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Steuerrecht
29.01.2009
Steuerrecht
: Lohnsteuernachforderung bei irrtümlicher Annahme der Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 1997

BFH, Urteil vom 23.9.2008 - I R 65/07

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 21.8.2007 - 10 K 121/04 L (EFG 2007, 1850)

LEITSATZ

Das FA kann auch dann "nachträglich" i.S. von § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 1997 i.d.F. des StSenkG feststellen, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 1997 nicht vorgelegen haben, wenn es dies bereits bei Erteilung der Bescheinigung hätte bemerken können. Auch bei einer fehlerhaft erteilten Bescheinigung nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 kann das FA die zu wenig erhobene Lohnsteuer nachfordern.

EStG 1997 § 1 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4, § 1a, § 39 Abs. 5a, § 39c Abs. 4, § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1; EStG 1997 i.d.F. des StSenkG § 50 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1

SACHVERHALT

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau haben ihren Wohnsitz in den Niederlanden. Der Kläger war in den Streitjahren 1998 bis 2001 im Inland mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden als Controller beschäftigt. In gleichem Umfange war er in dieser Funktion in den Niederlanden tätig.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erteilte für die Streitjahre Bescheinigungen gemäß § 39c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997). In seinen Anträgen auf Erteilung einer Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer aus den Niederlanden (1998) bzw. auf Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3, § 1a EStG 1997 (1999 bis 2001) hatte der Kläger seinen voraussichtlichen Bruttoarbeitslohn im Inland und in den Niederlanden auf folgende Beträge beziffert:

 

Inland
DM

Niederlande
hfl

1998

93 600

96 000

1999

98 400

115 000

2000

110 000

121 500

2001

110 000

121 500

Der inländische Arbeitgeber behielt aufgrund der Bescheinigung des FA Lohnsteuer nach der Steuerklasse III ein und berücksichtigte dabei die in den Bescheinigungen ausgewiesenen Freibeträge gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 und 6 EStG 1997.

Nach einer Lohnsteueraußenprüfung forderte das FA die Lohnsteuer für die Streitjahre nach. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1850 veröffentlichtem Urteil vom 21. August 2007 10 K 121/04 L statt.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

AUS DEN GRÜNDEN

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen für eine Nachforderung von Lohnsteuer gemäß § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 1997 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428 --im Folgenden: EStG 2001--) vor.

1. Nach § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 gilt die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, bei beschränkt Steuerpflichtigen als durch den Steuerabzug abgegolten. Dies gilt nach § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 nicht, wenn der Steuerabzug nach Maßgabe unbeschränkter Steuerpflicht vorgenommen wurde und nachträglich festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i.S. des § 1 Abs. 2 oder 3 EStG 1997 oder des § 1a EStG 1997 nicht vorgelegen haben; § 39 Abs. 5a EStG 1997 ist dann sinngemäß anzuwenden.

2. a) Der Kläger hatte im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt und war daher nicht nach § 1 Abs. 1 EStG 1997 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Da die Einkünfte, die der Kläger und seine Ehefrau in den Niederlanden erzielt haben, sowohl die absolute (24 000 DM bzw. 12 272 €) als auch die relative (10 %-)Grenze nach § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 übersteigen, kann er auch nicht nach diesen Vorschriften als unbeschränkt Einkommensteuerpflichtiger behandelt werden. Er unterliegt vielmehr mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1997 in den Streitjahren der beschränkten Einkommensteuerpflicht.

Der Kläger ist gleichwohl im Lohnsteuerabzugsverfahren als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. von § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 behandelt worden. Ihm wurden auf seinen Antrag hin Bescheinigungen nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 erteilt, aufgrund derer seine Arbeitgeberin die Lohnsteuer nach der Steuerklasse III abführte, statt --wie bei beschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern materiell-rechtlich zutreffend-- nach der Steuerklasse I (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG 1997). Da das Ehegattensplitting nur unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige i.S. des § 1 Abs. 1 oder 2 oder des § 1a EStG 1997 beanspruchen können (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997), hat der Kläger zu wenig Lohnsteuer entrichtet.

b) Das FA hat dies erst nach Ablauf der Streitjahre und damit nachträglich festgestellt. Der Kläger hat zwar in seinen Anträgen nach § 39c Abs. 4 Satz 2 EStG 1997 stets zutreffende Angaben zur Höhe seines in den Niederlanden zu erwartenden Bruttoarbeitslohnes gemacht, so dass das FA bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung hätte feststellen können, dass der Kläger die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 EStG 1997 voraussichtlich nicht erfüllen wird. Es kommt jedoch nach dem Wortlaut des § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 nicht auf den Zeitpunkt an, in dem dies das FA anhand der Angaben des Steuerpflichtigen hätte feststellen können. Maßgeblich ist vielmehr allein, dass dies nachträglich, also nach Erteilung der Bescheinigung gemäß § 39c Abs. 4 EStG 1997, tatsächlich festgestellt wird. Dies folgt auch daraus, dass erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes feststeht, ob die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht tatsächlich vorliegen. Davor ist lediglich eine Prognose möglich.

c) Das FA durfte die Lohnsteuer gemäß § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 i.V.m. § 39 Abs. 5a Satz 4 EStG 1997 nachfordern.

aa) § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 bestimmt, dass der Steuerabzug vom Arbeitslohn unter den dort geregelten Voraussetzungen keine Abgeltungswirkung hat. Ob und inwieweit die zu wenig einbehaltene Lohnsteuer beim Arbeitnehmer nachgefordert werden kann, ergibt sich aus dem sinngemäß anzuwendenden § 39 Abs. 5a EStG 1997. Nach dieser Vorschrift hat ein Arbeitnehmer, für den eine Lohnsteuerkarte ausgestellt worden ist, dem Finanzamt unter Vorlage der Lohnsteuerkarte unverzüglich anzuzeigen, wenn er zu Beginn des Kalenderjahres beschränkt einkommensteuerpflichtig oder im Laufe des Kalenderjahres beschränkt einkommensteuerpflichtig geworden ist. Das Finanzamt hat die Lohnsteuerkarte vom Zeitpunkt des Eintritts der beschränkten Einkommensteuerpflicht an ungültig zu machen. Unterbleibt die Anzeige, hat das Finanzamt die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern, wenn diese 20 DM übersteigt.

bb) Da § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 auf § 39 Abs. 5a EStG 1997 insgesamt und nicht lediglich auf § 39 Abs. 5a Satz 4 EStG 1997 verweist, ist mit dem FG davon auszugehen, dass grundsätzlich auch § 39 Abs. 5a Sätze 1 bis 3 EStG 1997 sinngemäß anzuwenden sind (gl.A. Herkenroth in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 50 EStG Rz 352). Dies bedeutet: Der Arbeitnehmer hat dem Finanzamt unverzüglich anzuzeigen, wenn er bemerkt, dass die Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 EStG 1997 voraussichtlich nicht vorliegen werden. In diesem Fall hat er die Bescheinigung nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 dem Finanzamt zur Entwertung vorzulegen. Sofern eine Korrektur im Lohnsteuerabzugsverfahren noch möglich ist und tatsächlich erfolgt, ist für eine Nachforderung kein Raum. In allen anderen Fällen kann das Finanzamt die zuwenig entrichtete Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachfordern.

cc) Im Streitfall hat der Kläger nicht in der genannten Weise darauf hingewirkt, dass der Lohnsteuerabzug zutreffend vorgenommen wurde. Das FA durfte deshalb die zuwenig erhobene Lohnsteuer nachfordern. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger aus seiner Sicht keinen Anlass hatte, eine Anzeige zu erstatten, weil sich seine Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Antragstellung nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 nicht geändert hatten und er daher möglicherweise guten Glaubens war, die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3, 1a Abs. 2 EStG 1997 lägen vor. Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass das Finanzamt die Lohnsteuer nur nachfordern darf, wenn der Steuerpflichtige in vorwerfbarer Weise --fahrlässig oder vorsätzlich-- die Anzeige unterlassen hat. Eine Nachforderung der zu wenig entrichteten Lohnsteuer setzt auch nicht voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nach dem Zeitpunkt der Antragstellung geändert haben (a.A. Wüllenkemper, EFG 2007, 1852, 1853). Die nachträgliche Feststellung i.S. des § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 oder 3 oder des § 1a EStG 1997 nicht vorliegen, beruht regelmäßig nicht auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern darauf, dass die Höhe der Einkünfte oder das Verhältnis der inländischen zu den ausländischen Einkünften sich entgegen der Erwartungen abweichend entwickelt haben. Verstünde man die sinngemäße Anwendung des § 39 Abs. 5a Satz 4 EStG 1997 dahin, dass eine Nachforderung nur bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse möglich wäre, liefe der Verweis weitgehend leer. Dies entspräche auch nicht dem Zweck der Vorschrift, die Nacherhebung von Einkommensteuer (Lohnsteuer) sicherzustellen, wenn beim Lohnsteuerabzug das Splitting-Verfahren angewendet wurde und sich später herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nicht vorgelegen haben (BTDrucks 10/1636, S. 64). Eine Nachforderung hat vielmehr nur dann zu unterbleiben, wenn durch die Anzeige des Steuerpflichtigen bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren der zu geringe Lohnsteuerabzug korrigiert wird. Aus welchem Grund der Antrag des Steuerpflichtigen unterbleibt und ob der Arbeitnehmer aus seiner Sicht überhaupt Anlass hatte, einen derartigen Antrag zu stellen, ist dagegen weder nach Wortlaut noch dem Sinn der Vorschrift für die Nachforderung von Belang.

Der Kläger durfte auch nicht mit Blick auf die ihm wiederholt erteilten Bescheinigungen nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 darauf vertrauen, die Lohnsteuer werde nicht nachgefordert. Für diese Bescheinigungen gelten die Vorschriften über Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte entsprechend (§ 39c Abs. 4 Satz 3 EStG 1997). Die Angaben in der Bescheinigung stellen daher gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen dar, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 39 Abs. 3b Satz 4, § 39a Abs. 4 Satz 1 EStG 1997) und daher regelmäßig keinen Vertrauensschutz auslösen können. Zudem entfallen die Wirkungen dieser gesonderten Feststellungen, wenn der Arbeitgeber das Lohnkonto des Arbeitnehmers abschließt (§ 41b Abs. 1 Satz 1 EStG 1997) und Änderungen des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber nicht mehr zulässig sind (§ 41c Abs. 3 Sätze 1 und 2, § 42b EStG 1997).

d) Die Höhe der Lohnsteuernachforderungen ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Die angefochtenen Bescheide sind daher rechtmäßig.

3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

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