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Steuerrecht
31.05.2011
Steuerrecht
FG Münster: Nachträgliche Berichtigung elektronisch falsch übertragener Lohnsteuer-Daten

FG Münster, Urteil vom 24.2.2011 - 11 K 4239/07 E

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klage zulässig ist (richtiger Beklagter - Bekl. -) und in der Sache, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuer (ESt)-Bescheid nach § 129 Abgabenordnung (AO) geändert werden konnte.

Die Kläger (Kl.) sind verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur ESt veranlagt. Sie bezogen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

In ihrer ESt-Erklärung erklärten sie bei den Einkünften des Kl. aus nichtselbständiger Arbeit folgende Beträge:

 

Lohnsteuerbescheinigungen Steuerklasse 1 - 5

Lohnsteuerbescheinigungen Steuerklasse 6

Bruttoarbeitslohn

33.478,00 €

6.574,00 €

Lohnsteuer

6.057,26 €

1.137,88 €

Solidaritätszuschlag

332,99 €

62,54 €

Kirchensteuer Arbeitnehmer

545,02 €

102,37 €

Da der Kl. im Streitjahr in insgesamt vier Arbeits- bzw. Dienstverhältnissen tätig war, legte er dem Bekl. zum Nachweis der vorgenannten Eintragungen insgesamt vier ausgedruckte Lohnsteuerbescheinigungen für 2005 vor. Die Eintragungen hatten folgenden Inhalt

Arbeitgeber

M.

M.

T1.-P.

M.

Dienstverhältnis

- 11.02.

- 31.07.

- 31.07.

22.08. - 31.12.

Steuerklasse

1

1/6

4

4

Brutto Arbeits- lohn

2.982,61 €

6.574,74 €

13.928,40 €

16.568,63 €

Lohnsteuer

370,16 €

1.137,88 €

2.114,46 €

3.572,64 €

Solidaritätszuschlag

20,29 €

62,54 €

116,28 €

196,42 €

Kirchensteuer AN

33.23 €

102,37 €

190,26 €

321,53 €

Die Angaben in der Steuererklärung der Kl. entsprechen exakt den Angaben auf den Ausdrucken über die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen für 2005.

Der Bekl. hat bei der Bearbeitung der ESt-Veranlagung der Kl. für das Streitjahr nicht die von den Kl. zutreffend erklärten Werte der Besteuerung zugrunde gelegt. Stattdessen wurden für die Summe aller Arbeitsverhältnisse die Werte übernommen, wie sie dem Bearbeiter auf Grund einer unmittelbar von den Arbeitgebern erfolgten elektronischen Übermittlung der Daten angezeigt waren. Diese auf dem Bildschirm sichtbar gemachten Daten wurden von dem Sachbearbeiter durch einen Mausklick der zu bearbeitenden Erklärung zu Grunde gelegt. Hierdurch kam es zur Berücksichtigung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in folgender Höhe:

Arbeitgeber

M.

M.

M.

Summen

Dienstverhältnis

- 31.01.

- 31.07.

22.08. - 31.12.

 

Steuerklasse

1

6

4

 

Arbeitslohn

2.208,49 €

6.574,74 €

16.568,63 €

25.351,86 €

Lohnsteuer

262,91 €

1.137,88 €

3.572,64 €

4.973,43 €

Solidaritätszuschlag

14,46 €

62,54 €

196,42 €

273,42 €

Kirchensteuer AN

23,66 €

102,37 €

321,53 €

447,56 €

Unter Berücksichtigung dieser fehlerhaften Daten setzte der Bekl. mit Bescheid vom 16.08.2006 die ESt ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von ...... € auf ..... € fest. Angaben darüber, dass von der Steuererklärung abgewichen werden sollte, befinden sich nicht in den Akten.

Im Laufe einer Routineüberprüfung entdeckte der Bekl. im Frühjahr des Jahres 2007, dass es für den Kl. auf fehlerhaft übermittelte Steuerdaten zurückgegriffen bzw. überhaupt nicht übermittelte aber gleichwohl erklärte Daten außer Ansatz gelassen hatte. Mit Änderungsbescheid vom 17.04.2007 berücksichtigte der Bekl. die zutreffenden Beträge und setzte die ESt auf ...... € herauf. Als Änderungsvorschrift benannte er § 129 AO.

Gegen diesen Änderungsbescheid haben die Kl. mit Schreiben vom 09.05.2007 Einspruch eingelegt. Sie baten um Erläuterung des Änderungsbescheides.

Der Bekl. hat mit Schreiben vom 16.05.2007 den Fehler erläutert und die Änderung nach § 129 AO begründet. Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 06.09.2007 hat er den Einspruch der Kl. als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Voraussetzungen zur Änderung des ESt-Bescheides gem. § 129 S. 1 AO vorlägen. Danach könne die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen seien, jederzeit berichtigen. Bei der Übernahme fehlerhaft übertragener Lohnsteuerdaten handele es sich um eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit. Ähnlich offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne seien nach ständiger Rechtsprechung rein mechanische Fehler, bei denen die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen sei. Hierzu zählten zum Beispiel Übertragungsfehler, Irrtümer über den automatisierten Verfahrensablauf und ähnliche mechanische Versehen. Der Fehler müsse außerdem offenbar sein, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig und somit auf der Hand liegen. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung des Bekl. vom 06.09.2007 verwiesen, die sich in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen befindet.

Hiergegen haben die Kl. mit Telefax vom 09.10.2007 Klage eingereicht. Als Geschäftszeichen wird die Steuernummer angegeben: "001/0002/0003, RB-Nr. 1 - RBBZ 1". Als Bekl. wird das Finanzamt C1.-Innenstadt benannt. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts ist für dieses Finanzamt der 15. Senat zuständig. Die entsprechende Klageschrift ging zusätzlich per Brief am 10. Oktober 2007 beim Finanzgericht Münster ein. Die Serviceeinheit des 15. Senats hat daraufhin mit dem Bevollmächtigten der Kl. Kontakt aufgenommen. Es wurde klargestellt, dass Beklagter das Finanzamt C1.-Außenstadt sein solle. Entsprechend wurde die Klage angelegt und dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 12.10.2007 mitgeteilt, dass am 09.10.2007 eine Klage gegen das Finanzamt C1.-Außenstadt eingegangen sei.

Die Kl. begründen ihre Klage damit, dass die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 129 AO nicht vorlägen. Die Kl. hätten die Besteuerungsgrundlagen vollständig erklärt. Der Bekl. habe diese Werte aber erst gar nicht übernommen. Insofern könne auch kein Übertragungsfehler vorliegen. Vielmehr habe er darauf vertraut, dass die elektronisch übermittelten Werte zutreffend seien. Dies könne jedoch nicht zu Lasten der Kl. gehen.

Die Kl. beantragen,

den Änderungsbescheid vom 17.04.2007 und die EE vom 06.09.2007 aufzuheben,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Klage unzulässig sei. Die fehlerhafte Bezeichnung des Bekl. in der Klageschrift sei nicht auslegungsfähig. Die beklagte Behörde sei von den steuerlich beratenen Kl. eindeutig und unmissverständlich bezeichnet worden. Der Klageschrift seien auch keine Abschriften der angefochtenen Verwaltungsakte beifügt worden. Die bloße Angabe der zutreffenden Steuernummer in der Klageschrift könne kein Anlass für eine berichtigende Auslegung der Klageschrift sein. So sei für einen Dritten nicht ohne weiteres offensichtlich, dass die von den Kl. angegebene Steuer-Nr. nicht von dem beklagten Finanzamt C1.-Innenstadt, sondern von dem vermeintlich beklagten Finanzamt C1.-Außenstadt stamme. Außerdem könnte auch eine fehlerhafte Steuernummer angegeben worden sein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bekl. vom 26.10.2007 und 13.12.2007 verwiesen.

Die Kl. haben mit Schriftsatz vom 15.10.2007 den Bescheid wegen ESt 2005 vom 16.08.2006, den Änderungsbescheid wegen ESt 2005 vom 17.04.2007 und die EE des Bekl. vom 06.09.2007 zur Gerichtsakte gereicht.

Hilfsweise haben sie mit Schriftsatz vom 30.11.2007 Wiedereinsetzung beantragt.

Der Senat hat am 24.02.2011 in der Sache mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1 . Die Klage ist zulässig.

Gem. § 65 Abs. 1 S. 1 FGO muss die Klage den Kl., den Bekl., den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen. In der am 09.10.2007 per Telefax beim Finanzgericht Münster eingereichten Klageschrift ist zwar fälschlicherweise das Finanzamt C1.-Innenstadt und nicht der Bekl. als Beklagter benannt worden. Aus der Steuernummer, die gleichzeitig einen Hinweis auf das zuständige Finanzamt gibt, ist jedoch erkennbar, dass möglicherweise der Bekl. als Beklagter im vorliegenden Verfahren gemeint war. Bei möglichen Zweifeln an der Klageschrift ist diese auszulegen. Einer Auslegung bedurfte es im vorliegenden Fall jedoch nicht, da die Serviceeinheit des 15. Senats am 10.10.2010 beim Bevollmächtigten der Kl. telefonisch nachgefragt hatte und dieser erklärt hatte, dass sich die Klage gegen das Finanzamt C1.-Außenstadt richten solle. Die Klageschrift ist dann auch dem Finanzamt C1.-Außenstadt als Bekl. zugestellt worden. Die Kl. konnten somit davon ausgehen, dass beim Finanzgericht das Finanzamt C1.-Außenstadt als Bekl. richtig aufgenommen worden ist. Jedenfalls wurde ihnen von der Geschäftsstelle des damals für den Bekl. zuständigen 6. Senats des Finanzgerichts Münster mit Schreiben vom 12.10.2007 mitgeteilt, dass Bekl. das Finanzamt C1.-Außenstadt sei.

Der Bekl. kann sich nicht darauf berufen, dass das - falsche - Finanzamt C1.-Innenstadt tatsächlich Bekl. sei. Denn die Klarstellung erfolgte noch am 10.10.2007 gegenüber dem Finanzgericht Münster. Dies geschah somit noch innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 S. 1 FGO. Danach beträgt die Klagefrist einen Monat nach Bekanntgabe der EE. Die Aufgabe zur Post erfolgte am 06.09.2007. Gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt der Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Unter Berücksichtigung der §§ 187 ff. BGB gilt Montag, der 10.09.2007 als Bekanntgabetag. Die Klagefrist nach § 54 FGO begann somit am 11.09.2007 und endete am Mittwoch, dem 10.10.2007. Die Klarstellung, wer richtiger Beklagter sein sollte, erfolgte somit innerhalb der Klagefrist.

2 . Die Klage ist unbegründet.

Der Änderungsbescheid vom 17.04.2007 und die EE vom 06.09.2007 sind rechtmäßig und verletzen die Kl. nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.

Der Bekl. war berechtigt, den ESt-Bescheid 2005 vom 16.08.2006 gem. § 129 S. 1 AO zu ändern. Gem. § 129 S. 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Zwar handelt es sich bei der Übernahme fehlerhaft übertragener Lohnsteuerdaten nicht um einen Schreibfehler oder Rechenfehler, gleichwohl liegt hierin jedoch eine ähnlich offenbare Unrichtigkeit, welche die Möglichkeit der Bescheidberichtigung nach § 129 AO eröffnet.

Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind nach ständiger Rechtssprechung rein mechanische Fehler, bei denen die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist (s. BFH Beschluss vom 6. Februar 2008 VII B 23/07 BFH/NV 2008, 814-815). Hierzu zählen z. B. Übertragungsfehler, Irrtümer über den automatisierten Verfahrensablauf u. ä. mechanische Fehler. Der Fehler muss außerdem offenbar sein, also durchschaubar, eindeutig und augenfällig und somit auf der Hand liegen (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.1993 X R 47/91, BFH/BV 1993, 683 m.w.N.). Maßgebend ist dafür, dass der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkannt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.1992, II R 111/89, BFH/NV 1993, 637).

Eine solche ähnliche offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO liegt im Streitfall vor. Für einen verständigen Dritten ist allein bei Einsichtnahme in die vorliegende Steuererklärung ohne weiteres ersichtlich, dass die in dem Steuerbescheid vom 16.08.2006 übernommenen Daten über die Höhe des anzusetzenden Arbeitslohns ohne erkennbaren Grund von den erklärten Angaben abgeweichen.

Zu Grunde gelegen hatten die vom Arbeitgeber gem. § 41b Abs. 1 EStG elektronisch übermittelten Daten. Diese hatte der Sachbearbeiter des Bekl. ungeprüft übernommen, indem er sie per Mausklick verdichtet bei der Veranlagung berücksichtigte. Er hatte dabei auf die Richtigkeit der elektronisch übermittelten Daten vertraut. Dass sie fehlerhaft oder unvollständig waren, hatte er nicht bemerkt. Ein Rechtsirrtum war insoweit ausgeschlossen. Hätte er - wie die Kl. monieren - ihre Angaben in ihrer Steuererklärung überprüft, so wäre ihm diese Unrichtigkeit aufgefallen. Gerade dies aber war nicht geschehen. Dieser Fehler steht einem mechanischen Versehen gleich. Ein Rechtsirrtum scheidet somit aus.

Für eine Überprüfung hatte im Übrigen auch kein Anlass bestanden. Allen vorgelegten Ausdrucken der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen war unter der Überschrift folgender Zusatz beigefügt: Nachstehende Daten wurden maschinell an die Finanzverwaltung bzw. das Finanzamt übertragen. Damit hatte sich eine Überprüfung erübrigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund gem. § 115 Abs. 2 FGO nicht ersichtlich war.

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