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Steuerrecht
22.09.2022
Steuerrecht
FG Münster: PKW Privatnutzung – Beweis des ersten Anscheins

FG Münster, Urteil vom 16.8.2022 – 6 K 2688/19 E
ECLI:DE:FGMS:2022:0816.6K2688.19E.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-2213-1

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung Kraftfahrzeuge, die dienstlich oder betrieblich zur Verfügung gestellten werden, auch privat gentutzt werden.

2. Der Beweis des ersten Anscheins kann durch den sogenannten Gegenbeweis entkräftet und erschüttert werden, was sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles zur Überzeugung des Gerichts ergeben muss.

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2, S. 3; FGO § 100 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1, § 151 Abs. 3, § 155; ZPO § 708 Nr. 10, § 711

Sachverhalt

Streitig ist, ob der im Betriebsvermögen bilanzierte PKW Ford Ranger in den Jahren 2015 und 2016 auch privat genutzt wurde und dementsprechend ein privater Nutzungsanteil im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen ist.

Die Kläger wurden in den Streitjahren gemäß §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger haben drei gemeinsame Kinder, von denen zwei in den Streitjahren noch dem Haushalt der Kläger zugehörig waren. Die am 00.00.1992 geborene Tochter E 3 studierte bis April 2016 in A und begann im August 2016 eine Ausbildung in der Tierklinik R (Entfernung zum Wohnhaus: ca. 29 km). Der am 00.00.1996 geborene Sohn E 4 absolvierte bis Juni 2016 eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner (Firma V, Entfernung zum Wohnhaus: 1,2 km). Die Kläger wohnen auf eigenem Grundstück A-Straße 1 in B mit einer Größe von ca. X qm. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Gartenbaubetrieb (Firmensitz/Betriebsstäte: A-Straße 1 in B), Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (Tätigkeitsstätte: U, Entfernung zum Wohnhaus: 1,5 km, direkt neben dem Ausbildungsbetrieb des Sohnes) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin arbeitete als Aushilfe auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers. Für den Gartenbaubetrieb ermittelte der Kläger den Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG. Im Betrieb beschäftigte der Kläger 21 Arbeitnehmer bzw. Aushilfen. Ein Vorarbeiter im Betrieb des Klägers hatte einen eigenen Dienstwagen. Im Betriebsvermögen befanden sich darüber hinaus in den Streitjahren u. a. folgende PKW:

 

PKW

Kennzeichen

Nutzungszeitraum

Anschaffungskosten

PKW BMW X 3

Nr. 2

10.04.2014 – 19.02.2018

X €

PKW Ford Ranger

Nr. 1

ab dem 23.02.2015

X €

 

Der Kläger versteuerte die Privatnutzung des betrieblichen PKW PKW BMW X 3 mit der sog. 1%-Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Für den betrieblichen PKW FORD RANGER führte der Kläger kein Fahrtenbuch und nahm keine Versteuerung eines Privatanteils vor.

 

In den Streitjahren befanden sich folgende Fahrzeuge im Privatvermögen der Kläger:

 

PKW

Kennzeichen

Nutzungsdauer

Erstzulassung

VW Golf Cabrio

Nr. 3

27.01.2015 – 21.02.2018

00.00.2005

VW Polo

Nr. 4

bis zum 07.05.2015

00.00.1998

Ford Fiesta

Nr. 4

seit 04.02.2015

00.00.2003

 

Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an 195 Tagen mit einer einfachen Entfernung von 10 km, die mit dem PKW zurückgelegt worden seien. Für das Jahr 2016 erklärte der Kläger keine Werbungskosten zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. In beiden Streitjahren wurde der Werbungskostenpauschbetrag i. H. v. jeweils 1.000,00 € bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer in Abzug gebracht. Die Einkommensteuererklärungen wurden endgültig antragsgemäß veranlagt.

Der Beklagte führte für die Zeiträume Januar 2015 bis März 2018 eine Lohnsteueraußenprüfung durch, die mit Bericht vom 25.05.2018 endete. Darin traf die Prüferin die Feststellung, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine private Mitbenutzung des PKW Ford Ranger spreche und mangels Fahrtenbuchs die Privatnutzung mit der 1%-Regelung anzusetzen sei. Als maßgeblichen Bruttolistenpreis schätzte die Prüferin einen Betrag i. H. v. 50.000,00 €.

Der Beklagte änderte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) die Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2015 und 2016 mit Bescheiden vom 29.08.2018 und erhöhte den Gewinn aus Gewerbebetrieb des Jahres 2015 um 5.000,00 € (geschätzter Bruttolistenpreis 50.000,00 € x 1 % x 10 Monate) und den Gewinn des Jahres 2016 um 6.000,00 € (geschätzter Bruttolistenpreis 50.000,00 € x 1 % x 12 Monate).

In dem gegen die vorgenannten Änderungsbescheide geführten Einspruchsverfahren minderte der Beklagte nach erfolgtem Nachweis des unstreitigen Bruttolistenpreises für den . H. v. X € den Gewinn aus Gewerbebetrieb (2015: ./. X € und 2016: ./. X €) mit Änderungsbescheiden vom 24.10.2018, und wies den Einspruch im Übrigen mit Entscheidung vom 29.07.2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Privatnutzung des PKW Ford Ranger nicht ausgeschlossen sei. Das Fahrzeug könne seiner Bauart nach grundsätzlich privat genutzt werden. Die im Privatvermögen befindlichen PKW (Ford Fiesta und VW Golf Cabrio) seien in ihrem Gebrauchswert und Status nicht mit dem PKW Ford Ranger vergleichbar. Zudem hätte nicht allen Familienmitgliedern mit Führerschein jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden. Soweit seitens der Kläger vorgetragen worden sei, dass die Tochter während ihres Studiums in A gelebt habe und nur an den Wochenenden mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Hause gekommen sei, sei zu beachten, dass das Studium im April 2016 beendet worden sei, die Tochter sich in der Zeit von April 2016 bis August 2016 komplett im Haushalt der Kläger aufgehalten habe und ab August 2016 die Fahrten zur Ausbildungsstätte in R nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt habe. Aber auch während des Studiums habe nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur Verfügung gestanden, da sich die Tochter an den Wochenenden und in vorlesungsfreien Zeiten bei den Klägern aufgehalten habe. Im Übrigen widerspreche es der Lebenserfahrung, dass ein Familienmitglied auf eine (kurze) private Fahrt verzichte, wenn ein weiteres Fahrzeug (PKW Ford Ranger) zur Verfügung stehe. Ferner widerspreche es der Lebenserfahrung, dass sowohl der Kläger als auch der Sohn die Fahrten zur Arbeitsstätte bei Regen, Schnee oder Eis ausschließlich mit dem Fahrrad zurückgelegt hätten, wenn ein Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 Bezug genommen.

Die Kläger haben am 02.09.2019 Klage gegen die vorgenannte Entscheidung erhoben. Hinsichtlich der seitens des Beklagten umgesetzten umsatzsteuerlichen Behandlung des streitigen Sachverhaltes wird das noch anhängige Klageverfahren des Klägers unter dem Aktenzeichen 5 K 2679/19 U geführt.

Die Kläger führen zur Begründung ihrer Klage an, dass aufgrund des gestiegenen Auftragsumfangs Investitionen in Maschinen und Fahrzeuge notwendig geworden seien. So seien der PKW Ford Ranger, ein Radlader und eine mobile Raupenarbeitsbühne angeschafft worden. Teilweise würden weitere Maschinen von anderen Unternehmen angemietet. Der PKW Ford Ranger fungiere insoweit als Zugmaschine und müsse den Mitarbeiten arbeitstäglich permanent zur Verfügung stehen. Die Laufleistung des PKW Ford Ranger habe am 20.06.2018 in knapp dreieinhalb Jahren 31.000 km betragen, was einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung von 8.900 km entspreche. Für eine private Mitbenutzung bliebe so kein Raum. Der allgemeinen Lebenserfahrung sei hier schon widersprochen worden, da der PKW Ford Ranger den Mitarbeitern an den Werktagen zur Verfügung stehen müsse. Ferner sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Anscheinsbeweis der Privatnutzung widerlegt werden könne, wenn für private Fahrten andere Fahrzeuge zur Verfügung stünden, die mit dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar seien. Der betriebliche PKW BMW X 3 mit einem Bruttolistenpreis von X € sei das entsprechend wertigere Fahrzeug und habe dem Kläger permanent zur Verfügung gestanden. Dass der PKW Ford Ranger aufgrund seines Verschmutzungszustandes an den Wochenenden für Familienfahrten genutzt werde, sei lebensfremd. Der Kläger habe seine arbeitstäglichen Fahrten zur 2 km entfernten Arbeitsstätte mit dem Fahrrad bewältigt. Das gelte auch für den Sohn, dessen Ausbildungsstätte 1 km vom Wohnhaus entfernt sei. Bei extremen Wetterverhältnissen habe der PKW BMW X 3 zur Verfügung gestanden oder die Klägerin hätte den Kläger zur Arbeit gebracht. Da der Kläger hauptberuflich angestellt gewesen sei, mache auch dieser Umstand deutlich, dass insgesamt wenig Zeit vorhanden gewesen sei, um überhaupt Privatfahrten durchzuführen. Soweit der Beklagte anführe, dass teilweise lediglich ein PKW im Privatvermögen zur Verfügung gestanden habe, sei dem entgegen zu halten, dass der im Februar 2015 angeschaffte Ford Fiesta den VW Polo ersetzt habe, so dass neben dem PKW BMW X 3 immer zwei PKW für Privatfahrten der Familie zur Verfügung gestanden hätten. Den Nutzungsumfang des PKW BMW X 3 schätzte der Kläger auf Nachfrage auf ca. 60 % privat und 40 % betrieblich, möglicherweise auch im Verhältnis von50 % zu 50 %.

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2015 und 2016 vom 24.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Jahr 2015 um einen Betrag i. H. v. X € und für das Jahr 2016 um einen Betrag i. H. v. X € gemindert werden,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass nach einer Anfrage im zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes die Angaben abweichend von denen der Kläger seien: so habe es sich bei dem Fahrzeug mit den Kennzeichen Nr. 4 um einen VW Polo gehandelt (nicht um einen Ford Fiesta). Ferner sei dieses Fahrzeug am 07.05.2015 durch den Kläger abgemeldet worden. Die Abmeldung des VW Polo falle zeitlich mit der Anschaffung des PKW Ford Ranger zusammen, was ein starkes Indiz dafür darstelle, dass auch der PKW Ford Ranger tatsächlich für private Fahrten genutzt worden sei. Soweit die Kläger auf die gerichtliche Anfrage hin Bilder vom PKW Ford Ranger eingereicht hätten, sei dadurch bewiesen, dass es sich bei dem PKW Ford Ranger um ein Fahrzeug handele, dass mangels Umbauten typischerweise für den privaten Gebrauch geeignet sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 25.03.2022 Bezug genommen.

Der Senat hat in der Sitzung vom 16.08.2022 über die Klage mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet

A. Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Der Beklagte hat zu Unrecht in den Streitjahren eine private Nutzung des PKW Ford Ranger mit der 1%-Regelung bewertet und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb entsprechend erhöht.

Der Senat ist nicht von der Privatnutzung überzeugt

I. Der Senat konnte aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung gewinnen, dass der PKW Ford Ranger in den Streitjahren tatsächlich auch privat genutzt wurde.

Die private Nutzung eines Kfz ist zu versteuern

1. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs (Kfz), das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG kann die Privatnutzung abweichend von Satz 2 mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.

Fehlt es an der privaten Nutzung, kommt die Bewertungsregel des EStG nicht in Betracht

2. Die Bewertungsregel des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für den Ansatz der Privatnutzung eines Kfz kommt nach der Rechtsprechung nicht zum Tragen, wenn eine private Nutzung nicht stattgefunden hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls] und BFH-Urteil vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974). Das Finanzgericht muss sich deshalb grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anwenden will (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]).

Die allgemeine Lebenserfahrung spricht für die private Nutzung

a. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]; BFH-Beschluss vom 14.05.1999 - VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330). Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 34/07, BFHE 224, 108, BStBl II 2009, 381 [StB 2009, 59 Ls]). Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, ist aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteile vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]; vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974).

Der Beweis des ersten Anscheins kann durch den Gegenbeweis erschüttert werden

b. Der Beweis des ersten Anscheins kann nach der Rechtsprechung durch den sogenannten Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung des betrieblichen Kfz nicht stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573). Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]; BFH-Urteil vom 07.11.2006 - VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116 [BB 2006, 2789]; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573).

Die Behauptung, für private Fahrten stünden andere Fahrzeug zur Verfügung, reicht nicht aus

c. Der Anscheinsbeweis wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn lediglich behauptet wird, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573). Auch ein eingeschränktes privates Nutzungsverbot vermag den Anscheinsbeweis regelmäßig nicht zu entkräften.

Die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat den Anscheinsbeweis präzisiert

d. Durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung sind der Anscheinsbeweis, der für eine private Nutzung spricht, und die Umstände, die zu einer Erschütterung dieses Anscheinsbeweises führen können, präzisiert worden. Hiernach spricht die allgemeine Lebenserfahrung auch dann für eine private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs, wenn dem Steuerpflichtigen zwar für private Fahrten ein Fahrzeug zur Verfügung steht, aber dieses Fahrzeug dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert nicht vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.02.2020 – 9 K 104/19, EFG 2020, 930, FG Hamburg, Urteil vom 11.12.2019 – 2 K 10/19, juris). Denn bei einer Vergleichbarkeit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für private Fahrten das betriebliche Fahrzeug zu nutzen (vgl. BFH-Urteile vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974; vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]). Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises kommt jedoch insoweit nur dann in Betracht, wenn das private in Status und Gebrauchswert vergleichbare Fahrzeug dem Steuerpflichtigen ständig und uneingeschränkt zur Verfügung steht (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 20.03.2019 – 9 K 125/18, DStRE 2019, 1191; FG Münster, Urteile vom 11.05.2017 - 13 K 1940/15 E, G, EFG 2017, 1083 und 21.06.2017 - 7 K 3919/14 E, juris, alle rechtskräftig).

Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls

e. Über die Frage, ob der für eine Privatnutzung sprechende Beweis des ersten Anscheins erschüttert ist, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 [StB 2013, 57 Ls]).

Der Anscheinsbeweis ist erschüttert

3. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ist der für eine Privatnutzung des PKW Ford Ranger sprechende Beweis des ersten Anscheins in den Streitjahren unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung im Streitfall erschüttert worden. Es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine private Nutzung des PKW Ford Ranger tatsächlich stattgefunden hat und daher die private Nutzung des Kfz gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anzusetzen wäre.

Das Fahrzeug ist zur privaten Nutzung geeignet

a. Bei dem PKW Ford Ranger handelt es sich um ein Fahrzeug, das typischerweise auch zum privaten Gebrauch geeignet ist. Dies ist zu Recht zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Der Anscheinsbeweis der privaten Nutzung ist ausreichend entkräftet

b. Der Kläger hat den Anscheinsbeweis der privaten Nutzung jedoch ausreichend entkräftet. Nach der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass im vorliegenden konkreten Einzelfall die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens vorliegt.

Das Vorhandensein eines weiteren PKW reicht allein nicht aus

aa. Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises ergibt sich zwar nicht aufgrund des Vorhandenseins des PKW BMW X 3 als in Status und Gebrauchswert vergleichbarem PKW.

Das Fahrzeug muss ständig und uneingeschränkt für private Fahrten zur Verfügung stehen

(1) Die Kläger verkennen insoweit im Rahmen ihrer Argumentation, dass die Rechtsprechung für die Frage der Erschütterung des Anscheinsbeweises durch ein in Status und Gebrauchswert vergleichbares Kfz darauf abstellt, dass das vergleichbare Fahrzeug ständig und uneingeschränkt für private Fahrten zur Verfügung stehen muss. Der PKW BMW X 3 ist jedoch kein Fahrzeug des Privatvermögens, sondern ein betriebliches Fahrzeug, dass nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung stehen kann, da es auch für den Betrieb des Klägers eingesetzt wird.

Die Anwendung der 1 %-Regelung des weiteren Fahrzeugs reicht zur Erschütterung nicht aus

(2) Allein die Tatsache, dass die private Nutzungsmöglichkeit des PKW BMW X 3 steuerrechtlich mit der 1%-Regel bewertet wird, führt insoweit nicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises.

Der Senat ist von einem anderen Lebenssachverhalt überzeugt

bb. Der Anscheinsbeweis ist jedoch nach Überzeugung des Senates deswegen erschüttert, weil der Kläger insbesondere mit seiner glaubhaften und überzeugenden persönlichen Einlassung in der mündlichen Verhandlung einen Sachverhalt dargelegt hat, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens eröffnet.

Das Fahrzeug wurde schon aufgrund der Größe nicht privat genutzt

(1) Der Betrieb des Klägers und das Wohnhaus der Familie befinden sich unter der Adresse A-Straße 1 in B. Für den PKW Ford Ranger ergab sich daher zwar eine direkte und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit des Klägers und seiner Familie. Der Kläger hat jedoch für den Senat nachvollziehbar vorgetragen, dass seine Familie den PKW Ford Ranger bereits aufgrund dessen Größe nicht genutzt habe.

Das Fahrzeug diente als Zugmaschine

(2) Ferner hat der Kläger angeführt, dass der PKW Ford Ranger arbeitstäglich im Einsatz als Zugmaschine und als Fahrzeug für die Mitarbeiter zur Verfügung zu stehen hatte. Zwar hat nach den Angaben des Klägers auch der PKW BMW X 3 eine Anhängerkupplung. Aber bereits aufgrund der erforderlichen Zugkraft für den Einsatz der übrigen für den Betrieb des Klägers erforderlichen Geräte (z.B. Raupenarbeitsbühne o.ä.) wäre die Zugkraft des PKW BMW X 3 für den Einsatz nicht ausreichend gewesen.

Die gewerbliche Tätigkeit wurde neben der nichtselbständigen Tätigkeit ausgeübt

(3) Darüber hinaus hat der Senat bei seiner Überzeugungsbildung berücksichtigt, dass der Kläger seine gewerbliche Tätigkeit nur neben seiner in Vollzeit ausgeübten nichtselbständigen Arbeit durchgeführt hat. Insoweit ist dieser Sachverhalt besonders gelagert, da der Kläger den PKW Ford Ranger nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst genutzt hat, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner nichtselbständigen Tätigkeit nachgegangen ist. Die Möglichkeit einer im Laufe eines Arbeitstages – wenn auch nur geringfügigen – zwischen mehreren betrieblichen Tätigkeiten vorgenommenen privaten Nutzung war somit im konkreten Einzelfall erheblich eingeschränkt.

Für die Bewältigung der Fahrten Wohnung Tätigkeitsstätte war kein PKW erforderlich

(4) Der Senat hat darüber hinaus bei seiner Entscheidungsfindung die besondere Tatsache einbezogen, dass sowohl für den Kläger als auch für die Klägerin in den Streitjahren kein PKW für die Bewältigung des Weges zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte erforderlich war. Der Kläger hat insoweit in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass im Jahr 2015 die Angaben von 10 Entfernungskilometern zur ersten Tätigkeitsstätte und die Zurücklegung dieses Weges per PKW fälschlicherweise Eingang in die Steuererklärung gefunden haben. In den Streitjahren war die arbeitstäglich aufgesuchte Arbeitsstätte des Klägers lediglich 1,5 km auf derselben Straße vom Wohnhaus des Klägers entfernt und – wie vom Kläger vorgetragen – unproblematisch per Fahrrad zu erreichen. Da die Klägerin auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers auf dem Grundstück der Kläger arbeitete, war auch für sie kein PKW zur Zurücklegung des Arbeitsweges erforderlich. Soweit der Kläger vorgetragen hat, bei extremen Wetterverhältnissen seinen Arbeitsweg mit dem PKW BMW X 3 zurückgelegt zu haben bzw., dass ihn die Klägerin zur Arbeitsstelle gebracht habe, ist dieser Geschehensablauf nachvollziehbar und schlüssig dargelegt und aufgrund der konkreten Umstände der Kläger möglich.

Für bestimmte Gelegenheiten wurde das Fahrzeug nicht genutzt

(5) Darüber hinaus hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung schlüssig vorgetragen, dass für bestimmte Gelegenheiten (bspw. Entsorgung von Grünschnitt und Transporte sperriger Gegenstände) statt des Einsatzes des PKW Ford Ranger im konkreten Fall andere Lösungen gefunden wurden (Entsorgung Grünschnitt über einen auf dem Grundstück der Kläger stehenden Container, Nutzung PKW BMW X 3 für Transporte bzw. geliehenen Bulli für den Umzug der Tochter).

Die Werbefolie konnte nicht jederzeit entfernt werden

(6) Des Weiteren hat der Kläger glaubhaft versichert, dass die Werbefolie nicht jederzeitig – für mögliche Privatnutzungen – entfernt werden könnte, ohne die Folie zu zerstören. Ferner hat der Kläger auch eine Erklärung für die im Verhältnis zurückhaltende Werbebeschriftung schlüssig vorgetragen.

Das weitere Fahrzeug wurde für die wesentlichen Privatfahrten genutzt

(7) Im Übrigen hat der Kläger vorgetragen, dass der PKW BMW X 3 im wesentlichen Umfang für Privatfahrten genutzt wurde. So konnte der Kläger zwar nicht genau die Nutzungsanteile beziffern. Er hat aber mit der Angabe 60 % Privatnutzung oder jeweils hälftige Privat- bzw. betriebliche Nutzung klar zum Ausdruck gebracht, dass der PKW BMW X 3 zum mindestens hälftigen wenn nicht überwiegenden Teil privat genutzt wurde und somit den Klägern für privat zu erledigenden Fahrten in den Streitjahren in großem Umfang zur Verfügung gestanden hat. Ferner hat der Kläger schlüssig erklärt, dass – obwohl es sich bei den VW Golf Cabrio, VW Polo bzw. Ford Fiesta wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt um die hauptsächlich den Kindern E 4 und E 3 überlassenen PKWs handelt – ihm diese Fahrzeuge bei Bedarf zur Verfügung standen, da er für sämtliche Kosten aufkomme und die Abrede in der Familie bestehe, dass er die PKWs nutzen könne.

Der Beklagte trägt keine weiteren Umstände zur Privatnutzung vor

c. Schließlich hat der Beklagte keine Umstände vorgetragen, die eine tatsächliche private Nutzung des PKW Ford Ranger durch die Kläger oder deren Kinder als Vollbeweis belegen. Der Vortrag des Beklagten zielt auf die Feststellung, dass der Anscheinsbeweis nicht erschüttert sei.

Die Neuberechung der Einkommensteuer obliegt dem Beklagten

II. Die Neuberechnung der Einkommensteuer für die Jahre 2015 und 2016 nach Durchführung der streitgegenständlichen Änderungen wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 135 Abs. 1 FGO

B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf der ZPO

C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist zugelassen

D. Der Senat hat die Revision zugelassen, da die konkrete Entscheidung zwar auf den Umständen des Einzelfalles beruht, mit der Revisionszulassung jedoch die Möglichkeit eröffnet werden soll, ggfs. höchstrichterlich zur Ausschärfung bestimmter Kriterien zur Erschütterung des Beweises des ersten Anscheins der privaten PKW-Nutzung eines im Betriebsvermögen befindlichen PKW jenseits der in der Rechtsprechung bereits bekannten Fallgruppen beizutragen.

 

 

 

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