EuGH : Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg und auf jeglichen physischen Trägern (hier: Mehrwertsteuer)
EuGH, Urteil vom 7.3.2017 – C-390/15, Rzecznik Praw Obywatelskich (RPO) gegen Marszałek Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej, Prokurator Generalny, ECLI:EU:C:2017:174
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-660-1
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Tenor
Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 geänderten Fassung oder von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 berühren könnte.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 98 Abs. 2 und von Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 (ABl. 2009, L 116, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: geänderte Richtlinie 2006/112).
2 Es ergeht im Anschluss an einen vom Rzecznik Praw Obywatelskich (polnischer Bürgerbeauftragter) gestellten Antrag auf Feststellung, dass nationale Rechtsvorschriften, die die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher und anderer digitaler Veröffentlichungen auf elektronischem Weg ausschließen, nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Richtlinie
3 Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 (ABl. 2001, L 22, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sah vor:
„Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgesetzt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. Vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2005 darf dieser Satz nicht niedriger als 15 % sein.
…
Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar.“
4 In Art. 1 der Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 zur Änderung und vorübergehenden Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung der Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen (ABl. 2002, L 128, S. 41) heißt es:
„Die Richtlinie 77/388/EWG wird vorübergehend wie folgt geändert:
1. Artikel 9 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 2 Buchstabe e) wird der Schlusspunkt durch ein Komma ersetzt, und es werden folgende Gedankenstriche angefügt:
– ‚…
– auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen wie unter anderem die in Anhang L aufgeführten Dienstleistungen.‘
…
2. In Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a) wird der folgende vierte Unterabsatz angefügt:
‚Unterabsatz 3 gilt nicht für die in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) letzter Gedankenstrich genannten Dienstleistungen.‘“
5 Die Sechste Richtlinie wurde durch die am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Richtlinie 2006/112 aufgehoben und ersetzt.
Richtlinie 2006/112
6 Art. 14 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“
7 Art. 24 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2006/112 lautet:
„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“
8 Art. 25 der geänderten Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Eine Dienstleistung kann unter anderem in einem der folgenden Umsätze bestehen:
a) Abtretung eines nicht körperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht;
…“
9 Art. 96 der geänderten Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“
10 Art. 98 Abs. 1 und 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
Die ermäßigten Steuersätze sind nicht anwendbar auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen.“
11 Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 lautete in der Fassung vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/47:
„Lieferung von Büchern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder -manuskripte, Landkarten und hydrografische oder sonstige Karten), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.
12 Am 7. Juli 2008 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112 in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze vor (KOM[2008] 428 endg., im Folgenden: Richtlinienvorschlag). Er sah vor, Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/47 durch folgenden Text zu ersetzen:
„Lieferung von Büchern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder -manuskripte, Landkarten und hydrographische oder sonstige Karten, sowie Hörbücher, CD, CD-ROM oder andere körperliche Datenträger, die überwiegend denselben Informationsgehalt wiedergeben wie gedruckte Bücher), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.
13 Durch Legislative Entschließung vom 19. Februar 2009 billigte das Europäische Parlament eine geänderte Fassung des Richtlinienvorschlags. Keine der vom Parlament vorgenommenen Änderungen betraf den von der Kommission als Ersatz für Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/47 vorgeschlagenen Text.
14 Am 5. Mai 2009 verabschiedete der Rat den endgültigen Wortlaut der Richtlinie 2009/47. Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 lautet nunmehr:
„Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder Manuskripte, Landkarten und hydrografische oder sonstige Karten), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.
Polnisches Recht
15 Nach Art. 146 sowie Art. 41 Abs. 2 und 2a des Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 in seiner im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (Dz. U. von 2011, Nr. 177, Position 1054, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) in Verbindung mit den Positionen 72 bis 75 von Anhang 3 sowie den Positionen 32 bis 35 von Anhang 10 dieses Gesetzes unterliegen die Lieferungen von Veröffentlichungen in gedruckter Form oder auf einem physischen Träger einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Dagegen gilt für die elektronische Übermittlung von Veröffentlichungen kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 Mit Antragsschrift vom 6. Dezember 2013 ersuchte der Bürgerbeauftragte das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht, Polen) um die Feststellung, dass die Positionen 72 bis 75 von Anhang 3 des Mehrwertsteuergesetzes in Verbindung mit dessen Art. 41 Abs. 2 sowie die Positionen 32 bis 35 von Anhang 10 des Mehrwertsteuergesetzes in Verbindung mit dessen Art. 41 Abs. 2a insofern nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind, als sie die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze allein bei Veröffentlichungen vorsehen, die auf einem physischen Träger zur Verfügung gestellt werden, und nicht bei elektronisch übermittelten Veröffentlichungen.
17 Im Ausgangsverfahren haben der Marszałek Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej (Präsident des Parlaments der Republik Polen) und der Prokurator Generalny (polnischer Generalstaatsanwalt) hervorgehoben, dass die fraglichen Bestimmungen des polnischen Gesetzes zur Umsetzung von Art. 98 Abs. 2 und Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 in nationales Recht ergangen seien, von denen der polnische Gesetzgeber nicht abweichen könne, da er sonst gegen seine unionsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen würde. Die gleiche Auffassung haben die vom vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache zur Stellungnahme aufgeforderten Mitglieder der polnischen Regierung vertreten.
18 Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel an der Gültigkeit dieser beiden Bestimmungen der geänderten Richtlinie 2006/112.
19 Erstens könnte seines Erachtens die Richtlinie 2009/47, auf die Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 zurückgeht, mit einem Verfahrensfehler behaftet sein, weil der Wortlaut von Nr. 6 vom Wortlaut des dem Parlament zugeleiteten Richtlinienvorschlags abweiche.
20 Zweitens könnte Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen. Denn obwohl digitale Bücher unabhängig davon, ob sie auf einem physischen Träger zur Verfügung gestellt oder elektronisch übermittelt würden, vergleichbare Eigenschaften hätten und dieselben Bedürfnisse der Verbraucher erfüllten, sei nach Art. 98 Abs. 2 die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur bei der Lieferung digitaler Bücher auf einem physischen Träger zulässig.
21 Infolgedessen hat das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Nr. 6 des Anhangs III der geänderten Richtlinie 2006/112 ungültig, weil im Gesetzgebungsverfahren das wesentliche Formerfordernis der Anhörung des Europäischen Parlaments nicht beachtet worden ist?
2. Ist Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Nr. 6 des Anhangs III der geänderten Richtlinie 2006/112 ungültig, weil er den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzt, soweit er die Anwendung der ermäßigten Steuersätze auf Bücher, die in digitaler Form herausgegeben werden, und andere elektronische Publikationen ausschließt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
22 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 ungültig ist, weil in dem Gesetzgebungsverfahren, das zu seinem Erlass führte, gegen ein wesentliches Formerfordernis verstoßen wurde. Da der Wortlaut von Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 vom Wortlaut des Richtlinienvorschlags, auf dessen Grundlage das Parlament angehört wurde, abweicht, wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob das Parlament nicht erneut hätte angehört werden müssen.
23 Nach Art. 93 EGV (nunmehr Art. 113 AEUV), der ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vorsieht, musste das Parlament vor dem Erlass der Richtlinie 2009/47 und somit vor der Ersetzung von Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 durch die Richtlinie 2009/47 angehört werden.
24 Die ordnungsgemäße Anhörung des Parlaments stellt nämlich in den im EG-Vertrag, nunmehr im AEU-Vertrag, vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Missachtung die Nichtigkeit der betreffenden Handlung zur Folge hat (Urteil vom 10. Mai 1995, Parlament/Rat, C-417/93, EU:C:1995:127, Rn. 9).
25 Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren ist ein wesentliches Element des vom Vertrag gewollten institutionellen Gleichgewichts, da die Befugnis des Parlaments Ausdruck des grundlegenden demokratischen Prinzips ist, dass die Völker durch eine repräsentative Versammlung an der Ausübung der Hoheitsgewalt beteiligt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 1995, Parlament/Rat, C-21/94, EU:C:1995:220, Rn. 17, und vom 10. Juni 1997, Parlament/Rat, C-392/95, EU:C:1997:289, Rn. 14).
26 Die Pflicht, das Parlament in den im Vertrag vorgesehenen Fällen im Gesetzgebungsverfahren anzuhören, impliziert, dass es immer dann erneut angehört wird, wenn der letztlich verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört wurde, es sei denn, die Änderungen entsprechen im Wesentlichen einem vom Parlament selbst geäußerten Wunsch (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 1994, Deutschland/Rat, C-280/93, EU:C:1994:367, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Daher ist zu prüfen, ob Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 in seinem Wesen vom Wortlaut des Richtlinienvorschlags abweicht, auf dessen Grundlage das Parlament angehört wurde.
28 Hierzu ist festzustellen, dass nach dem Richtlinienvorschlag zu den künftig unter Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 fallenden Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, für die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gelten können, die „Lieferung von Büchern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder -manuskripte, Landkarten und hydrographische oder sonstige Karten, sowie Hörbücher, CD, CD-ROM oder andere körperliche Datenträger, die überwiegend denselben Informationsgehalt wiedergeben wie gedruckte Bücher), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“, gehören sollte.
29 Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 bezieht sich hingegen auf die „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder Manuskripte, Landkarten und hydrografische oder sonstige Karten), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.
30 Ein Vergleich des Wortlauts des Richtlinienvorschlags und von Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 zeigt, dass Letzterer sich dadurch vom Richtlinienvorschlag unterscheidet, dass die dort aufgeführten „Hörbücher, CD [und] CD-ROM“ nicht zu den physischen Trägern gehören, bei denen ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz zur Anwendung kommen kann, und dass in Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112, anders als im Richtlinienvorschlag, nicht ausdrücklich von Büchern die Rede ist, „die überwiegend denselben Informationsgehalt wiedergeben wie gedruckte Bücher“, sondern von der Lieferung von Büchern auf „jeglichen physischen Trägern“.
31 Aus diesen Unterschieden kann aber nicht geschlossen werden, dass Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 in seinem Wesen vom Wortlaut des Richtlinienvorschlags abweicht.
32 Da auch der Richtlinienvorschlag neben gedruckten Büchern, Hörbüchern, CDs und CD-ROMs Bücher auf „andere[n] körperliche[n] Datenträger[n]“ erfassen sollte, kann die darin enthaltene Aufzählung nämlich nicht als abschließend angesehen werden, sondern sollte deutlich machen, dass alle denkbaren Arten körperlicher Datenträger erfasst werden sollten; dies entspricht der letztlich vom Rat in Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 gewählten Lösung.
33 Zwar wird in Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 nicht ausdrücklich klargestellt, dass die betreffenden physischen Träger, damit ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann, überwiegend denselben Informationsgehalt wiedergeben müssen wie gedruckte Bücher. Da er sich nach seinem Wortlaut jedoch nur auf „Bücher“ bezieht, worunter nach dem gewöhnlichen Wortsinn Druckwerke zu verstehen sind, müssen die betreffenden Träger, um in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung zu fallen, überwiegend denselben Informationsgehalt wiedergeben wie gedruckte Bücher.
34 Infolgedessen ist die vom Gerichtshof bereits in Rn. 53 des Urteils vom 5. März 2015, Kommission/Luxemburg (C-502/13, EU:C:2015:143), getroffene Feststellung zu bekräftigen, dass es sich bei dem Wortlaut von Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 nur um eine redaktionelle Vereinfachung des Textes des Richtlinienvorschlags handelt, dessen Wesen in vollem Umfang erhalten blieb.
35 Unter diesen Umständen war der Rat nicht verpflichtet, das Parlament erneut anzuhören.
36 Nach alledem ist Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 nicht deshalb ungültig, weil im Gesetzgebungsverfahren, das zu seinem Erlass führte, gegen ein wesentliches Formerfordernis verstoßen wurde.
Zur zweiten Frage
37 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 6 ungültig ist, weil er gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt, soweit er die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf die Lieferung von Büchern, die in digitaler Form herausgegeben werden, und anderen elektronischen Publikationen ausschließt.
Vorbemerkungen
38 Erstens ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht zwar im Wortlaut seiner Frage auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität Bezug nimmt, doch geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass es der Sache nach die Frage aufwirft, ob Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 6 im Licht des in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung gültig ist.
39 Zweitens erwähnt das vorlegende Gericht in seiner Frage zwar neben Büchern, die in digitaler Form herausgegeben werden, „andere elektronische Publikationen“, doch geht wiederum aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die von ihm geäußerten Zweifel allein dahin gehen, ob durch die geänderte Richtlinie 2006/112 die Lieferung digitaler Bücher möglicherweise ungleich behandelt wird, je nachdem, ob sie auf einem physischen Träger oder auf elektronischem Weg geliefert werden.
40 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 6 ungültig ist, weil er jede Möglichkeit für die Mitgliedstaaten ausschließt, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, und deshalb gegen den in Art. 20 der Charta verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.
Würdigung durch den Gerichtshof
41 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich zu behandeln, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Urteile vom 12. November 2014, Guardian Industries und Guardian Europe/Kommission, C-580/12 P, EU:C:2014:2363, Rn. 51, und vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, C-477/14, EU:C:2016:324, Rn. 35).
– Zur Behandlung vergleichbarer Sachverhalte
42 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Merkmale, in denen sich unterschiedliche Sachverhalte voneinander unterscheiden, sowie ihre etwaige Vergleichbarkeit im Licht des Ziels und des Zwecks der in Rede stehenden Vorschriften zu bestimmen und zu beurteilen. Dabei sind die Grundsätze und Ziele des betreffenden Bereichs zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C-127/07, EU:C:2008:728, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43 Im vorliegenden Fall ergibt sich die vom vorlegenden Gericht angesprochene unterschiedliche Behandlung daraus, dass die Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit haben, für die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes vorzusehen, während die Anwendung eines solchen Satzes bei der Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist. Infolgedessen sind die Merkmale, die diese beiden Sachverhalte kennzeichnen, sowie ihre etwaige Vergleichbarkeit im Licht der Ziele zu bestimmen und zu beurteilen, die der Gesetzgeber verfolgte, als er es den Mitgliedstaaten gestattete, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern anzuwenden.
44 Hierzu ist festzustellen, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, auf die Lieferung gedruckter Bücher einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, erstmals in der Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG (Annäherung der MWSt.-Sätze) (ABl. 1992, L 316, S. 1) vorgesehen war, durch deren Art. 1 in die Sechste Richtlinie ein Anhang H („Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze angewandt werden können“) eingefügt wurde, dessen Nr. 6 in Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112 in ihrer Fassung vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/47 übernommen wurde. Durch die letztgenannte Richtlinie wurde diese Befugnis auf die Lieferung von Büchern „auf jeglichen physischen Trägern“ erweitert.
45 Wie die Generalanwältin in Nr. 56 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, besteht das der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von Büchern zugrunde liegende Ziel in der Förderung des Lesens, sei es von Belletristik, Sachbüchern, Zeitungen oder Zeitschriften.
46 Somit ist davon auszugehen, dass mit der geänderten Richtlinie 2006/112, soweit sie es den Mitgliedstaaten gestattet, auf die Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden, ein solches Ziel verfolgt wird.
47 Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass nach Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 auf die Lieferung von „Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“, kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden darf. Solche Druckerzeugnisse sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass mit ihnen nicht das in Rn. 45 des vorliegenden Urteils genannte Ziel verfolgt wird.
48 Damit ein solches Ziel erreicht werden kann, müssen die Bürger der Europäischen Union aber in effektiver Weise Zugang zum Inhalt der Bücher haben, wobei es keine entscheidende Rolle spielt, in welcher Form sie bereitgestellt werden.
49 Folglich ist festzustellen, dass in Anbetracht des mit Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 verfolgten Ziels die Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern und die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg vergleichbare Sachverhalte darstellen.
50 Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach Art. 14 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2006/112 die Lieferung eines digitalen Buchs auf einem physischen Träger grundsätzlich eine Lieferung von Gegenständen darstellt, während nach Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 dieser Richtlinie die Lieferung eines digitalen Buchs auf elektronischem Weg eine Dienstleistung darstellt. Da die Mehrwertsteuerregeln grundsätzlich darauf abzielen, Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen in gleicher Weise zu besteuern, erscheint diese unterschiedliche Einordnung in Anbetracht des mit Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 verfolgten, in Rn. 45 des vorliegenden Urteils genannten Ziels nicht entscheidend.
51 Infolgedessen ist davon auszugehen, dass durch die Regelung in Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6, soweit mit ihr die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg ausgeschlossen wird, während sie bei der Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, zwei Sachverhalte ungleich behandelt werden, obwohl sie in Anbetracht des vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziels vergleichbar sind.
– Zur Rechtfertigung
52 Wird eine unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte festgestellt, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vor, sofern es für die unterschiedliche Behandlung eine gebührende Rechtfertigung gibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C-127/07, EU:C:2008:728, Rn. 46).
53 Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Fall, wenn die unterschiedliche Behandlung im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu einer solchen unterschiedlichen Behandlung führt, verfolgt wird, und wenn die unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 2013, Schaible, C-101/12, EU:C:2013:661, Rn. 77, und vom 22. Mai 2014, Glatzel, C-356/12, EU:C:2014:350, Rn. 43).
54 In diesem Kontext ist anerkannt, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass einer steuerlichen Maßnahme Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art treffen, divergierende Interessen in eine Rangfolge bringen oder komplexe Beurteilungen vornehmen muss. Infolgedessen ist ihm in diesem Rahmen ein weites Ermessen zuzuerkennen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen auf offensichtliche Fehler beschränken muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, C-491/01, EU:C:2002:741, Rn. 123, sowie vom 17. Oktober 2013, Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka, C-203/12, EU:C:2013:664, Rn. 35).
55 Im vorliegenden Fall ergibt sich die in Rn. 51 des vorliegenden Urteils festgestellte unterschiedliche Behandlung aus Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6, der die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf alle elektronischen Dienstleistungen und somit auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg, anders als bei der Lieferung – auch digitaler – Bücher auf jeglichen physischen Trägern, ausschließt.
56 Insoweit geht aus den Materialien zur Richtlinie 2002/38 hervor, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen hinsichtlich der Besteuerung elektronisch erbrachter Dienstleistungen einen ersten Schritt zur Umsetzung einer neuen Politik im Bereich der Mehrwertsteuer darstellten, mit der das Mehrwertsteuersystem vereinfacht und gestärkt werden sollte, um die legalen Handelsgeschäfte innerhalb des Binnenmarkts zu fördern. Weiter heißt es dort, dass der elektronische Handel ein erhebliches Potential für die Schaffung von Wohlstand und Beschäftigung in der Union aufweise und dass sich das für Investitionen und Handel notwendige Klima des Vertrauens nur unter klaren und verlässlichen rechtlichen Rahmenbedingungen entwickeln könne.
57 Wie der Rat und die Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofs und in der mündlichen Verhandlung erläutert haben, ist der Ausschluss der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg in Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 als Teil einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung für den elektronischen Handel aufzufassen. Es sei nämlich als erforderlich angesehen worden, die auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen klaren, einfachen und einheitlichen Regeln zu unterwerfen, damit der für diese Dienstleistungen geltende Mehrwertsteuersatz zweifelsfrei ermittelt werden könne und so die Handhabung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen und die nationalen Finanzverwaltungen erleichtert werde.
58 Dass es sich dabei um ein rechtlich zulässiges Ziel handelt, kann bei vernünftiger Betrachtung nicht bezweifelt werden.
59 Der diesem Ziel zugrunde liegende Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt nämlich, dass eine Unionsregelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang ihrer Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen, damit sie sich darauf in Kenntnis der Sachlage einstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-582/08, EU:C:2010:429, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
60 Außerdem hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass die Aufstellung allgemeiner Regeln, die von den Wirtschaftsteilnehmern leicht angewandt und von den zuständigen nationalen Behörden einfach kontrolliert werden können, für einen Gesetzgeber ein legitimes Ziel darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2015, Sopora, C-512/13, EU:C:2015:108, Rn. 33).
61 Was die Eignung der in Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 vorgesehenen Maßnahme für die Erreichung des in den Rn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils dargelegten Ziels angeht, ist nicht ersichtlich, dass der Unionsgesetzgeber bei der von ihm vorgenommenen Beurteilung das ihm zustehende Ermessen überschritten hätte.
62 Durch den Ausschluss der auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erspart es der Unionsgesetzgeber nämlich den Steuerpflichtigen und den nationalen Finanzverwaltungen, bei jeder Art erbrachter elektronischer Dienstleistungen zu prüfen, ob sie unter eine der Kategorien von Dienstleistungen fallen, die nach Anhang III der geänderten Richtlinie 2006/112 in den Genuss eines solchen ermäßigten Satzes kommen können.
63 Die fragliche Maßnahme muss deshalb als zur Erreichung des Ziels, den Mehrwertsteuersatz für die auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen zweifelsfrei zu ermitteln und so die Handhabung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen und die nationalen Finanzverwaltungen zu erleichtern, geeignet angesehen werden.
64 In Bezug auf das mit der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit zusammenhängende Erfordernis, dass von den in Betracht kommenden geeigneten Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen ist und dass die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen, ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber eventuell die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg getrennt von der Gesamtheit der elektronischen Dienstleistungen hätte behandeln und damit die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf solche Bücher hätte ermöglichen können.
65 Eine solche Lösung könnte jedoch dem vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, das an das Erfordernis anknüpft, die durch die fortwährende Weiterentwicklung der elektronischen Dienstleistungen als Ganzes entstehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Deshalb hat er alle diese Dienstleistungen von der Liste der Umsätze ausgenommen, die nach Anhang III der geänderten Richtlinie 2006/112 in den Genuss eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes kommen können.
66 Würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wie es bei der Lieferung solcher Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, würde die Kohärenz der gesamten vom Unionsgesetzgeber angestrebten Maßnahme beeinträchtigt, die darin besteht, alle elektronischen Dienstleistungen von der Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auszunehmen.
67 Zur etwaigen Erstreckung der Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, auf alle elektronischen Dienstleistungen ist festzustellen, dass der Erlass einer solchen Maßnahme allgemein zu einer Ungleichbehandlung nicht elektronischer Dienstleistungen, die grundsätzlich nicht in den Genuss eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes kommen, und elektronischer Dienstleistungen geführt hätte.
68 Folglich durfte der Unionsgesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens davon ausgehen, dass keine der beiden theoretisch denkbaren Maßnahmen zur Erreichung der verschiedenen von ihm verfolgten Ziele geeignet war.
69 Hinzuzufügen ist, dass der Rat, wie sich aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2002/28 sowie aus Art. 6 der Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 2006/112 bezüglich des Ortes der Dienstleistung (ABl. 2008, L 44, S. 11) ergibt, eine Überprüfung des Systems der speziellen Besteuerung auf elektronischem Weg erbrachter Dienstleistungen vorgesehen hat, um der erworbenen Erfahrung Rechnung zu tragen. Überdies hat die Kommission in einer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer (COM[2016] 148 final) angekündigt, einen Entwurf für eine Richtlinie zur Änderung der geänderten Richtlinie 2006/112 ausarbeiten zu wollen.
70 Unter diesen Umständen ist die aus Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 resultierende unterschiedliche Behandlung der Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg und der Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern als gebührend gerechtfertigt anzusehen.
71 Daher ist festzustellen, dass die Regelung in Art. 98 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6, die zum Ausschluss der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten führt, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, während sie auf die Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden dürfen, nicht gegen den in Art. 20 der Charta verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.
72 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Prüfung der Vorlagefragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Anhang III Nr. 6 der geänderten Richtlinie 2006/112 oder von Art. 98 Abs. 2 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 6 berühren könnte.
Kosten
73 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.