EuGH: Niederlassungsfreiheit – Impresa Pizzarotti (Avantage anormal consenti a une societe non-residente)
EuGH, Urteil vom 8.10.2020 – C‑558/19, Impresa Pizzarotti & C SPA Italia Sucursala Cluj gegen Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală de Administrare a Marilor Contribuabili
ECLI:EU:C:2020:806
Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2021-927-1
Tenor
Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er grundsätzlich einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der eine Mittelübertragung von einer gebietsansässigen Zweigniederlassung zugunsten ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft als „einnahmeerzeugender Umsatz“ eingestuft werden kann, mit der Folge, dass die Verrechnungspreisregelungen verpflichtend anzuwenden sind, wohingegen, wenn der gleiche Umsatz zwischen einer Zweigniederlassung und einer Muttergesellschaft mit Sitz in demselben Mitgliedstaat stattgefunden hätte, er nicht in dieser Weise eingestuft worden wäre und die Verrechnungspreisregelungen nicht angewendet worden wären.
AEUV Art. 49, Art 63
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 63 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Impresa Pizzarotti & C SPA Italia Sucursala Cluj (im Folgenden: Impresa Pizzarotti) und der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcția Generală de Administrare a Marilor Contribuabili (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für Großsteuerzahler, Rumänien, im Folgenden: Steuerbehörde) wegen Anfechtung eines von dieser Behörde erlassenen Steuerverwaltungsakts sowie eines auf der Grundlage dieses Verwaltungsakts erlassenen Steuerbescheids.
Nationales Recht
3 Art. 7 der Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) vom 22. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Steuergesetzbuch) bestimmt:
„Im Sinne dieses Gesetzbuchs mit Ausnahme von Titel VI haben die nachstehenden Begriffe und Ausdrücke folgende Bedeutung:
…
20. ‚Person‘: jede natürliche oder juristische Person;
21. ‚verbundene Personen‘: eine Person ist mit einer anderen Person verbunden, wenn auf die Beziehung zwischen ihnen wenigstens einer der folgenden Fälle zutrifft:
…
c)eine juristische Person ist mit einer anderen juristischen Person verbunden, wenn zumindest:
i) die erste juristische Person direkt oder indirekt, einschließlich der Beteiligungen verbundener Personen, wenigstens 25 % des Wertes/der Zahl der Anteile am Kapital oder der Stimmrechte der anderen juristischen Person hält oder wenn sie die andere juristische Person kontrolliert;
ii) die zweite juristische Person direkt oder indirekt, einschließlich der Beteiligungen verbundener Personen, wenigstens 25 % des Wertes/der Zahl der Anteile am Kapital oder der Stimmrechte der ersten juristischen Person hält;
iii) eine dritte juristische Person direkt oder indirekt, einschließlich der Beteiligungen verbundener Personen, wenigstens 25 % des Wertes/der Zahl der Anteile am Kapital oder der Stimmrechte sowohl der ersten als auch der zweiten juristischen Person hält;
…
32. ‚Übertragung‘: jeder Verkauf, jede Abtretung oder Veräußerung des Eigentumsrechts, der Austausch eines Eigentumsrechts gegen Dienstleistungen oder gegen ein anderes Eigentumsrecht sowie die Übertragung von Treuhandvermögen im Rahmen eines Treuhandgeschäfts im Sinne des Zivilgesetzbuchs.“
4 Art. 11 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs sieht vor:
„Im Rahmen eines Umsatzes zwischen rumänischen Personen und nicht in Rumänien ansässigen verbundenen Personen sowie zwischen verbundenen rumänischen Personen können die Steuerbehörden den Betrag der Einnahmen oder Ausgaben jeder dieser Personen gegebenenfalls an den Marktpreis der im Rahmen des Umsatzes gelieferten Waren oder Dienstleistungen anpassen. Bei der Ermittlung des Marktpreises von Umsätzen zwischen verbundenen Personen ist die am besten geeignete der folgenden Methoden anzuwenden: …“
5 Art. 29 Abs. 3 des Steuergesetzbuchs lautet:
„Der steuerpflichtige Gewinn einer Betriebsstätte wird bestimmt, indem sie als eigenständige Person behandelt wird und bei der Ermittlung des Marktpreises einer Übertragung zwischen einer ausländischen juristischen Person und ihrer Betriebsstätte Verrechnungspreisregelungen angewandt werden. Liegt der Betriebsstätte keine Rechnung über die ihr von ihrem Hauptsitz in Rechnung gestellten Kosten vor, müssen die übrigen Belege den Nachweis erbringen, dass die Kosten tatsächlich getragen und der Betriebsstätte gemäß den Verrechnungspreisregelungen in angemessener Weise zugewiesen wurden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
6 Impresa Pizzarotti ist die rumänische Zweigniederlassung der SC Impresa Pizzarotti & C SPA Italia (im Folgenden: Pizzarotti Italia) mit Sitz in Italien.
7 Die Prüfabteilung der Steuerbehörde führte vom 29. Juli 2016 bis zum 11. September 2017 bei Impresa Pizzarotti in ihrer Eigenschaft als Körperschaftsteuerpflichtige Prüfungen durch, bei denen festgestellt wurde, dass diese Zweigniederlassung als Darlehensgeberin zwei Darlehensverträge mit ihrer Muttergesellschaft, Pizzarotti Italia, geschlossen hatte, einen Vertrag vom 6. Februar 2012 über ein Darlehen in Höhe von 11 400 000 Euro und einen Vertrag vom 9. März 2012 über ein Darlehen in Höhe von 2 300 000 Euro.
8 Nach der Vorlageentscheidung wurden diese Beträge zunächst als Darlehen für die Dauer von einem Jahr, die durch eine Zusatzvereinbarung verlängert werden konnte, gewährt; die Darlehensverträge enthielten keine Klausel über die Erhebung von Zinsen durch Impresa Pizzarotti, und obschon sich der zurückzuzahlende Betrag am 1. Januar 2013 noch auf 11 250 000 Euro belief, waren die beiden Darlehen am 9. April 2014 vollständig zurückgezahlt.
9 Unter Berücksichtigung von Art. 11 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs, wonach zwischen rumänischen Personen und gebietsfremden verbundenen Personen getätigte Umsätze den Verrechnungspreisregelungen unterliegen, und Art. 29 Abs. 3 des Steuergesetzbuchs, wonach der Begriff „rumänische Personen“ eine Zweigniederlassung erfasst, die die Betriebsstätte einer gebietsfremden Person ist, befand die Steuerbehörde daher, dass Impresa Pizzarotti, die im Ausgangsverfahren klagende Gesellschaft, als eine mit Pizzarotti Italia verbundene Person anzusehen sei und dass der Zinssatz für diese Darlehen gemäß den Verrechnungspreisregelungen zum Marktpreis hätte festgesetzt werden müssen, so als ob sie unter normalen Wettbewerbsbedingungen gewährt worden seien.
10 Folglich erließ die Steuerbehörde am 20. September 2017 auf der Grundlage eines Steuerprüfberichts vom selben Tag einen Steuerbescheid, mit dem zulasten von Impresa Pizzarotti eine zusätzliche Steuer in Höhe von 297 141,92 rumänischen Leu (RON) (ca. 72 400 Euro) und eine Erhöhung der Steuerbemessungsgrundlage in Höhe von 1 857 137 RON (ca. 452 595 Euro) festgesetzt wurde.
11 Mit Bescheid vom 23. November 2017 wies die Steuerbehörde den Einspruch von Impresa Pizzarotti gegen diesen Steuerbescheid als unbegründet zurück.
12 Diese befasste daraufhin das Tribunalul Cluj (Landgericht Cluj, Rumänien) mit einer Klage auf Aufhebung des Bescheids vom 23. November 2017 und des Steuerbescheids vom 20. September 2017.
13 Im Rahmen des Ausgangsverfahrens macht Impresa Pizzarotti im Wesentlichen geltend, dass die von der Steuerbehörde angeführten Rechtsvorschriften gegen die Art. 49 und 63 AEUV verstießen, soweit sie vorsähen, dass Übertragungen von Geldmitteln zwischen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Zweigniederlassung und ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft Umsätze darstellten, die den Verrechnungspreisregelungen unterliegen könnten, wohingegen diese Regelungen nicht anwendbar seien, wenn die Zweigniederlassung und ihre Muttergesellschaft in demselben Staat ansässig seien.
14 Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Cluj (Landgericht Cluj) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stehen die Art. 49 und 63 AEUV einer nationalen Regelung wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden (Art. 11 Abs. 2, Art. 29 Abs. 3 des Steuergesetzbuchs) entgegen, nach der es möglich ist, eine Banküberweisung in Geld einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Zweigniederlassung an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft in einen „einnahmeerzeugenden Umsatz“ umzudeuten, mit der Folge, dass die Verrechnungspreisregelungen verpflichtend anzuwenden sind, während, wenn der gleiche Umsatz zwischen einer Zweigniederlassung und einer Muttergesellschaft mit Sitz in demselben Mitgliedstaat stattgefunden hätte, dieser Umsatz nicht in gleicher Weise hätte umgedeutet werden können und die Verrechnungspreisregelungen nicht angewendet worden wären?
Zur Vorlagefrage
Mittelübertragung als „einnahmeerzeugender Umsatz“
15 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 63 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der eine Mittelübertragung von einer gebietsansässigen Zweigniederlassung zugunsten ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft als „einnahmeerzeugender Umsatz“ eingestuft werden kann, mit der Folge, dass die Verrechnungspreisregelungen verpflichtend anzuwenden sind, wohingegen, wenn der gleiche Umsatz zwischen einer Zweigniederlassung und einer Muttergesellschaft mit Sitz in demselben Mitgliedstaat stattgefunden hätte, er nicht in dieser Weise eingestuft worden wäre und die Verrechnungspreisregelungen nicht angewendet worden wären.
Dienstleistungen werden zu einem unterbewerteten Preis erbracht, um steuerpflichtige Einünfte zu verringern
16 Hierzu ist den dem Gerichtshof vorliegenden Akten zu entnehmen, dass das Steuergesetzbuch Vorschriften zur Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage enthält, die den „Übertragungspreis“ betreffen und verhindern sollen, dass gebietsansässige Gesellschaften Gegenstände oder Dienstleistungen zu einem unterbewerteten Preis liefern bzw. erbringen und damit ihre in Rumänien steuerpflichtigen Einkünfte verringern.
Die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit sind zu beachten
17 Da sich das vorlegende Gericht in der vorgelegten Frage sowohl auf die Niederlassungsfreiheit als auch auf den freien Kapitalverkehr bezieht, die bzw. der in den Art. 49 und 63 AEUV verankert sind, ist vorab daran zu erinnern, dass der Umstand, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige natürliche oder juristische Person eine Betriebsstätte – wie eine Zweigniederlassung – einrichtet und vollständig hält, in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 15, und vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 35).
Die Mittelübertragung erfolgt zwischen zwei Mitgliedstaaten
18 Im vorliegenden Fall betrifft das Ausgangsverfahren die Auswirkung der nationalen Regelung auf die steuerliche Behandlung einer Mittelübertragung zwischen einer in Rumänien ansässigen Gesellschaft und ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft.
Die Kapitalverkehrsfreiheit ist nicht betroffen
19 Soweit die im Ausgangsverfahren fragliche Steuerregelung beschränkende Wirkungen auf den freien Kapitalverkehr haben sollte, wären solche Wirkungen eine zwangsläufige Folge einer eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigen keine Prüfung dieser Steuerregelung anhand von Art. 63 AEUV (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Prüfungsmaßstab ist allein die Niederlassungsfreiheit
20 Unter diesen Umständen ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung allein anhand der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit des AEU-Vertrags zu prüfen.
Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet die Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur
21 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsbürgern gewährt, gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden ist, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur auszuüben (Urteile vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 20, und vom 21. Dezember 2016, Masco Denmark und Damixa, C‑593/14, EU:C:2016:984, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Niederlassungsfreiheit erstreckt sich auch auf die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften
22 Die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit erstreckt sich auch auf Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 21).
Der Sitz einer Gesellschaft und die Staatsangehörigkeit dienen der Feststellung der Zugehörigkeit zu einer Rechtsordnung
23 Außerdem dient bei Gesellschaften ihr Sitz im Sinne des Art. 54 AEUV ebenso wie bei natürlichen Personen die Staatsangehörigkeit dazu, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats zu bestimmen. Es zuzulassen, dass der Mitgliedstaat, in dem die gebietsansässige Zweigniederlassung niedergelassen ist, diese Zweigniederlassung ohne Weiteres allein deshalb steuerlich unterschiedlich behandeln könnte, weil der Sitz ihrer Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, ließe den Inhalt des Art. 49 AEUV leerlaufen. Mit der Niederlassungsfreiheit soll somit die Inländerbehandlung der Zweigniederlassung im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werden, indem jede noch so geringfügige Diskriminierung verboten ist, die auf den Ort des Sitzes der Gesellschaften abstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außergewöhnliche oder unentgeltliche Vorteile, die eine gebietsansässige Gesellschaft einer mit ihr verflochtenen Gesellschaft gewährt, den eigenen Gewinnen der erstgenannten Gesellschaft nur dann hinzugerechnet werden, wenn die empfangende Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist
24 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass außergewöhnliche oder unentgeltliche Vorteile, die eine gebietsansässige Gesellschaft einer mit ihr verflochtenen Gesellschaft gewährt, den eigenen Gewinnen der erstgenannten Gesellschaft nur dann hinzugerechnet werden, wenn die empfangende Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2010, SGI, C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 42 bis 45).
Sind Zweigniederlassung und Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat ansässig, werden die Einkünfte nicht berichtigt
25 Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, behandelt im vorliegenden Fall das Steuergesetzbuch Zweigniederlassungen nur dann wie eigenständige Personen, wenn sie eine Betriebsstätte einer gebietsfremden juristischen Person sind, mit der Folge, dass die Einkünfte einer Zweigniederlassung nach den Verrechnungspreisregelungen nur berichtigt werden, wenn die Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Sind dagegen die Zweigniederlassung und die Muttergesellschaft in Rumänien ansässig, erfolgt keine Berichtigung der Einkünfte.
Inländische und ausländische Zweigniederlassungen werden unterschiedlich behandelt
26 Somit erfährt eine Zweigniederlassung einer gebietsfremden Gesellschaft wie Impresa Pizzarotti eine steuerlich ungünstigere Behandlung als jene, die die Zweigniederlassung einer gebietsansässigen Gesellschaft, die ähnliche Geschäfte mit ihrer Muttergesellschaft tätigt, erfahren würde.
Die Niederlassungsfreiheit kann beeinträchtigt sein
27 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass eine derartige unterschiedliche steuerliche Behandlung von Zweigniederlassungen nach dem Ort des Sitzes ihrer Muttergesellschaften, mit denen Geschäfte unter nicht fremdüblichen Bedingungen getätigt wurden, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV darstellen kann. Die Muttergesellschaft könnte sich nämlich dazu veranlasst sehen, von dem Erwerb, der Gründung oder der Aufrechterhaltung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer eigenen Niederlassung aufgrund der steuerlichen Belastung abzusehen, die in einer grenzüberschreitenden Situation mit der Gewährung von nicht fremdüblichen Bedingungen verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2018, Hornbach-Baumarkt, C‑382/16, EU:C:2018:366, Rn. 35).
Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nur zulässig, soweit die Situationen objektiv nicht miteinander verlgeichbar sind
28 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine steuerliche Maßnahme, die geeignet ist, die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit zu beschränken, nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch vom Unionsrecht anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 31. Mai 2018, Hornbach-Baumarkt, C‑382/16, EU:C:2018:366, Rn. 36).
Die vorgesehenen Verrechnungspreisregelungen mindern die Steuerbemessungsgrundlage
29 Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die im Steuergesetzbuch vorgesehenen Verrechnungspreisregelungen verhindern sollen, dass die Steuerbemessungsgrundlage im Sitzstaat der Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft durch Umsätze, die diese Betriebsstätte mit ihrer Muttergesellschaft tätigt und die nicht den Marktbedingungen entsprechen, gemindert wird.
Die Ungleichbehandlung ist dann gerechtfertigt, wenn die in Rede stehende Regelung Verhaltensweisen verhindern soll, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden
30 Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, eine Ungleichbehandlung dann rechtfertigen kann, wenn mit der untersuchten Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (Urteil vom 31. Mai 2018, Hornbach-Baumarkt, C‑382/16, EU:C:2018:366, Rn. 43).
Die Rechtfertigung ergibt sich hier durch die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten
31 Im vorliegenden Fall haben die Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben – mit Ausnahme von Impresa Pizzarotti – die Auffassung vertreten, dass die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden rumänischen Rechtsvorschriften bewirken, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, was, wie der vorherigen Randnummer zu entnehmen ist, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist.
Das System der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten kann beeinträchtigt sein
32 Festzustellen ist jedoch, dass es zu einer Gefährdung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten kommen könnte, wenn den Zweigstellen gebietsfremder Gesellschaften erlaubt würde, ihre Gewinne in Form von außergewöhnlichen oder unentgeltlichen Vorteilen auf ihre Muttergesellschaften zu übertragen. Dies könnte das System der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, da der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung, die außergewöhnliche oder unentgeltliche Vorteile gewährt, gezwungen wäre, auf sein Recht als Sitzstaat dieser Gesellschaft zur Besteuerung ihrer Einkünfte – eventuell zugunsten des Sitzmitgliedstaats der empfangenden Muttergesellschaft – zu verzichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2010, SGI, C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 63).
Das Geschäft unter Marktbedingungen bleibt der Maßstab
33 Indem die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung die Besteuerung der Betriebsstätte in Höhe des angenommenen Entgelts für den der Muttergesellschaft ohne Gegenleistung gewährten Vorteil vorsieht, um den Betrag zu berücksichtigen, den diese Betriebsstätte als Teil ihrer Gewinne hätte angeben müssen, wäre das Geschäft unter Marktbedingungen abgeschlossen worden, ermöglicht die Regelung Rumänien die Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten.
Gewinne aus Geschäften die nicht Marktbedigungen entsprechen sollen nicht unversteuert dem Steuerhoheitsgebiet eines Staates entzogen werden
34 Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die verhindern soll, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat erzielte Gewinne über Geschäfte, die nicht den Marktbedingungen entsprechend, unversteuert aus dem Steuerhoheitsgebiet dieses Staates hinaus transferiert werden, ist daher geeignet, die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungszuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen.
Die Regelung muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen
35 Unter diesen Umständen ist schließlich zu prüfen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.
Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieser Geschäfte sind beibringbar
36 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nicht davon auszugehen ist, dass eine nationale Regelung, die eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsieht, um festzustellen, ob ein Geschäft eine rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken darstellt, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ziele hinsichtlich der Notwendigkeit, die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, und der Notwendigkeit, Steuerumgehungen zu verhindern, zu erreichen, wenn erstens in jedem Fall, in dem der Verdacht besteht, dass ein Geschäft über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs vereinbart hätten, dem Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, die Möglichkeit eingeräumt wird, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen. Zweitens muss sich, wenn die Prüfung solcher Umstände zu dem Ergebnis führt, dass das fragliche Geschäft über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs vereinbart hätten, die steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränken, der über das hinausgeht, was ohne die gegenseitige Verflechtung dieser Gesellschaften vereinbart worden wäre (Urteil vom 21. Januar 2010, SGI, C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 71 und 72).
Der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit objektive Gründe für den niedrigeren Marktpreis nachzuweisen
37 Im vorliegenden Fall scheint sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten zu ergeben, dass nach den im Ausgangsverfahren anwendbaren Steuervorschriften die Anpassung der steuerpflichtigen Einkünfte, die Art. 29 Abs. 3 des Steuergesetzbuchs vorschreibt, nur die Differenz zwischen dem Marktpreis des fraglichen Geschäfts – der unter uneingeschränkten Wettbewerbsbedingungen nicht gegolten hätte – und dem von den Beteiligten angewandten Preis betrifft. Der Steuerpflichtige hat auch jederzeit die Möglichkeit, nachzuweisen, dass es objektive Gründe dafür gab, das Geschäft zu einem nicht den Marktpreis widerspiegelnden Preis abzuschließen.
Die Regelung geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung der ihr zugrunde liegenden Ziele erforderlich ist
38 Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht geht die in Rede stehende rumänische Regelung daher offenbar nicht über das hinaus, was zur Erreichung der ihr zugrunde liegenden Ziele erforderlich ist.
Die Einordnung der Mittelübertragung als „einnahmeerzeugender Umsatz“ ist nicht zu beanstanden
39 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er grundsätzlich einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der eine Mittelübertragung von einer gebietsansässigen Zweigniederlassung zugunsten ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft als „einnahmeerzeugender Umsatz“ eingestuft werden kann, mit der Folge, dass die Verrechnungspreisregelungen verpflichtend anzuwenden sind, wohingegen, wenn der gleiche Umsatz zwischen einer Zweigniederlassung und einer Muttergesellschaft mit Sitz in demselben Mitgliedstaat stattgefunden hätte, er nicht in dieser Weise eingestuft worden wäre und die Verrechnungspreisregelungen nicht angewendet worden wären.
Kosten
Da das Verfahren ein Zwischenstreit ist, trifft das Gericht die Kostenentscheidung
40 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.