EuGH-Schlussanträge: Mutter-Tochter-Richtlinie – Besteuerung von Gesellschaften anlässlich von Gewinnausschüttungen – Begriff des Steuerabzugs an der Quelle
GA Juliane Kokott, Schlussanträge vom 17.11.2016 – C-68/15, Fairness Tax
ECLI:EU:C:2016:886
Schlussanträge
1. Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der
a) eine gebietsfremde Gesellschaft mit einer Gewinn erzielenden Betriebsstätte in diesem Mitgliedstaat anlässlich einer Gewinnausschüttung unter bestimmten Voraussetzungen einer Steuer unterliegt, während eine gebietsfremde Gesellschaft mit einer Tochtergesellschaft in diesem Mitgliedstaat einer solchen Steuer nicht unterliegt;
b) eine gebietsfremde Gesellschaft mit einer Gewinn erzielenden Betriebsstätte in diesem Mitgliedstaat bei vollständiger Zuführung des dort erwirtschafteten Gewinns an die Rücklagen anlässlich einer Gewinnausschüttung unter bestimmten Voraussetzungen einer Steuer unterliegt, während eine gebietsansässige Gesellschaft bei vollständiger Zuführung des Gewinns an die Rücklagen einer solchen Steuer nicht unterliegt.
2. Eine nationale Regelung, nach der eine Gesellschaft anlässlich einer Gewinnausschüttung einer zusätzlichen Ertragsbesteuerung unterliegt, stellt keinen Steuerabzug an der Quelle im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2011/96/EU dar.
3. Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/96/EU steht einer nationalen Regelung entgegen, die zur Folge hat, dass eine Gesellschaft anlässlich einer Gewinnausschüttung hinsichtlich Dividenden, die diese Gesellschaft jeweils im Anwendungsbereich der Richtlinie empfangen hat und nun weiter ausschüttet, einer steuerlichen Belastung unterworfen wird, die über das nach Art. 4 Abs. 3 zulässige Ausmaß hinausgeht.
Aus den Gründen
I – Einleitung
1. Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren wird der Gerichtshof ersucht, die Vereinbarkeit einer im Königreich Belgien erhobenen Steuer, die Unternehmen unter bestimmten Umständen anlässlich von Gewinnausschüttungen zu entrichten haben, mit der Niederlassungsfreiheit und der Richtlinie 2011/96/EU(2) (im Folgenden: Mutter-Tochter-Richtlinie) zu klären.
2. Das belgische Steuerrecht ermöglicht es Unternehmen, Verluste unbegrenzt in zukünftige Veranlagungszeiträume vorzutragen sowie einen Abzug für sogenanntes Risikokapital(3) vorzunehmen. Den Angaben der Regierung Belgiens zufolge hatten diese Maßnahmen allerdings dazu geführt, dass gewisse Unternehmen fast keine Steuer mehr zahlten, dennoch aber Gewinne ausschütteten. Da dies gegenüber anderen Steuerpflichtigen nicht gerecht sei, sollten mit der als Fairness Tax bezeichneten, gesondert erhobenen Steuer die Auswüchse begrenzt werden, die die Abzugsmöglichkeiten verursacht hatten.(4)
3. Die Steuer greift im Wesentlichen dann, wenn Gesellschaften Gewinne ausschütten, sie ihre Ertragssteuerlast aber im selben Besteuerungszeitraum durch Nutzung der genannten Abzüge effektiv gesenkt haben. Vereinfacht ausgedrückt knüpft die Besteuerungsgrundlage an den Betrag an, um den die ausgeschütteten Gewinne einer Gesellschaft ihr steuerpflichtiges Ergebnis übertreffen. Dieser Betrag wird vor Anwendung des Steuersatzes mit einem sogenannten Proportionalitätsfaktor multipliziert, der angibt, in welchem Ausmaß das Ergebnis durch Nutzung der Verlust- bzw. Risikokapitalabzüge verringert wurde.
4. Die Vereinbarkeit der Fairness Tax mit der Niederlassungsfreiheit wird in Zweifel gezogen, da sie auch gebietsfremde Gesellschaften erfasst, wenn diese in Belgien anstelle einer Tochtergesellschaft mittels einer Betriebsstätte tätig sind. Nachdem die Steuer sowohl Merkmale einer Körperschaftsteuer als auch einer Dividendenquellensteuer aufweist, ist außerdem streitig, ob ihr die Mutter-Tochter-Richtlinie entgegensteht.(5)
II – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
5. Den unionsrechtlichen Rahmen des vorliegenden Verfahrens bilden die in den Art. 49 bis 55 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit und die Mutter-Tochter-Richtlinie.
6. Die Mutter-Tochter-Richtlinie ist gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 anzuwenden
„a) auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Mitgliedstaats von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats zufließen;
b) auf Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften dieses Mitgliedstaats an Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten;
[…]“
7. Art. 4 der Mutter-Tochter-Richtlinie bestimmt:
„(1) Fließen einer Muttergesellschaft oder ihrer Betriebstätte aufgrund der Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft Gewinne zu, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so
a) besteuern der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft und der Mitgliedstaat der Betriebsstätte diese Gewinne insoweit nicht, als sie von der Tochtergesellschaft nicht abgezogen werden können, und besteuern sie diese Gewinne insoweit, als sie von der Tochtergesellschaft abgezogen werden können, oder
b) lassen der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft und der Staat der Betriebstätte im Falle einer Besteuerung zu, dass die Muttergesellschaft und die Betriebstätte auf die geschuldete Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft und jegliche Enkelgesellschaft für diesen Gewinn entrichten, bis zur Höhe der entsprechenden Steuerschuld anrechnen können, vorausgesetzt, dass die Gesellschaft und die ihr nachgeordnete Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 auf jeder Stufe die Bedingungen gemäß Artikel 3 erfüllen.
[…]
(3) Jeder Mitgliedstaat kann bestimmen, dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können.
Werden in diesem Fall die mit der Beteiligung zusammenhängenden Verwaltungskosten pauschal festgesetzt, so darf der Pauschalbetrag 5 % der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht übersteigen.
[…]“
8. Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie legt fest:
„Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind vom Steuerabzug an der Quelle befreit.“
B – Nationales Recht
9. Die Fairness Tax beruht auf dem Gesetz vom 30. Juli 2013(6), durch dessen Art. 43 bis 50 das Wetboek van de inkomstenbelastingen 1992 (Einkommensteuergesetzbuch 1992, im Folgenden: WIB 1992) geändert wurde. Auf der Grundlage von § 1 des durch dieses Gesetz eingeführten Art. 219ter WIB 1992 unterliegen belgische Gesellschaften ab dem Steuerjahr 2014 einer getrennten Steuer im Rahmen der Gesellschaftssteuer.(7)
10. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage dieser Steuer ist nach Art. 219ter § 2 WIB 1992 die positive Differenz zwischen den Bruttodividenden, die für den Besteuerungszeitraum ausgeschüttet wurden, und dem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis, das tatsächlich dem Gesellschaftssteuersatz unterliegt. Dieser Betrag wird nach Art. 219ter § 3 WIB 1992 um den Teil der ausgeschütteten Dividenden verringert, die aus den zu einem früheren Zeitpunkt und spätestens im Steuerjahr 2014 besteuerten Rücklagen stammen.
11. Der so erhaltene Saldo wird nach Art. 219ter § 4 WIB 1992 anschließend mit einem Koeffizienten (dem sogenannten Proportionalitätsfaktor) multipliziert, der aus einem Bruch besteht und das Verhältnis ausdrückt zwischen
– einerseits im Zähler den für den Besteuerungszeitraum tatsächlich vorgenommenen Abzügen für Verlustvorträge und Risikokapital,
– andererseits im Nenner dem steuerlichen Ergebnis des Besteuerungszeitraums ohne Berücksichtigung steuerfreier Wertminderungen, Rückstellungen und Mehrwerte.
12. Art. 219ter § 5 WIB 1992 legt fest, dass die Besteuerungsgrundlage auf keine andere Weise begrenzt oder verringert werden kann.
13. Nach Art. 219ter § 6 in Verbindung mit Art. 463bis § 1 Nr. 1 WIB 1992 beträgt der Steuersatz 5,15 %.
14. Auf der Grundlage von Art. 233 Abs. 3 WIB 1992 werden auch ausländische Gesellschaften, die in Belgien eine Betriebsstätte unterhalten, bei Vornahme einer Gewinnausschüttung mit der Fairness Tax belegt. Für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage wird dabei nur jener Teil der von der Gesellschaft ausgeschütteten Bruttodividenden berücksichtigt, der dem Anteil der belgischen Betriebsstätte am Gesamtergebnis der Gesellschaft entspricht.
III – Ausgangsrechtsstreit und Verfahren vor dem Gerichtshof
15. Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist eine von der X NV vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof erhobene Klage, mit der die Nichtigerklärung jener Artikel des Gesetzes vom 30. Juli 2013 begehrt wird, durch welche die Fairness Tax eingeführt wurde.
16. Da der Verfassungsgerichtshof Zweifel an der Vereinbarkeit der Fairness Tax mit der Niederlassungsfreiheit und der Mutter-Tochter-Richtlinie hegt, hat er sich am 28. Januar 2015 gemäß Art. 267 AEUV mit den folgenden Fragen an den Gerichtshof gewandt:
1. Ist Art. 49 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der
a) Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat mit einer belgischen festen Niederlassung einer Steuer unterliegen, wenn sie eine Ausschüttung von Gewinnen beschließen, die nicht in das endgültige steuerpflichtige Ergebnis der Gesellschaft aufgenommen werden, ungeachtet dessen, ob ein Gewinn von der belgischen festen Niederlassung an das Mutterhaus geflossen ist, während Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat mit einem belgischen Tochterunternehmen nicht einer solchen Steuer unterliegen, wenn sie eine Ausschüttung von Gewinnen beschließen, die nicht in das endgültige steuerpflichtige Ergebnis der Gesellschaft aufgenommen werden, ungeachtet dessen, ob das Tochterunternehmen eine Dividende ausgeschüttet hat oder nicht;
b) Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat mit einer belgischen festen Niederlassung bei einer vollständigen Zuführung des belgischen Gewinns an die Rücklagen einer Steuer unterliegen, wenn sie eine Ausschüttung von Gewinnen beschließen, die nicht in das endgültige steuerpflichtige Ergebnis der Gesellschaft aufgenommen werden, während belgische Gesellschaften bei einer vollständigen Zuführung des Gewinns an die Rücklagen nicht einer solchen Steuer unterliegen?
2. Ist Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen, dass es sich um einen Steuerabzug an der Quelle handelt, wenn eine Bestimmung des nationalen Rechts vorschreibt, dass bei einer Gewinnausschüttung eines Tochterunternehmens an die Muttergesellschaft eine Steuer auferlegt wird, weil im selben Besteuerungszeitraum Dividenden ausgeschüttet werden und das steuerpflichtige Ergebnis ganz oder teilweise um den Abzug für Risikokapital und/oder vorgetragene Steuerverluste verringert wird, während der Gewinn aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften nicht besteuerbar wäre, wenn er bei dem Tochterunternehmen verblieben wäre und nicht an die Muttergesellschaft ausgeschüttet worden wäre?
3. Ist Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der eine Steuer auf die Ausschüttung von Dividenden erhoben wird, wenn diese Regelung zur Folge hat, dass eine Gesellschaft auf einen Teil der Dividende besteuert wird, der über die im genannten Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie festgelegte Schwelle hinausgeht, wenn sie eine empfangene Dividende später ausschüttet als in dem Jahr, in dem sie sie selbst empfangen hat, während dies nicht der Fall ist, wenn diese Gesellschaft eine Dividende erneut ausschüttet in dem Jahr, in dem sie sie erhält?
17. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits, das Königreich Belgien, die Französische Republik und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen abgegeben und an der mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2016 teilgenommen.
IV – Rechtliche Würdigung
A – Zur ersten Vorlagefrage
18. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich auf die Vereinbarkeit der Fairness Tax mit der Niederlassungsfreiheit unter zwei verschiedenen Aspekten. Während der erste Teil der Frage auf die unterschiedlichen steuerlichen Konsequenzen für eine gebietsfremde Gesellschaft nach Maßgabe der Wahl der Rechtsform für ihre Aktivitäten in Belgien gerichtet ist, betrifft der zweite Teil den Fall einer Ungleichbehandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Gesellschaften bei Zuführung der in Belgien erzielten Gewinne in die Rücklagen.
1. Behauptete Ungleichbehandlung aufgrund der Wahl der Rechtsform
19. Mit dem ersten Teil der ersten Vorlagefrage soll im Wesentlichen geklärt werden, ob die Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der gebietsfremde Gesellschaften, die in Belgien eine Betriebsstätte unterhalten, anlässlich einer Gewinnausschüttung einer Steuer unterliegen, sie ihr jedoch nicht unterworfen sind, wenn sie ihre Tätigkeit in Belgien mittels einer Tochtergesellschaft ausüben.
20. Nach Auffassung der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits behindern die Erhebungsmodalitäten der Fairness Tax gebietsfremde Gesellschaften in der freien Wahl der Rechtsform für ihre Tätigkeit in Belgien. Werde eine gebietsfremde Gesellschaft dort über eine Tochtergesellschaft aktiv, sei sie nur indirekt und insoweit mit der Steuer konfrontiert, als die Tochtergesellschaft Gewinne an sie ausschütte. Übe sie ihre Tätigkeiten in Belgien dagegen über eine Betriebsstätte aus, sei sie der Fairness Tax unterworfen, wenn sie selbst eine Gewinnausschüttung vornehme. Folglich werde eine gebietsfremde Gesellschaft mit einer Betriebsstätte in Belgien weniger günstig behandelt, als wenn sie dort eine Tochtergesellschaft unterhalten würde.
21. Es ist daher zu prüfen, ob eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, wenn die Erhebung einer Steuer durch einen Mitgliedstaat im Ergebnis eine unterschiedliche Behandlung gebietsfremder Gesellschaften nach sich zieht, je nachdem, ob sie in diesem Mitgliedstaat mittels einer Betriebsstätte oder mittels einer Tochtergesellschaft tätig sind.
22. Die Niederlassungsfreiheit wird Gesellschaften durch die Art. 49 und 54 AEUV gewährt. Danach steht Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Union das Recht zu, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben.(8) Eine Zweigniederlassung entspricht steuerrechtlich einer Betriebsstätte.(9)
23. Da zudem Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl im Aufnahmemitgliedstaat nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden.(10) Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat dabei insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten.(11) Der Aufnahmemitgliedstaat darf sich nicht darauf berufen, dass die ausländische Gesellschaft eine nachteilige Ungleichbehandlung verhindern kann, indem sie eine andere Rechtsform für ihre Betätigung im Aufnahmemitgliedstaat wählt, etwa anstelle einer Zweigniederlassung eine Tochtergesellschaft.(12)
24. Entgegen der Ansicht der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits ist die Freiheit der Rechtsformwahl aber nicht als eigenständiges Gebot zu verstehen. Zu Recht sieht sie der Gerichtshof lediglich als Reflex der Verpflichtung zur Inländergleichbehandlung, ohne dass ihr ein darüber hinausgehendes Schutzniveau beizumessen wäre.(13) Sollen nämlich die Grundfreiheiten dazu dienen, den Binnenmarkt durch Beseitigung von Hindernissen gerade des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs zu verwirklichen, kann für eine davon losgelöste Pflicht zur rechtsformneutralen Ausgestaltung steuerrechtlicher Vorschriften kein Raum bleiben.
25. Die im Ergebnis unterschiedliche steuerliche Behandlung einer gebietsfremden Gesellschaft, je nachdem, ob sie im Aufnahmemitgliedstaat mittels einer Betriebsstätte oder mittels einer Tochtergesellschaft operiert, kann daher für sich genommen keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit begründen. Ihre Annahme erfordert vielmehr stets eine nachteilige Behandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einer vergleichbaren, rein innerstaatlichen Konstellation.
26. Im vorliegenden Fall setzt daher die Feststellung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit voraus, dass eine gebietsfremde Gesellschaft, die ihre Tätigkeit in Belgien über eine Betriebsstätte ausübt, gegenüber einer gebietsansässigen Gesellschaft – welche ihrerseits die Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft sein kann – bei der Erhebung der belgischen Fairness Tax nachteilig behandelt wird.
27. Eine solche nachteilige Behandlung ist allerdings nicht ersichtlich.
28. Sowohl gebietsansässige als auch gebietsfremde Gesellschaften unterliegen im Rahmen der Erhebung der Fairness Tax demselben Steuersatz. Auch der Steuertatbestand ist in beiden Fällen derselbe. Er knüpft an die Ausschüttung von Gewinnen an, sofern im selben Besteuerungszeitraum Abzüge für vorgetragene Verluste bzw. für Risikokapital vorgenommen wurden. Soweit darüber hinaus zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlage bei gebietsfremden Gesellschaften Dividenden anteilig nach dem Ergebnis der belgischen Betriebsstätte am Gesamtergebnis des Stammhauses herangezogen werden, spiegelt diese Vorgehensweise die beschränkte Steuerpflicht gebietsfremder Gesellschaften in Belgien wider.
29. Zwar bildet jener Teil der ausgeschütteten Dividenden einer gebietsfremden Gesellschaft, welcher der Berechnung der Fairness Tax zugrunde gelegt wird, nicht notwendigerweise genau den Gewinn ab, der gerade von der belgischen Betriebsstätte dieser Gesellschaft unter belgischer Steuerhoheit erwirtschaftet wurde. Dies trifft jedoch in gleicher Weise auf die Dividenden einer gebietsansässigen Gesellschaft zu, die ihrerseits Betriebsstätten im Ausland unterhält. Auch die Gewinne dieser Betriebsstätten unterliegen in aller Regel effektiv keiner Ertragsbesteuerung in Belgien, doch sind sie in den Dividenden enthalten, die für die Zwecke der Berechnung der Fairness Tax gebietsansässiger Gesellschaften berücksichtigt werden. Unter diesem Blickwinkel scheinen die Berechnungsmodalitäten der Steuer gebietsfremde Gesellschaften tendenziell sogar eher zu begünstigen, was eine für die Niederlassungsfreiheit relevante, nachteilige Behandlung ausschließt.
30. Folglich ist auf den ersten Teil der ersten Frage zu antworten, dass die Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der gebietsfremde Gesellschaften, die in Belgien eine Betriebsstätte unterhalten, anlässlich einer Gewinnausschüttung einer Steuer wie der belgischen Fairness Tax unterliegen, sie ihr jedoch nicht unterworfen sind, wenn sie ihre Tätigkeit in Belgien mittels einer Tochtergesellschaft ausüben.
2. Behauptete Ungleichbehandlung bei Rücklagenbildung
31. Mit dem zweiten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Niederlassungsfreiheit der Erhebung der Fairness Tax entgegensteht, wenn dieser gebietsfremde Gesellschaften, die in Belgien mittels Betriebsstätte tätig sind, anlässlich einer Gewinnausschüttung unterliegen, obwohl der Gewinn der Betriebsstätte den Rücklagen zugeführt wurde, während gebietsansässige Gesellschaften bei vollständiger Zuführung des Gewinns an die Rücklagen der Steuer nicht unterworfen sind.
32. In der beschriebenen Konstellation kommt es insoweit zu einer nachteiligen Behandlung der gebietsfremden gegenüber der gebietsansässigen Gesellschaft, als nur Erstere der Fairness Tax unterliegt. Beide Situationen sind aber im Hinblick auf die Erhebung der Steuer evident nicht objektiv miteinander vergleichbar.
33. Während nämlich die gebietsansässige Gesellschaft in der Situation, die der Vorlagefrage zugrunde liegt, ihren gesamten Gewinn den Rücklagen zuführt, erfolgt bei der gebietsfremden Gesellschaft eine Gewinnausschüttung. Offenkundig können aber durch eine Steuer wie die Fairness Tax, die ausschließlich bei Vornahme einer Gewinnausschüttung erhoben wird, schon von vornherein nur Gesellschaften nachteilig betroffen sein, die auch Gewinne ausschütten. Unter diesen Umständen ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu verneinen.
34. Auf den zweiten Teil der ersten Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass die Niederlassungsfreiheit der Erhebung einer Steuer wie der belgischen Fairness Tax nicht entgegensteht, wenn ihr eine gebietsfremde Gesellschaft mit Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat anlässlich einer Gewinnausschüttung unterliegt, obwohl der Gewinn der Betriebsstätte den Rücklagen zugeführt wurde, während eine gebietsansässige Gesellschaft bei vollständiger Zuführung des Gewinns an die Rücklagen der Steuer nicht unterworfen ist.
B – Zur zweiten Vorlagefrage
35. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zielt darauf ab, zu erfahren, ob die Erhebung der Fairness Tax als Steuerabzug an der Quelle im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie zu qualifizieren ist.
36. Wäre diese Frage zu bejahen, stünde die Steuer in Widerspruch zu Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie, denn nach dieser Bestimmung sind die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle befreit.
37. Die Mutter-Tochter-Richtlinie definiert den Begriff des Steuerabzugs an der Quelle im Sinne von Art. 5 nicht. In ständiger Rechtsprechung legt der Gerichtshof diese Vorschrift allerdings dahin aus, dass eine Abgabe auf die in dem Staat, in dem Dividenden ausgeschüttet werden, erzielten Einkünfte, deren auslösender Tatbestand die Zahlung von Dividenden oder anderen Erträgen von Wertpapieren ist, eine Quellensteuer auf die ausgeschütteten Gewinne im Sinne von Art. 5 der Richtlinie darstellt, wenn die Besteuerungsgrundlage der Abgabe die Erträge dieser Wertpapiere sind und der Steuerpflichtige der Inhaber der Wertpapiere ist.(14)
38. Folglich müssen drei Bedingungen erfüllt sein, um von einem Steuerabzug an der Quelle im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie ausgehen zu können: Die Besteuerung wird durch die Gewinnausschüttung ausgelöst, die Besteuerungsgrundlage richtet sich nach dem Umfang der Ausschüttung, und beim Steuerpflichtigen handelt es sich um den Ausschüttungsempfänger.
39. Unter den Verfahrensbeteiligten ist unstreitig, dass die Fairness Tax die ersten beiden der genannten Bedingungen erfüllt. Erstens knüpft die Steuer an die Ausschüttung von Gewinnen an; ohne Vornahme einer Gewinnausschüttung wird sie nicht erhoben. Zweitens wird der Umfang der Ausschüttung zur Bestimmung ihrer Besteuerungsgrundlage herangezogen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, dass die Besteuerungsgrundlage der Fairness Tax in weiterer Folge noch modifiziert wird. Nach der Rechtsprechung reicht es nämlich aus, dass die Gewinnausschüttung in der Besteuerungsgrundlage enthalten ist.(15)
40. Dagegen ist die dritte Bedingung nicht erfüllt, da Steuerpflichtiger der Fairness Tax die Gewinn ausschüttende Gesellschaft, nicht aber der Ausschüttungsempfänger ist.
41. Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil Athinaïki Zythopoiia(16) einmalig eine Besteuerung der Tochtergesellschaft als Quellensteuer im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie aufgefasst und sich insoweit an einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise orientiert, die auf den Effekt der Besteuerung der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft abstellt.(17) In seiner übrigen, zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung hat er allerdings stets auf die Bedingung der Steuerschuldnerschaft der ausschüttenden Gesellschaft verwiesen.(18) Zu Recht hat der Gerichtshof diesbezüglich im Urteil Burda(19) ausdrücklich klargestellt, dass das Vorliegen eines Steuerabzugs an der Quelle im Sinne von Art. 5 weiterhin davon abhängt, dass der Steuerpflichtige Inhaber der Wertpapiere ist, die die Beteiligung an der Gewinn ausschüttenden Gesellschaft verbriefen.(20)
42. Die erste Besteuerung der Einkünfte einer Tochtergesellschaft wird nämlich von der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht erfasst.(21) Das in Art. 5 enthaltene Verbot der Erhebung einer Quellensteuer auf die Ausschüttung von Gewinnen an die Muttergesellschaft erstreckt sich demnach nicht auf die Entrichtung der Steuer auf das Einkommen, das die Tochtergesellschaft durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit erzielt hat, selbst wenn diese Steuer nur anlässlich einer Gewinnausschüttung zu entrichten ist.(22) Dies findet Bestätigung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie, wonach Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen der Tochtergesellschaft ausdrücklich nicht vom Begriff des Steuerabzugs an der Quelle umfasst sind. Dasselbe muss auch für eine Steuer wie die Fairness Tax gelten, aufgrund welcher unter bestimmten Voraussetzungen das Einkommen einer Gesellschaft im Ergebnis einer Nachbesteuerung unterliegt.
43. Somit kann auch dem Einwand der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits nicht gefolgt werden, wonach Steuerpflichtiger hinsichtlich der Fairness Tax nur formell die ausschüttende Gesellschaft, in Wirklichkeit aber der Beteiligungsinhaber sei, da sich die Gewinnausschüttung aufgrund der zu entrichtenden Steuer verringere. Vielmehr führt jede Besteuerung des Einkommens einer Gesellschaft zwangsläufig dazu, dass den Beteiligungsinhabern nur ein in entsprechendem Ausmaß geringerer Betrag als Gewinn ausgeschüttet werden kann.
44. Die zweite Vorlagefrage ist folglich dahin zu beantworten, dass die Erhebung einer Steuer wie der belgischen Fairness Tax keinem Steuerabzug an der Quelle im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie entspricht.
C – Zur dritten Vorlagefrage
45. Das vorlegende Gericht möchte mit seiner dritten Frage schließlich wissen, ob Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie der Erhebung der Fairness Tax entgegensteht, wenn sie zur Folge hat, dass eine Gesellschaft auf einen Teil der Dividende besteuert wird, der über das nach dieser Bestimmung erlaubte Ausmaß hinausgeht, sofern sie eine empfangene Dividende später ausschüttet als in dem Jahr, in dem sie sie selbst empfangen hat.
46. Die Vorlagefrage bezieht sich auf eine Konstellation, in der eine in Belgien ansässige Gesellschaft als mittleres Glied einer Beteiligungskette Dividenden selbst empfangen hat und diese anschließend ihrerseits (weiter) ausschüttet. Außerdem fußt die Frage auf der Prämisse, dass solche Dividenden, sofern sie später (weiter) ausgeschüttet werden als in dem Jahr, in dem sie empfangen wurden, aufgrund der Erhebungsmodalitäten der Fairness Tax im Ergebnis einer höheren Steuerbelastung unterliegen, als es Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie zulässt.
47. Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, nicht abgesetzt werden können. Werden in diesem Fall die Verwaltungskosten, die mit der Beteiligung zusammenhängen, pauschal festgesetzt, darf der Pauschalbetrag 5 % der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht übersteigen.
48. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hat der belgische Gesetzgeber zur Umsetzung von Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie eine Regelung erlassen, nach der, bei Erfüllung der gesetzlich festgelegten Bedingungen, auf der Ebene der Muttergesellschaft empfangene Dividenden zu 95 % vom Gewinn dieser Gesellschaft abgezogen werden können. Die übrigen 5 % unterliegen schließlich der Steuer auf das Einkommen der Gesellschaft.
49. Unter den Verfahrensbeteiligten herrscht Uneinigkeit, unter welchen Umständen es tatsächlich zu einer Mehrbelastung empfangener Dividenden im Falle ihrer Weiterausschüttung kommen kann. Allerdings ist selbst dem Vorbringen der belgischen Regierung zu entnehmen, dass eine solche Mehrbelastung möglich ist. Als Ursache dafür ist auszumachen, dass bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage der Fairness Tax von den für einen Besteuerungszeitraum ausgeschütteten Bruttodividenden ausgegangen wird. Es erfolgt keine Differenzierung danach, ob auch Dividenden erfasst sind, die die ausschüttende Gesellschaft selbst empfangen hat.
50. Nach Ansicht der belgischen Regierung wird den Anforderungen aus Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie allerdings dennoch entsprochen. Soweit nämlich Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Befreiung oder Anrechnung empfangender Dividenden vorsehe, sei aus dem Wortlaut der Bestimmung zu schließen, dass diese Verpflichtung nur hinsichtlich des Bezugs solcher Dividenden gelte. Sie bestehe jedoch nicht mehr bei einer nachfolgenden Weiterausschüttung. Gleiches gelte für Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie.
51. Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen. Eine solche Auslegung stünde in Widerspruch zu Systematik und Zweck der Mutter-Tochter-Richtlinie und würde ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigen.
52. Mit ihren Art. 4 und 5 trifft die Mutter-Tochter-Richtlinie eine grundlegende Entscheidung über die Zuordnung der Befugnis zur Besteuerung der Gewinne einer Tochtergesellschaft. Prinzipiell kommt dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft das Recht zu, deren Gewinne zu besteuern. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Gewinnausschüttungen, die dem Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie unterfallen, steuerlich neutral sind.(23) Dies gilt in gleicher Weise für Beteiligungsketten, da eine Doppel- bzw. Mehrfachbesteuerung auch bei einer Ausschüttung von Gewinnen über die Kette der Tochtergesellschaften an die Muttergesellschaft zu vermeiden ist.(24)
53. Folglich ist es nicht mit der Mutter-Tochter-Richtlinie vereinbar, wenn die Gewinne einer Gesellschaft auf der Ebene einer in der Beteiligungskette nach oben folgenden Gesellschaft einer höheren Steuerbelastung unterworfen werden, als es Art. 4 der Richtlinie zulässt. Dabei kann es nicht von Bedeutung sein, ob diese Belastung anlässlich des Bezugs von Dividenden oder anlässlich ihrer Weiterausschüttung eintritt. Eine andere Auslegung würde dazu führen, dass sich ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nach der Richtlinie schlicht durch eine Änderung der Steuererhebungstechnik entziehen könnte. Unbeschadet dessen müssen jedoch im Hinblick auf die jeweilige Ausschüttung stets die übrigen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Richtlinie nach deren Art. 1 bis 3 erfüllt sein.
54. Das von den Regierungen Belgiens und Frankreichs angeführte Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation(25) steht dem nicht entgegen. Diese Rechtssache betraf den spezifischen Fall eines Systems der vorgezogenen Zahlung der Körperschaftsteuer, die eine gebietsansässige Muttergesellschaft zu entrichten hatte, wenn sie ihrerseits die von einer gebietsfremden Tochtergesellschaft erhaltenen Dividenden ausschüttete. Diesbezüglich stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht verpflichtet, zu gewährleisten, dass sich der im Voraus zu entrichtende Betrag unter allen Umständen nach der von der Tochtergesellschaft in deren Sitzmitgliedstaat gezahlten Körperschaftsteuer bestimmt.(26) Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass die Richtlinie im Falle der Weiterausschüttung empfangener Dividenden keine Anwendung findet.
55. Damit ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 3 der Mutter-Tochter-Richtlinie der Erhebung einer Steuer entgegensteht, soweit sie zur Folge hat, dass eine Gesellschaft bei Vornahme einer Gewinnausschüttung der Richtlinie hinsichtlich Dividenden, die diese Gesellschaft jeweils im Anwendungsbereich der Richtlinie empfangen hat und nun weiter ausschüttet, einer steuerlichen Belastung unterworfen wird, die über das nach Art. 4 Abs. 3 zulässige Ausmaß hinausgeht.
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1
Originalsprache: Deutsch.
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2
Richtlinie des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 345, S. 8) in der Fassung der Richtlinie 2015/121/EU des Rates vom 27. Januar 2015 (ABl. L 21, S. 1).
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3
Der Abzug erlaubt es, dass von der Bemessungsgrundlage der auf das Einkommen von Unternehmen erhobenen Steuer fiktiv die Zinsen abgezogen werden, die als Vergütung des Eigenkapitals des Unternehmens gelten. Der Gerichtshof hat sich mit diesem Abzug bereits im Urteil Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447) befasst.
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4
Vgl. die im Bericht namens des Ausschusses für Soziales der belgischen Abgeordnetenkammer vom 15. Juli 2013 wiedergegebenen Ausführungen des zuständigen Ministers (Parl. St., Kamer, 2012-2013, DOC 53-2891/007, S. 38).
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5
Vor dem Gerichtshof anhängig ist darüber hinaus ein Verfahren zu einer in Frankreich erhobenen Steuer, welche strukturelle Ähnlichkeiten zur belgischen Fairness Tax aufweist; siehe Rechtssache Association française des entreprises privées u. a. (C‑365/16).
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6
Gesetz zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (Wet van 30 juli 2013 houdende diverse bepalingen), bekanntgemacht im Belgisch Staatsblad vom 1. August 2013.
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7
Als Gesellschaftssteuer wird gemäß Art. 1 § 1 Nr. 2 WIB 1992 die Steuer auf das Gesamteinkommen der in Belgien ansässigen Gesellschaften bezeichnet.
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8
Vgl. u. a. Urteile Kommission/Frankreich (270/83, EU:C:1986:37, Rn. 18), Saint-Gobain ZN (C‑307/97, EU:C:1999:438, Rn. 35), X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 17) und Philips Electronics UK (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 12).
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9
Vgl. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) vom 3. Oktober 2011 (KOM[2011] 121 endgültig).
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10
Vgl. u. a. Urteile Kommission/Frankreich (270/83, EU:C:1986:37, Rn. 22), CLT-UFA (C‑253/03, EU:C:2006:129, Rn. 14), Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 40) und Philips Electronics UK (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 13) sowie Beschluss KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer (C‑439/07 und C‑499/07, EU:C:2009:339, Rn. 77).
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11
Urteile CLT-UFA (C‑253/03, EU:C:2006:129, Rn. 15) und Philips Electronics UK (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 14).
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12
Vgl. Urteil Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 40).
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13
Vgl. Urteile Kommission/Frankreich (270/83, EU:C:1986:37, Rn. 15) und Saint-Gobain ZN (C‑307/97, EU:C:1999:438, Rn. 44), in welchen der Gerichtshof in diesem Zusammenhang einen einheitlichen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit angenommen hat. Siehe auch Urteil Philips Electronics UK (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 13 bis 15). Zwar hat sich der Gerichtshof im Urteil CLT-UFA (C‑253/03, EU:C:2006:129) bei seiner Würdigung auf den Aspekt der Einschränkung der freien Wahl der Rechtsform beschränkt, doch ändert dies nichts daran, dass auch dieser Rechtssache im Kern eine nachteilige Behandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem innerstaatlichen zugrunde lag.
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14
Vgl. Urteile Epson Europe (C‑375/98, EU:C:2000:302, Rn. 23), Océ van der Grinten (C‑58/01, EU:C:2003:495, Rn. 47), Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 108), Burda (C‑284/06, EU:C:2008:365, Rn. 52) und P. Ferrero und General Beverage Europe (C‑338/08 und C‑339/08, EU:C:2010:364, Rn. 26).
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15
Vgl. Urteil Océ van der Grinten (C‑58/01, EU:C:2003:495, Rn. 52).
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16
C‑294/99, EU:C:2001:505.
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17
Vgl. Urteil Athinaïki Zythopoiia (C‑294/99, EU:C:2001:505, Rn. 29) sowie Nr. 32 der Schlussanträge von Generalanwalt Alber in dieser Rechtssache (EU:C:2001:263).
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18
Vgl. Urteile Epson Europe (C‑375/98, EU:C:2000:302, Rn. 23), Océ van der Grinten (C‑58/01, EU:C:2003:495, Rn. 47), Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 108), Burda (C‑284/06, EU:C:2008:365, Rn. 52) und P. Ferrero und General Beverage Europe (C‑338/08 und C‑339/08, EU:C:2010:364, Rn. 26).
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19
C‑284/06, EU:C:2008:365.
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20
Vgl. Urteil Burda (C‑284/06, EU:C:2008:365, Rn. 61 f.).
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21
Vgl. Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (C‑374/04, EU:C:2006:773, Rn. 60) und Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 27).
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22
Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Burda (C‑284/06, EU:C:2008:60, Nr. 55).
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23
Vgl. Urteile Banque Fédérative du Crédit Mutuel (C‑27/07, EU:C:2008:195, Rn. 24) und Cobelfret (C‑138/07, EU:C:2009:82, Rn. 29) sowie den achten Erwägungsgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie.
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24
Vgl. den elften Erwägungsgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie.
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25
C‑446/04, EU:C:2006:774.
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26
Vgl. Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 105).