: Kindergeld für ein erwachsenes Kind während der Ausbildung zur Flugbegleiterin
FG Köln, Urteil 3.3.2010 - 10 K 212/09
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Verfügung vom 3.9.2008 verpflichtet, der Klägerin ab August 2008 Kindergeld in gesetzlicher Höhe für ihre Tochter zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Kindergeld für die Tochter (geboren: ... 1985) ab August 2008 zusteht.
Die Tochter beendete im Juni 2008 die Schule. Anschließend bewarb sie sich sowohl bei der N als auch bei F als Flugbegleiterin. Während sie von der N eine Absage erhielt, bekam sie von der F am 23. Juni 2008 die Mitteilung, dass ein Einstellungsgespräch stattfindet. Am 28. Oktober 2008 wurde ein Schulungsvertrag (Flugbegleiter) abgeschlossen. Der Vertrag begann am 5. Januar 2009 und endete mit erfolgreichem Abschluss der Schulung. Die Schulung diente der Vermittlung von theoretischen und praktischen Kenntnissen für die Tätigkeit eines Flugbegleiters. Der Lehrgang dauerte circa sieben Wochen. Vorgesehen war im Anschluss an das Trainee-Programm der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags. Die Tochter erhielt auch nach Abschluss des Trainee-Programms einen Arbeitsvertrag bei der F. Ein Entgelt wurde während der Schulung nicht gezahlt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schulungsvertrag Bezug genommen.
Die Beklagte lehnte mit Verfügung vom 3. September 2008 den Antrag der Klägerin ab, ihr ab August 2008 Kindergeld für die Tochter zu gewähren.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2008 als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Ihre Tochter habe sich selbstverständlich immer bei verschiedenen Stellen als Flugbegleiterin beworben. Sie habe sich unverzüglich nach Erlangen der allgemeinen Hochschulreife zielgerichtet um einen Ausbildungsplatz bemüht und auch innerhalb eines Monats ein Bewerbungsdatum erhalten.
Soweit die Beklagte in Zweifel ziehe, dass es sich bei dem Beruf der Flugbegleiterin um eine anerkannte Berufsausbildung handele, werde dem widersprochen. Selbstredend handele es sich um einen anerkannten Beruf, und zwar weltweit, nicht begrenzt auf die Abmessungen der Bundesrepublik Deutschland. Die entsprechenden Flugbegleiter erwürben durch Ableistung von Dienstzeit und Aufstieg in bestimmte weitergehende Positionen eine internationale Qualifikation. Das hierzu nicht die Ableistung einer mehrjährigen "Lehrzeit" gefordert scheine, trüge. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 20. Oktober 2009 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
ihr unter Aufhebung der Verfügung vom 3. September 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2008 Kindergeld in gesetzlicher Höhe ab August 2008 für ihre Tochter zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zur Einspruchsentscheidung trägt sie vor:
Für die Zeit ab August 2008 habe die Klägerin keine Nachweise über die ernsthafte Ausbildungsstellensuche der Tochter vorgelegt. Insbesondere reiche die Bewerbung als Flugbegleiterin für eine Berücksichtigung als ausbildungswilliges Kind nicht aus. Zum einen sei eine Schulung zum Flugbegleiter keine staatlich anerkannte Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz. Zum anderen gehe aus dem Schulungsvertrag hervor, dass es sich bei der siebenwöchigen Schulung um ein "Trainee-Programm" handele. Bei solchen Programmen trete der Ausbildungscharakter in den Hintergrund, denn eine Beschäftigung als "Traineé" diene der Auswahl geeigneter Bewerber für bestimmte Positionen. Dies sei mit einer verlängerten Probezeit zu vergleichen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.
Die Ablehnung von Kindergeld ab August 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten vgl. § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - .
Die Tochter befand sich ab Januar 2009 in Ausbildung, so dass jedenfalls ab diesem Monat Kindergeld zu zahlen war. Daraus folgt gleichzeitig, dass für die Monate August bis Dezember 2008 ebenfalls Kindergeld zu gewähren ist. Dies ergibt sich aus einer Selbstbindung der Verwaltung gemäß der DA-Fam 63.3.4.
Der Senat wertet die sieben-wöchige Schulung zur Flugbegleiterin als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der Senat anschließt, ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen dabei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Auch eine praktische Tätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung absolvieren, ist grundsätzlich als Berufsausbildung anzuerkennen. Dabei spielt es keine Rolle, ob für das Praktikum eine Vergütung gezahlt wird oder nicht. Aus der gesetzlichen Formulierung "für einen Beruf ausgebildet" ist allerdings zu folgern, dass die Tätigkeit der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dienen und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen muss. Es darf sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handeln (vgl zusammenfassend FG Münster, Urteil vom 30.10.2008 4 K 4113/07 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 357, BFH-Az.: III R 88/08; Urteil des erkennenden Senats vom 16.9.2004 10 K 411/02, EFG 2004, 1848; s. auch Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.2.2000 VI B 108/99, Bundessteuerblatt II 2000, 398 zum juristischen Referendariat als Berufsausbildung).
Auf die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung als "Trainee", "Praktikum", "Schulung" oder anderes kommt es nicht an. Ausschlaggebend ist allein der Charakter der Maßnahme.
Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen kommt der Senat unter Würdigung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis, dass die der Tätigkeit als Flugbegleiterin vorgeschaltete Schulung als Berufsausbildung anzusehen ist. Dabei lässt er sich von folgenden Erwägungen leiten:
- Während der Schulungszeit lag noch kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Schulungsbetrieb und der Tochter vor. Ein Arbeitsverhältnis wurde erst bei erfolgreichem Abschluss der Schulung geschlossen. Es handelt sich also nicht um eine Probezeit zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses. Insoweit unterscheidet sich der Fall von einem sog. "Anlernberuf", wo direkt ein Arbeitsvertrag geschlossen und der Arbeitnehmer zunächst für gewisse Tätigkeiten angelernt wird.
- Während der Schulungszeit wurde kein Entgelt gezahlt.
- Hätte die Tochter den anschließenden Arbeitsvertrag nicht angenommen, hätte sie die Schulungskosten zurückzahlen müssen. Dies ist bei einem Arbeitsverhältnis mit Probezeit absolut unüblich.
- Ohne die Schulung kommt es nicht zu einem Einsatz als Flugbegleiterin, die Schulung ist also unabdingbare Voraussetzung, um das Berufsziel "Flugbegleiterin" zu erreichen.
- Die Schulung wurde im Wesentlichen am Boden und nicht während des regulären Flugbetriebs vorgenommen, es handelt sich also nicht um ein "learning by doing".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zu, wann Schulungen als Ausbildung und wann als Teil eines Arbeitsverhältnisses anzusehen sind.