EuGH: Pflicht eines Mitgliedstaats, die Zahlung von Säumniszinsen auch bei Fehlen eines Rechtsbehelfs vor den einzelstaatlichen Gerichten vorzusehen
EuGH, Urteil vom 18.1.2017 – C-365/15, Wortmann KG gegen Hauptzollamt Bielefeld
ECLI:EU:C:2017:19
Volltext:BB-ONLINE BBL2017-341-1
Tenor
Werden Einfuhrabgaben, zu denen auch Antidumpingzölle gehören, deshalb erstattet, weil sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, besteht eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, Rechtsuchenden, die einen Anspruch auf die Erstattung der entrichteten Beträge haben, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 241 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wortmann KG Internationale Schuhproduktionen (im Folgenden: Wortmann) und dem Hauptzollamt Bielefeld (Deutschland) über die Zahlung von Zinsen bei der Erstattung von Antidumpingzöllen, die Wortmann gemäß der mit Urteil vom 2. Februar 2012, Brosmann Footwear (HK) u. a./Rat (C-249/10 P, EU:C:2012:53), teilweise für nichtig erklärten Verordnung (EG) Nr. 1472/2006 des Rates vom 5. Oktober 2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam (ABl. 2006, L 275, S. 1) gezahlt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Zollkodex
3 Art. 4 des Zollkodex sieht vor:
„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind
…
10. Einfuhrabgaben:
– Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren;
…“
4 Art. 232 des Zollkodex bestimmt:
„(1) Ist der Abgabenbetrag nicht fristgerecht entrichtet worden,
…
b) so werden zusätzlich zu dem Abgabenbetrag Säumniszinsen erhoben. Der Säumniszinssatz kann höher als der Kreditzinssatz sein. Er darf jedoch nicht niedriger sein.
…“
5 Art. 236 des Zollkodex sieht vor:
„(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.
(2) Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.
Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.
Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“
6 Art. 241 des Zollkodex lautet:
„Erstatten die Zollbehörden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge sowie bei deren Entrichtung gegebenenfalls erhobene Kredit- oder Säumniszinsen, so sind dafür von diesen Behörden keine Zinsen zu zahlen. Dagegen sind Zinsen zu zahlen,
– wenn eine Entscheidung, mit der einem Erstattungsantrag stattgegeben wird, nicht innerhalb von drei Monaten nach ihrem Ergehen vollzogen wird;
– wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen Bestimmungen vorgesehen ist.
Der Zinsbetrag ist so zu berechnen, dass er dem Betrag entspricht, der hierfür auf dem einzelstaatlichen Geld- und Kapitalmarkt gefordert würde.“
Verordnung Nr. 1472/2006
7 Art. 1 der Verordnung Nr. 1472/2006 bestimmt:
„(1) Es wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt auf den Import von Schuhen mit Oberteil aus Leder oder rekonstituiertem Leder, ausgenommen Sportschuhe, nach Spezialtechniken hergestellte Schuhe, Pantoffeln … und andere Hausschuhe und Schuhe mit einem Schutz in der Vorderkappe, mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam, die unter folgenden … Codes [der Kombinierten Nomenklatur] eingereiht werden: …
…
(4) Sofern nichts anderes bestimmt ist, finden die geltenden Zollvorschriften Anwendung.“
Deutsches Recht
8 § 1 der Abgabenordnung in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: Abgabenordnung) bestimmt:
„(1) Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union anwendbar.
…
(3) Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften dieses Gesetzes vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union sinngemäß anwendbar. …“
9 § 3 Abs. 3 und 4 der Abgabenordnung sieht vor:
„(3) Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes sind Steuern im Sinne dieses Gesetzes.
(4) Steuerliche Nebenleistungen sind … Zinsen (§§ 233 bis 237) … sowie Zinsen im Sinne des Zollkodexes …“
10 § 37 der Abgabenordnung bestimmt:
„(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind [u. a.] der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 …
(2) Ist eine Steuer … ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. …“
11 § 233 der Abgabenordnung sieht vor:
„Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. …“
12 Schließlich heißt es in § 236 Abs. 1 der Abgabenordnung:
„Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13 In den Jahren 2006 bis 2012 überführte Wortmann im eigenen Namen Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und in Vietnam, die von der Brosmann Footwear (HK) Ltd (im Folgenden: Brosmann) und der Seasonable Footwear (Zhong Shan) Ltd (im Folgenden: Seasonable) hergestellt waren, in den zollrechtlich freien Verkehr im Gebiet der Europäischen Union. Da diese Schuhe unter einen der in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1472/2006 genannten Codes der Kombinierten Nomenklatur eingereiht wurden, setzte das Hauptzollamt Bielefeld nach dieser Verordnung Antidumpingzoll gegen Wortmann fest.
14 Wortmann beantragte am 22. Juli 2010 beim Hauptzollamt, die für den Zeitraum von Juni 2007 bis Juni 2010 gezahlten Antidumpingzölle zu erstatten. Am 14. Februar 2011 stellte sie einen weiteren Antrag auf Erstattung der bis zum 31. Dezember 2010 gezahlten Antidumpingzölle. Schließlich beantragte sie am 7. Mai 2012, die seit dem Jahr 2006 gezahlten Antidumpingzölle zu erstatten. Zur Begründung aller dieser Anträge berief sie sich u. a. auf die zunächst beim Gericht der Europäischen Union und dann beim Gerichtshof anhängige Rechtssache, in der das Urteil vom 2. Februar 2012, Brosmann Footwear (HK) u. a./Rat (C-249/10 P, EU:C:2012:53), ergangen ist.
15 Mit diesem Urteil erklärte der Gerichtshof die Verordnung Nr. 1472/2006 teilweise für nichtig, und zwar soweit sie u. a. Brosmann und Seasonable betraf. Dies begründete er damit, dass die Europäische Kommission es zu Unrecht unterlassen hatte, die Anträge auf Zuerkennung des Status eines unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tätigen Unternehmens oder andernfalls auf individuelle Behandlung der Rechtsmittelführerinnen zu prüfen.
16 Daraufhin erstattete das Hauptzollamt Bielefeld Wortmann mit Bescheiden vom 17. April 2013 Antidumpingzölle von 61 895,49 Euro für das Jahr 2007 und von 92 870,62 Euro für das Jahr 2008.
17 Mit Schreiben vom 29. November 2013 beantragte Wortmann beim Hauptzollamt Bielefeld die Festsetzung von Zinsen auf die Erstattungsbeträge in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Zahlung der Antidumpingzölle. Das Hauptzollamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 15. Januar 2014 ab. Den von Wortmann hiergegen eingelegten Einspruch wies es am 17. September 2014 ebenfalls zurück.
18 Wortmann erhob beim vorlegenden Gericht Klage mit dem Antrag, das Hauptzollamt Bielefeld zu verpflichten, ihr die Erstattungsbeträge zu verzinsen.
19 Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon abhänge, wie Art. 241 des Zollkodex auszulegen sei. Seiner Auffassung nach schließt Art. 241 Satz 1 des Zollkodex eine Verzinsung der Wortmann erstatteten Beträge aus.
20 Da nämlich die Voraussetzungen von Art. 241 Satz 2 erster Gedankenstrich des Zollkodex im Ausgangsverfahren nicht vorlägen, kämen nach Art. 241 Satz 2 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex als Anspruchsgrundlage für das Zinsbegehren der Klägerin nur die einzelstaatlichen Bestimmungen in Betracht. Insoweit ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 233 Satz 1 der Abgabenordnung, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst würden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Als Anspruchsgrundlage für eine Verzinsung komme im deutschen Recht daher allein § 236 der Abgabenordnung in Betracht. Da die Klägerin des Ausgangsverfahrens jedoch kein gerichtliches Verfahren auf Erstattung von zuvor an das Hauptzollamt Bielefeld entrichteten Antidumpingzöllen eingeleitet habe, sei diese Bestimmung im Streitfall nicht anwendbar.
21 Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob dieses Ergebnis mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Es weist auf die Rechtsprechung hin, nach der sich der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten, aus dem Unionsrecht ergebe (Urteil vom 18. April 2013, Irimie, C-565/11, EU:C:2013:250, Rn. 22). Daher stelle sich die Frage, ob das „ungeschriebene“ Unionsrecht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht die Verzinsung der erstatteten Einfuhrabgabenbeträge verlange. Insoweit sei insbesondere zu berücksichtigen, dass, wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 3 Abs. 4 der Abgabenordnung ergebe, die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Verzinsung, vorliegend die §§ 233 ff. der Abgabenordnung, nur vorbehaltlich des Unionsrechts sinngemäß anwendbar seien.
22 Das Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 241 des Zollkodex dahin gehend auszulegen, dass das darin in Bezug genommene einzelstaatliche Recht unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Effektivität eine Verzinsung von erstatteten Einfuhrabgabenbeträgen von dem Zeitpunkt der Zahlung der Abgabenbeträge bis zur Auszahlung der Erstattungsbeträge auch in den Fällen vorsehen muss, in denen der Erstattungsanspruch nicht bei einem einzelstaatlichen Gericht eingeklagt worden ist?
Zur Vorlagefrage
23 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 241 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass das darin in Bezug genommene einzelstaatliche Recht die Pflicht zur Verzinsung des erstatteten Einfuhrabgabenbetrags für den Zeitraum von der Entrichtung dieser Abgaben bis zu ihrer Erstattung vorsehen muss.
24 Insoweit ist zwar festzustellen, dass nach Art. 241 Satz 1 des Zollkodex von den Zollbehörden keine Zinsen zu zahlen sind, wenn sie Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge sowie bei deren Entrichtung gegebenenfalls erhobene Kredit- oder Säumniszinsen erstatten.
25 Diese Bestimmung kann aber als solche nicht bedeuten, dass die einzelstaatliche Regelung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens tatsächlich vorsehen könnte, dass der erstattete Einfuhrabgabenbetrag für den Zeitraum von der Entrichtung dieser Abgaben bis zu ihrer Erstattung nicht zu verzinsen ist.
26 Sowohl aus der Entstehungsgeschichte von Art. 241 des Zollkodex als auch aus dem Zusammenhang, in den sich diese Bestimmung einfügt, ergibt sich nämlich, dass sie unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.
27 Insoweit lässt sich der Untersuchung der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, die der Generalanwalt in den Nrn. 48 bis 50 seiner Schlussanträge vorgenommen hat, entnehmen, dass Art. 241 des Zollkodex den Fall betrifft, dass es sich nach der Überlassung der betreffenden Waren durch die Zollbehörde erweist, dass die ursprüngliche Festsetzung der Einfuhrabgaben nach unten angepasst werden muss und daher die Einfuhrabgaben, die ein Wirtschaftsteilnehmer entrichtet hat, ganz oder teilweise zu erstatten sind.
28 Die Erläuterungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung, die zu Art. 241 des Zollkodex wurde, zeigen, dass sie deshalb angenommen wurde, weil die Zollbehörden die Zollanmeldungen in den meisten Fällen erst nachträglich prüfen, so dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass diese Prüfung zur Erstattung bereits entrichteter Einfuhrabgaben führt.
29 Darüber hinaus stellt der Zollkodex in Bezug auf die Frage nach der Verzinsung eine gewisse Symmetrie zwischen der Lage der Wirtschaftsteilnehmer her, denen aufgrund von Fehlern, die der Schnelligkeit des in vielen Fällen angewandten Zollabfertigungssystems ohne Begutachtung der Ware vor ihrer Überlassung geschuldet sind, zu viel gezahlte Einfuhrabgaben erstattet werden müssen, und der Lage der Wirtschaftsteilnehmer, die im Gegenteil aufgrund derselben Art von Fehlern zusätzliche Einfuhrabgaben an die Zollverwaltung zu zahlen haben.
30 Wie sich nämlich aus dem Urteil vom 31. März 2011, Aurubis Balgaria (C-546/09, EU:C:2011:199, Rn. 26 bis 34), ergibt, können, wenn infolge einer Neuberechnung der Zölle auf der Grundlage nachträglicher Informationen ein bestimmter Zollbetrag einzuziehen bleibt, gemäß Art. 232 Abs. 1 Buchst. b des Zollkodex Säumniszinsen auf diesen Betrag nur für den Zeitraum erhoben werden, der auf den Ablauf der Frist für die Begleichung dieses Betrags folgt.
31 Führt die Neuberechnung der Zölle dagegen dazu, dass dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bereits entrichtete Zölle teilweise oder vollständig erstattet werden, fallen gemäß Art. 241 des Zollkodex Zinsen erst ab dem Ablauf der in dieser Bestimmung vorgesehenen Frist von drei Monaten an, wobei die Möglichkeit des einzelstaatlichen Gesetzgebers, eine Zahlung von Zinsen auch unter anderen Umständen vorzusehen, unberührt bleibt.
32 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich allerdings, dass die Erstattung von Antidumpingzöllen an Wortmann nicht auf einem Fehler bei der Berechnung dieser Zölle beruht, der nach der Überlassung der Waren durch die zuständige Zollbehörde an Wortmann festgestellt worden wäre. Daher kann in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Regelung in Art. 241 Satz 1 des Zollkodex nicht dahin ausgelegt werden, dass sie die Verzinsung grundsätzlich ausschließt.
33 Es ist jedoch festzustellen, dass der Gerichtshof, selbst wenn das vorlegende Gericht seine Frage der Form nach auf die Auslegung von Art. 241 des Zollkodex beschränkt hat, nicht daran gehindert ist, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Oktober 2015, Nagy, C-583/14, EU:C:2015:737, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Aufgabe der innerstaatlichen Stellen ist, für ihre Rechtsordnung die Konsequenzen aus einer Feststellung der Nichtigkeit oder der Ungültigkeit einer Verordnung über die Verhängung von Antidumpingzöllen zu ziehen, was zur Folge hätte, dass die gemäß der betreffenden Verordnung gezahlten Antidumpingzölle im Sinne von Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex nicht gesetzlich geschuldet wären und grundsätzlich von den Zollbehörden nach dieser Bestimmung erstattet werden müssten, sofern die Voraussetzungen einer solchen Erstattung, darunter die in Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex, erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Ikea Wholesale, C-351/04, EU:C:2007:547, Rn. 67, und vom 18. März 2010, Trubowest Handel und Makarov/Rat und Kommission, C-419/08 P, EU:C:2010:147, Rn. 25).
35 Im vorliegenden Fall hat die zuständige einzelstaatliche Stelle, nachdem die Verordnung Nr. 1472/2006 mit Urteil vom 2. Februar 2012, Brosmann Footwear (HK) u. a./Rat (C-249/10 P, EU:C:2012:53), für nichtig erklärt worden war, soweit sie u. a. Brosmann und Seasonable betraf, deren Schuhe von Wortmann in den zollrechtlich freien Verkehr im Gebiet der Union überführt wurden, Wortmann die erhobenen Antidumpingzölle erstattet, da sie nicht im Sinne von Art. 236 Abs. 1 Satz 1 des Zollkodex gesetzlich geschuldet waren, ohne diese Beträge jedoch, wie von Wortmann gefordert, zu verzinsen.
36 Insoweit ist festzustellen, dass Art. 236 Abs. 1 Satz 1 des Zollkodex in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens zwar die Erstattung der Antidumpingzölle vorsieht, aber nicht ausdrücklich regelt, ob dabei Zinsen auf diese Erstattungsbeträge zu zahlen sind.
37 Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, aus der sich ergibt, dass, wenn ein Mitgliedstaat Steuern oder Zölle gemäß einer Verordnung der Union erhoben hat, die vom Unionsgericht für ungültig oder nichtig erklärt worden ist, die Betroffenen, die die fraglichen Steuern oder Zölle entrichtet haben, grundsätzlich Anspruch nicht nur auf Erstattung der erhobenen Beträge, sondern auch auf deren Verzinsung haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2012, Zuckerfabrik Jülich, C-113/10, C-147/10 und C-234/10, EU:C:2012:591, Rn. 65 bis 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Da zum einen weder Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex noch Art. 241 des Zollkodex in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Zahlung von Zinsen ausschließen und zum anderen die Erstattung der in Rede stehenden Antidumpingzölle infolge der Nichtigerklärung der Verordnung, auf deren Grundlage diese Zölle erhoben wurden, durch den Gerichtshof erfolgt ist und daher aufgrund der Unvereinbarkeit ihrer Erhebung mit dem Unionsrecht, die zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, ist der dem betroffenen Unternehmen von der zuständigen nationalen Stelle erstattete Zollbetrag entsprechend zu verzinsen.
39 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass dann, wenn Einfuhrabgaben, zu denen auch Antidumpingzölle gehören, deshalb erstattet werden, weil sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten besteht, Rechtsuchenden, die einen Anspruch auf Erstattung der entrichteten Beträge haben, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen.
Kosten
40 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.