperzustands, nämlich der organisch bedingten Sterilität mindestens einer der beiden fortpflanzungswilligen Partner. Insofern sei es unbeachtlich, ob sich der Kinderwunsch auf ein erstes oder auf ein zweites Kind beziehe. Der krankheitsbedingt unerfüllte Kinderwunsch bleibe stets die Krankheitsfolge der organisch bedingten Sterilität eines Partners, die wiederum begrifflich ohne zeitliche Unterbrechung als Krankheit einzuordnen bleibe und als solche über die erfolgreiche ärztliche Herbeiführung einer ersten Schwangerschaft ohne zeitliche Unterbrechung hinaus andauere. Die Kryokonservierung diene in diesem Zusammenhang der Linderung einer Krankheit, da die Lagerung im Vergleich zu einer erneuten „Gewinnung" von Eizellen das mildere und damit verhältnismäßige Mittel sei.
Die Klägerin beantragt,
die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 14. April 2010 für die Jahre 2004 bis 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2010 dahingehend zu ändern, dass sämtliche Erlöse aus der Kryokonservierung von der Umsatzsteuer befreit werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die Umsätze aus der Kryokonservierung seien zutreffend nur zum Teil als umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 UStG berücksichtigt worden.
Nach dieser Vorschrift seien u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei.
§ 14 Nr. 14 UStG sei richtlinienkonform auszulegen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH seien Heilbehandlungen i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und, soweit möglich der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen würden. Heilberufliche Tätigkeiten seien daher nur steuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe.
Soweit die Kryokonservierung dem Herbeiführen einer Schwangerschaft diene, werde mit der Behandlung unstreitig ein konkretes medizinisch-therapeutisches Ziel verfolgt.
Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass die Aufbereitung und Konservierung von Eizellen nach erfolgter Behandlung auf Vorrat eine medizinisch-therapeutische Präventivmaßnahme sei. In diesem Sinne habe auch der EuGH in dem Urteil vom 10. Juni 2010 (C-86/09) ausgeführt, dass die Kryokonservierung von lebenden Teilen eines menschlichen Körpers (Nabelschnurblut) als solche nicht als prophylaktische Heilbehandlung anzusehen sei.
Der Klägerin könne nicht darin gefolgt werden, dass eine Leistung, die Ärzten vorbehalten sei, immer eine steuerfreie Heilbehandlung sei (vgl. Rechtsprechung des BFH zu Schönheitsoperationen).
Der Hinweis, dass eine Kryokonservierung auch nach erfolgreicher Behandlung (Schwangerschaft) steuerfrei sein müsse, weil nur dadurch ein späterer nochmaliger Eingriff in die Unversehrtheit der Patientin vermieden werden könne, überzeuge nicht. War die Kinderwunschbehandlung erfolgreich, sei vollkommen ungewiss, ob die weiteren Eizellen noch benötigt würden. Die Konservierungsleistungen stünden daher - bis zu einer ggf. erneuten Fruchtbarkeitsbehandlung - in keinem Zusammenhang mit der Verhinderung einer Krankheit bzw. einer therapeutischen Maßnahme.
Aus den Gründen
1. Auch die hier streitigen Umsätze aus der Kryokonservierung nach erfolgreicher erster Schwangerschaft unterfallen der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG.
Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung des UStG sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit" steuerfrei.
Diese Vorschrift beruht gemeinschaftsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG, wonach "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden", steuerfrei sind.
a) Was insbesondere die Befreiung nach Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie betrifft, geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" Leistungen erfasst, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 18. November 2010 C-156/09 - Verigen Transplantation Service International AG, UR 2011, 215, Randnr. 24 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 10. Juni 2010 C-262/08 - Copy Gene, UR 2010, 526 Randnr. 28). Zwar müssen die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen, doch folge daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen sei (EuGH-Urteil Copy Gene, Randnr. 29).
Dementsprechend hat der EuGH in der Rechtssache „Verigen Transplantation Service International AG" entschieden, dass das Verfahren der Entnahme von Knorpelmaterial, um daraus Gelenkknorpelzellen herauszulösen, die vermehrt werden, um sie dem Patienten wieder zu implantieren, insgesamt therapeutischen Zwecken diene und damit unter den Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie falle. Eine solche Auslegung stehe im Übrigen im Einklang mit dem Zweck dieser Bestimmung, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken (EuGH-Urteil vom 18. November 2010 C-156/09 - Verigen Transplantation Service International AG, UR 2011, 215, Randnr. 27 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, Slg. 2006, I-5123, Randnr. 29).
b) Der Senat ist der Auffassung, dass für die von der Klägerin durchgeführte Kryokonservierung der befruchteten Eizellen im Rahmen der von ihr durchgeführten Reproduktionsmedizin im Ergebnis nichts anderes gelten kann.
Verträge über die Kryokonservierung schließt die Klägerin nur ab, wenn bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner eine organisch bedingte Sterilität vorliegt. Die organisch bedingte Sterilität ist die Krankheit, die von der Klägerin behandelt wird. Der unerfüllte Kinderwunsch ist die Krankheitsfolge. Diese Krankheitsfolge kann durch die erfolgreiche ärztliche Herbeiführung einer ersten Schwangerschaft gelindert werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die organisch bedingte Sterilität als Krankheit ohne zeitliche Unterbrechung hinaus fortdauert.
Die über den Zeitpunkt der erstmaligen Schwangerschaft hinausgehende Lagerung der Eizellen dient der Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft und damit weiterhin therapeutischen Zwecken.
Dabei ist die Kryokonservierung der bereits einmal gewonnenen Eizellen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit das mildeste Mittel im Vergleich mit dem Aufwand und den Risiken, die mit der erneuten Entnahme von Eizellen verbunden wären. Die Kryokonservierung dient somit der Linderung der organisch bedingten Sterilität. Ärztliches Handeln mit dem Ziel der Linderung einer Krankheit, also mit dem Ziel, die Belastungen des Patienten durch die Krankheit so weit wie möglich abzuschwächen, stellt eine „Heilbehandlung" im Sinne von Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie dar.
c) Diese Wertung steht auch nicht im Widerspruch zu den Rechtssachen C-262/08 (Copy Gene) und C-86/09 (Future Health Technologies Ltd). In den Entscheidungen des EuGH vom selben Tag (Urteile vom 10. Juni 2010, UR 2010, 526 und 540) hatte dieser über die Lagerung der aus dem Nabelschnurblut gewonnenen kryokonservierten Stammzellen zum Zweck einer etwaigen künftigen therapeutischen Verwendung zu entscheiden.
Dabei führte der EuGH aus, dass der ein Haupt- und Nebenleistungsverhältnis begründende hinreichend enge Zusammenhang zwischen einer ärztlichen Heilbehandlung und einer zeitlich vorgelagerten Dienstleistung nur bei Eintritt der beiden folgenden Bedingungen anzunehmen sei: erstens müsse eine Verwendung von Nabelschnurblutzellen zur Behandlung oder Verhütung einer bestimmten Krankheit nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft möglich und geboten sein und zweitens müsse diese Krankheit in einem bestimmten Fall auftreten oder aufzutreten drohen (EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-262/08 - Copy Gene, UR 2010, 526, Randnr. 48; Urteil vom 10. Juni 2010 C-86/09 - Future Health Technologies Ltd., UR 2010, 540, Randnr. 49).
Diese Voraussetzungen sah der EuGH bei der Lagerung der kryokonservierten embryonalen Stammzellen nicht als gegeben an, weil eine ärztliche Heilbehandlung des Neugeborenen unter Verwendung der gewonnenen Stammzellen weder stattgefunden noch begonnen habe oder geplant sei (EuGH-Urteile CopyGene, Randnr. 50 und Future Health Technologies Ltd., Randnr. 51).
Anders ist es jedoch im vorliegenden Streitfall. Hier besteht der vom EuGH geforderte enge Zusammenhang zwischen der zeitlich vorgelagerten Dienstleistung (Lagerung der befruchteten Eizellen) und der ärztlichen Heilbehandlung (Implantierung derselben zum Zweck einer erneuten Schwangerschaft).
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass selbst eine möglicherweise erhebliche Zeitspanne zwischen der Entnahme der kryokonservierten Eizellen und deren anschließender Verwendung im Rahmen einer ärztlichen Heilbehandlung nicht dazu führt, die Steuerbefreiung der Lagerung zu versagen (vgl. EuGH-Urteil Copy Gene, Randnr. 45).
Unabhängig davon hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die kryokonservierten Eizellen regelmäßig bereits innerhalb eines Zeitraums von ein bis fünf Jahren nach erfolgreicher erster Schwangerschaft verwendet werden, um eine weitere Schwangerschaft herbeizuführen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin vor Ablauf der jeweils einjährigen Laufzeit der Verwahrungsverträge durch Rücksprache mit den Patienten stets vergewissert, ob die kryokonservierten Eizellen weiterhin für Schwangerschaftszwecke gelagert und verwendet werden sollen.
Entscheidend ist letztlich, dass die Verwendung der kryokonservierten Eizellen zur Herbeiführung einer (weiteren) künstlichen Befruchtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft (Reproduktionstechnik) möglich und geboten ist und dadurch die mindestens bei einem der fortpflanzungswilligen Partner vorhandene Krankheit der organischen Sterilität gelindert werden kann.
2. Die Steuerbefreiung sämtlicher Erlöse aus der Kryokonservierung hat zur Folge, dass die vom Beklagten anteilig gewährte Vorsteuer aus den Lagerungskosten rückgängig zu machen war. Insgesamt war die Umsatzsteuer daher in den Streitjahren wie folgt herabzusetzen:
| 2004 | 2005 | 2006 | 2007 |
bislang festgesetzte USt | 20.202,43 € | 5.307,72 € | 8.153,85 € | 9.100,95 € |
Kryokonservierung (Bruttobetrag) | 11.420,78 € | 14.081,23 € | 13.454,64 € | 16.107,74 € |
Enthaltene USt 16/116 bis 2006 19/119 ab 2007 | 1.575,28 € | 1.942,24 € | 1.855,81€ | 2.571,82 € |
Vorsteuern (Tz. 21 und Anlage 4 zum BP-Bericht) | 318,69 € | 452,44 € | 522,82 € | 648,09 € |
neu festgesetzte USt | 20.202,42 € ./. 1.575,28 € + 318,69 € = 18.945,83 € | 5.307,72 € ./. 1.942,24 € + 452,44 € = 3.817,92 € | 8.153,85 € ./. 1.855,81 € + 522,82 € = 6.820,86 € | 9.100,95 € ./. 2.571,82 € + 648,09 € = 7.177,22 € |
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.