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Steuerrecht
27.04.2023
Steuerrecht
FG Münster: Klageerhebung durch Steuerberater per Telefax noch zulässig trotz Möglichkeit der beSt-Beantragung per „Fast-Lane“

FG Münster, Gerichtsbescheid vom 14.4.2023 – 7 K 86/23 E

ECLI:DE:FGMS:2023:0414.7K86.23E.00

Volltext des Gerichtsbescheids://BB-ONLINE BBL2023-996-1

Sachverhalt

In der Sache ist streitig, ob und ggf. in welcher Höhe Werbungskosten bei den Einkünften aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes zu berücksichtigen sind.

Nachdem die Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2019 abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen. Neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte er Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von x EUR. Der festgesetzte Verspätungszuschlag betrug x EUR. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 12.11.2021).

Im Einspruchsverfahren machten die Kläger unter anderem geltend, dass er, der Kläger, lediglich einen Veräußerungsgewinn in Höhe von x EUR erzielt habe. Der Beklagte hob den Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 11.03.2022 auf. Im Juni 2022 reichten die Kläger eine Einkommensteuererklärung für 2019 ein, aus welcher sich ein Veräußerungsverlust in Höhe von x EUR (Objekt „L-Str., xxxxx Q-Stadt“) ergab. Dabei setzten die Kläger Werbungskosten in Höhe von x EUR an. Später reduzierten sie die geltend gemachten Kosten auf einen Betrag von x EUR.

Nachdem der Beklagte die Kläger erfolglos zur Vorlage von Nachweisen aufgefordert hatte, erging die Teil-Einspruchsentscheidung vom 09.12.2022. Der Beklagte reduzierte die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf x EUR, wobei er die geltend gemachten Werbungskosten nicht anerkannte. Den Verspätungszuschlag setzte er auf x EUR herab.

Die – durch einen Steuerberater vertretenen – Kläger haben am 12.01.2023 per Telefax Klage erhoben (Bl. 1 GA). Nach Hinweis des Berichterstatters auf § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – führte der Prozessbevollmächtigte aus, dass ihm das besondere elektronische Steuerberaterpostfach – beSt – bei Klageerhebung noch nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Registrierungsbrief der Bundessteuerberaterkammer – BStBK – sei ihm erst heute – also am 21.02.2023 (Bl. 13 GA) – zugegangen. Zum Nachweis legte er den an ihn adressierten Registrierungsbrief vom 17.02.2023 vor.

Aus den Gründen

II. A. Der Senat entscheidet über die Frage der Formwirksamkeit der Klage durch Zwischen-Gerichtsbescheid gemäß §§ 97, 90a FGO.

Nach § 97 FGO kann über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. Die Entscheidung kann auch durch Gerichtsbescheid ergehen (BFH-Zwischenurteil vom 05.11.2019 X R 15/18, BFH/NV 2020, 526). Der Begriff „Zulässigkeit einer Klage“ ist weit auszulegen; er bezieht sich auf alle für das Klageverfahren erheblichen Sachurteilsvoraussetzungen und bedeutet nicht, dass ein Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Klage geprüft und bejaht worden sind (BFH-Urteil vom 22.07.2015 V R 49/14, BFH/NV 2015, 1692).

Der Erlass einer Zwischenentscheidung gemäß § 97 FGO ist im vorliegenden Verfahren sachgerecht. Hierdurch wird die bestehende Ungewissheit über die Formwirksamkeit der Klage beseitigt. Die Auslegung des § 52d Satz 2 FGO ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten.

B. Die Klage ist formwirksam per Telefax erhoben worden (dazu I.). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger war im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die Pflicht zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs („aktive Nutzungspflicht“) greift erst, sobald die BStBK dem jeweiligen Steuerberater die Registrierungsaufforderung mit den notwendigen Registrierungsangaben für das beSt übersandt hat. Ein früherer Beginn der aktiven Nutzungspflicht ergibt sich nicht aus der Möglichkeit, den Versand der Registrierungsaufforderung durch einen sog. „Fast-Lane-Antrag“ zu beschleunigen (dazu II.).

I. Die Kläger haben die Klage formwirksam per Telefax erhoben. Gemäß § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage bei dem Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die Schriftform wird auch durch Übersendung der Klage per Telefax gewahrt (BFH-Urteil vom 18.03.2014 VIII R 9/10, BFHE 245, 484, BStBl II 2014, 748).

II. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger war nicht nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln, da ihm im Zeitpunkt der Klageerhebung die Registrierungsaufforderung mit den notwendigen Registrierungsangaben für das beSt noch nicht vorlag.

1. Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.

a) Ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ist der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Zu den elektronischen Postfächern im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FGO gehört das beSt (vgl. § 11 Abs. 1 der Verordnung über die Steuerberaterplattform und die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer vom 25.11.2022, BGBl I 2022, Seite 2105 – StBPPV –).

b) Durch § 86 Abs. 2 Nr. 10 und Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG – in der am 01.08.2022 geltenden Fassung wurde die BStBK verpflichtet, eine Steuerberaterplattform nach § 86c StBerG und die besonderen Steuerberaterpostfächer nach den §§ 86d, 86e StBerG einzurichten. Nach § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG richtet die BStBK über die Steuerberaterplattform „für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein „besonderes Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein“. Die beSt-Infrastruktur stellt die erste Ausbaustufe des Steuerberaterportals dar. Die Registrierung bei der Steuerberaterplattform sowie die Erstanmeldung am beSt haben nach § 3 StBPPV in einem einheitlichen Vorgang zu erfolgen. Das beSt ist mit dem über die Steuerberaterplattform eingerichteten Nutzerkonto verknüpft. Über die Steuerberaterplattform wird die u. a. für die Nutzung des beSt erforderliche sog. „bestätigte Steuerberateridentität“ bereitgestellt, d. h. über die Steuerberaterplattform erfolgt für jeden Einzelfall die Identifizierung, Authentifizierung und Bestätigung der (fortbestehenden) Berufsträgereigenschaft (vgl. BR-Drucks. 489/22, S. 16).

c) In den personellen Anwendungsbereich des § 52d Satz 2 FGO fallen die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen und damit insbesondere auch Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO). In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung auch auf bestimmende Schriftsätze wie beispielsweise die Klageschrift (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 253 Abs. 4 der Zivilprozessordnung – ZPO –; BFH-Beschluss vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057 [BB 2022, 2082 m. BB-Komm. Wackerbeck]; BFH-Zwischenurteil vom 25.10.2022 IX R 3/22, BStBl II 2023, 267 [BB 2023, 544]).

d) Ein Prozesserklärung, welche gegen § 52d FGO verstößt, ist formunwirksam (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057 [BB 2022, 2082 m. BB-Komm. Wackerbeck] und vom 23.08.2022 VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83 [BB 2022, 2133 Ls.]).

2. Nach Auffassung des Senats greift die aktive Nutzungspflicht erst, sobald die BStBK dem jeweiligen Steuerberater die Registrierungsaufforderung mit den notwendigen Registrierungsangaben für das beSt übersandt hat. Erst ab diesem Zeitpunkt steht dem Steuerberater ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52d Satz 2 FGO „zur Verfügung“. Ein früherer Beginn der aktiven Nutzungspflicht ergibt sich nicht aus der Möglichkeit, den Versand der Registrierungsaufforderung durch einen sog. „Fast-Lane-Antrag“ zu beschleunigen („enge konkrete Auslegung“, so auch FG Hessen Beschluss vom 21.03.2023 10 V 67/23, juris; Mehnert/Kalina-Kerschbaum, DStR 2022, 2573, 2574; Rosenke in FGO - eKommentar, § 52d FGO Rn. 11). Dem Gesetz kann keine generelle aktive Nutzungspflicht ab dem 01.01.2023 entnommen werden („enge abstrakte Auslegung“, in diesem Sinne FG Niedersachsen Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, juris; Pohl, Stbg 2022, 426; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 52d Rn. 15 und 40; vgl. auch die nicht tragenden Ausführungen in BFH-Beschluss vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057 unter 1. b) aa) (1) [BB 2022, 2082 m. BB-Komm. Wackerbeck]). Andererseits kommt es aufgrund der vom Gesetzgeber geschaffenen Verantwortungssphären (vgl. §§ 86c, 86d StBerG) nicht darauf an, ob dem jeweiligen Steuerberater die von ihm vorzuhaltenden „technischen Einrichtungen“ – wie z.B. ein Personalausweis mit aktivierter Online-Ausweisfunktion und ein Kartenlesegerät (vgl. III. 2.1 der „FAQ Steuerberaterplattform/besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach“ der BStBK vom 20.03.2023) – zur Verfügung stehen und der Steuerberater das beSt tatsächlich freigeschaltet hat („weite konkrete Auslegung“, in diesem Sinne möglicherweise Schmittmann, BB 2022, I).

a) Bereits der Wortlaut des § 52d Satz 2 FGO, welcher an die Person des Einreichers anknüpft („...Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg [...] zur Verfügung steht“), spricht dafür, dass der Beginn der aktiven Nutzungspflicht nicht abstrakt, sondern nur konkret für jeden einzelnen Berufsträger bestimmt werden kann („personenbezogene Betrachtungsweise“). Auch steht ein Übermittlungsweg nach dem allgemeinen Wortsinn nur dann „zur Verfügung“, wenn ihn der Berufsträger tatsächlich nutzen kann. Die bloße Möglichkeit, den Versand der Registrierungsaufforderung durch einen sog. „Fast-Lane-Antrag“ zu beschleunigen, reicht nicht aus.

Für eine „personenbezogene Betrachtungsweise“ spricht auch der Vergleich mit § 52d Satz 1 FGO, wonach die aktive Nutzungspflicht bei Rechtsanwälten an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft ist. Hätte der Gesetzgeber den Beginn der Nutzungspflicht auch für Steuerberater abstrakt regeln wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er eine § 52d Satz 1 FGO entsprechende Regelung für Steuerberater geschaffen hätte.

) Für die hier vertretene Sichtweise sprechen auch teleologische und verfassungsrechtliche Erwägungen.

(1) Nach der Systematik der §§ 86c und 86d StBerG sowie den ergänzenden Regelungen der StBPPV ergeben sich zwei Verantwortungssphären.

§ 86d StBerG regelt in den Abs. 1 bis 5 den rechtlichen Rahmen für die Einrichtung und Betrieb der beSt-Infrastruktur. Normadressat als Verpflichteter insoweit ist (allein) die BStBK. Der einzelne Steuerberater ist dagegen verpflichtet, sich bei der Steuerberaterplattform mit dem für ihn eingerichteten Nutzerkonto zu registrieren (§ 86c Abs. 1 StBerG) und die für die Nutzung des beSt erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten (§ 86d Abs. 6 StBerG). Für die erstmalige Registrierung im Nutzerkonto der Steuerberaterplattform benötigt der Steuerberater einen neunstelligen Schlüssel, der ihm durch die BStBK mitgeteilt werden muss. Gemäß § 2 Abs. 4 StBPPV ist die BStBK verpflichtet, die Steuerberater über ihre Registrierungspflicht nach § 86c Abs. 1 StBerG und die Einrichtung ihrer Nutzerkonten zu unterrichten. Zudem soll die BStBK den Steuerberatern eine Anleitung für die erforderliche Registrierung bereitstellen (vgl. Verordnungsbegründung, BR-Drucks. 489/22, S. 17).

Diesen Regelungen kann einerseits entnommen werden, dass die Einrichtung und der Betrieb des Steuerberaterportals mit den persönlichen Nutzerkonten sowie der beSt-Infrastruktur in die Verantwortung der BStBK fällt. Der Umstand, dass die BStBK die Registrierungsaufforderungen erst im Laufe des ersten Quartals 2023 versandt hat, kann nicht zu Lasten der Steuerberater gehen. Die BStBK handelt als Hoheitsträger und nicht als Erfüllungsgehilfin der einzelnen Steuerberater.

Andererseits folgt aus den vorstehenden Regelungen, dass der einzelne Berufsträger sich bei der Steuerberaterplattform registrieren, beim beSt anmelden und in seiner Büroorganisation die für die Nutzung des beSt notwendigen „technischen Einrichtungen“ vorhalten muss. Dies spricht gegen die „weite konkrete Auslegung“ des § 52d Satz 2 FGO. Der sichere Übertragungsweg steht dem Berufsträger bereits dann „zur Verfügung“, wenn die BStBK ihren Verpflichtungen nachgekommen ist. Ob der Berufsträger seine eigenen Pflichten erfüllt hat, kann für den Beginn der aktiven Nutzungspflicht nicht entscheidend sein. Andernfalls hätte er es in der Hand, sich der aktiven Nutzungspflicht (dauerhaft) zu entziehen. Dies wäre mit Zweck des § 52d FGO, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern, nicht vereinbar.

(2) Gegen die „enge abstrakte Auslegung“ spricht auch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG –.

Bei der Auslegung jeder Verfahrensvorschrift ist grundsätzlich einer rechtsschutzgewährenden Auslegung der Vorzug zu geben, die im Zweifel zur Annahme eines zulässigen Rechtsbehelfs führt (vgl. Großer Senat des BFH, Beschluss vom 03.09.2001 GrS 3/98, BStBl II 2001, 802, 808 [BB 2001, 2459 m. BB-Komm. Rüping, BB 2002, 770]; BFH-Entscheidungen vom 27.07.1999 VIII R 56/98, BFH/NV 2000, 198 und vom 17.01.2002 VI B 114/01, BStBl II. 2002, 306 [BB 2002, 717 Ls.]). Eine Auslegung von Verfahrensvorschriften darf insbesondere nicht dazu führen, dass das Beschreiten des eröffneten Rechtsweges in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. im Einzelnen u. a. Großer Senat des BFH Beschluss vom 03.09.2001 GrS 3/98, BStBl II 2001, 802, 808 m. w. N. [BB 2001, 2459 m. BB-Komm. Rüping, BB 2002, 770]).

Mit diesen Grundsätzen wäre eine generelle aktive Nutzungspflicht ab dem 01.01.2023 nicht vereinbar, da von den Steuerberatern in Einzelfällen etwas faktisch Unmögliches gefordert würde. Dies wäre im Ergebnis unzumutbar und aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zur rechtsschutzgewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 GG. Eine derartige Situation war nach den Planungen der BStBK und der tatsächlichen Praxis auch keine Ausnahme, sondern der Regelfall, da die Registrierungsaufforderungen im geordneten Verfahren erst beginnend im Januar 2023 versandt wurden, da es der BStBK technisch nicht möglich war, sämtlichen Berufsträgern die Registrierungsaufforderungen in einer Tranche zum 01.01.2023 zu versenden.

Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht eine Pflicht zur Nutzung der sog. Fast-Lane bejahen wollte, wäre es von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig gewesen, ob die Übersendung der notwendigen Informationen durch die BStBK noch rechtzeitig bis zum Ablauf des 31.12.2022 erfolgt wäre. Eine „enge abstrakte Auslegung“ wäre daher im Ergebnis nur vertretbar, wenn die BStBK den Versand der Registrierungsaufforderungen in der Weise organisiert hätte, dass sämtlichen Berufsträgern und Berufsausübungsgesellschaften ihr beSt bis zum 31.12.2022 hätten einrichten können. Dies aber ist bekanntlich weder geplant gewesen noch praktiziert worden. Der Versand der für die Erstanmeldung notwendigen Informationen durch die BStBK erfolgte tatsächlich beginnend im Januar 2023 in alphabetischer Reihenfolge in mehreren Tranchen bis hin zum 17.03.2023.

Durch die hier vertretene „enge konkrete Auslegung“ wird auch nicht die von § 52d FGO bezweckte Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (dazu BT-Drucks. 17/12634, Seite 1 ff; BT-Drucks. 19/30516) gefährdet. Sie führt allenfalls zu einer geringfügigen Verzögerung der flächendeckenden Nutzung des beSt von wenigen Wochen. Angesichts des hohen Stellenwertes der Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG ist diese Verzögerung hinzunehmen.

(3) Mit einer effektiven Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht im Einklang stünde allerdings die „weite konkrete Auslegung“. Denn würde es auf die tatsächliche Freischaltung durch den Berufsträger ankommen, hätte es dieser – wie bereits ausgeführt – in der Hand, die Nutzung des beSt zeitlich unbegrenzt zu verzögern. Der Vorhalt der technischen Einrichtungen (§ 86d Abs. 6 StBerG) ist auch im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG zumutbar (vgl. auch BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 20.12.2017 1 BvR 2233/17, BayVBl 2018, 378).

c) Für die hier vertretene Sichtweise spricht schließlich die Gesetzeshistorie.

Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber von einer aktiven Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO ab dem 01.01.2023 ausging. Vielmehr spricht der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung von einer sukzessiven Einrichtung der einzelnen Nutzerkonten auf dem Steuerberaterportal und damit der beSt über das Steuerberaterportal beginnend in 2023 (vgl. Begründung zu § 86c StBerG, BT-Drucks. 19/30516, S. 60, letzter Absatz, erster Satz).

Die Regelung des § 52d Satz 2 FGO geht auf das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl 2013, S. 3786) zurück. Mit dem Gesetz war für Steuerberater noch keine aktive Nutzungspflicht geplant. Für Steuerberater war als sicherer Übermittlungsweg die absenderbestätigte De-Mail im Sinne von § 52a Abs. 4 Nr. 1 FGO vorgesehen, die keine aktive Nutzungspflicht auslöste. § 52d Satz 2 FGO verwies nicht auf § 52a Abs. 4 Nr. 1 FGO. Steuerberater waren seit 2018 „lediglich“ verpflichtet, für gerichtliche Zustelllungen ab dem 01.01.2018 empfangsbereit zu sein (§ 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO). D. h. die passive Nutzungspflicht galt bereits seit 2018, war allerdings nicht durch eine entsprechende berufsrechtliche Pflicht flankiert.

Mit dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl 2021, 4607) wurde das Bürger- und Organisationspostfach (eBO) als weiterer sicherer Übermittlungsweg i. S. v. § 52a Abs. 4 Nr. 4 FGO eingeführt. In der ersten Entwurfsfassung ging der Gesetzgeber noch davon aus, dass auch Steuerberater zum Nutzerkreis des eBO gehören werden (vgl. Regierungsentwurf vom 12.02.2021, BR-Drucks. 145/21, S. 20). Die aktive Nutzungspflicht hätte für Steuerberater damit erst ab 2026 gegriffen.

Die Regelungen zum beSt wurden erst Mitte 2021 mit der vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) des Bundestages erarbeiteten Entwurfsfassung vom 09.06.2021 (BT-Drucks. 19/30516) aufgenommen. Die BStBK hatte sich in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs unter Verweis auf die eigenen Pläne zum Steuerberaterportal und dem beSt als dessen erster Ausbaustufe gegen eine Einbeziehung in den Nutzerkreis des eBO ausgesprochen. In Bezug auf § 52d Satz 2 FGO hatte sie darauf verweisen, dass dessen Anpassung nicht erforderlich sei, da das beSt ein weiterer sicherer Übermittlungsweg i. S. v. §§ 52a Abs. 4 Nr. 2 Var. 2, 52d Satz 2 FGO darstelle.

Mit dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl 2021, 4607) wurden §§ 52a und 52d Satz 2 FGO durch Ausweitung auf das eBO als sicherer Übermittlungsweg i. S. v. § 52a Nr. 4 FGO sowie die aktive Nutzungspflicht für einen Teil des eBO-Nutzerkreises nach § 52d Satz 2 FGO in der ab dem 01.01.2026 geltenden Fassung angepasst. Das hier maßgebende Tatbestandsmerkmal „zur Verfügung steht“ in § 52d Satz 2 FGO wurde nicht geändert und in der Gesetzesbegründungen nicht thematisiert.

Die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsbratenden Berufe vom 07.07.2021 (BGBl 2021, S. 2363) gibt Anhaltspunkte über die Vorstellungen des Gesetzgebers, ab wann die durch das beSt ausgelöste aktive Nutzungspflicht greifen sollte, und spricht nicht für, sondern gegen eine „enge abstrakte Auslegung“ des Merkmals „zur Verfügung steht“.

Zwar wurde § 52d Satz 2 FGO selbst mit diesem Gesetz nicht angepasst. Anhaltspunkte für die Auslegung des Merkmals „zur Verfügung steht“ ergeben sich allerdings aus der Gesetzesbegründung zu den §§ 86c Abs. 1 StBerG und § 86d Abs. 6 StBerG, welche die Pflichten des Steuerberaters zur Erstregistrierung beim Steuerberaterportal (§ 86c Abs. 1 StBerG) und zur passiven Nutzung des beSt (§ 86d Abs. 6 StBerg) regeln.

Die Gesetzesbegründung des 6. Bundestagsausschusses zu § 86c Abs. 1 und § 86d Abs. 6 StBerG geht unter Verweis auf § 157e StBerG zwar davon aus, dass die berufsrechtliche (passive) Nutzungspflicht zum 01.01.2023 eingeführt werden soll (BT-Drucks. 19/30516, S. 66). In Bezug auf § 52d Satz 2 FGO ist jedoch davon die Rede, dass „verfahrensrechtlich nach Inbetriebnahme des Steuerberaterpostfachs eine aktive Nutzungspflicht für Zustellungen von elektronischen Dokumenten an die Gerichte“ bestehe (BT-Drucks. 19/30516, S. 66). Insoweit lässt auch der Hinweis, dass eine berufsrechtliche passive Nutzungspflicht für sämtliche Steuerberater „zwingend erforderlich“ sei, auch unter Berücksichtigung von § 157e StBerG nicht den Schluss zu, dass die aktive Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO für jeden Steuerberater am 01.01.2023 greifen sollte. Zudem wird in der Gesetzesbegründung zu § 86c StBerG, der die Registrierungspflicht für das Steuerberaterportal regelt, davon ausgegangen, dass es „künftig Aufgabe der Bundessteuerberaterkammer“ sei, „ab dem 1. Januar 2023 (vergleiche § 157e StBErG-E) eine Steuerberaterplattform funktionsbereit einzurichten“ (BT-Drucks. 19/30516, S. 60). Da aber die Registrierung auf der Steuerberaterplattform denknotwendig der erste Schritt vor einer erstmaligen Nutzung des beSt darstellt, kann der Gesetzgeber schlechterdings nicht die Vorstellung gehabt haben, dass die gesamte Infrastruktur bereits zum 31.12.2022 stehen sollte und könnte. Vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass die BStBK das Steuerberaterportal mit den einzelnen Nutzerkonten (digitale Steuerberateridentität) und den jeweiligen beSt als erster Ausbaustufe sukzessive erst ab dem 01.01.2023 einrichten würde, wie es auch tatsächlich geschehen ist.

Die Gesetzesbegründung spricht auch an keiner Stelle von einer aktiven Nutzungspflicht ab dem 01.01.2023, sondern – wie ausgeführt wurde - von einer aktiven Nutzungspflicht „nach Inbetriebnahme des Steuerberaterpostfachs“.

Tatsächlich erfolgte im letzten Quartal 2022 eine Pilotierung der Steuerberaterplattform und einzelner beSt. An dem Testbetrieb nahmen ausgewählte Berufsträger und die Steuerberaterkammern Nürnberg, Hessen und Saarland und einzelne Finanzgerichte teil. In einem Informationsschreiben der BStBK vom 26.09.2022 wurden die Finanzgerichte bundesweit davon in Kenntnis gesetzt, dass es der BStBK technisch nicht möglich sei, den über 100.000 Berufsträgern und Berufsausübungsgesellschaften ein beSt zum 01.01.2023 zur Verfügung zu stellen. In dem Schreiben wurde auf den geordneten Versand der Registrierungsaufforderungen im ersten Quartal 2023 verwiesen. Dem entsprach die auf der Homepage der BStBK veröffentlichten FAQ-Liste (Stand September 2022). Tatsächlich wurde der Versand der Registrierungsaufforderungen mit den für die Erstanmeldung auf dem Steuerberaterportal nach den hiesigen Informationen zum 17.03.2023 abgeschlossen.

C. Da der Senat lediglich eine Zwischenentscheidung erlassen hat, bleibt die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten (vgl. BFH-Zwischenurteile vom 05.11.2019 X R 15/18, BFH/NV 2020, 526 und vom 25.10.2022 IX R 3/22, BStBl II 2023, 267 [BB 2023, 544]).

Die Revision war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO). Die hier vertretene Auslegung des § 52d Satz 2 FGO weicht von dem Urteil des FG Niedersachsen vom 20.03.2023 7 K 183/22, juris ab.

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