BFH: Postuniversaldienstleister muss sechs Tage pro Woche Post zustellen
BFH, Urteil vom 2.3.2016 – V R 20/15
Leitsätze
1. Universaldienstleistungen i.S. von § 4 Nr. 11b UStG verlangen eine Post-Zustellung an sechs Arbeitstagen pro Woche.
2. Stellt ein Unternehmer an fünf Arbeitstagen pro Woche Post zu, erbringt er keine Universaldienstleistungen und hat keinen Anspruch gegen das BZSt auf Erteilung einer für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung erforderlichen Bescheinigung.
Sachverhalt
I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für erbrachte Postdienstleistungen einen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung i.S. von § 4 Nr. 11b Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundeszentralamt für Steuern --BZSt--) hat.
Die Klägerin betreibt seit dem Jahr 2005 ein Postdienstleistungsunternehmen. Sie bietet einen bundesweiten Briefversand und einen EU-weiten Paketversand an. Die Klägerin stellt die Briefe selbst nur in einem Teilbereich der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) zu. Zur Beförderung der über diesen Teilbereich hinausgehenden Briefsendungen vereinbarte die Klägerin Verträge mit Kooperationspartnern. Die Klägerin stellt an fünf Tagen die Woche --dienstags bis samstags-- zu. Montag ist ein zustellfreier Tag.
Mit Antrag vom 14. Juni 2010 begehrte die Klägerin vom BZSt die Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 11b UStG. Dem Antrag war folgende Erklärung der Klägerin beigefügt:
"Hiermit verpflichte ich mich, flächendeckend im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Gesamtheit der Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. L 15 vom 21. Januar 1998, Seite 14, L 23 vom 30. Januar 1998. Seite 39), die zuletzt durch die Richtlinie 2008/6/EG (ABl. L 52 vom 27. Februar 2008, Seite 2) geändert wurde, in der jeweils geltenden Fassung, anzubieten.
Des Weiteren verpflichte ich mich, dass die Leistungen
- nicht aufgrund individueller Vereinbarungen,
- nicht aufgrund allgemeiner Geschäftsbedingungen zu abweichenden Qualitätsbedingungen oder zu günstigeren Preisen als den nach den allgemein für jedermann zugänglichen Tarifen oder als den nach § 19 des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I Seite 3294), das zuletzt durch Artikel 272 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I Seite 2407) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, genehmigten Entgelten, erbracht werden."
Mit Bescheid vom 4. März 2011 lehnte das BZSt den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Bescheinigung i.S. von § 4 Nr. 11b UStG ab. Nach den vom BZSt getroffenen Feststellungen könne aus den vorgelegten Unterlagen der Klägerin nicht geschlossen werden, dass sie vollumfänglich in der Lage sei, ihre Verpflichtungserklärung zum flächendeckenden Anbieten von Postuniversaldienstleistungen tatsächlich zu erfüllen. Den von der Klägerin hiergegen eingelegten Einspruch vom 8. April 2011 wies das BZSt als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1481 veröffentlichten Urteil aus, dass der noch nicht bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 4. März 2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung rechtmäßig seien und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt hätten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 11b UStG, da sie keine Postuniversaldienstleistungen erbringe.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe den für die Beurteilung des Falles maßgebenden Rechtsrahmen fehlerhaft behandelt. Die Bescheinigung sei schon dann zu erteilen, wenn eine entsprechende Verpflichtungserklärung vorliege und nicht etwa aufgrund anderweitiger tatsächlicher Umstände. Ob eine steuerbefreite Dienstleistung erbracht werde, sei überdies zu prüfen, "bevor" die steuerbefreiten Umsätze ausgeführt würden. Außerdem könne sich ein Steuerpflichtiger nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) unmittelbar auf eine im Unionsrecht vorgesehene Steuerbefreiung berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar sei. Nach diesem Grundsatz wirke die Steuerbefreiung unmittelbar und überwinde damit die Bescheinigung des BZSt, soweit diese als materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung ausgestaltet sei. Ferner habe der EuGH in seiner Rechtsprechung zu von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachten Dienstleistungen insbesondere die Geltung des Neutralitätsprinzips hervorgehoben (EuGH-Urteil TNT Post UK vom 23. April 2009 C-357/07, EU:C:2009:248, Rz 37). Soweit die Befreiungsvorschrift in § 4 Nr. 11b UStG als Voraussetzung die "Bescheinigung des Zentralamts für Steuern" über die (Selbst-)Verpflichtung eines Unternehmers verlange, gehe sie über die unionsrechtliche Vorgabe hinaus und verletze das Neutralitätsprinzip, wenn trotz Vorliegens der materiellen Bedingungen der Steuerbefreiung, die allein an den Standardvorgaben der sog. Postrichtlinie zu messen sei, die Steuerbefreiung nicht gewährt werde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil sowie den Ablehnungsbescheid des BZSt vom 4. März 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2011 aufzuheben und das BZSt zu verpflichten, der Klägerin die begehrte Bescheinigung i.S. von § 4 Nr. 11b UStG zu erteilen.
Das BZSt beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus den Gründen
9 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
10 1. Der Senat prüft nicht, ob der Finanzrechtsweg nach § 33 FGO gegeben ist.
11 Dies könnte zwar mit Blick auf die Erteilung einer Bescheinigung i.S. von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG durch das BZSt zweifelhaft sein (vgl. z.B. von Streit in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 11b Rz 336 ff.; Kulmsee in Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 11b Rz 19; a.A. aber z.B. Huschens in Schwarz/Widmann/Radeisen, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 11b, Rz 60a; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 95 Rz 552 bis 554). Der Senat ist indes an die stillschweigend vom FG getroffene Entscheidung gemäß § 17a Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) gebunden, dass hinsichtlich der Erteilung der Bescheinigung der Finanzrechtsweg i.S. von § 33 FGO eröffnet ist (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Juli 2008 V R 40/04, BFHE 221, 557, BStBl II 2009, 208, unter II.1.; zu --hier nicht vorliegenden-- Ausnahmen vgl. z.B. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 33 Anh. Rz 40, m.w.N.).
12 2. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen das BZSt auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG.
13 a) Die Steuerfreiheit für Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 15 vom 21. Januar 1998, S. 14, Nr. L 23 vom 30. Januar 1998, S. 39), die zuletzt durch die Richtlinie 2008/6/EG (ABlEU Nr. L 52 vom 27. Februar 2008, S. 3) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung (§ 4 Nr. 11b Satz 1 UStG) --Richtlinie 97/67/EG-- setzt voraus, dass der Unternehmer sich entsprechend einer Bescheinigung des BZSt gegenüber dieser Behörde verpflichtet hat, flächendeckend im gesamten Gebiet Deutschlands die Gesamtheit der Universaldienstleistungen oder einen Teilbereich dieser Leistungen nach Satz 1 anzubieten (§ 4 Nr. 11b Satz 2 UStG).
14 b) Die Klägerin kann eine derartige Bescheinigung nicht erlangen, weil sie keine Universaldienstleistungen anbietet und deshalb die Voraussetzungen des § 4 Nr. 11b Satz 2 i.V.m. Satz 1 UStG nicht erfüllt.
15 aa) Der Universaldienst umfasst nach Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 97/67/EG das dort beschriebene Angebot: "Abholung, Sortieren, Transport und Zustellungen von Postsendungen bis 2 kg; Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 10 kg; die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen". Der Universaldienst soll nach Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 97/67/EG an mindestens fünf Arbeitstagen stattfinden. Die Richtlinie wendet sich an die EU-Mitgliedstaaten, damit sie diese Anforderungen an den Universaldienst gewährleisten. Der jeweilige EU-Mitgliedstaat hat im durch die Richtlinie 97/67/EG vorgegebenen Rahmen einen Umsetzungs- und Präzisierungsspielraum: Er muss nur den Mindestzeitraum einhalten, darf aber auch darüber hinausgehen. So heißt es im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/6/EG (ABlEU Nr. L 52 vom 27. Februar 2008, S. 3) zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG, der Universaldienst gewährleiste grundsätzlich eine Abholung und eine Zustellung zu der Wohnadresse oder den Geschäftsräumen an jedem Werktag selbst in abgelegenen oder dünn besiedelten Gebieten.
16 bb) § 11 Abs. 2 des Postgesetzes (PostG) i.V.m. § 2 Ziff. 5 der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV; vom 15. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2418) regelt --die Richtlinie umsetzend-- auf innerstaatlicher Ebene, dass "die Zustellung mindestens einmal werktäglich zu erfolgen hat". Werktage sind alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind (vgl. z.B. § 1 Abs. 2 des Bundesurlaubsgesetzes). Damit verlangt § 11 Abs. 2 PostG i.V.m. § 2 Ziff. 5 PUDLV die Zustellung an sechs Tagen pro Woche.
17 cc) Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Nach der von ihr abgegebenen Verpflichtungserklärung und den weiteren hierzu dem BZSt mitgeteilten Umständen zur Erbringung des Postuniversaldienstes hat sie sich dazu verpflichtet, ihre Postdienstleistungen an fünf Werktagen --unter Ausschluss des Montags-- anzubieten. Ihre Verpflichtungserklärung bezieht die Klägerin zwar verbal auf Universaldienstleistungen. In Verbindung mit ihrer Praxis, nur an fünf Tagen zuzustellen, bietet sie aber in Wirklichkeit gerade keine Universaldienstleistungen an, so dass sie keinen Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung hat.
18 c) Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang begehrte unmittelbare Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (MwStSystRL) kommt nicht in Betracht. Denn hier geht es nicht um die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für die entsprechenden Umsätze selbst im Rahmen einer Steuerfestsetzung, sondern allein um die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG.
19 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.