FG Düsseldorf: Nachträgliche Schuldzinsen bei VuV-Einkünften als Werbungskosten
FG Düsseldorf, Beschluss vom 30.05.2011 - 9 V 1474/11 A (F)
sachverhalt
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von nachträglichen Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Die Antragstellerin erwarb im Jahre 1995 eine Immobilie zu einem Gesamtkaufpreis von 4,8 Millionen Euro. Der Kaufpreis wurde über Darlehen finanziert, die in der Folgezeit zum Teil umgeschuldet und zum Teil an andere Darlehensgläubiger abgetreten wurden. Das Objekt wurde im Jahre 2007 zwangsversteigert mit einem Erlös von 770.000 €. Der Erlös wurde für die teilweise Tilgung der Darlehensverbindlichkeiten verwandt. Da der Erlös zur Tilgung der Darlehen nicht ausreichte, bestanden Darlehensverbindlichkeiten fort, auf welche die Antragstellerin in den Streitjahren Zinszahlungen leistete.
Die Antragstellerin machte diese Zinszahlungen, die sie nach der Zwangsversteigerung des Objektes geleistet hatte, als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für die Jahre 2007 bis 2009 geltend. Das Finanzamt erkannte in dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2007 diese Zinszahlungen nicht an und lehnte für die Jahre 2008 und 2009 den Erlass von Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der Antragstellerin ab. Die Antragstellerin legte gegen diese Bescheide Einsprüche ein und beantragte, deren Vollziehung auszusetzen. Der Antragsgegner lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab.
Die Antragstellerin hat hierauf einen Antrag an das Gericht gestellt. Sie verweist darauf, dass vor dem Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen IX R 67/10 ein Verfahren anhängig sei, das die Frage zum Gegenstand habe, ob Schuldzinsen nach Veräußerung einer Immobilie als Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung abgezogen werden können. Sie weist außerdem darauf hin, dass der BFH bereits mit Urteil vom 16.03.2010 unter dem Aktenzeichen VIII R 20/08 entschieden habe, dass bei Beteiligungseinkünften Zinsen auch in den Zeiträumen nach Veräußerung der Beteiligung als Werbungskosten abzuziehen sein können.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
1. den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2007 in der Weise von der Vollziehung auszusetzen, dass Zinsen in Höhe von 82.213 € vorläufig zusätzlich als Werbungskosten berücksichtigt werden.
2. die Ablehnungsbescheide betreffend den Erlass von Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2008 und 2009 dahingehend von der Vollziehung auszusetzen, dass vorläufig von als Werbungskosten zu berücksichtigenden Schuldzinsen in Höhe von 81.325 € in 2008 und 79.589 € in 2009 auszugehen ist.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen beziehungsweise die Ablehnung des Erlasses derartiger Bescheide entspreche der derzeitigen Rechtsprechung des BFH (Hinweis auf BFH-Urteil vom 12.11.1991, IX R 15/90, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1992, 289; BFH vom 16.09.1999, IX R 42/97, BStBl II 2001, 528). Es bestünden - so der Antragsgegner - demnach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide.
aus den gründen
I. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig.
Begehrt ein Kläger - wie im Streitfall die Antragstellerin für 2007 - die Feststellung höherer negativer Einkünfte als in einem Feststellungsbescheid festgestellt, so ist die Anfechtungsklage die zutreffende Klageart. Dementsprechend ist korrespondierendes Mittel vorläufigen Rechtsschutzes die Aussetzung der Vollziehung (vgl. BFH-Beschluss vom 10.07.1979, VIII B 84/78, BStBl II 1979, 567; BFH-Urteil vom 22.10.1980, I S 1/80, BStBl II 1981, 99; Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung -AO/FGO-, § 69 FGO Rz. 37, 40).
Bei einem negativen Feststellungsbescheid, mit dem es das Finanzamt abgelehnt hat, negative Einkünfte einheitlich festzustellen - wie der Antragsgegner für 2008 und 2009 -, ist, obwohl richtige Klageart die Verpflichtungsklage wäre, ebenfalls vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Im Tenor des Aussetzungsbeschlusses sind die vorläufig zu berücksichtigenden negativen Einkünfte aufzuführen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.04.1987, GrS 2/85, BStBl II 1987, 637; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz. 39).
II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist auch begründet.
Eine Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheides für 2007 und der Ablehnungsbescheide für 2008 und 2009 sind gegeben. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die nachträglichen Zinsaufwendungen der Antragstellerin vom Werbungskostenabzug auszunehmen sind.
Der BFH hat zwar, worauf der Antragsgegner hinweist, einen Abzug von Schuldzinsen als Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung abgelehnt, wenn diese nach Veräußerung des Vermietungsobjektes angefallen sind, und zwar auch dann, wenn diese deswegen entstanden sind, weil der Veräußerungserlös nicht zur Tilgung der zur Finanzierung aufgenommenen Darlehen ausgereicht hat (BFH-Urteil vom 12.11.1991, IX R 15/90, BStBl II 1992, 289; einschränkend bereits: BFH-Urteil vom 16.09.1999, IX R 42/97, BStBl II 2001, 528).
Der BFH hat aber mit Urteil vom 16.03.2010 - in Einschränkung seiner bis dahin bestehenden Rechtsprechung - entschieden, dass Schuldzinsen für die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG, die auf Zeiträume nach Veräußerung der Beteiligung oder Auflösung der Gesellschaft entfallen, als Werbungskosten abgezogen werden dürfen (BFH-Urteil vom 16.03.2010, VIII R 20/08, BStBl II 2010, 787).
Darüber hinaus bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der BFH auch die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von nachträglichen Schuldzinsen im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgeben wird. Die Finanzgerichte haben sich wiederholt gegen die entsprechende Rechtsprechung des BFH gewandt. Es ist unter dem Aktenzeichen IX R 67/10 ein Verfahren beim BFH zu dieser Frage anhängig, in dem das FG der bisherigen Rechtsprechung des BFH gefolgt ist, der BFH hat dann aber seinerseits auf die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zugelassen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.2010, IX B 111/10). Und es haben namhafte Autoren die bisherige Rechtsprechung des BFH in Zweifel gezogen beziehungsweise sich gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH gewandt.
So führt Richter am Bundesverfassungsgericht Professor Dr. Mellinghoff in seiner Kommentierung zu § 24 Einkommensteuergesetz -EStG- (in Kirchhof, EStG, 10. Auflage, 2011, § 24 Rz. 43) aus:
„Anders als der BFH gehen zahlreiche FG und die überwiegende Auffassung der Literatur grundsätzlich zu Recht davon aus, dass der Abzug nachträglicher Schuldzinsen als Werbungskosten ebenso möglich sein müsse, wie der Abzug als Betriebsausgaben. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Schuldzinsen und aufgenommenem Fremdkapital wird in den Fällen, in denen der Veräußerungserlös zur Schuldentilgung nicht ausreicht, ebenso wenig beendet wie bei den Gewinneinkunftsarten. Wesentlicher Grund für den Abzug nachträglicher Schuldzinsen ist bei den Gewinneinkunftsarten der Veranlassungszusammenhang und nicht die (zumindest anzuzweifelnde) Tatsache, dass es sich bei den verbleibenden Schulden um zurückbehaltenes Betriebsvermögen handelt. Durch die Entscheidung zur Aufgabe der Vermietungstätigkeit schafft der Steuerpflichtige bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung keinen neuen Veranlassungszusammenhang. Reicht der Veräußerungserlös nicht zur Schuldendeckung aus, ändert sich an der ursprünglichen Zweckbestimmung des Kapitals und damit an der Veranlassung durch die Vermietungstätigkeit nichts. Nachdem der BFH seine Rechtsprechung nunmehr zu den Beteiligungseinkünften nach § 17 geändert hat, bleibt abzuwarten, ob er die erforderlichen Konsequenzen auch für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zieht. Insbesondere durch die erweiternde Erfassung der privaten Veräußerungsgeschäfte nach § 23 besteht noch weniger Grund, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten."
Ähnlich hat sich Professor Dr. Pezzer, Vorsitzender Richter des 8. Senats des BFH, auf der 35. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft am 13./14.09.2010 in Potsdam unter der Überschrift „Bevorstehende Weiterentwicklung der Rechtsprechung des 9. Senats zu nachträglichen Schuldzinsen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung?" geäußert. Nach dem personellen Wechsel in der Richterschaft des BFH stehe die bisherige Rechtsprechung auf dem Prüfstand. Er selbst habe sich schon im Rahmen seiner Tätigkeit als Richter am Finanzgericht gegen diese Rechtsprechung des BFH gewandt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.