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Steuerrecht
21.06.2018
Steuerrecht
EuGH: Mehrwertsteuer – Übertragung eines Grundstücks von einer AG auf einen Aktionär als Gegenleistung für den Rückkauf seiner Aktien

EuGH, Urteil vom 13.6.2018 – C-421/17, Polfarmex

ECLI:EU:C:2018:432

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-1493-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt, wenn eine Aktiengesellschaft wie im Fall des Ausgangsverfahrens einem ihrer Aktionäre als Gegenleistung für den – nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Einziehung von Aktien erfolgenden – Rückkauf von Aktien, die dieser Aktionär an ihrem Grundkapital hält, das Eigentum an Grundstücken überträgt, sofern die Grundstücke für die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Aktiengesellschaft verwendet werden.

Urteil

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Szef Krajowej Administracji Skarbowej (Leiter der nationalen Finanzverwaltung, Polen) und der Polfarmex Spółka Akcyjna w Kutnie (im Folgenden: Polfarmex) wegen einer ihr vom Minister Finansów (Finanzminister, Polen, im Folgenden: Minister) übermittelten Einzelfallauslegung, worin dieser die Auffassung vertrat, dass ein Vorgang der Mehrwertsteuer unterliegt, in dessen Rahmen Polfarmex beabsichtigt, in einem nach nationalem Recht zulässigen Verfahren zum Aktienrückkauf auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Aktien von Polfarmex hält, als Gegenleistung für diese Aktien Grundstücke zu übertragen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Erwägungsgründe 7 und 35 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:

„(7)      Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.

(35)      Im Hinblick auf eine gleichmäßige Erhebung der Eigenmittel in allen Mitgliedstaaten sollte ein gemeinsames Verzeichnis der Steuerbefreiungen aufgestellt werden.“

4          In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a)      Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

…“

5          Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

6          Art. 12 Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken:

a)      Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt;

b)      Lieferung von Baugrundstücken.

(2)      Als ‚Gebäude‘ im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk.

Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung des in Absatz 1 Buchstabe a genannten Kriteriums des Erstbezugs auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.

Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, wie etwa den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitraum zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten.“

7          Nach Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als „Lieferung von Gegenständen“ die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

8          Der in Titel IX Kapitel 3 („Steuerbefreiungen für andere Tätigkeiten“) der Richtlinie enthaltene Art. 135 Abs. 1 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

f)      Umsätze – einschließlich der Vermittlung, jedoch nicht der Verwahrung und der Verwaltung –, die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von Warenpapieren und der in Artikel 15 Absatz 2 genannten Rechte und Wertpapiere;

j)      Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;

…“

Polnisches Recht

Gesetz mit Vorschriften zur Einführung des Gesetzes über die nationale Finanzverwaltung

9          Nach Art. 206 Abs. 1 der Ustawa – Przepisy wprowadzające ustawę o Krajowej Administracji Skarbowej (Gesetz mit Vorschriften zur Einführung des Gesetzes über die nationale Finanzverwaltung) in geänderter Fassung (Dz. U. 2016, Pos. 1948), in Kraft getreten am 1. März 2017, werden in Anträge auf Einzelfallauslegung betreffenden Gerichtsverfahren, in denen der für die öffentlichen Finanzen zuständige Minister Partei ist oder aufgrund der bisherigen Bestimmungen sein könnte, die entsprechenden Rechte und Pflichten, sofern nichts anderes bestimmt ist, vom Leiter der nationalen Finanzverwaltung übernommen.

Mehrwertsteuergesetz

10        Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie wird im polnischen Recht durch Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. Nr. 54, Pos. 535) in geänderter Fassung (Dz. U. 2011, Nr. 177, Pos. 1054) (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) umgesetzt, wonach der Mehrwertsteuer die entgeltliche Lieferung von Gegenständen und die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen im Inland unterliegen.

11        Das Mehrwertsteuergesetz ist nach seinem Art. 6 Abs. 1 „auf Übertragungen eines Unternehmens oder eines selbständigen Unternehmensteils“ nicht anwendbar.

12        Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie wird im polnischen Recht durch Art. 7 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes umgesetzt, wonach „[a]ls Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 … die Übertragung der Befähigung [gilt], wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen“.

13        Art. 15 Abs. 1 und 2 des Mehrwertsteuergesetzes lautet:

„(1)      Steuerpflichtig sind juristische Personen, Organisationseinheiten ohne Rechtspersönlichkeit und natürliche Personen, die eine in Abs. 2 genannte wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Zweck oder Ergebnis selbständig ausüben.

 

(2)      Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten insbesondere Handlungen, die in der nachhaltigen Nutzung von Gegenständen oder immateriellen Vermögenswerten und Rechten zu Erwerbszwecken bestehen.“

Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften

14        Art. 359 des Kodeks spółek handlowych (Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften) vom 15. September 2000 in geänderter Fassung (Dz. U. 2016, Pos. 1578, im Folgenden: Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften) bestimmt:

„§ 1      Aktien können eingezogen werden, wenn die Satzung dies bestimmt. Eine Aktie kann entweder mit Zustimmung des Aktionärs im Wege ihres Erwerbs durch die Gesellschaft (freiwillige Einziehung) oder ohne seine Zustimmung (Zwangseinziehung) eingezogen werden. Eine freiwillige Einziehung darf nicht öfter als ein Mal je Geschäftsjahr vorgenommen werden. Die Voraussetzungen und das Verfahren der Zwangseinziehung regelt die Satzung.

§ 2      Die Einziehung von Aktien erfordert einen Beschluss der Hauptversammlung. Der Beschluss muss insbesondere die Rechtsgrundlage für die Einziehung benennen, die Höhe des dem Aktionär der eingezogenen Aktien zustehenden Entgelts bestimmen oder begründen, weshalb Aktien ohne Entgelt eingezogen werden, und die Art und Weise der Kapitalherabsetzung regeln. Die Zwangseinziehung erfolgt gegen ein Entgelt, das nicht geringer sein darf als der Wert der auf eine Aktie entfallenden Nettoaktiva, wie sie im Jahresabschluss für das letzte Geschäftsjahr ausgewiesen wurden, abzüglich des zur Aufteilung zwischen den Aktionären bestimmten Betrags.

…“

15        Nach Art. 360 § 1 des Gesetzbuchs über die Handelsgesellschaften erfordert die Einziehung von Aktien eine Herabsetzung des Grundkapitals. Der Beschluss über die Herabsetzung des Grundkapitals muss in der Hauptversammlung gefasst werden, in der der Beschluss über die Einziehung der Aktien gefasst wird.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

16        Polfarmex, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Kutno (Polen), übt ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Bereich der Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse aus. Hierfür ist sie mehrwertsteuerpflichtig.

17        Polfarmex erwog, das Grundkapital des Unternehmens durch Rückkauf eines Teils der von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehaltenen Aktien umzustrukturieren, und zwar in einer der Formen der „Einziehung“, die das Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vorsieht, nämlich automatische, zwangsweise oder freiwillige Einziehung. Das Entgelt für diese Einziehung bestünde in der Übertragung des Eigentums an bestimmten Grundstücken mit den sich darauf befindenden Gebäuden samt ihrer Ausstattung auf diese Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

18        In diesem Zusammenhang stellte Polfarmex beim Minister einen Antrag auf Vornahme einer Einzelfallauslegung von Steuervorschriften, um zu bestimmen, ob zum einen die Einziehung der von der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehaltenen Aktien und zum anderen die Übertragung des Eigentums an den Grundstücken auf diese Gesellschaft der Mehrwertsteuer unterliegen.

19        In ihrem Antrag machte Polfarmex geltend, dass die fraglichen Umsätze insofern nicht der Mehrwertsteuer unterlägen, als sie hierbei nicht im Rahmen der von ihr ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit handeln werde, und zwar weder auf der Stufe der Einziehung der Aktien noch auf der Stufe der Übertragung des Eigentums an den Grundstücken. Diese Umsätze stellten einen einzigen komplexen Geschäftsvorgang dar, der sich aus der Einziehung der Aktien und des hierfür geleisteten Entgelts zusammensetze. Zwischen diesen beiden Umsätzen bestehe ein Kausalzusammenhang, so dass es verfehlt sei, sie steuerlich getrennt zu behandeln.

20        Der Minister stellte in seiner Einzelfallauslegung fest, die Übertragung von Grundstücken als Gegenleistung für die Einziehung von Aktien sei als eine der Mehrwertsteuer unterliegende entgeltliche Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Mehrwertsteuergesetzes anzusehen. Zwischen den Beteiligten des Umsatzes werde ein Schuldverhältnis entstehen, da Polfarmex sich verpflichten werde, das Eigentum an den Grundstücken auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Aktien am Grundkapital von Polfarmex halte, zu übertragen, und die eingezogenen Aktien die Gegenleistung für diese Übertragung darstellen würden. Dies bedeute, dass es zu einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt kommen werde, weshalb der Umsatz der Mehrwertsteuer unterliege.

21        Polfarmex erhob beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Łodzi (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Lodz, Polen) Klage auf Aufhebung dieser Einzelfallauslegung.

22        Mit Urteil vom 10. März 2015 hob dieses Gericht die Einzelfallauslegung nicht nur deshalb auf, weil der von Polfarmex geplante Umsatz kein im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit durchgeführter Umsatz sei, sondern auch deshalb, weil die Frage, ob Mehrwertsteuer zu erheben sei, in Bezug auf den Umsatz in seiner Gesamtheit geprüft werden müsse. Im vorliegenden Fall handle es sich aber um ein und denselben komplexen Umsatz, der sich aus der Einziehung der Aktien und der Entrichtung des Entgelts für die eingezogenen Aktien an den Aktionär in Form einer Sachleistung zusammensetze. Die Einziehung der Aktien und die Übertragung des Eigentums an den Gegenständen als Gegenleistung seien somit eng miteinander verknüpft und diese beiden Seiten des Umsatzes voneinander abhängig. Folglich könne die Übertragung der Grundstücke auf den Aktionär nicht als eigenständiger und getrennter Umsatz, der der Mehrwertsteuer unterliege, gewertet werden, da nach dem Mehrwertsteuergesetz die Einziehung der Aktien kein solcher Umsatz sei.

23        Der Minister legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen), dem vorlegenden Gericht, ein.

24        Das vorlegende Gericht weist in seinem Vorabentscheidungsersuchen darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung im Bereich der Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Übertragung eines Grundstücks durch eine solche Gesellschaft auf einen Gesellschafter als Gegenleistung für den Erwerb von Anteilen, die er an dieser Gesellschaft halte, einen steuerbaren Umsatz im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 7 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes darstelle. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung führt das vorlegende Gericht aus, dass trotz der Ähnlichkeit zwischen der Einziehung von Gesellschaftsanteilen und jener von Aktien zweifelhaft sei, ob der im Ausgangsverfahren geplante Umsatz der Mehrwertsteuer unterliege, wobei die Voraussetzung des Handelns als Steuerpflichtiger und die Entgeltlichkeit des Umsatzes insofern fraglich seien, als eine Aktiengesellschaft wie Polfarmex infolge der Einziehung der Aktien keine unmittelbare Gegenleistung erhalte, da Aktien, die einen Teil ihres Grundkapitals verkörperten, gelöscht würden und das Grundkapital entsprechend verringert werde.

25        Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Unterliegt die Übertragung einer Immobilie durch eine Aktiengesellschaft auf einen Aktionär als Gegenleistung für die Einziehung seiner Aktien der Besteuerung mit der Mehrwertsteuer gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112?

Zur Vorlagefrage

26        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt, wenn eine Aktiengesellschaft wie im Fall des Ausgangsverfahrens einem ihrer Aktionäre als Gegenleistung für den – nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Einziehung von Aktien erfolgenden – Rückkauf von Aktien, die dieser Aktionär an ihrem Grundkapital hält, das Eigentum an Grundstücken überträgt.

27        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit der Mehrwertsteuerrichtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen worden ist, das insbesondere auf einer einheitlichen Definition der steuerbaren Umsätze beruht (Urteil vom 20. Juni 2013, Newey, C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28        So unterliegen nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt.

29        Nach Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als „Steuerpflichtiger“, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

30        Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie definiert eine „Lieferung von Gegenständen“ als die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

31        Daraus folgt, dass ein Umsatz grundsätzlich nur dann der Mehrwertsteuer unterliegen kann, wenn er die entgeltliche Übertragung eines Eigentumsrechts eines Steuerpflichtigen umfasst, der als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats handelt.

32        Hinsichtlich eines Umsatzes wie des im Ausgangsverfahren fraglichen steht erstens fest, dass der zwischen Polfarmex und ihrem Aktionär geplante Vorgang zur Übertragung des Eigentumsrechts an den in Rede stehenden Grundstücken führen wird, und zweitens, dass Polfarmex die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen aufweist.

33        Drittens ist die an den Ort der Lieferung der in Rede stehenden Grundstücke geknüpfte Voraussetzung unzweifelhaft erfüllt, da der Umsatz im Gebiet eines Mitgliedstaats, nämlich in Polen, stattfindet.

34        Was viertens die mögliche Entgeltlichkeit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken durch eine Aktiengesellschaft auf einen Aktionär als Gegenleistung für den – nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus erfolgenden – Rückkauf von Aktien im Besitz dieses Aktionärs angeht, ist darauf hinzuweisen, dass eine Lieferung von Gegenständen nur dann im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie „gegen Entgelt“ erbracht wird, wenn zwischen dem Lieferer und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die Vergütung, die der Lieferer erhält, den tatsächlichen Gegenwert für den gelieferten Gegenstand bildet (Urteile vom 27. April 1999, Kuwait Petroleum, C‑48/97, EU:C:1999:203, Rn. 26, und vom 21. November 2013, Dixons Retail, C‑494/12, EU:C:2013:758, Rn. 32).

35        Wenngleich der Gerichtshof insoweit bereits entschieden hat, dass die Übertragung des Eigentums an einem unbeweglichen Gegenstand, die zur Begleichung von Steuerrückständen von einem Mehrwertsteuerpflichtigen zugunsten des Fiskus oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats vorgenommen wird, nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, weil sie angesichts dessen, dass die Zahlung einer Steuerschuld einseitiger Natur ist, keine Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt darstellt (Urteil vom 11. Mai 2017, Posnania Investment, C‑36/16, EU:C:2017:361, Rn. 35 und 36), ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall zwischen dem Lieferer der Grundstücke und deren Empfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen Polfarmex auf ihren Aktionär im Austausch gegen von diesem gehaltene Aktien das Eigentum an Grundstücken überträgt. Indem auf diese Weise gegenseitig Eigentumsrechte übertragen werden, sind beide Parteien an diesem Umsatz sowohl als Lieferer als auch als Erwerber beteiligt.

36        Folglich handelt es sich um ein Rechtsverhältnis im Sinne der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die eine den Gegenwert der anderen bildet.

37        Was fünftens die Voraussetzung anbelangt, im Rahmen des geplanten Vorgangs als Steuerpflichtiger zu handeln, ist festzustellen, dass ein Steuerpflichtiger nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie grundsätzlich nur dann als solcher handelt, wenn er dies im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit tut (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 1995, Armbrecht, C‑291/92, EU:C:1995:304, Rn. 17).

38        In Bezug auf den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ hat der Gerichtshof entschieden, dass er so zu verstehen ist, dass er alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden umfasst. Aus der Analyse dieser Definition wird deutlich, dass sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und dass es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird. So wird eine Tätigkeit im Allgemeinen als „wirtschaftlich“ angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (Beschluss vom 20. März 2014, Gmina Wrocław, C‑72/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:197, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39        Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie steckt den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer somit sehr weit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2015, Saudaçor, C‑174/14, EU:C:2015:733, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40        Im vorliegenden Fall vertrat Polfarmex im Verfahren vor der Steuerbehörde die Auffassung, dass die beiden in Rede stehenden Umsätze einen einzigen komplexen Geschäftsvorgang darstellten, der sich aus der Einziehung der Aktien und dem hierfür geleisteten Entgelt, d. h. der Lieferung der Grundstücke, zusammensetze.

41        Wie sich aus Rn. 36 des vorliegenden Urteils ergibt, ist jedoch angesichts der Gegenseitigkeit der zwischen den beiden Gesellschaften erbrachten Leistungen und der doppelten Rolle jeder Partei im Rahmen ihres Rechtsverhältnisses – als Lieferer und Empfänger – zwischen den beiden Umsätzen zu unterscheiden.

42        Sollte sich herausstellen, dass die Grundstücke, um deren Lieferung es im Ausgangsverfahren geht und die von Polfarmex als Gegenleistung für die geplante „Einziehung“ übertragen werden sollen, für die „wirtschaftliche Tätigkeit“ dieser Gesellschaft in dem weiten Sinn, der sich aus der in den Rn. 38 und 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, verwendet werden, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, müsste man davon ausgehen, dass dieser Umsatz der Mehrwertsteuer unterliegt. Der bloße Umstand, dass die Übertragung des Eigentums an den Grundstücken als Entgelt für die betreffenden Aktien erfolgt und dieser Umsatz im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung von Polfarmex steht, kann insoweit nicht dazu führen, dass eine solche Lieferung von Grundstücken vom Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie ausgeschlossen ist.

43        Dessen unbeschadet sieht Art. 135 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuerrichtlinie jedoch eine Mehrwertsteuerbefreiung für die Lieferung von anderen Gebäuden als den in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie genannten vor, wobei sich die letztgenannte Bestimmung auf die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt, bezieht. Es ist nämlich insbesondere darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen zusammengenommen den Gerichtshof veranlasst haben, danach zu unterscheiden, ob ein Gebäude alt oder neu ist, wobei der Verkauf eines alten Gebäudes grundsätzlich nicht der Mehrwertsteuer unterliegt (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 2012, J. J. Komen en Zonen Beheer Heerhugowaard, C‑326/11, EU:C:2012:461, Rn. 21, und vom 16. November 2017, Kozuba Premium Selection, C‑308/16, EU:C:2017:869, Rn. 30). Da die Vorlagefrage nicht diese Bestimmungen betrifft und der Gerichtshof hierzu über keinerlei Informationen verfügt, wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, gegebenenfalls zu ermitteln, welche Regelung insoweit auf die Grundstücke, um deren Lieferung es im Ausgangsverfahren geht, anwendbar ist.

44        Was den Umsatz der „Einziehung“ der Aktien betrifft, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der bloße Erwerb und das bloße Halten von Aktien nicht als „wirtschaftliche Tätigkeiten“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden können. Der bloße Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen stellt nämlich keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung auf dem bloßen Eigentum an dem Gegenstand beruht und keine Gegenleistung für eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Richtlinie ist (Urteil vom 26. Mai 2005, Kretztechnik, C‑465/03, EU:C:2005:320, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45        Stellt der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen als solcher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie dar, so muss dasselbe auch für die Veräußerung solcher Beteiligungen gelten (Urteil vom 20. Juni 1996, Wellcome Trust, C‑155/94, EU:C:1996:243, Rn. 33).

46        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt, wenn eine Aktiengesellschaft wie im Fall des Ausgangsverfahrens einem ihrer Aktionäre als Gegenleistung für den – nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Einziehung von Aktien erfolgenden – Rückkauf von Aktien, die dieser Aktionär an ihrem Grundkapital hält, das Eigentum an Grundstücken überträgt, sofern die Grundstücke für die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Aktiengesellschaft verwendet werden.

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