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Steuerrecht
26.05.2025
Steuerrecht
LG Arnsberg: Rechtsweg bei Anmeldung des Attributs der Restschuldbefreiungsfestigkeit einer Insolvenzforderung aus einem Steuerschuldverhältnis

LG Arnsberg, Beschluss vom 14.4.2025 – 2 O 384/24

ECLI:DE:LGAR:2025:0414.2O384.24.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2025-1302-1

Leitsätze

1. Der Streit über die Berechtigung des Widerspruchs gegen die Anmeldung des Attributs der Restschuldbefreiungsfestigkeit einer Insolvenzforderung aus einem Steuerschuldverhältnis, im Zusammenhang mit dem der Schuldner wegen einer Steuerstraftat verurteilt wurde (§ 302 Nr. 1 Vsr. 4 InsO), zur Insolvenztabelle ist nicht vor den Zivilgerichten, sondern den mit der Abgabenordnung befassten Gerichtsbarkeiten zu führen (Anschluss an BFH v. 07.08.2018 – VII R 24/17 + 25/17 – Juris-Tz. 17; BFH v. 28.06.2022 – VII R 23/21 – Juris-Tz. 34; Ablehnung von OLG Hamm v. 14.12.2018 – 7 U 58/17 – Juris-Tz. 28), da die höchstrichterliche Erstreckung des Attributs auf die steuerlichen Nebenforderungen (BFH v. 07.08.2018 aaOTz. 28; BGH v. 01.10.2020 – IX ZR 199/19 – Juris-Tz. 30 ff; anderer Auffassung OLG Hamm aaO Tz. 57, 69) dazu führt, dass steuerrechtliche Fragen den Schwerpunkt der Prüfung bilden.

2. Dies gilt auch dann, wenn wie hier über das Attribut der Restschuldbefreiungsfestigkeit der Gewerbesteuerforderung einer Gemeinde zu befinden ist, für die der Rechtweg zu den Verwaltungsgerichten statt zu den Finanzgerichten gegeben ist.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Restschuldbefreiungsfestigkeit der Gewerbesteuerforderungen der klagenden Stadt gegen den Beklagten.

Über das Vermögen des Beklagten wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete am 17.02.2022 ihre Gewerbesteuerforderungen für die Jahre 2011 bis 2020 in Höhe von 170.443,29 Euro zur Insolvenztabelle an, in der sie am 07.04.2022 in voller Höhe und ohne Widerspruch eines Beteiligten festgestellt wurden. Nachdem die Klägerin erfahren hatte, dass der Beklagte mit Strafurteil des Amtsgerichts in Arnsberg vom 14.01.2020 wegen Steuerhinterziehung unter anderem hinsichtlich der Gewerbesteuer (nur) für die Steuerjahre 2011 bis 2015 (hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 65.185 Euro der obigen Insolvenzforderung) rechtskräftig verurteilt worden war, meldete sie am 27.05.2024 die Restschuldbefreiungsfestigkeit ihrer Insolvenzforderung an, der der Beklagte am 27.05.2024 widersprach. Gegen diesen Widerspruch wurde vor dem sachlich und örtlich zuständigen Zivilgericht Klage auf die Feststellung erhoben, dass die Forderung restschuldbefreiungsfest ist. Die Klägerin begründet dies nach einem gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2025 nunmehr nicht mehr mit einer vorsätzlich begangenen mit der rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten wegen einer Steuerstraftat.

Aus den Gründen

II. Die Sache war gemäß § 17a Abs. 2 GVG an das nach § 52 Nr. 1, 5 VwGO zuständige Verwaltungsgericht in Arnsberg des gemäß § 40 Abs. 1 VwGO einschlägigen Verwaltungsrechtswegs zu verweisen, weil dieser Rechtsweg und nicht der zu den ordentlichen Gerichten und auch nicht der zu den Finanzgerichten (dazu noch unten Ziffer 3.b.) gegeben ist.

Denn nach den Vorschriften der Insolvenzordnung ist ein Rechtsstreit zur Beseitigung der Wirkung des Widerspruchs gegen die Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle (und dabei auch der zur Beseitigung des auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit beschränkten Widerspruchs; sog. „Attributklage“) auf dem jeweils gegebenen Rechtsweg zu führen (dazu 1.). Nach der zutreffenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen insoweit nicht der ordentliche Rechtsweg gegeben (dazu 2.). Dies muss ebenso gelten, wenn (wie hier für Gewerbesteuerforderungen, dazu noch unten Ziffer 3.a.) der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist (dazu 3.).

1. Auch für die Beseitigung eines zulässigerweise (dazu BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 30/13 – Juris-Tz. 12; Sternal in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, InsO § 302 Rn. 38) auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit im Sinne des § 302 InsO beschränkten Widerspruchs ist zur Feststellung dieses sog. „Attributs“ gemäß § 184 Abs. 1 InsO Klage gegen den Schuldner zu erheben (dazu BGH v. 02.12.2010 – IX ZR 41/10 – Juris-Tz. 10; Wenzel in Prütting/​Bork/​Jacoby, KPB - Kommentar zur Insolvenzordnung, 103. Lieferung, März 2025, InsO § 302 Rn. 27). Ist allerdings der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben, ist gemäß § 185 Satz 1 InsO die Feststellung bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen.

2. In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist oder die Finanzbehörden die entsprechenden Feststellungen auf der Grundlage des § 185 Satz 1 Var. 2 InsO entsprechend § 251 Abs. 3 AO durch Bescheid aussprechen können und müssen. Weil Steuerforderungen nach der Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit keine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 1 InsO begründen können (BFH v. 19.08.2008 – VII R 6/07 – Juris-Tz. 8 f; OLG Karlsruhe v. 16.07.2019 – 19 U 90/18 – BeckRS 2019, 50617 Rn. 34; MüKoInsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, InsO § 302 Rn. 30), geht es insofern um die Frage, wie die wegen § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 3 InsO erforderliche Feststellung zu treffen ist, dass die „Verbindlichkeiten des Schuldners […] aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist“, stammen.

a. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist der Streit über die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung im Falle des § 302 Nr. 1 Var. 3 InsO nicht vor den Zivilgerichten zu führen, weil diese Variante anders als die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung der Variante 1 eine entsprechende Verurteilung erfordert, es also „nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat, sondern um die Feststellung einer rechtskräftigen Verurteilung geht. Diese Vorfrage haben die zuständigen Strafgerichte bereits geklärt. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Straftat feststellen zu müssen (BT-Drucks 17/11268, S. 32)“ (BFH v. 07.08.2018 – VII R 24/17 + 25/17 – Juris-Tz. 17; BFH v. 28.06.2022 – VII R 23/21 – Juris-Tz. 34).

b. Nach der (wegen § 17a Abs. 5 GVG obiter ergangenen) Rechtsprechung des hiesigen Obergerichts ist für die Klage des Steuerschuldners auf die negative Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit (also auf die Feststellung, dass die Forderung der Restschuldbefreiung unterliegt) der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben, da der Prüfungskanon den Aufgaben der Zivilgerichtsbarkeit näher stehe (OLG Hamm v. 14.12.2018 – 7 U 58/17 – Juris-Tz. 28). Es hat dies damit begründet, Hauptaufgabe bei der Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit sei „die Überprüfung der Strafurteilsgründe daraufhin, in welchem Umfang der strafrechtlichen Verurteilung Steuerverkürzungen zugrunde gelegt worden sind. Ferner ist bei einer - wie hier vorliegenden - negativen Feststellungsklage zu prüfen, ob die Anmeldung zur Tabelle den Anforderungen des § 174 Abs. 2 InsO i.V. mit § 302 Nr. 1 InsO genügt und ob die Streitgegenstände der Anmeldung zur Tabelle und der strafrechtlichen Verurteilung identisch sind“ (OLG Hamm ebd.).

c. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtswegzuständigkeit dahinstehen lassen (BGH v. 01.10.2020 – IX ZR 199/19 – Juris-Tz. 6; ebenso OLG Karlsruhe v. 16.07.2019 – 19 U 90/18 – BeckRS 2019, 50617 Rn. 18 ff). In der insolvenzrechtlichen Literatur findet teilweise die Auffassung des Bundesfinanzhofes (Wenzel in Prütting/​Bork/​Jacoby, KPB - Kommentar zur Insolvenzordnung, 103. Lieferung, März 2025, InsO § 302 Rn. 28; letztlich ebenso Zenker in BeckOK-InsR, 38. Edition, Stand 01.02.2025, InsO § 185 Rn. 8 a.E. und wohl auch Riedel in BeckOK-InsR, 38. Edition, Stand 01.02.2025, InsO § 302 Rn. 20) und teilweise die des Oberlandesgerichts in Hamm (Hain in VIA 2021, 33 [34]; Jungmann in K. Schmidt-InsO, 20. Aufl. 2023, InsO § 185 Rn. 3) Zustimmung. Bereits zuvor sind dort auch beide Auffassungen vertreten worden (gegen den Zivilrechtsweg Pianowski in InsBüro 2014, 4 [7]; dafür Schmittmann in InsBüro 2014, 159 [162]). Im steuerrechtlichen Schrifttum wird die Auffassung des Bundesfinanzhofes aufgegriffen (Klüger in Koenig-AO, 5. Aufl. 2024, AO § 251 Rn. 123, 51; Loose in Tipke/​Kruse-AO/​FGO, 185. Lieferung, April 2025, AO § 251 Rn. 121c; Werth in Klein-AO, 18. Aufl. 2024, AO § 251 Rn. 40).

d. Ich halte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes für überzeugend. Die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts in Hamm enthielt die weitere Rechtsansicht, von der Restschuldbefreiungsfestigkeit sei nur der „Gegenstand der Verurteilung“ erfasst, unter anderem nicht aber „Zinsen […], wenn diese in der Verurteilung nicht aufgeführt worden sind“ (OLG Hamm v. 14.12.2018 – 7 U 58/17 – Juris-Tz. 57, 69). Auf dieser Grundlage ist verständlich, den Schwerpunkt der bei der Attributsklage erforderlichen Prüfung nicht in steuerrechtlichen Fragen, sondern solchen des Insolvenzrechts zu sehen.

Aber dem zitierten Rechtsstandpunkt der Entscheidung des hiesigen Obergerichts steht nicht nur die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH v. 07.08.2018 – VII R 24/17 + 25/17 – Juris-Tz. 28), sondern nunmehr auch die des Bundesgerichtshofes (BGH v. 01.10.2020 – IX ZR 199/19 – Juris-Tz. 30 ff) entgegen. Danach zählen gemäß § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis auch die in § 3 Abs. 4 AO aufgeführten steuerlichen Nebenleistungen und sind diese von der Restschuldbefreiungsfestigkeit ebenfalls erfasst. Dann aber verlangt die Attributsprüfung die Klärung wesentlicher steuerrechtlicher Fragen, nämlich welche steuerlichen Nebenleistungen nach den dort weiter angegebenen Vorschriften der Abgabenordnung dem Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung zuzuordnen sind.

Der hier zu entscheidende Fall, bei dem der Beklagte nur für einige Steuerjahre rechtskräftig verurteilt worden ist und daher auch nur bezüglich dieses Zeitraums – wenngleich insoweit sowohl für den Steueranspruch selbst als auch den Anspruch auf die steuerlichen Nebenleistungen (siehe oben) – das Attribut gewährt werden kann, zeigt dieses Bedürfnis. Es muss nämlich festgestellt werden, welche steuerlichen Nebenleistungen dem privilegierten Steueranspruch zugehörig sind und welche nicht, weil sie anderen oder keinen Steuerschulden des Beklagten zuzuweisen sind. Diese Fragen sind aber nicht Metier der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern der mit der Abgabenordnung befassten Gerichte.

3. Diese Erwägungen gelten auch hier, obgleich in der Sache die Gewerbesteuer als eine der klagenden Gemeinde zustehende Realsteuer gegenständlich ist (dazu s.) und in der Folge prozessual nicht der Rechtsweg zu den Finanzgerichten, sondern zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist (dazu b.).

a. Die oben genannten Erwägungen der Finanzrechtsprechung sind auf die Gewerbesteuererhebung durch die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zu übertragen. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 6 lit. a des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) gilt die Möglichkeit zur Feststellung einer Insolvenzforderung durch Verwaltungsakt § 251 Abs. 3 AO entsprechend sowie gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. b KAG NRW ebenso die Bestimmung des Umfangs der Ansprüche aus dem Steuerverhältnis in § 37 Abs. 1 AO und gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b KAG NRW auch die Begriffsbestimmung zu den steuerlichen Nebenleistungen in § 3 Abs. 4 AO.

b. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für den Streit über Gewerbesteuerforderungen der Gemeinden ergibt sich daraus, dass der Rechtsweg zu den Finanzgerichten nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO nur in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten zur Verfügung steht, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Dies trifft auf die Gewerbesteuer als Kommunalsteuer, die von den Gemeinden verwaltet wird (§ 1 GewStG), nicht zu. Die Finanzbehörden im engeren Sinne und die Finanzgerichte wirken an der Gewerbesteuerbemessung allein hinsichtlich der Steuermessbescheide mit (§ 184 Abs. 1 Satz 1 AO), um die es hier nicht geht.

4. Ob die Sache vor den Verwaltungsgerichten letztlich Erfolg haben kann oder dort nicht die Zulässigkeit der hier von dem Steuergläubiger gegen den steuerschuldenden Bürger erhobenen Klage an dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses scheitern muss, da der Klägerin eine Regelung durch Verwaltungsakt möglich gewesen wäre (siehe oben), müssen die Verwaltungsgerichte entscheiden.

Gleiches gilt etwaig für die Frage, welche Folge es hat, dass § 302 Nr. 1 InsO seine heutige Fassung zum 01.07.2014 durch Art. 1 Nr. 31 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 (BGBl. 2013 I S. 2379) erhalten hat und durch Art. 6 Nr. 2 jenes Gesetzes mit einer Übergangsvorschrift in Art. 103h EGInsO versehen worden ist.

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