EuGH: MWSt – Mit innergemeinschaftlichen Umsätzen verbundene Steuerbefreiungen – Nicht für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasster Erwerber
EuGH, Urteil vom 9.10.2014 – C-492/13; Traum EOOD gegen Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite
Amtliche Leitsätze
1. Art. 138 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass es ihnen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zuwiderläuft, dass die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats das Recht auf eine Mehrwertsteuerbefreiung aufgrund einer innergemeinschaftlichen Lieferung mit der Begründung versagt, dass der Erwerber nicht in einem anderen Mitgliedstaat für die Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst gewesen sei und dass der Lieferant weder die Echtheit der Unterschrift auf den Dokumenten, die er seiner Erklärung über die angeblich steuerfreie Lieferung als Belege beigefügt habe, noch die Bevollmächtigung der Person nachgewiesen habe, die diese Dokumente im Namen des Erwerbers unterzeichnet habe, obwohl die zum Beleg des Rechts auf Steuerbefreiung vom Lieferanten seiner Erklärung beigefügten Nachweise der vom nationalen Recht festgelegten Liste der der Steuerbehörde vorzulegenden Dokumente entsprachen und zunächst von dieser als Nachweise akzeptiert wurden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.
2. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/88 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ihm eine unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich Steuerpflichtige vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen können, um eine Mehrwertsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu erlangen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 (ABl. L 326, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Traum EOOD (im Folgenden: Traum) und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ für die Stadt Varna bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für öffentliche Einnahmen, im Folgenden: Direktor) über einen Steuerprüfungsbescheid, mit dem ein Antrag von Traum auf Mehrwertsteuerbefreiung eines von ihr als innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen eingeordneten Umsatzes abgelehnt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 [des Titels IX der Mehrwertsteuerrichtlinie] werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“
4 In Kapitel 4 („Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen“) des Titels IX dieser Richtlinie bestimmt Art. 138 Abs. 1:
„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden[,] von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.“
5 Art. 139 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Die Steuerbefreiung nach Artikel 138 Absatz 1 gilt nicht für die Lieferungen von Gegenständen durch Steuerpflichtige, die unter die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen nach Maßgabe der Artikel 282 bis 292 fallen.
Ferner gilt die Steuerbefreiung nicht für die Lieferungen von Gegenständen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.“
Bulgarisches Recht
6 Art. 7 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes (Zakon za danak varhu dobavenata stoynost, DV Nr. 63 vom 4. August 2006) in seiner im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZDDS) lautet:
„Eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen ist die Lieferung von Gegenständen, die von einem nach diesem Gesetz für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Lieferanten oder für dessen Rechnung oder für Rechnung des Erwerbers aus dem Inland nach einem anderen Mitgliedstaat befördert werden, wenn der Erwerber ein Steuerpflichtiger oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person ist, der/die in einem anderen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist.“
7 Art. 45 der Durchführungsverordnung zum ZDDS bestimmt:
„Zum Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen muss der Lieferant über folgende Dokumente verfügen:
1. das Dokument über die Lieferung:
a) die Rechnung über die Lieferung, in der, wenn der Erwerber für Mehrwertsteuerzwecke in einem anderen Mitgliedstaat erfasst ist, die von einem Mitgliedstaat zugeteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers angegeben ist, unter der ihm der Gegenstand geliefert wurde;
b) das Protokoll gemäß Art. 117 Abs. 2 [des ZDDS] – in den Fällen einer innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß Art. 7 Abs. 4 [des ZDDS]; ...
2. die Dokumente, die die Versendung oder die Beförderung der Gegenstände aus dem Inland nach einem anderen Mitgliedstaat nachweisen:
a) das Beförderungsdokument oder die schriftliche Bestätigung des Erwerbers oder einer von ihm bevollmächtigten Person, die bescheinigen, dass die Gegenstände im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erworben worden sind – in den Fällen, in denen die Beförderung für Rechnung des Lieferanten oder des Erwerbers erfolgt, aber von einem Dritten durchgeführt wurde – …
...“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
8 In den Monaten September und Oktober 2009 war Traum im Bereich allgemeiner Bauleistungen für Gebäude und bauliche Anlagen tätig. In ihrer Mehrwertsteuererklärung für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Oktober 2009 gab Traum an, sie habe mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen von Messerhaltern und Rohlingen an die in Griechenland ansässige Gesellschaft Evangelos gaitadzis bewirkt, und legte die in Art. 45 der Durchführungsverordnung zum ZDDS genannten Dokumente vor, nämlich zwei Rechnungen, auf denen die griechische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der Gesellschaft Evangelos gaitadzis aufgeführt war, Annahme- und Übergabeprotokolle, internationale Frachtbriefe und eine unterzeichnete Bescheinigung über den Erwerb von Waren.
9 Nachdem sie am 7. Oktober 2009 eine Überprüfung in der elektronischen Datenbank des Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystems (MIAS) (im Folgenden: MIAS-Datenbank) vorgenommen hatte, erließ die bulgarische Steuerbehörde am 2. November 2009 einen Verrechnungs- und Erstattungsbescheid gegenüber Traum. In diesem Bescheid gab sie an, dass eine Überprüfung in der MIAS-Datenbank ergeben habe, dass die Gesellschaft Evangelos gaitadzis für Mehrwertsteuerzwecke erfasst sei und seit dem 15. November 2005 über eine gültige Mehrwertsteuernummer verfüge.
10 Die Gesellschaft Evangelos gaitadzis deklarierte jedoch keinen innergemeinschaftlichen Erwerb, und es wurde keine Mehrwertsteuer in Griechenland erhoben.
11 Bei einer späteren Steuerprüfung konsultierte die bulgarische Steuerverwaltung erneut die MIAS-Datenbank und stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass die Gesellschaft Evangelos gaitadzis seit dem 15. Januar 2006 nicht mehr für Mehrwertsteuerzwecke erfasst war. Daher erließ diese Behörde am 17. Mai 2011 einen Steuerprüfungsbescheid gegen Traum, durch den die Verkaufsumsätze mit der Gesellschaft Evangelos gaitadzis nachträglich der Mehrwertsteuer unterworfen wurden, da diese Gesellschaft nicht in einem anderen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst sei, so dass die an die Steuerpflichtigkeit des Erwerbers anknüpfende Bedingung für eine Steuerbefreiung gemäß Art. 7 Abs. 1 ZDDS nicht erfüllt sei.
12 Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen diesen Steuerprüfungsbescheid legte Traum beim Direktor den von der bulgarischen Steuerbehörde erlassenen Verrechnungs- und Erstattungsbescheid vor, laut dem die Gesellschaft Evangelos gaitadzis zum Zeitpunkt des Umsatzes über eine gültige Mehrwertsteuernummer verfügt hatte.
13 Mit Entscheidung vom 5. August 2011 bestätigte der Direktor jedoch den Steuerprüfungsbescheid, wofür er sich auf den fehlenden Nachweis für die Beförderung des Gegenstands aus dem bulgarischen Hoheitsgebiet und die fehlende schriftliche Bestätigung über die Annahme der Ware durch den Erwerber stützte. Der Direktor machte geltend, dass die Empfangsbestätigung für die in Rede stehende Ware und die Annahme- und Übergabeprotokolle weder Angaben über die genaue Adresse enthielten, an der die Ware angenommen worden sei, noch über die Identität, Position und Vertretungsmacht der Person bei der Gesellschaft Evangelos gaitadzis, die die Waren angenommen habe, so dass diese Unterlagen nicht glaubhaft seien.
14 Im Rahmen ihrer gegen diese Entscheidung des Direktors erhobenen Klage hat Traum vor dem Administrativen sad Varna (Verwaltungsgericht Varna) geltend gemacht, dass sie der bulgarischen Steuerbehörde alle sowohl nach dem ZDDS als auch nach der Durchführungsverordnung zum ZDDS erforderlichen Dokumente zum Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorgelegt habe. Des Weiteren hat sie vorgetragen, sie habe die betreffenden Umsätze gutgläubig und erst nach vorheriger Überprüfung der Mehrwertsteuernummer der Gesellschaft Evangelos gaitadzis in der MIAS-Datenbank getätigt.
15 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die bulgarischen Gerichte zur Anwendung von Art. 7 Abs. 1 ZDDS, was die Beweise für eine innergemeinschaftliche Beförderung von Gegenständen und ihren Erwerb in einem anderen Mitgliedstaat anbelange, einander widersprechende Entscheidungen zu der Frage erlassen hätten, welche Beweiskraft internationalen Frachtbriefen zukomme. Es sei zu klären, ob die nach dem bulgarischen Recht geltenden Beweisregeln mit dem Unionsrecht vereinbar sind.
16 Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Varna beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen
1. Ist die Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfüllt und liegt keine Ausnahme nach Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens vor, in dem das Fehlen der Eigenschaft „für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Person“ beim Erwerber des Gegenstands erst nach der Bewirkung der Lieferung in der MIAS-Datenbank angezeigt wurde, sich die verspätete Eintragung der Eigenschaft „nach dem ZDDS abgemeldete Person“ aus Ausdrucken/Informationen der Steuerverwaltung ergibt und die Klägerin geltend macht, dass sie die erforderliche Sorgfalt habe walten lassen, indem sie Auskünfte in dieser Datenbank eingeholt habe, die jedoch nicht dokumentiert sind?
2. Werden die Grundsätze der Steuerneutralität, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes durch eine Verwaltungspraxis und eine Rechtsprechung verletzt, wonach es dem Verkäufer – dem Versender nach dem Beförderungsvertrag – obliegt, die Echtheit der Unterschrift des Erwerbers festzustellen und die Frage zu klären, ob sie von einer die Gesellschaft – den Erwerber – vertretenden Person, einem ihrer Angestellten mit entsprechender Position oder einer bevollmächtigten Person stammt?
3. Hat in einem Fall wie dem der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegenden Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung, und darf das nationale Gericht die Bestimmung unmittelbar anwenden?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
17 Der Direktor stellt die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Frage, weil das vorlegende Gericht den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens falsch dargestellt habe. Nach Auffassung des Direktors hat das vorlegende Gericht zu Unrecht angenommen, dass die Waren nach Griechenland befördert und an die Gesellschaft Evangelos gaitadzis übergeben worden seien.
18 Insoweit ist zum einen zu beachten, dass sich das vorlegende Gericht darauf beschränkt hat, dem Gerichtshof die Dokumente zu benennen, die von Traum eingereicht wurden, um das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen nachzuweisen, ohne selbst die Feststellung zu treffen, dass die Gegenstände tatsächlich nach Griechenland befördert oder dem Erwerber übergeben worden seien. Zum anderen beziehen sich die dem Gerichtshof gestellten Fragen gerade auf die Beweisanforderungen, die die Mitgliedstaaten für eine Mehrwertsteuerbefreiung wegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung stellen dürfen.
19 Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Gerichtshof im Rahmen des von Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens, das auf einer klaren Trennung der Aufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, nur befugt ist, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Unionsvorschrift zu äußern (vgl. Urteile WWF u. a., C‑435/97, EU:C:1999:418, Rn. 31, und Endress, C‑209/12, EU:C:2013:864, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was insbesondere das Vorbringen angeht, die Vorlageentscheidung sei in tatsächlicher Hinsicht unvollständig und fehlerhaft, so genügt der Hinweis, dass es nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts ist, die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen und daraus die Folgerungen für seine Entscheidung zu ziehen (Urteil PreussenElektra, C‑379/98, EU:C:2001:160, Rn. 40).
20 Das Vorabentscheidungsersuchen ist demnach zulässig.
Zur ersten und zur zweiten Frage
21 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 138 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass es ihnen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zuwiderläuft, dass die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats das Recht auf eine Mehrwertsteuerbefreiung aufgrund einer innergemeinschaftlichen Lieferung mit der Begründung versagt, dass der Erwerber nicht in einem anderen Mitgliedstaat für die Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst gewesen sei und dass der Lieferant weder die Echtheit der Unterschrift auf den Dokumenten, die er seiner Erklärung über die angeblich steuerfreie Lieferung als Belege beigefügt habe, noch die Bevollmächtigung der Person nachgewiesen habe, die diese Dokumente im Namen des Erwerbers unterzeichnet habe.
22 Zur Beantwortung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung als logische Folge des innergemeinschaftlichen Erwerbs von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfüllt (Urteil Mecsek-Gabona C‑273/11, EU:C:2012:547, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Europäischen Union versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.
24 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Mehrwertsteuerbefreiung wegen innergemeinschaftlicher Lieferung eines Gegenstands erst dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Verkäufer nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und wenn der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. insbesondere Urteil Teleos u. a., C‑409/04, EU:C:2007:548, Rn. 42).
25 Wie im Übrigen aus Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervorgeht, steht die Steuerbefreiung unter der Bedingung, dass die Lieferung nicht für einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person ausgeführt wird, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.
26 Die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen beziehen sich indessen auf die Beweisanforderungen, die gegenüber einem Lieferanten für den Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen der Mehrwertsteuerbefreiung bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen gestellt werden dürfen.
27 Hierzu ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass in Ermangelung einer konkreten Bestimmung in der Mehrwertsteuerrichtlinie, welche Beweise Steuerpflichtige vorlegen müssen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu gelangen, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, gemäß Art. 131 dieser Richtlinie die Bedingungen festzulegen, unter denen sie innergemeinschaftliche Lieferungen befreien, um eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen zu gewährleisten und um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und jeglichen Missbrauch zu verhindern. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (Urteil Plantanol, C‑201/08, EU:C:2009:539, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Dieser Grundsatz gilt in besonderem Maß, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Es ist folglich erforderlich, dass Steuerpflichtige ihre steuerlichen Verpflichtungen kennen, bevor sie ein Geschäft abschließen (vgl. Urteil Teleos u. a., EU:C:2007:548, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Nachweispflichten eines Steuerpflichtigen nach den im nationalen Recht dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen und nach der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen sind (vgl. Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 38).
31 Es verstieße somit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Mitgliedstaat, der die Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung wegen innergemeinschaftlicher Lieferung festgelegt hat, indem er u. a. eine Liste von Unterlagen aufgestellt hat, die den zuständigen Behörden vorzulegen sind, und der die vom Lieferanten als Nachweise für das Recht auf Befreiung vorgelegten Unterlagen zunächst akzeptiert hat, den Lieferanten später zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten könnte, wenn sich herausstellt, dass die betreffenden Gegenstände wegen einer vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung, von der der Lieferant weder Kenntnis hatte noch haben konnte, den Liefermitgliedstaat in Wirklichkeit nicht verlassen haben (vgl. Urteil Teleos u. a., EU:C:2007:548, Rn. 50).
32 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine korrekte und einfache Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiungen nicht gewährleistet, wenn in einer solchen Situation, obwohl es offenbar keinen stichhaltigen Beweis gibt, der den Schluss zulässt, dass die betreffenden Gegenstände an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats verbracht wurden, der Steuerpflichtige verpflichtet wird, einen solchen Beweis zu erbringen. Vielmehr lässt diese Verpflichtung den Steuerpflichtigen im Ungewissen darüber, ob die innergemeinschaftliche Lieferung von der Steuer befreit werden kann oder ob er die Mehrwertsteuer in den Verkaufspreis mit einbeziehen muss (vgl. Urteile Teleos u. a., EU:C:2007:548, Rn. 49 und 51, sowie Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 41).
33 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die bulgarische Steuerbehörde aufgrund der von Traum nach Art. 45 der Durchführungsverordnung zum ZDDS eingereichten Dokumente einen Verrechnungs- und Erstattungsbescheid erlassen hatte, ohne jedoch den Beweis der Echtheit der auf diesen Dokumenten vorhandenen Unterschrift des Erwerbers oder die Vorlage einer Vollmacht der unterzeichnenden Person zu verlangen. Erst im Rahmen einer späteren Steuerprüfung wurden diese Anforderungen, die nach Auffassung des vorlegenden Gerichts „zusätzlich aufgestellte Erfordernisse“ darstellen, von der Behörde gestellt.
34 Es würde jedoch dem Grundsatz der Rechtssicherheit widersprechen, eine Mehrwertsteuerbefreiung für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze mit der Begründung zu versagen, dass der Lieferant solche zusätzlichen Beweise bei einer späteren Kontrolle dieser Umsätze nicht vorgelegt habe, obwohl die von Traum ihrer Erklärung als Belege beigefügten Dokumente der in Art. 45 der Durchführungsverordnung zum ZDDS festgelegten Liste der der bulgarischen Steuerbehörde vorzulegenden Dokumente entsprachen und zunächst von dieser Behörde auch als Nachweise für das Recht auf Befreiung akzeptiert wurden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.
35 Was die Ablehnung der Mehrwertsteuerbefreiung für die im Ausgangsfall in Rede stehende innergemeinschaftliche Lieferung mit der Begründung angeht, der Erwerber sei zum Zeitpunkt der Lieferung nicht in einem anderen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst gewesen, ist es zwar richtig, dass die Zuteilung einer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer dem Nachweis des steuerlichen Status des Steuerpflichtigen für die Zwecke dieser Steuer dient und die steuerliche Kontrolle innergemeinschaftlicher Umsätze erleichtert (vgl. in diesem Sinne Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 60).
36 Da allerdings die zuständige Behörde den Status eines Steuerpflichtigen zu prüfen hat, bevor sie ihm eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zuteilt, können eventuelle Unregelmäßigkeiten des Registers der Steuerpflichtigen nicht dazu führen, dem Wirtschaftsteilnehmer, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat, die Steuerbefreiung zu nehmen, auf die er einen Anspruch hätte. Wie der Gerichtshof entschieden hat, widerspräche es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Verkäufer allein deshalb zur Mehrwertsteuer heranzuziehen, weil die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers rückwirkend aus dem Register gelöscht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 63 und 64).
37 Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits hatte Traum der bulgarischen Steuerbehörde zum Nachweis ihres Rechts auf Befreiung von der Mehrwertsteuer nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Durchführungsverordnung zum ZDDS zwei Rechnungen vorgelegt, auf denen die griechische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der Gesellschaft Evangelos gaitadzis aufgeführt war. Diese Angaben wurden nach Überprüfung in der MIAS-Datenbank durch die Steuerbehörde im Verrechnungs- und Erstattungsbescheid vom 2. November 2009 bestätigt. Daher hatte die Behörde zunächst zugestimmt und akzeptiert, dass der Erwerber, wie es Art. 7 Abs. 1 ZDDS zur Bedingung macht, in einem anderen Mitgliedstaat mehrwertsteuerpflichtig war. Erst im Rahmen einer späteren Kontrolle stellte die gleiche Behörde fest, dass es an der letzteren Bedingung fehlte. Unter diesen Umständen würde es den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit widersprechen, die Mehrwertsteuerbefreiung wegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.
38 Soweit der Direktor in seiner schriftlichen Erklärung geltend macht, Traum hätte mit anderen Mitteln nachweisen müssen, dass es sich bei der Gesellschaft Evangelos gaitadzis um eine in einem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtige und als solche auftretende Person handelt, deren innergemeinschaftliche Erwerbe der Mehrwertsteuer unterworfen gewesen seien, so geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass diese Anforderung von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht vorgesehen ist und darüber hinaus von der bulgarischen Steuerbehörde auch nicht vor dem Erlass des Verrechnungs- und Erstattungsbescheids geltend gemacht wurde, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.
39 In seiner schriftlichen Erklärung macht der Direktor weiterhin geltend, dass Traum nicht gutgläubig gehandelt und nicht die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt habe, um sich von der Echtheit der zur Stützung ihres Antrags auf Mehrwertsteuerbefreiung vorgelegten Dokumente zu überzeugen. Er bezieht sich des Weiteren auf eine mögliche, von der Gesellschaft Evangelos gaitadzis begangene Steuerhinterziehung gegenüber der griechischen Steuerbehörde. Hierzu trägt der Direktor u. a. vor, dass es im Licht der Antworten der Beförderer im Rahmen der Steuerprüfung, der die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Lieferung unterzogen worden sei, zweifelhaft erscheine, ob die vorgelegten Transportunterlagen dem tatsächlichen Sachverhalt entsprochen hätten.
40 Die Vorlageentscheidung enthält allerdings keine Angaben, die den Schluss zuließen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Lieferung mit einer Steuerhinterziehung verknüpft gewesen wäre oder dass Traum hinsichtlich einer etwaig vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung nicht in gutem Glauben gehandelt hätte.
41 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht befugt ist, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu überprüfen oder zu würdigen. Daher ist es Sache des nationalen Gerichts, alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob Traum in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass sie sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat (vgl. entsprechend Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 53).
42 Sollte das nationale Gericht zu dem Schluss gelangen, dass in Anbetracht objektiver Anhaltspunkte feststeht, dass Traum wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihr bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung der Erwerberin verknüpft war, und sie nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern, müsste ihr der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, Rn. 54).
43 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 138 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass es ihnen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zuwiderläuft, dass die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats das Recht auf eine Mehrwertsteuerbefreiung aufgrund einer innergemeinschaftlichen Lieferung mit der Begründung versagt, dass der Erwerber nicht in einem anderen Mitgliedstaat für die Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst gewesen sei und dass der Lieferant weder die Echtheit der Unterschrift auf den Dokumenten, die er seiner Erklärung über die angeblich steuerfreie Lieferung als Belege beigefügt habe, noch die Bevollmächtigung der Person nachgewiesen habe, die diese Dokumente im Namen des Erwerbers unterzeichnet habe, obwohl die zum Beleg des Rechts auf Steuerbefreiung vom Lieferanten seiner Erklärung beigefügten Nachweise der vom nationalen Recht festgelegten Liste der der Steuerbehörde vorzulegenden Dokumente entsprachen und zunächst von dieser als Nachweise akzeptiert wurden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.
Zur dritten Frage
44 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ihm unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich Steuerpflichtige vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf ihn berufen können, um eine Mehrwertsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu erlangen.
45 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen unabhängig davon berufen, in welcher Eigenschaft dieser handelt (vgl. in diesem Sinne Urteile Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 18 und 23, und Association de médiation sociale, C‑176/12, EU:C:2014:2, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Im vorliegenden Fall sieht Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vor, die Lieferungen von Gegenständen von der Steuer zu befreien, welche die dort aufgezählten Bedingungen erfüllen.
47 Art. 131 dieser Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten beim Erlass der in Art. 138 der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen für eine Mehrwertsteuerbefreiung zwar, um eine korrekte und einfache Anwendung dieser Befreiungen zu gewährleisten, einen gewissen Gestaltungsspielraum, doch beeinträchtigt dies nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der in diesem Artikel vorgesehenen Verpflichtung zur Steuerbefreiung (vgl. Urteil Association de médiation sociale, EU:C:2014:2, Rn. 33).
48 Daraus folgt, dass Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ihm eine unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich Steuerpflichtige vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen können, um eine Mehrwertsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu erlangen.
Kosten
49 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.