EuGH: Recht zum Vorsteuerabzug
EuGH, Urteil vom 6.9.2012 - C-324/11, Tóth
Tenor
1. Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und der Grundsatz der Steuerneutralität sind dahin auszulegen, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen allein mit der Begründung zu verweigern, dass dem Aussteller der Rechnung die Einzelunternehmerlizenz entzogen worden sei, bevor er die fraglichen Dienstleistungen erbracht oder die betreffende Rechnung ausgestellt habe, wenn diese alle nach Art. 226 der Richtlinie vorgeschriebenen Angaben enthält, insbesondere diejenigen, die zur Bestimmung des Ausstellers der Rechnung und der Art der erbrachten Dienstleistungen erforderlich sind.
2. Die Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen mit der Begründung zu verweigern, dass der Aussteller der Rechnung über diese Dienstleistungen die von ihm eingesetzten Arbeitnehmer nicht angemeldet habe, ohne dass diese Behörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
3. Die Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nicht überprüft hat, ob zwischen den auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmern und dem Rechnungsaussteller eine Rechtsbeziehung besteht und ob Letzterer diese Arbeitnehmer angemeldet hat, keinen objektiven Umstand darstellt, der den Schluss zulässt, dass der Empfänger der Rechnung wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, wenn er über keine Anhaltspunkte verfügte, die Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung in der Sphäre des Rechnungsausstellers vermuten ließen. Daher kann das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des genannten Umstands nicht verweigert werden, wenn die in der Richtlinie vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts erfüllt sind.
4. Liefert die Steuerbehörde konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug, verbieten die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität es nicht, dass das nationale Gericht auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung des konkreten Falles prüft, ob der Aussteller der Rechnung den fraglichen Umsatz selbst ausgeführt hat. Bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens darf das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch nur dann verweigert werden, wenn die Steuerbehörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
Aus den Gründen
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Tóth und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Észak-magyarországi Regionális Adó Főigazgatósága (Regionale Finanzdirektion Nordungarn, die zur nationalen Steuer- und Zollverwaltung gehört) als Rechtsnachfolgerin des Adó- és Pénzügyi Ellenőrzési Hivatal Hatósági Főosztály Észak-magyarországi Kihelyezett Hatósági Osztály (Amt für Steuer- und Finanzprüfung - Behördenhauptabteilung - Behördenabteilung Außenstelle Nordungarn) wegen deren Weigerung, das Recht auf Abzug von Vorsteuer anzuerkennen, die für als verdächtig angesehene Umsätze entrichtet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 unterliegen der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt.
4
Art. 9 Abs. 1 der genannten Richtlinie bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. ..."
5
Art. 167 dieser Richtlinie, der zu Kapitel 1 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug") ihres Titels X („Vorsteuerabzug") gehört, lautet: „Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht."
6
Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 bestimmt, dass der Steuerpflichtige, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, berechtigt ist, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden, abzuziehen.
7
Art. 178 der Richtlinie, der zu Kapitel 4 („Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug") ihres Titels X gehört, sieht vor:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und dem Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellte Rechnung besitzen;
..."
8
Nach Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie, der zu Kapitel 2 („Identifikation") ihres Titels XI („Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen") gehört, hat jeder Steuerpflichtige die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.
9
Art. 220 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112, der zu Kapitel 3 („Erteilung von Rechnungen") ihres Titels XI gehört, sieht vor, dass jeder Steuerpflichtige eine Rechnung entweder selbst ausstellt oder dafür Sorge trägt, dass eine Rechnung vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder in seinem Namen und für seine Rechnung von einem Dritten ausgestellt wird, wenn er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person Gegenstände liefert oder Dienstleistungen erbringt.
Art. 226 der Richtlinie 2006/112 regelt, welche Angaben die gemäß ihren Art. 220 und 221 ausgestellten Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke unbeschadet der in der Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen nur enthalten müssen.
Art. 273 der Richtlinie, der zu Kapitel 7 („Verschiedenes") ihres Titels XI gehört, lautet:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen."
Ungarisches Recht
§ 32 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes LXXIV von 1992 über die Mehrwertsteuer (az általános forgalmi adóról szóló 1992. évi LXXIV. törvény, Magyar Közlöny 1992/128, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor, dass ein Steuerpflichtiger berechtigt ist, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer den Betrag der Steuer abzuziehen, den ihm ein anderer Steuerpflichtiger infolge einer Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen in Rechnung gestellt hat.
Gemäß § 35 Abs. 1 Buchst. a dieses Gesetzes kann das Recht auf Vorsteuerabzug, soweit im Allgemeinen Steuergesetz nichts anderes bestimmt ist, nur ausgeübt werden, wenn glaubhafte Belege für den Vorsteuerbetrag vorgelegt werden. Als solche gelten Rechnungen und vereinfachte Rechnungen sowie ihnen gleichgestellte Unterlagen, die auf den Steuerpflichtigen ausgestellt sind.
§ 44 Abs. 5 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:
„Der Aussteller der Rechnung oder der vereinfachten Rechnung haftet für die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben. Die steuerlichen Rechte des Steuerpflichtigen, der in dem Beleg als Erwerber angegeben ist, dürfen nicht beeinträchtigt werden, wenn er unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistung erbracht wurde, seinen Sorgfaltspflichten im Hinblick auf den Steuertatbestand nachgekommen ist."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Im Jahr 2007 führte Herr Tóth für Steuerpflichtige Bauarbeiten aus, wobei er teilweise auf Subunternehmer, u. a. den Einzelunternehmer M. L., zurückgriff. Die zwischen Letzterem und Herrn Tóth geschlossenen Verträge sahen für den Subunternehmer die Pflicht vor, ein Baubuch zu führen und eine Bauabschlussbescheinigung auszustellen. Nach den Baubüchern beschäftigte M. L. acht bis vierzehn Arbeitnehmer auf dem Bau. Die Arbeiten wurden zum Zeitpunkt ihrer Übergabe durch Herrn Tóth an seine Kunden bescheinigt. M. L. stellte für die betreffenden Arbeiten 20 Rechnungen aus, die Herr Tóth akzeptierte und in seine Bücher und seine Steuererklärungen aufnahm. Herr Tóth gibt an, die Rechnungen bar bezahlt zu haben.
M. L. kam seinen steuerlichen Pflichten seit 2003 nicht mehr nach. Außerdem hatte er seine Mitarbeiter weder als fest angestellte Arbeitnehmer noch als Zeitarbeitnehmer bei der Steuerverwaltung gemeldet. Mit bestandskräftiger Entscheidung vom 20. Juni 2007 entzog die zuständige Gemeindebehörde M. L. seine Lizenz als Einzelunternehmer.
Die Steuerverwaltung stellte für das Jahr 2007 zulasten von Herrn Tóth einen zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrag von 5 600 000 HUF fest und begründete dies damit, dass die in den von M. L. ausgestellten Rechnungen ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht habe abgezogen werden können, da Letzterer seit dem 20. Juni 2007 nicht mehr die Eigenschaft als Steuerpflichtiger besitze und daher nach diesem Zeitpunkt keine gültigen Rechnungen mehr habe ausstellen können. Außerdem trage ein Teil der von M. L. ausgestellten Rechnungen ein Datum, das vor dem Zeitpunkt des Kaufs des Rechnungsblocks liege, dem sie entnommen worden seien, nämlich vor dem 7. September 2007. Schließlich habe Herr Tóth es unterlassen, sich danach zu erkundigen, in welcher Eigenschaft die Personen, die die Arbeiten ausgeführt hätten, auf der Baustelle anwesend gewesen seien.
Diese Entscheidung wurde auf den von Herrn Tóth eingelegten Einspruch mit Entscheidung der Rechtsmittelgegnerin des Ausgangsverfahrens vom 8. Januar 2010 bestätigt. Diese vertrat u. a. die Auffassung, dass M. L. bei der Ausstellung von 16 der fraglichen 20 Rechnungen kein Steuerpflichtiger und daher auch nicht mehr berechtigt gewesen sei, die Steuer abzuwälzen. Dem Umstand, dass seine Steueridentifikationsnummer im betreffenden Steuerjahr noch nicht im Register der Steuerverwaltung gelöscht gewesen sei, komme insoweit keine Bedeutung zu.
Das Nógrád megyei bíróság (Regionalgericht Nógrád) hat die von Herrn Tóth gegen die Entscheidung der Rechtsmittelgegnerin des Ausgangsverfahrens erhobene Klage mit Entscheidung vom 9. Juni 2010 abgewiesen. Die Abweisung wurde darauf gestützt, dass M. L. bereits am 20. Juni 2007 seine Eigenschaft als Steuerpflichtiger und infolgedessen das Recht, die Mehrwertsteuer abzuwälzen, verloren habe. Zu den von M. L. vor diesem Zeitpunkt ausgestellten Rechnungen stellte dieses Gericht fest, dass M. L. nicht über angemeldete Arbeitnehmer oder Zeitarbeitnehmer verfügt habe und daher nicht nachgewiesen worden sei, dass die fraglichen Arbeiten tatsächlich von ihm ausgeführt worden seien. Zudem habe Herr Tóth weder überprüft, ob die in der Rechnung angegebene Dienstleistung tatsächlich von ihrem Aussteller erbracht worden sei, noch, ob die auf der Baustelle Beschäftigten der Belegschaft von M. L. angehört hätten oder bei ihm als Zeitarbeitnehmer beschäftigt gewesen seien.
Gegen die ablehnende Entscheidung des Nógrád megyei bíróság legte Herr Tóth ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Dieses hat zum einen Zweifel, ob das Recht zum Vorsteuerabzug aufgrund des Umstands eingeschränkt werden kann, dass der Aussteller der Rechnung im Unternehmensregister gelöscht wurde. Zum anderen fragt sich dieses Gericht, ob davon ausgegangen werden könne, dass Herr Tóth im Sinne der Randnr. 59 des Urteils vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C‑439/04 und C‑440/04, Slg. 2006, I‑6161), gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligt habe, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen gewesen sei, nachdem er sich nicht darüber Gewissheit verschafft habe, ob zwischen den Personen, die die Arbeiten ausgeführt hätten, und dem Rechnungsaussteller eine Rechtsbeziehung bestanden habe.
Das Legfelsőbb Bíróság (Oberstes Gericht), das der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung des Unionsrechts abhängt, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verstößt eine Auslegung, nach der der Empfänger einer Rechnung kein Recht auf Vorsteuerabzug hat, wenn der Stadtdirektor dem Einzelunternehmer, der sie ausgestellt hat, vor der Erfüllung des Vertrags oder der Ausstellung der Rechnung die Lizenz entzogen hat, gegen den Grundsatz der Steuerneutralität (Art. 9 der Richtlinie 2006/112)?
2. Steht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Steuerneutralität die Tatsache, dass der Einzelunternehmer, der die Rechnung ausgestellt hat, die von ihm eingesetzten Arbeitnehmer nicht angemeldet hat („Schwarzarbeit") und die Steuerverwaltung aus diesem Grund festgestellt hat, dass dieser Unternehmer „nicht über angemeldete Arbeitnehmer verfügt", der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Rechnungsempfänger entgegen?
3. Handelt der Rechnungsempfänger fahrlässig, wenn er weder überprüft, ob zwischen den auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmern und dem Rechnungsaussteller eine Rechtsbeziehung besteht, noch, ob dieser im Hinblick auf diese Arbeitnehmer seinen steuerlichen Erklärungspflichten oder sonstigen Pflichten nachgekommen ist? Stellt ein solches Verhalten einen objektiven Umstand dar, durch den nachgewiesen werden kann, dass der Empfänger der Rechnungen wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war?
4. Kann das nationale Gericht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Steuerneutralität diese Umstände heranziehen, wenn es bei umfassender Beurteilung zu dem Ergebnis kommt, dass der Umsatz zwischen den in der Rechnung genannten Personen nicht stattgefunden hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen sind, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen mit der Begründung zu verweigern, dass dem Aussteller der Rechnung die Einzelunternehmerlizenz entzogen worden sei, bevor er die fraglichen Dienstleistungen erbracht oder die betreffende Rechnung ausgestellt habe.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (vgl. u. a. Urteile vom 25. Oktober 2001, Kommission/Italien, C‑78/00, Slg. 2001, I‑8195, Randnr. 28, vom 10. Juli 2008, Sosnowska, C‑25/07, Slg. 2008, I‑5129, Randnr. 14, sowie vom 21. Juni 2012, Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).
Wie der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben hat, ist das in den Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112 geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Insbesondere kann dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. u. a. Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., C‑110/98 bis C‑147/98, Slg. 2000, I‑1577, Randnr. 43, Kittel und Recolta Recycling, Randnr. 47, sowie Mahagében und Dávid, Randnr. 38).
Durch die Abzugsregelung soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteile Gabalfrisa u. a., Randnr. 44, vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C‑255/02, Slg. 2006, I‑1609, Randnr. 78, sowie Mahagében und Dávid, Randnr. 39).
Zu den für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts erforderlichen materiellen Voraussetzungen geht aus Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 hervor, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden müssen und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sein müssen.
Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, steht im Ausgangsverfahren fest, dass die fraglichen Dienstleistungen vom Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet wurden.
Hinsichtlich der Eigenschaft des Ausstellers der Rechnungen über die genannten Dienstleistungen als Steuerpflichtiger ist auf die Definition dieses Begriffs in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 hinzuweisen.
Nach Unterabs. 1 der genannten Vorschrift gilt als „Steuerpflichtiger", wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Gemäß Unterabs. 2 gelten als „wirtschaftliche Tätigkeit" alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe.
Daraus folgt, dass der Begriff „Steuerpflichtiger" weit gefasst ist und sich auf tatsächliche Gegebenheiten stützt. Hingegen geht aus Art. 9 Abs. 1 nicht hervor, dass die Eigenschaft als Steuerpflichtiger von einer von der Verwaltung zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erteilten Genehmigung oder Lizenz abhängt.
Zwar hat nach Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 jeder Steuerpflichtige die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen. Ungeachtet der Bedeutung einer solchen Erklärung für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems kann diese jedoch keine zusätzliche, für die Zuerkennung der Eigenschaft als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie erforderliche Voraussetzung darstellen, da Art. 213 zu Kapitel 2 („Identifikation") des Titels XI der Richtlinie gehört.
Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein etwaiger Verstoß des Dienstleistungserbringers gegen die Pflicht, die Aufnahme seiner steuerbaren Tätigkeit anzuzeigen, das Abzugsrecht des Empfängers der erbrachten Dienstleistungen in Bezug auf die dafür entrichtete Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen kann. Selbst wenn der Dienstleistungserbringer ein Steuerpflichtiger ist, der nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert ist, steht dem Empfänger daher das Recht zum Vorsteuerabzug zu, wenn die Rechnungen über die erbrachten Dienstleistungen alle nach Art. 226 der Richtlinie 2006/112 vorgeschriebenen Angaben enthalten, insbesondere diejenigen, die zur Bestimmung des Ausstellers der Rechnungen und der Art der Dienstleistungen erforderlich sind (vgl. Urteil vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C‑438/09, Slg. 2010, I‑14009, Randnrn. 33, 36 und 38).
Daraus folgt, dass die Steuerbehörden das Recht auf Vorsteuerabzug nicht mit der Begründung verweigern dürfen, dass der Aussteller der Rechnung nicht mehr über eine Einzelunternehmerlizenz verfüge und deshalb nicht mehr berechtigt sei, seine Steueridentifikationsnummer zu verwenden, wenn die Rechnung alle in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 aufgeführten Informationen enthält.
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen sind, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen allein mit der Begründung zu verweigern, dass dem Aussteller der Rechnung die Einzelunternehmerlizenz entzogen worden sei, bevor er die fraglichen Dienstleistungen erbracht oder die betreffende Rechnung ausgestellt habe, wenn diese alle nach Art. 226 der Richtlinie vorgeschriebenen Angaben enthält, insbesondere diejenigen, die zur Bestimmung des Ausstellers der Rechnung und der Art der erbrachten Dienstleistungen erforderlich sind.
Zur zweiten Frage
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen sind, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen mit der Begründung zu verweigern, dass der Aussteller der Rechnung über diese Dienstleistungen die von ihm eingesetzten Arbeitnehmer nicht angemeldet habe.
Da sich diese Frage auf einen Dienstleistungserbringer bezieht, der eine Unregelmäßigkeit begangen hat, die darin besteht, dass er die von ihm eingesetzten Arbeiter nicht angemeldet hat, so dass diese bei der Erbringung der fraglichen Dienstleistungen nicht angemeldete Arbeit ausgeführt haben, betrifft sie einen Sachverhalt, der mit dem des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑142/11, in der das Urteil Mahagében und Dávid ergangen ist, vergleichbar ist.
In diesem Urteil hat sich der Gerichtshof zum einen auf die das Recht auf Vorsteuerabzug regelnden Grundsätze gestützt und zum anderen auf die Rechtsprechung zur Versagung der Inanspruchnahme von Rechten, die in betrügerischer oder missbräuchlicher Absicht geltend gemacht werden (vgl. Urteil Mahagében und Dávid, Randnrn. 37 bis 42 und 46 bis 48).
Auf dieser Grundlage ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie 2006/112 einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der die Steuerbehörde einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung verweigert, der Aussteller der Rechnung über die erbrachten Dienstleistungen habe Unregelmäßigkeiten begangen, ohne dass diese Behörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der betreffende Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. Urteil Mahagében und Dávid, Randnr. 50).
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass es der Steuerbehörde untersagt ist, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug geschuldeter oder entrichteter Mehrwertsteuer für ihm erbrachte Dienstleistungen mit der Begründung zu verweigern, dass der Aussteller der Rechnung über diese Dienstleistungen die von ihm eingesetzten Arbeitnehmer nicht angemeldet habe, ohne dass diese Behörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nicht überprüft hat, ob zwischen den auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmern und dem Rechnungsaussteller eine Rechtsbeziehung besteht und ob Letzterer diese Arbeitnehmer angemeldet hat, einen objektiven Umstand darstellt, der den Schluss zulässt, dass der Empfänger der Rechnung wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.
Diese Frage bezieht sich auf einen Sachverhalt, der mit dem des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑80/11, in der das Urteil Mahagében und Dávid ergangen ist, vergleichbar ist.
In den Randnrn. 53 und 54 des genannten Urteils hat der Gerichtshof zunächst auf die Rechtsprechung hingewiesen, nach der Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können müssen, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. In den Randnrn. 55 bis 57 und 62 bis 65 dieses Urteils hat der Gerichtshof außerdem Art. 273 der Richtlinie 2006/112 und der Tatsache Rechnung getragen, dass es grundsätzlich Sache der Steuerbehörden ist, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehungen aufzudecken und gegen den Steuerpflichtigen, der diese Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehungen begangen hat, Sanktionen zu verhängen.
Auf dieser Grundlage ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie 2006/112 einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der die Steuerbehörde das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung verweigert, der Steuerpflichtige habe sich nicht vergewissert, dass der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände, für die das Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht werde, Steuerpflichtiger sei, dass er über die fraglichen Gegenstände verfügt habe und sie habe liefern können und dass er seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen sei, obgleich die in der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug vorliegen und der Steuerpflichtige über keine Anhaltspunkte verfügte, die Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung in der Sphäre des Rechnungsausstellers vermuten ließen (vgl. Urteil Mahagében und Dávid, Randnr. 66).
Dieses Ergebnis in Bezug auf eine Lieferung von Gegenständen gilt auch für den Fall einer Erbringung von Dienstleistungen hinsichtlich der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass die zur Begründung seines Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Leistung in eine vom Rechnungsaussteller begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, weil er nicht überprüft hat, ob der Rechnungsaussteller über das zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen erforderliche Personal verfügte, ob der Rechnungsaussteller seinen Erklärungspflichten hinsichtlich seines Personals nachgekommen war und ob sein Personal die fraglichen Arbeiten ausgeführt hatte.
Auf die dritte Frage ist somit zu antworten, dass die Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nicht überprüft hat, ob zwischen den auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmern und dem Rechnungsaussteller eine Rechtsbeziehung besteht und ob Letzterer diese Arbeitnehmer angemeldet hat, keinen objektiven Umstand darstellt, der den Schluss zulässt, dass der Empfänger der Rechnung wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, wenn er über keine Anhaltspunkte verfügte, die Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung in der Sphäre des Rechnungsausstellers vermuten ließen. Daher kann das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des genannten Umstands nicht verweigert werden, wenn die in der Richtlinie vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts erfüllt sind.
Zur vierten Frage
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität es verbieten, dass es die in den ersten drei Fragen erwähnten Umstände berücksichtigt, wenn es bei umfassender Beurteilung des konkreten Falles zu dem Ergebnis kommt, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz zwischen den in der Rechnung genannten Personen tatsächlich nicht stattgefunden hat.
Nach der Vorlageentscheidung ist unstreitig, dass der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens, der das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, Steuerpflichtiger ist und Bauarbeiten für andere Steuerpflichtige und somit eine steuerbare Dienstleistung erbracht hat. Da er diese Arbeiten nicht mittels seines eigenen Personals, sondern durch Inanspruchnahme von Subunternehmern ausgeführt hat, wurden ihm die fraglichen Dienstleistungen von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer erbracht, und er hat sie auf der nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner eigenen steuerpflichtigen Umsätze verwendet.
Weiter geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens mit M. L. einen Vertrag über die Ausführung der in Rede stehenden Arbeiten geschlossen und Rechnungen vorgelegt hat, die von Letzterem für diese Arbeiten ausgestellt wurden und alle nach der Richtlinie 2006/112 erforderlichen Angaben enthalten. Die Vorlageentscheidung enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens selbst Manipulationen wie die Abgabe falscher Erklärungen oder die Ausstellung nicht ordnungsgemäßer Rechnungen vorgenommen hätte.
Unter diesen Umständen bezieht sich die vierte Frage offensichtlich auf eine Situation, in der die fraglichen Dienstleistungen nicht vom Personal des Rechnungsausstellers, sondern eines anderen Wirtschaftsteilnehmers ausgeführt wurden, was die Folge sowohl einer betrügerischen Verschleierung des Dienstleistungserbringers als auch der schlichten Inanspruchnahme eines anderen Subunternehmers sein kann. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich aber nicht, dass mit dieser Frage die Prämisse der Fragen eins bis drei in Frage gestellt wird, die darin besteht, dass die nach der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind.
Zwar steht, wenn die Steuerbehörde konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug liefert, weder die Richtlinie 2006/112 noch der Grundsatz der Steuerneutralität dem entgegen, dass das nationale Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Steuerpflichtigen und der Steuerbehörde über die Verweigerung des Rechts auf Vorsteuerabzug prüft, ob der Aussteller der Rechnung den fraglichen Umsatz selbst ausgeführt hat, und dass es dabei sämtliche Umstände des konkreten Falles einschließlich der vom vorlegenden Gericht in seinen ersten beiden Fragen angeführten berücksichtigt.
Jedoch ist festzustellen, dass eine solche Überprüfung nicht die Erwägungen in Frage stellen kann, die die Grundlage für die Antworten auf die ersten drei Fragen darstellen, es sei denn, die Steuerbehörde weist anhand objektiver Umstände nach, dass der betreffende Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
Dieses Ergebnis wird durch das die Befreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort außerhalb der Europäischen Union betreffende Urteil vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt (C‑271/06, Slg. 2008, I‑771, Randnrn. 27 und 29), gestützt, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass der Lieferer auf die Rechtmäßigkeit des Umsatzes, den er tätigt, vertrauen können muss, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Befreiung von der Mehrwertsteuer zu verlieren, wenn er selbst bei Beachtung aller Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns außerstande ist, zu erkennen, dass die Voraussetzungen für die Befreiung in Wirklichkeit nicht gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise gefälscht waren.
Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der Steuerneutralität, wenn die Steuerbehörde konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug liefert, es nicht verbieten, dass das nationale Gericht auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung des konkreten Falles prüft, ob der Aussteller der Rechnung den fraglichen Umsatz selbst ausgeführt hat. Bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens darf das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch nur dann verweigert werden, wenn die Steuerbehörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.