BFH: Rechtsweg bei Klagen auf Auskunft nach DSGVO gegenüber einem Finanzgericht
BFH, Beschluss vom 24.1.2025 – IX B 99/24
ECLI:DE:BFH:2025:B.240125.IXB99.24.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-405-3
Amtliche Leitsätze
1. NV: Für eine Klage gegen ein Finanzgericht auf (vollständige) Auskunft nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung ist der Finanzrechtsweg gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 32i Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung nicht eröffnet.
2. NV: Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, für die gemäß § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.
Sachverhalt
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wendet sich mit Schriftsatz vom 15.10.2024 unter anderem gegen die vom Präsidenten des Finanzgerichts … (Antragsgegner und Beschwerdegegner ‑‑Antragsgegner‑‑) erteilte Auskunft vom 25.09.2024 nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Er macht geltend, die Auskunft sei unvollständig und ermögliche es nicht, die notwendigen Argumente zum Angriff und zur Verteidigung zur erlangen. Der Antragsgegner habe die Definition des Art. 4 Nr. 1 DSGVO verkannt, wenn dieser in der Auskunft nur Namen und Adresse beauskunftet.
Mit Vorsitzendenschreiben vom 05.11.2024 ist der Antragsteller zur Frage der rechtsschutzgewährenden Auslegung und Verweisung angehört worden. Er vertritt die Auffassung, dass sich der Finanzrechtsweg unter Berücksichtigung von § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergebe und beantragt, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorzulegen.
Aus den Gründen
3 II. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist für diese Klage sachlich nicht zuständig. Das Verfahren ist daher gemäß § 155 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht (VG) … zu verweisen.
4 1. Der Senat legt das als Beschwerde wegen unvollständiger, unrichtiger und verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO bezeichnete Begehren rechtsschutzgewährend als Klage auf ‑‑vollständige‑‑ Auskunftserteilung gegen den Antragsgegner aus, da eine Beschwerde gegen die vom Antragsgegner am 25.09.2024 erteilte Auskunft unstatthaft wäre.
5 Mit der Beschwerde können gemäß § 128 Abs. 1 FGO nur Entscheidungen des Finanzgerichts, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, sowie Entscheidungen des Vorsitzenden oder des Berichterstatters angegriffen werden. Die Entscheidung muss, um beschwerdefähig zu sein, im Rahmen der rechtsprechenden Tätigkeit ergangen sein (Schilling in FGO - eKomm, § 128 FGO Rz 10, Stand: 08.12.2023). Entscheidungen der Justizverwaltung (vgl. BFH-Beschluss vom 25.10.2000 - VII B 230/00, BFH/NV 2001, 472, unter II.1. zur Stundung von Gerichtskosten) beziehungsweise der Gerichtsverwaltung (vgl. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 128 FGO Rz 28) fallen nicht hierunter.
6 Die Erteilung beziehungsweise die Verweigerung der Auskunft nach Art. 15 DSGVO durch ein Gericht stellt keine Rechtsprechungstätigkeit dar. Gegenstand ist die Bestätigung und Mitteilung, ob und gegebenenfalls welche beziehungsweise in welchem Umfang durch das Gericht personenbezogene Daten verarbeitet werden. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe der allgemeinen Verwaltung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die ‑‑wie zum Beispiel die Bearbeitung von Dienstaufsichtsbeschwerden‑‑ den Bereich der Justizverwaltung betrifft. Mithin handelt es sich bei der Auskunft des Antragsgegners um eine nicht mit der Beschwerde anfechtbare Entscheidung.
7 2. Für die Klage auf (vollständige) Auskunft nach Art. 15 DSGVO ist allerdings der Finanzrechtsweg gemäß § 33 Abs. 1 FGO nicht eröffnet.
8 a) Der Finanzrechtsweg ergibt sich nicht aus § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 32i Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Danach ist für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden oder gegen deren Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person der Finanzrechtsweg gegeben. Vorliegend richtet sich die als Beschwerde bezeichnete Klage jedoch nicht gegen eine Finanzbehörde oder deren Auftragsverwalter, sondern gegen ein Finanzgericht. Finanzbehörden sind in § 6 Abs. 2 AO abschließend aufgezählt (vgl. z.B. Baum in AO - eKomm, § 6 AO Rz 18, Stand: 01.04.2021); Schober in Gosch, AO § 6 Rz 40). Nach dem klaren Wortlaut der Norm gehören Gerichte nicht dazu (vgl. z.B. auch Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2022 - 16 K 5011/22, Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 897; Krumm in Tipke/Kruse, § 32i AO Rz 7a).
9 b) Der Finanzrechtsweg ist auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 FGO eröffnet. Insbesondere liegt keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten vor. Gemäß § 33 Abs. 2 FGO sind Abgabenangelegenheiten alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten einschließlich der Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze; den Abgabenangelegenheiten stehen die Angelegenheiten der Verwaltung der Finanzmonopole gleich.
10 Vorliegend ist jedoch weder die Verwaltung von Abgaben noch die Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden streitgegenständlich, sondern der Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO gegenüber einem Finanzgericht und damit eine datenschutzrechtliche Angelegenheit. Für datenschutzrechtliche Streitigkeiten ist der Finanzrechtsweg gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO nur über die ‑‑hier nicht einschlägige‑‑ Sonderzuweisung nach § 32i AO eröffnet.
11 c) Soweit sich der Antragsteller auf § 78 FGO beruft, ist über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Akteneinsicht in einem eigenständig geführten Verfahren entschieden worden.
12 d) Entgegen der Auffassung des Antragstellers lässt sich der Rechtsweg zu den Finanzgerichten auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ableiten, da Art. 19 Abs. 4 GG dem Gesetzgeber die Wahl belässt, welchem Rechtsweg er Rechtsstreitigkeiten wegen Verletzung durch die öffentliche Gewalt zuweisen will (vgl. von Beckerath in Gosch, FGO § 33 Rz 12).
13 3. Da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art (Auskunftsanspruch gegenüber einem Hoheitsträger) handelt und keine Spezialvorschrift eingreift, ist gemäß § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit ist gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 und 5 VwGO nach dem Wohnort des Antragstellers zu bestimmen. Der angegebene Wohnort gehört zum Verwaltungsgerichtsbezirk ….
14 4. Eine Verweisung an das VG … ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht unionsrechtswidrig.
15 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der Rechtsbehelfe, die zum Schutz der Rechte der Bürger bestimmt sind, festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass diese Modalitäten bei unter das Unionsrecht fallenden Sachverhalten nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Dies gilt auch im Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (vgl. z.B. EuGH-Urteil Patērētāju tiesību aizsardzības centrs vom 04.10.2024 - C-507/23, EU:C:2024:854, Rz 31 und 32, m.w.N.).
16 § 17a Abs. 2 und 4 GVG wird den Anforderungen des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes gerecht. Eine Differenzierung nach innerstaatlichen und europarechtlichen Sachverhalten erfolgt nicht. Auch ist mit einer Verweisung keine Erschwerung des Rechtsschutzes verbunden. Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 17a GVG ist es vielmehr, dass die Frage der Rechtswegzuständigkeit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verfahrens in der ersten Instanz abschließend geklärt und das weitere Verfahren nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtsweges belastet wird (vgl. dazu Regierungsbegründung BTDrucks 11/7030, S. 36 f.).
17 Dementsprechend bedarf es keiner Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Rechtslage ist aus den oben genannten Gründen eindeutig ("acte clair", Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, unter C.I.2.e und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 55; EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 16) beziehungsweise bereits durch die aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 55; EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 13 ff.).
18 5. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten (§ 155 FGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG).