EuGH: Staatliche Beihilfen – steuerliche Behandlung von Spielbanken in Deutschland – Einstufung der Gewinnabschöpfung als „besondere Steuer“, die als „durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen“ abzugsfähig ist
EuGH, Urteil vom 21.9.2023 – C-831/21 P; Fachverband Spielhallen e. V., LM
ECLI:EU:C:2023:686
Volltext BB-Online BBL2023-2261-1
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 22. Oktober 2021, Fachverband Spielhallen und LM/Kommission (T‑510/20, ECLI:EU:T:2021:745), wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Aus den Gründen
1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragen der Fachverband Spielhallen e. V. und LM die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 22. Oktober 2021, Fachverband Spielhallen und LM/Kommission (T‑510/20, im Folgenden: angefochtener Beschluss, ECLI:EU:T:2021:745), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2019) 8819 final der Kommission vom 9. Dezember 2019 über die staatlichen Beihilfen SA.44944 (2019/C, ex 2019/FC) – Steuerliche Behandlung von Spielbanken in Deutschland und SA.53552 (2019/C, ex 2019/FC) – Mutmaßliche Garantie für Spielbankunternehmer in Deutschland (Wirtschaftlichkeitsgarantie) (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss
2 In den Rn. 1 bis 18 des angefochtenen Beschlusses werden die Vorgeschichte des Rechtsstreits und der Inhalt des streitigen Beschlusses wie folgt zusammengefasst:
„1 Am 22. März 2016 reichten die Kläger, der Fachverband Spielhallen e. V., ein Berufsverband von 88 Betreibern von Glücksspielgeräten, und LM, eine Betreiberin von Glücksspielgeräten, [bei der Europäischen Kommission] drei Beschwerden ein, die die steuerliche Behandlung der Spielbankunternehmer in der Bundesrepublik Deutschland betrafen [und die damit begründet wurden, dass diese Behandlung eine unionsrechtlich verbotene staatliche Beihilfe darstelle].
2 [Die dritte dieser Beschwerden betraf speziell das Land] Nordrhein-Westfalen[, in dem] Glücksspieltätigkeiten in Spielbanken dem Spielbankgesetz NRW (im Folgenden: Spielbankgesetz) [unterlagen], bis es 2020 ersetzt worden ist. Nach diesem Gesetz war die Westdeutsche Spielbanken GmbH & Co. KG (im Folgenden: WestSpiel) das einzige konzessionierte Spielbankunternehmen in diesem Land.
3 Nach dem Spielbankgesetz unterlagen die Einnahmen der Spielbanken zwei verschiedenen Steuerregelungen. Zum einen unterlagen die Einnahmen aus Glücksspielen einer besonderen Besteuerung, die in einer Spielbankabgabe bestand. Zum anderen unterlagen die nicht aus dem Spielbetrieb erzielten Einnahmen wie diejenigen aus den Gastronomiebereichen der Normalbesteuerung, nämlich der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer (im Folgenden: Normalbesteuerung).
4 Ferner bestimmte § 14 des Spielbankgesetzes, dass die ausgewiesenen Jahresüberschüsse der Spielbankunternehmen unabhängig davon, ob sie aus Glücksspielen stammten oder nicht, zu 75 % an das Land Nordrhein-Westfalen abzuführen waren. Sofern das restliche Viertel dieser Überschüsse 7 % der Summe aus den Anteilen des Gesellschaftskapitals, den Rücklagen und den Risikofonds überstieg, waren diese Überschüsse in voller Höhe an das Land abzuführen (im Folgenden: Gewinnabschöpfung).
5 Die Gewinnabschöpfung konnte allerdings in Höhe des Teiles der nicht durch den Spielbetrieb erzielten Einkünfte als ‚durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen‘ von den Besteuerungsgrundlagen der Gewerbesteuer und der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgezogen werden. Diese Abzugsfähigkeit (im Folgenden: [Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung oder] streitige Maßnahme) beanstandeten die Kläger in ihrer dritten Beschwerde …
6 Nach einem Schriftwechsel mit den Klägern kam die … Kommission am 9. Dezember 2019 zu dem Ergebnis, dass die streitige Maßnahme keinen selektiven Vorteil und somit keine Beihilfe enthalte, und beschloss daher, hinsichtlich dieser Maßnahme nicht das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten …
7 Im [streitigen] Beschluss stellte die Kommission fest, dass die nicht durch den Spielbetrieb erzielten Einkünfte der Spielbankunternehmer zum einen der Normalbesteuerung und zum anderen der Gewinnabschöpfung unterlägen, die sie als ‚besondere Steuer‘ einstufte.
8 Die Kommission stellte fest, dass sich die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung von der Bemessungsgrundlage der … Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer nicht aus einer besonderen Bestimmung ergebe, sondern aus der Anwendung der allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung, nach denen die Steuern auf der Grundlage des Nettogewinns nach Abzug der ‚durch den Betrieb veranlassten Aufwendungen‘, wie im vorliegenden Fall der Gewinnabschöpfung, berechnet würden. Folglich stelle die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung keinen selektiven Vorteil dar.
9 Anschließend setzte die Kommission im [streitigen] Beschluss die Prüfung der streitigen Maßnahme unter Berücksichtigung der Argumentation der Kläger in der Vorprüfungsphase fort.
10 Die Kommission stellte als Erstes fest, dass die Kläger mit ihrer Argumentation implizit geltend machten, die Gewinnabschöpfung sei eine mit den Ertragsteuern vergleichbare Steuer, die nach den allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung – insbesondere nach § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes – nicht abzugsfähig seien.
11 Nach Auffassung der Kommission konnte die Gewinnabschöpfung allerdings als eine besondere Ertragsteuer angesehen werden. Insoweit machte sie geltend, § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes schließe die Qualifikation als abziehbare Betriebsausgabe nur für die Gewerbesteuer aus, nicht aber für alle Ertragsteuern. Tatsächlich gebe es keine Bestimmung, die der Abzugsfähigkeit einer besonderen Ertragsteuer generell entgegenstehe. …
12 Insoweit ging die Kommission als Zweites auf ein Argument ein, das die Kläger aus § 10 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes hergeleitet hatten, wonach bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer die Steuern vom Einkommen und sonstigen Personensteuern nicht abziehbar seien. Diese Bestimmung stelle auf allgemeine Ertragsteuern ab, und nichts weise darauf hin, dass sie auch für eine besondere Steuer wie die Gewinnabschöpfung gelte, die kein anderer Steuerzahler als ein Spielbankunternehmer entrichte und deren Bemessungsgrundlage nicht genau dem mit seiner Tätigkeit erzielten Einkommen entspreche. …
13 Als Drittes stellte die Kommission in Bezug auf ein weiteres Argument der Kläger, wonach gemäß den allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung Ausschüttungen nicht von der Bemessungsgrundlage der Gewerbe- und der Einkommensteuer abgezogen werden könnten, fest, dass die Gewinnabschöpfung keine Ausschüttung sei. …
14 Aufgrund des Vorstehenden kam die Kommission im [streitigen] Beschluss zu dem Ergebnis, dass die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung im Einklang mit dem allgemeinen Grundsatz der Abzugsfähigkeit der durch den Betrieb veranlassten Aufwendungen stehe und daher nicht selektiv sei.
15 Schließlich stellte die Kommission in Rn. 159 des [streitigen] Beschlusses speziell zum Kriterium des Vorteils fest, dass andere Wirtschaftsbeteiligte, insbesondere Spielhallen, nicht der Gewinnabschöpfung unterlägen. Dass die Gewinnabschöpfung von der Bemessungsgrundlage anderer Steuern abgezogen werde, habe WestSpiel daher keinen Vorteil gegenüber der Normalbesteuerung verschaffen können.
16 Die Kommission machte hierzu geltend, dass sich die Gewinnabschöpfung 2014 auf 82,02 Mio. Euro belaufen habe und der Gewerbesteuersatz und der Körperschaftsteuersatz 17,7 % bzw. 15,6 % betragen hätten. Die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung innerhalb der Grenzen von § 14 des Spielbankgesetzes habe daher dazu geführt, dass diese Steuersätze nicht auf diesen Betrag angewandt würden. Folglich habe sich der von WestSpiel aufgrund der Normalbesteuerung geschuldete Gesamtbetrag um 27,3 Mio. Euro verringert. Die Gesamtsteuerbelastung von WestSpiel sei jedoch gleichzeitig um einen weit höheren Betrag gestiegen, nämlich um eben diese 82,02 Mio. Euro, die der Gewinnabschöpfung entsprächen.
17 Aufgrund [dieser] Prüfung kam die Kommission … zu dem Ergebnis, dass der Vorteil, der sich daraus ergeben solle, dass ein Betreiber wie WestSpiel die Möglichkeit habe, die Gewinnabschöpfung teilweise von den Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abzuziehen, jedenfalls von der höheren Belastung aufgrund der Zahlung der Gewinnabschöpfung übertroffen werde, die speziell für Spielbankunternehmer gelte und stets viel höher als diese beiden Steuern sei.
18 In Fn. 87 des [streitigen] Beschlusses erläuterte die Kommission, dass der Vorteil, der den Spielbankunternehmern aus der Verringerung der Bemessungsgrundlage um einen Teil der Gewinnabschöpfung entstehe, insoweit geringer als der Nachteil sei, der ihnen aus der Verpflichtung zur Entrichtung der Gewinnabschöpfung erwachse, als die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer proportional seien und die Einkommensteuer progressiv gestaffelt sei.“
Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss
3 Mit am 14. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhoben die Rechtsmittelführer Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
4 Sie stützten ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte infolge der Weigerung der Kommission rügten, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen, obwohl sie am Ende der Vorprüfungsphase nicht in der Lage gewesen sei, sämtliche ernsthaften Schwierigkeiten zu überwinden, mit denen sie konfrontiert gewesen sei.
5 Nach Darstellung des Gerichts bestand dieser einzige Klagegrund im Wesentlichen aus fünf Teilen.
6 Im ersten Teil machten die Rechtsmittelführer geltend, die Kommission habe fälschlicherweise angenommen, dass sie die Gewinnabschöpfung als Steuer ansähen, obwohl sie stets vorgetragen hätten, dass es sich um eine Gewinnabführung handele, die im Rahmen der Normalbesteuerung nicht abzugsfähig sei. Mit dem zweiten Teil machten sie geltend, die Kommission habe die Gewinnabschöpfung als „besondere Steuer“ eingestuft, indem sie fälschlicherweise angenommen habe, dass die Art der Einstufung einer Maßnahme durch das innerstaatliche Recht nicht maßgeblich sei. Mit dem dritten Teil beanstandeten sie die von der Kommission angewandten Kriterien zur Einstufung der Gewinnabschöpfung als „Steuer“. Mit dem vierten Teil trugen sie eine Reihe von Argumenten vor, um geltend zu machen, dass die Gewinnabschöpfung, selbst unter der Annahme, dass sie eine Steuer sei, nicht von den Bemessungsgrundlagen der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abgezogen werden könne. Mit dem fünften Teil brachten sie Argumente gegen den in Fn. 77 des streitigen Beschlusses enthaltenen Hinweis vor, mit dem die Gewinnabschöpfung mit Sonderzahlungen verglichen wird, die Unternehmen z. B. wegen wettbewerbswidrigem Verhalten leisten mussten und abzugsfähig sind.
7 In den Rn. 48 und 57 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht als Ausgangspunkt seiner Prüfung dieses einzigen Klagegrundes die Feststellung zugrunde gelegt, dass sich die Rechtsmittelführer ausschließlich insoweit gegen angebliche Mängel des streitigen Beschlusses gewandt hätten, als die Kommission in dem streitigen Beschluss den selektiven Charakter der streitigen Maßnahme verneint habe. Das Gericht hat indessen befunden, dass die Kommission in dem streitigen Beschluss keine Gesamtprüfung der Kriterien für das Vorliegen von Vorteil und Selektivität vorgenommen, sondern versucht habe, zum einen in Erwiderung auf das Vorbringen der Rechtsmittelführer darzutun, dass es im vorliegenden Fall an der Selektivität fehle, und zum anderen und getrennt davon aufzuzeigen, dass es unabhängig von der Frage der Selektivität an einem wirtschaftlichen Vorteil fehle.
8 In Rn. 58 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht ausgeführt, dass die Rechtsmittelführer insbesondere die in Rn. 159 und Fn. 87 des streitigen Beschlusses enthaltene Feststellung nicht beanstandet hätten, nach der die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung nicht geeignet gewesen sei, einem Spielbankunternehmen wie WestSpiel einen Vorteil zu verschaffen, da die Belastung, die diesem Unternehmen durch die Gewinnabschöpfung entstehe, stets und zwangsläufig viel größer als die Steuer sei, die für den der Gewinnabschöpfung entsprechenden Betrag zu entrichten gewesen wäre.
9 In den Rn. 60 bis 66 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht gleichwohl geprüft, ob die der Erwiderung der Rechtsmittelführer beigefügten Anlagen, die verschiedene, auf den Buchführungsdaten der Wirtschaftsjahre 2014 und 2019 basierende „Besteuerungs-Szenarien“ betrafen, für den Nachweis des Vorliegens eines durch die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung entstehenden Vorteils relevant seien, hat aber befunden, dass diese verschiedenen Gesichtspunkte verspätet und unzulässig seien.
10 In Rn. 67 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht daran erinnert, dass die Einstufung als „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlange, dass alle in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien, und dass in Bezug auf die Voraussetzung des Vorliegens eines selektiven Vorteils unabhängig von der Selektivität zu beurteilen sei, ob ein Vorteil vorliege.
11 Das Gericht hat daraus in Rn. 68 des angefochtenen Beschlusses gefolgert, dass die Rechtsmittelführer – in Anbetracht dessen, dass sie nicht dargetan hätten, dass die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission in der Phase der Vorprüfung der streitigen Maßnahme verfügt habe, für die Kommission ein Anlass zu Zweifeln und ernsthaften Schwierigkeiten in Bezug auf die Frage hätte sein müssen, ob die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung einen WestSpiel begünstigenden Vorteil darstelle – offensichtlich nicht mit Erfolg geltend machen könnten, dass der streitige Beschluss ihre Verfahrensrechte verletzt habe.
12 Nachdem das Gericht in den Rn. 69 und 70 des angefochtenen Beschlusses befunden hat, dass auch das Vorbringen der Rechtsmittelführer, wonach der streitige Beschluss insofern widersprüchlich sei, als er die Gewinnabschöpfung einmal als besondere Steuer und einmal als mit Geldbußen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens vergleichbare Sonderzahlung einstufe, offensichtlich unbegründet sei, ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass der einzige Klagegrund als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend abzuweisen sei.
Anträge der Parteien im Rechtsmittelverfahren
13 Die Rechtsmittelführer beantragen,
– den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
– die Sache an das Gericht zurückzuverweisen,
– die Kostenentscheidung vorzubehalten.
14 Die Kommission beantragt,
– das Rechtsmittel zurückzuweisen und
– den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.
Zum Rechtsmittel
Vorbringen der Parteien
15 Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf einen einzigen Grund, mit dem sie im Wesentlichen geltend machen, das Gericht habe dadurch, dass es ihre Klage mit der Begründung abgewiesen habe, dass die streitige Maßnahme keinen wirtschaftlichen Vorteil zu vermitteln vermöge, ohne die Frage geprüft zu haben, ob dieser Vorteil materiell selektiv sei, einen Rechtsfehler bei der Anwendung der in Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Voraussetzungen begangen, die erfüllt sein müssten, damit diese Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden könne.
16 Wie das Gericht in Rn. 52 des angefochtenen Beschlusses unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union zu nationalen steuerrechtlichen Maßnahmen anerkenne, seien die Voraussetzungen des wirtschaftlichen Vorteils und der Selektivität gemeinsam zu prüfen.
17 Zudem ergebe sich aus der in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigten Methode zur Prüfung der Voraussetzung der materiellen Selektivität in drei Schritten, dass das Gericht zwingend mit der Definition der „Normalbesteuerung“ hätte beginnen müssen, um einen wirtschaftlichen Vorteil verneinen zu können.
18 Vor dem Gericht hätten die Rechtsmittelführer aber gerade bestritten, dass die Gewinnabschöpfung – wie die Kommission im 159. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses ausgeführt habe – als „besondere Steuer“ eingestuft werden könne, die nach den allgemeinen deutschen Steuerregeln von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abgezogen werden dürfe.
19 Gleichwohl habe im angefochtenen Beschluss das Gericht sich in seiner rechtlichen Würdigung mit diesem streitigen Punkt nicht auseinander gesetzt und daher faktisch die in Rn. 159 des streitigen Beschlusses enthaltene Definition der „Normalbesteuerung“ übernommen.
20 Wäre die Einstufung der Gewinnabschöpfung nach deutschem Steuerrecht als „besondere Steuer“ unzutreffend und die Gewinnabschöpfung – wie die Rechtsmittelführer vor dem Gericht geltend gemacht hätten – eine Gewinnabführung bzw. Gewinnausschüttung, so würde die Abzugsfähigkeit dieser Abschöpfung eine Abweichung von der „Normalbesteuerung“ darstellen, und dann wäre die streitige Maßnahme selektiv.
21 Da sich die „Normalbesteuerung“ zwingend aus den Regeln des anwendbaren deutschen Steuerrechts ergeben müsse, stehe es außer Zweifel – und sei im Übrigen nicht bestritten worden –, dass eine Gewinnabführung bzw. Gewinnausschüttung nicht von der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer oder der Körperschaftsteuer abgezogen werden dürfe. Denn diese Regeln verböten eine Verrechnung der aus der Gewinnausschüttung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile gegen die Vorteile aus der Abzugsfähigkeit der Abschöpfung.
22 Die Rechtsmittelführer schließen daraus, dass das Gericht im angefochtenen Beschluss den Begriff der „staatlichen Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dadurch fehlerhaft angewandt habe, dass es das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils verneint habe, ohne zuvor die „Normalbesteuerung“ unabhängig von der Bewertung durch die Kommission im streitigen Beschluss definiert zu haben. Die Bestimmung der „Normalbesteuerung“ sei aber ein zwingender Schritt für die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens eines wirtschaftlichen Vorteils.
23 Die Kommission hält dem entgegen, dass der einzige Rechtsmittelgrund ins Leere gehe und in jedem Fall unbegründet sei.
24 Dieser Rechtsmittelgrund beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des angefochtenen Beschlusses, da das Gericht damit die Klage nicht wegen Fehlens eines wirtschaftlichen Vorteils abgewiesen habe, sondern aus dem wesentlichen Grund, dass die Klageschrift keinen Klagegrund enthalte, mit dem das Fehlen eines Vorteils gerügt werde, der durch die streitige Maßnahme geschaffen worden sei, wie sie im streitigen Beschluss festgestellt worden sei.
25 In Ermangelung eines Vorteils könne die Maßnahme aber keinesfalls eine staatliche Beihilfe darstellen. Folglich hätten die Rechtsmittelführer, selbst wenn die streitige Maßnahme selektiv wäre, wie sie im ersten Rechtszug geltend gemacht hätten, nicht dargetan, dass die Schlussfolgerung der Kommission, dass keine staatliche Beihilfe vorliege, fehlerhaft sei. Unter diesen Umständen sei es für das Gericht nicht erforderlich gewesen, das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Vorteils im vorliegenden Fall zu prüfen, und somit habe es sich auf die Feststellung beschränken dürfen, dass sich die Klage nicht auf diese Voraussetzung für das Vorliegen einer Beihilfe bezogen habe.
26 Hilfsweise macht die Kommission geltend, das Gericht habe nach dem Grundsatz ne ultra petita jedenfalls nicht die Feststellung treffen dürfen, dass kein wirtschaftlicher Vorteil vorliege, da dieses Thema nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Klage gewesen sei und nicht von Amts wegen als Gesichtspunkt zwingenden Rechts hätte geprüft werden dürfen.
27 Die Rechtsmittelführer beriefen sich zu Unrecht auf die behaupteten Besonderheiten der steuerlichen Beihilfen. Zwar könnten bei solchen Beihilfen die Kriterien des Vorteils und der Selektivität zusammen geprüft werden, doch seien diese Kriterien begrifflich verschieden. Zudem seien der Nachweis des Vorliegens eines Vorteils und der Nachweis seiner Selektivität weder vollständig noch systematisch deckungsgleich. Im vorliegenden Fall habe die streitige Maßnahme nicht darauf abgezielt, die normalerweise bei der Anwendung der allgemeinen Steuerregelung geschuldete Steuer zu senken. Vielmehr habe die Möglichkeit, die Gewinnabschöpfung von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- oder Körperschaftsteuer und der Ertragsteuer abzuziehen, dazu gedient, die durch die Gewinnabschöpfung entstandene steuerliche Belastung der Spielbanken in Nordrhein-Westfalen zu verringern.
28 Die Kommission macht außerdem geltend, das Gericht habe in den Rn. 60 bis 66 des angefochtenen Beschlusses vorsorglich und sorgfältig die von den Rechtsmittelführern verspätet vorgetragenen Gesichtspunkte geprüft, die eine vage Verbindung mit einem möglichen Argument zum Vorliegen eines Vorteils aufweisen könnten. Dabei habe das Gericht gezeigt, dass diese unzulässigen Gesichtspunkte jedenfalls irrelevant seien, da sie die in dem streitigen Beschluss enthaltene Feststellung des Fehlens eines Vorteils nicht erfolgreich hätten angreifen können.
Würdigung durch den Gerichtshof
29 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom 19. Dezember 2018, A-Brauerei, C‑374/17, EU:C:2018:1024, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Speziell zur Selektivität nationaler steuerlicher Maßnahmen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Kommission zur Einstufung einer derartigen Maßnahme als „selektiv“ eine Prüfung in drei Schritten vornehmen muss. Dabei muss sie in einem ersten Schritt das Bezugssystem, d. h. die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung, ermitteln und in einem zweiten Schritt dartun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme von diesem Bezugssystem abweicht, da sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Maßnahmen, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, einführen und damit a priori selektiv sind, fallen jedoch dann nicht unter den Begriff „staatliche Beihilfe“, wenn der betreffende Mitgliedstaat in einem dritten Schritt nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Im Rahmen ihres einzigen Rechtsmittelgrundes rügen die Rechtsmittelführer, das Gericht habe sich nicht mit ihrer zentralen Argumentation befasst, die in den ersten drei der fünf Teile dargelegt worden sei, aus denen der einzige zur Stützung ihrer Klage geltend gemachte Grund bestanden habe. Mit dieser Argumentation hätten sie den streitigen Beschluss insoweit beanstandet, als die Kommission darin – im ersten Schritt der Prüfung, die sie gemäß der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung durchzuführen habe – bei der Prüfung der Selektivitätsvoraussetzung das im betreffenden Mitgliedstaat geltende Bezugssystem bzw. die „normale“ Steuerregelung fehlerhaft ermittelt habe.
32 Der Fehler der Kommission bestehe insbesondere darin, dass sie die streitige Maßnahme, d. h. die Gewinnabschöpfung zulasten der Spielbanken, als „besondere Steuer“ oder sogar als „zusätzliche besondere Steuer“ eingestuft habe, so dass sie zu dem Schluss habe kommen können, dass gemäß der normalen Steuerregelung des anwendbaren deutschen Steuerrechts, nach der „durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen“ abzugsfähig seien, die aufgrund dieser Abschöpfung entrichteten Beträge von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abgezogen werden dürften.
33 Die Rechtsmittelführer machen geltend, die Gewinnabschöpfung sei als „Abführung“ bzw. „Ausschüttung“ von Gewinnen und nicht als „Steuer“ oder „besondere Steuer“ einzustufen, so dass sie nach dem anwendbaren deutschen Steuerrecht nicht von der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer hätte abgezogen werden dürfen. Der tatsächlich durchgeführte Abzug stelle daher eine Abweichung von der „Normalbesteuerung“ und folglich einen selektiven Vorteil dar.
34 In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, ob das Gericht zu Recht hat befinden können, dass – in Anbetracht dessen, dass die Kommission in dem nach Abschluss des in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Vorprüfungsverfahrens ergangenen streitigen Beschluss zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die streitige Maßnahme sowohl wegen des Fehlens eines durch diese Maßnahme gewährten wirtschaftlichen Vorteils als auch wegen ihrer fehlenden Selektivität keine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle – eine ausschließlich gegen die Feststellung der fehlenden Selektivität gerichtete Klage als ins Leere gehend und damit als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend abzuweisen sei, da selbst dann, wenn dieser Klagegrund durchgreifen sollte, die fragliche Maßnahme gleichwohl keine staatliche Beihilfe darstellen würde, weil nach den Feststellungen im streitigen Beschluss kein wirtschaftlicher Vorteil vorliege.
35 Insoweit hat der Gerichtshof zwar bereits entschieden, dass das aus Art. 107 Abs. 1 AEUV folgende Erfordernis der Selektivität klar vom begleitenden Nachweis eines wirtschaftlichen Vorteils unterschieden werden muss, so dass die Kommission, wenn sie das Vorliegen eines Vorteils – in einem weiten Sinne – entdeckt hat, der sich unmittelbar oder mittelbar aus einer bestimmten Maßnahme ergibt, weiterhin noch nachweisen muss, dass dieser Vorteil spezifisch einem oder mehreren Unternehmen zugutekommt (Urteil vom 4. Juni 2015, Kommission/MOL, C‑15/14 P, EU:C:2015:362, Rn. 59).
36 Indessen hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass der Bestimmung des Bezugssystems im Fall von steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zukommt, da das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV nur in Bezug auf eine sogenannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden kann (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Bei der Prüfung einer steuerlichen Maßnahme auf Selektivität kommt es daher darauf an, dass das in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine Steuersystem oder Bezugssystem im Beschluss der Kommission zutreffend ermittelt und von dem mit einer hiergegen gerichteten Rüge befassten Gericht untersucht wird. Da die Bestimmung des Bezugssystems den Ausgangspunkt für die vergleichende Prüfung darstellt, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der Selektivität zu erfolgen hat, führt ein hierbei begangener Fehler zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Bestimmung des Bezugssystems, die nach einer kontradiktorischen Erörterung mit dem betreffenden Mitgliedstaat erfolgen muss, aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben muss (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass es außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, der betreffende Mitgliedstaat ist, der in Wahrnehmung seiner eigenen Zuständigkeiten im Bereich der direkten Steuern aufgrund seiner Steuerautonomie die grundlegenden Merkmale der Steuer bestimmt, die grundsätzlich das „normale“ Bezugssystem oder die „normale“ Steuerregelung definieren, anhand deren die Voraussetzung der Selektivität zu prüfen ist. Dies gilt insbesondere für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Daraus folgt, dass bei der Ermittlung des Bezugssystems im Bereich der direkten Steuern nur das im betreffenden Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht zu berücksichtigen ist. Diese Ermittlung ist wiederum eine unerlässliche Voraussetzung für die Beurteilung nicht nur der Frage, ob ein Vorteil vorliegt, sondern auch der Frage, ob dieser selektiv ist (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 74).
41 Wie auch der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils zusammengefasste Ansatz des Gerichts im Widerspruch zu den von der in den Rn. 36 bis 40 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Grundsätzen, wonach die von der Kommission vorzunehmende Prüfung zur Feststellung der Selektivität einer Beihilferegelung steuerlicher Art hinsichtlich der Ermittlung des „normalen“ Bezugssystems bzw. der „normalen“ Steuerregelung mit der Prüfung zusammenfällt, die zur Feststellung dessen durchzuführen ist, ob die streitige Maßnahme den durch sie Begünstigten einen Vorteil verschafft.
42 Denn wenn das Gericht entsprechend den genannten Grundsätzen – im Rahmen der Ausübung der ihm zustehenden Befugnis zur unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle der von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommenen Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts – das Vorbringen der Rechtsmittelführer geprüft hätte, das sich gegen die in dem Beschluss enthaltene Ermittlung des Bezugssystems richtete und in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils zusammengefasst wurde, und wenn das Gericht nach dieser Prüfung zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Kommission bei dieser Bestimmung tatsächlich ein Fehler im Hinblick auf die in diesem Bereich anwendbaren Vorschriften und Grundsätze des deutschen Steuerrechts sowie mit Blick auf deren Auslegung in der nationalen Rechtsprechung und Lehre unterlaufen sei, so wäre aufgrund eines solchen Fehlers zwangsläufig die von der Kommission vorgenommene Prüfung der Frage insgesamt fehlerhaft, ob die Voraussetzung erfüllt ist, dass ein selektiver Vorteil vorliegt, und zwar in ihren beiden Komponenten, d. h. sowohl hinsichtlich der Selektivitätsvoraussetzung als auch hinsichtlich der Voraussetzung eines wirtschaftlichen Vorteils.
43 Folglich hat das Gericht rechtsfehlerhaft befunden, dass die genannten Argumente der Rechtsmittelführer nicht geprüft werden müssten, weil sie, selbst wenn sie begründet wären, jedenfalls ins Leere gingen, da sie sich nur auf die von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommene Prüfung der Selektivitätsvoraussetzung und nicht auf die darin gesondert geprüfte Voraussetzung eines wirtschaftlichen Vorteils auswirkten.
44 An diesem Ergebnis kann das hilfsweise vorgebrachte Argument der Kommission nichts ändern, wonach das Gericht gegen den Grundsatz ne ultra petita verstoßen hätte, wenn es die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses nicht nur in Bezug auf die Prüfung der Selektivitätsvoraussetzung, sondern auch in Bezug auf die Prüfung der Voraussetzung, dass ein wirtschaftlicher Vorteil vorliege, geprüft hätte.
45 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, darf die Nichtigerklärung nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen, da der über die Rechtmäßigkeit entscheidende Richter nicht ultra petita entscheiden darf (Urteil vom 14. November 2017, British Airways/Kommission, C‑122/16 P, EU:C:2017:861, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Allerdings kann der Richter, obgleich er nur über das Begehren der Parteien zu entscheiden hat, deren Sache es ist, den Rahmen des Rechtsstreits abzugrenzen, nach dem Grundsatz ne ultra petita nicht verpflichtet sein, allein die Argumente zu berücksichtigen, auf die die Parteien ihr Vorbringen gestützt haben, da er seine Entscheidung sonst gegebenenfalls auf unzutreffende rechtliche Erwägungen stützen müsste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2021, Kommission/Printeos, C‑301/19 P, EU:C:2021:39, Rn. 58).
47 Es ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsmittelführer die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses im ersten Rechtszug u. a. mit dem Argument beantragt haben, dass die Kommission in diesem Beschluss eine unionsrechtswidrige Prüfung der Voraussetzung der Selektivität vorgenommen habe, da bei dieser Prüfung eine Ermittlung des Bezugssystems bzw. der „normalen“ Steuerregelung zugrunde gelegt worden sei, die auf einer unzutreffenden Auslegung der Regeln und Grundsätze des deutschen Steuerrechts im Bereich der Abzugsfähigkeit der „durch den Betrieb veranlassten Aufwendungen“ beruhe.
48 Zwar betraf die Klage der Rechtsmittelführer formal nur die von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommene Beurteilung der Voraussetzung der Selektivität und nicht die des Vorliegens eines wirtschaftlichen Vorteils, doch war ihre Argumentation in materieller Hinsicht – wie bereits ausgeführt – für die Beurteilung dieser beiden Voraussetzungen in gleicher Weise relevant, da sich die fragliche Argumentation darauf bezog, wie das Bezugssystem bzw. die „normale“ Steuerregelung in diesem Beschluss ermittelt wurden. Für beide Voraussetzungen ist diese Prüfung identisch und würde zwangsläufig – wenn sie gegen das anwendbare nationale Recht verstieße – dazu führen, dass die Beurteilung dieser beiden Voraussetzungen gleichermaßen fehlerhaft wäre.
49 Demzufolge hätte das Gericht, falls es die genannte Argumentation der Rechtsmittelführer pflichtgemäß geprüft hätte, den Gegenstand des Begehrens, wie er in der Klage festgelegt war, in keiner Weise verändert und damit nicht gegen den Grundsatz ne ultra petita verstoßen.
50 Ebenso wenig hätte das Gericht gegen diesen Grundsatz verstoßen, wenn es nach dieser Prüfung zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der streitige Beschluss deshalb für nichtig zu erklären sei, weil die Kommission in dem Beschluss das Bezugssystem bzw. die „normale“ Steuerregelung unzutreffend ermittelt habe.
51 Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
Zur Rückverweisung der Sache an das Gericht
52 Gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
53 Mit dem vorliegenden Urteil ist festgestellt worden, dass das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es die Argumentation der Rechtsmittelführer nicht geprüft hat, mit der die von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommene Ermittlung des Bezugssystems bzw. der „normalen“ Steuerregelung beanstandet wurde.
54 Da das Gericht hinsichtlich der von der Kommission vorgenommenen Auslegung des zur Bestimmung des Bezugssystems bzw. der „normalen“ Steuerregelung anwendbaren nationalen Rechts nicht die Kontrolle vorgenommen hat, die ihm in Bezug auf die vor ihm ausdrücklich geltend gemachte Argumentation der Rechtsmittelführer oblag, hält der Gerichtshof den vorliegenden Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. Die Sache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen.
Kosten
55 Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.