: Nachweis der Höhe der nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte
BFH, Urteil vom 8.9.2010 - I R 80/09
Leitsätze
Die nach § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 zum Nachweis der Höhe der nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte erforderliche Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde ist auch dann vorzulegen, wenn der Steuerpflichtige angibt, keine derartigen Einkünfte erzielt zu haben (sog. Nullbescheinigung) .
Sachverhalt
I. Streitpunkt ist, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden können.
Die Kläger sind Eheleute mit Wohnsitz in L/Frankreich. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hatte im Streitjahr (2002) einen weiteren Wohnsitz in Deutschland. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Inland sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Klägerin erzielte nach ihren Angaben im Streitjahr keine Einkünfte.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer gegenüber dem Kläger auf der Grundlage seines zu versteuernden Einkommens für das Streitjahr nach der Grundtabelle fest. Die im Einspruchsverfahren vom Kläger beantragte Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1, § 26b i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) lehnte das FA mit der Begründung ab, die Zusammenveranlagung nach diesen Vorschriften setze die Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen ausländischen (französischen) Steuerbehörde über die Höhe der von den Klägern erzielten, nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte voraus, an der es hier fehle. Die zurückweisende Einspruchsentscheidung erließ das FA gegenüber beiden Klägern.
Im Klageverfahren reichten die Kläger die beglaubigte Übersetzung einer vom 16.7.2008 datierenden Bescheinigung des französischen Finanzministeriums mit folgendem Wortlaut ein:
„Die Unterzeichnete, Verantwortliche der Steuerbehörde, bescheinigt hiermit, dass Herr oder Frau (Nach- und Vorname des Klägers), wohnhaft (L), seit dem Jahre 2004 ihre Einkünfte in Frankreich versteuern. Seit dem 1.1.2005 ist die Adresse ihres Hauptwohnsitzes: (Adresse in L). Gemäß § L 169 des Einkommensteuergesetzes dürfen die Einkommen der vorhergehenden Jahre nicht mehr versteuert werden. Paragraph L 169 bestimmt, dass die Steuerbehörde Einkommensteuern und Körperschaftsteuern rückwirkend nur bis zum Ende des dritten Vorjahres versteuern darf."
Die vom Kläger erhobene Klage hatte Erfolg; das Hessische Finanzgericht (FG) hat den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung mit Urteil vom 24.8.2009 - 13 K 2032/08 aufgehoben und das FA verpflichtet, die Kläger zur Einkommensteuer zusammen zu veranlagen und die Einkommensteuer unter Anwendung der Splittingtabelle festzusetzen. Der Klage der Klägerin hat das FG insoweit stattgegeben, als sie die Aufhebung der auch an diese gerichteten Einspruchsentscheidung betraf. Soweit sie auf Aufhebung auch des Einkommensteuerbescheids gerichtet war, hat das FG die Klage der Klägerin als unzulässig abgewiesen.
Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen (sinngemäß), die Revision des FA zurückzuweisen.
Während des Revisionsverfahrens ist das BMF dem Rechtsstreit beigetreten. Es unterstützt in der Sache die Position des FA, hat aber keinen Antrag gestellt.
Aus den Gründen
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II. Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der FGO zu verwerfen, soweit die Klage der Klägerin betroffen ist. Im Hinblick auf die Klage des Klägers ist die Revision begründet und führt sie gemäß § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Klageabweisung.
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1. In Bezug auf die Klage der Klägerin ist die Revision unzulässig.
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a) Die Revision des FA richtet sich auch gegen die Entscheidung des FG über die Klage der Klägerin. Das ergibt sich aus Revisionsschrift und Revisionsbegründungschrift des FA, in denen ausdrücklich auch die Klägerin als Revisionsbeklagte bezeichnet wird. Auch der Revisionsantrag des FA lässt keine Beschränkung des Rechtsmittels auf die vom Kläger erhobene Klage erkennen.
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b) Die gegen die Entscheidungen des FG zur Klage der Klägerin gerichtete Revision ist unzulässig, weil sie in diesem Punkt entgegen § 120 Abs. 2 FGO nicht begründet worden ist. Soweit das FG die Klage der Klägerin abgewiesen hat, ist das FA überdies durch das angefochtene Urteil nicht beschwert.
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2. Hinsichtlich der Klage des Klägers ist die Revision zulässig und begründet. Das FG hat die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26, § 26b i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 zu Unrecht bejaht.
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a) Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 26b) EStG 2002 zusammen veranlagt werden, wenn nur einer von ihnen die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 oder der „fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht" nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 erfüllt. Voraussetzung ist zum einen, dass der unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatte Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist und der andere Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im EU/EWR-Ausland hat. Zum anderen sind die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG 2002 zu beachten. Hierbei ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der nach der bis zum Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (BGBl. I 2007, 3150) geltenden Gesetzesfassung maßgebliche Betrag von 6 136 EUR zu verdoppeln (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG 2002).
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Eine Zusammenveranlagung ist danach nur dann möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90 v.H. der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 12 272 EUR nicht übersteigen (sog. absolute Wesentlichkeitsgrenze). Die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte muss zudem gemäß § 1a Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 (in der Gesetzesfassung nach dem Jahressteuergesetz 2008: § 1 Abs. 3 S. 5 EStG 2002/2009) durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen werden. An dem letztgenannten Erfordernis fehlt es im Streitfall.
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b) Wie das FG im Ansatz zutreffend erkannt hat, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 („Weitere Voraussetzung ist ..."), dass es sich bei dem Erfordernis der Vorlage einer Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde um eine materielle Tatbestandsvoraussetzung und nicht um ein bloßes Beweismittel handelt (ebenso FG Brandenburg, Urteil vom 17.8.2005 - 4 K 1467/01, EFG 2005, 1706; Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.2.2007 - 2 K 381/05, EFG 2007, 1442; Ebling in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 1 EStG Rz 299; Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 1 Rn 23; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 1 Rz D 151; Herlinghaus, EFG 2007, 1443; a.A. --aufgrund gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung-- Hahn, jurisPR-SteuerR 3/2006 Anm. 1).
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c) Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 1 Rn D 152; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, § 1 EStG Rz 285; Herlinghaus, EFG 2007, 1443, 1444) ist die Bescheinigung auch dann beizubringen, wenn die Ehegatten gegenüber dem FA erklären, keine nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte erzielt zu haben (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 2007, 1442). Denn auch durch die Bezifferung mit Null wird eine bestimmte Höhe der betreffenden Einkünfte beschrieben.
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aa) Für die Pflicht zur Vorlage auch einer sog. „Nullbescheinigung" spricht insbesondere, dass nach dem Gesetzeszweck die Vorlage der Bescheinigung gemäß § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 nicht allein der Erleichterung der Berechnung der Einkünfte, sondern auch der Verhinderung der Inanspruchnahme ungerechtfertigter Steuervorteile dienen soll (vgl. erste Beschlussempfehlung und erster Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 1996, BTDrs 13/1558, 150). Um die Angaben der Steuerpflichtigen auf ihre Plausibilität zu überprüfen, ist eine Bescheinigung der zuständigen Behörde des Ansässigkeitsstaats über die nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte bei behaupteten Nulleinkünften in gleichem Maße dienlich wie bei Behauptung jedes anderen, unterhalb des Grenzbetrages liegenden Einkunftsbetrages.
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bb) Soweit gegen die Pflicht zur Vorlage von „Nullbescheinigungen" eingewendet wird, die ausländischen Steuerbehörden stellten solche grundsätzlich nicht aus (Herlinghaus, EFG 2007, 1443, 1444), besteht aus der Sicht des Senats kein Anhalt dafür, dass dies generell für alle ausländischen Finanzbehörden zutrifft. So haben die Kläger nach den Feststellungen des FG für die Jahre 2004 und 2005 Bescheinigungen der französischen Steuerbehörden vorgelegt, die keine Einkünfte ausgewiesen haben, die im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterlegen haben. Es besteht deshalb kein Grund zu der Annahme, die Vorlage einer „Nullbescheinigung" für das Streitjahr sei nur deshalb unterblieben, weil die französischen Behörden solche Bescheinigungen grundsätzlich nicht ausstellten.
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Soweit ausländische Finanzbehörden Bescheinigungen nach §"1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 nicht ausstellen, lässt die deutsche Finanzverwaltung im Übrigen für Nicht-EU/EWR-Mitgliedstaaten die Vorlage einer Bescheinigung einer deutschen Auslandsvertretung ausreichen, in der dies bestätigt wird (BMF-Schreiben vom 30.12.1996, BStBl. I 1996, 1506, Tz. 1). Diese Billigkeitsregelung könnte ggf. auch auf den Fall, dass ein EU/EWR-Mitgliedstaat die Ausstellung von „Nullbescheinigungen" verweigern sollte, übertragen werden.
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cc) Keiner Entscheidung bedarf im Streitfall, ob die Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 entbehrlich ist, wenn zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Steuerpflichtigen nur im Inland, nicht dagegen im Ansässigkeitsstaat Einkünfte erzielt haben (so Urteil des FG Brandenburg in EFG 2005, 1706). Denn das FA hat die entsprechende Behauptung der Kläger --anders als das FA im Fall des FG Brandenburg-- nicht unstreitig gestellt.
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d) Das Schreiben des französischen Finanzministeriums vom 16.7.2008 kann nicht als Bescheinigung i.S. von § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 angesehen werden.
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aa) Das ergibt sich allerdings --entgegen der Auffassung von FA und BMF-- nicht bereits aus dem Umstand, dass die Erklärung vom 16.7.2008 nicht unter Verwendung des Vordrucks EU/EWR der deutschen Finanzverwaltung abgegeben worden ist. Denn die Verwendung eines bestimmten Vordrucks für die Bescheinigung wird von § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 nicht vorgeschrieben (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 2007, 1442; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 1 EStG Rz 285). Dem vom FA in Bezug genommenen BMF-Schreiben in BStBl. I 1996, Tz. 1, in dem es heißt, die Bescheinigung sei „auf amtlichen Vordrucken zu erteilen", kommt als Verwaltungsanweisung keine Gesetzeskraft zu, so dass daraus eine Rechtspflicht zur Verwendung des Vordrucks nicht abgeleitet werden kann. Da es sich bei der Vorlage der Bescheinigung --auch nach Auffassung der Finanzverwaltung-- um ein materielles Tatbestandserfordernis handelt, sind auch weder die Ermächtigungsgrundlage des § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. c EStG 2002 noch die verfahrensrechtliche Pflicht des § 150 Abs. 1 S. 1 der Abgabenordnung einschlägig. Die Vordruckverwendung als weitere materielle Tatbestandsvoraussetzung hätte vielmehr gesondert gesetzlich angeordnet werden müssen.
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bb) Jedoch enthält das Schreiben vom 16.7.2008 inhaltlich nicht die von § 1 Abs. 3 S. 4 EStG 2002 geforderten Angaben. Denn es besagt nichts über die Höhe der im Streitjahr von den Klägern erzielten Einkünfte. Selbst wenn man --wie es das FG ohne Weiteres getan hat--, unterstellt, dass mit der Bezeichnung "Herr oder Frau (Nach- und Vorname des Klägers)" beide Kläger gemeint sind, geht aus dem Schreiben lediglich hervor, dass die Kläger ihre Einkünfte seit dem Jahr 2004 in Frankreich versteuert haben und dass etwaige Einkünfte aus dem davor liegenden Zeitraum wegen Zeitablaufs jetzt nicht mehr besteuert werden dürften. Entgegen der Auffassung des FG lässt sich aus dem Umstand, dass für das Streitjahr in Frankreich offenbar keine Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer durchgeführt worden ist und dass etwaige Einkünfte des Streitjahres dort jetzt nicht mehr besteuert werden dürften, nicht darauf schließen, das von den Klägern im Streitjahr in Frankreich zu versteuernde Einkommen sei gleich Null.
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e) Das FG ist von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb im Hinblick auf die vom Kläger erhobene Klage aufzuheben; diese ist abzuweisen.