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Steuerrecht
10.07.2015
Steuerrecht
FG Köln: Keine Umsatzsteuerfreiheit für Konkurrenzunternehmen der Deutschen Post AG

FG Köln, Urteil vom 11.3.2015 – 2 K 1707/11

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine Bescheinigung zu erteilen ist, wonach die von der Klägerin erbrachten Postdienstleistungen nach § 4 Nr. 11b UStG umsatzsteuerfrei sind.

Die Klägerin betreibt, neben weiteren mit ihr über die gemeinsame Muttergesellschaft (R AG) verbundene Unternehmen, ein Unternehmen, dessen Geschäftsgegenstand die Ausführung von Postzustellungsaufträgen (PZA) im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist.

Mit Schreiben vom 21. Juni 2010, ergänzt durch Schreiben vom 12. Juli 2010 (vgl. Bl. 3, 23 der vom Beklagten geführten Verwaltungsakte -VA-) beantragte die Klägerin beim Beklagten die „Umsatzsteuerbefreiung in Bezug auf das Produkt Postzustellungsaufträge (PZA gemäß §§ 176 ff. ZPO“, mithin eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG in der ab dem 1. Juli 2010 geltenden Fassung. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass das Produkt „Postzustellungsaufträge“ dem Post-Universaldienst zuzuordnen sei. Zwar sei der Postzustellungsauftrag bislang namentlich nicht in der Post-Universaldienstleistungsverordnung erwähnt, dies sei jedoch nicht nachvollziehbar. Ein Postzustellungsauftrag unterscheide sich nicht von einem Einschreiben, insoweit sei die bestehende Regelungslücke bislang noch nicht vom Gesetzgeber geschlossen worden. Eine steuerliche Ungleichbehandlung des Postzustellungsauftrags im Vergleich etwa zum Einschreiben sei nicht gerechtfertigt.

Des Weiteren erklärte die R AG, Muttergesellschaft der Klägerin, mit Schreiben vom 12. Juli 2010 (Bl. 23 der VA) gegenüber dem Beklagten, dass sich unter anderen auch die Klägerin im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG gegenüber dem Beklagten verpflichte, flächendeckend im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einen Teilbereich der Post-Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (sog. Post-Richtlinie) in der jeweils geltenden Fassung, d.h. konkret bundesweit flächendeckende förmliche Zustellungen von Schriftstücken auf der Grundlage der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, entsprechend der seitens der Bundesnetzagentur zu diesem Zweck erteilten Lizenzen im gesamten Bundesgebiet anzubieten.

Diesen Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 4. August 2010 (Bl. 31 der VA) ab mit der Begründung, dass das Produkt „Postzustellungsauftrag“ keine Post-Universaldienstleistung im Sinne der vorgenannten Vorschrift darstelle. Die Post-Universaldienstleistungen seien abschließend in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG (Post-Richtlinie) geregelt. Das Produkt „Postzustellungsauftrag“ gehöre nicht zu den dort genannten drei Teilbereichen. Zustellungsaufträge seien in der Post-Richtlinie nicht erwähnt und gehörten somit nicht zum gemeinschaftsweiten Mindestuniversaldienst, für den die Steuerbefreiung gelten solle.

Hiergegen wandte sich die Klägerin und legte mit Schreiben vom 20. August 2010 Einspruch gegen die ablehnende Entscheidung ein (vgl. Bl. 35 der VA). Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2011 (Bl. 3 der Gerichtsakte -GA-) als unbegründet zurück.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren, eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG zu erlangen, weiter. Zur Klagebegründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:

Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich bei den von der Klägerin ausgeführten Postzustellungsaufträgen um Post-Universaldienstleistungen im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG. Das Umsatzsteuergesetz selbst definiere den Begriff der Post-Universaldienstleistungen nicht, sondern verweise auf Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG (Post-Richtlinie). Zwar enthalte Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie bei der Festlegung des Mindestgebots eines Universaldienstes nicht den Begriff des Postzustellungsauftrags. Jedoch folge aus den weiteren Regelungen der Post-Richtlinie, dass hierzu auch der Postzustellungsauftrag zähle. Dies ergebe sich daraus, dass in Art. 2 Nr. 5 der Begriff der Zustellung, in Art. 2 Nr. 9 der Begriff der Einschreibsendung für den Anwendungsbereich der Richtlinie definiert werde. Hierbei sei zu beachten, dass die Richtlinie nur eine allgemeine Beschreibung dessen liefern könne, was in den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft unter den Post-Dienstleistungen verstanden werde. Für einen Postzustellungsauftrag müsse hiernach das gleiche gelten wie für eine Zustellung bzw. eine Einschreibsendung, da auch bei einem Postzustellungsauftrag durch die Zustellungsurkunde, die an den Absender zurückgehe, die Aushändigung an den Empfänger oder eine entsprechende Ersatzzustellung bestätigt werden.

Daraus, dass der Postzustellungsauftrag nicht explizit in der Post-Richtlinie erwähnt werde, könne nicht gefolgert werden, dass dies vom Richtliniengeber bewusst unterlassen worden sei. Vielmehr folge aus der Erwähnung der Einschreib- und Wertsendungen in Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie, dass bei Erlass der Richtlinie auch besondere Versendungsarten berücksichtigt worden seien. Schließlich sei auch aus Absatz 20 der Begründungserwägungen der Post-Richtlinie ersichtlich, dass vom Richtliniengeber das Ziel verfolgt worden sei, den Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die Möglichkeit zu geben, die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren auf bestimmte Personen zu übertragen.

Die Klägerin führt weiter aus, der Postzustellungsauftrag sei eine spezielle Ausgestaltung des Einschreibens und falle mithin unter dem Begriff der Einschreibsendung im Sinne von Art. 2 Nr. 9 der Post-Richtlinie. Hierfür sei nicht erforderlich, dass Postzustellungsauftrag einerseits und Einschreibsendung andererseits in allen Einzelheiten vergleichbar seien. Die Klägerin verweist zudem auf die österreichische Regelung in § 7 Abs. 1 PostG-Österreich, wonach Zustellungen von Schriftstücken der Gerichte und Verwaltungsbehörden nach dem österreichischen Zustellungsgesetz als Teil des Universaldienstes aufgeführt seien.

Dieses Ergebnis finde auch Bestätigung in Art. 132 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sowie in der Entscheidung des EuGH im Verfahren „TNT Post UK“ (Aktenzeichen C357/07). Danach rechtfertige sich die Steuerbefreiung von Postdienstleistungen als Teil der Daseinsvorsorge; Sinn und Zweck der Steuerbefreiung solle eine kostengünstige Bereitstellung von Postdienstleistungen im allgemeinen Interesse sein. Zwar stehe die Dienstleistung „Postzustellungsauftrag“ der Allgemeinheit nicht unmittelbar zur Verfügung, da diese Leistung überwiegend von Gerichten oder Behörden in Anspruch genommen werde, gegebenenfalls noch durch Gerichtsvollzieher. Damit jedoch stehe diese Leistung der Allgemeinheit zumindest mittelbar zur Verfügung. Letztendlich könne sich jedermann im Rahmen der Vollstreckung eigener Ansprüche eines Gerichtsvollziehers bedienen. Darüber hinaus komme die Zustellung gegen Zustellungsurkunde und die damit einhergehende höhere Sicherheit auch jedem einzelnen und damit der Allgemeinheit zugute.

Dem Postzustellungsauftrag mangele es, entgegen der Ansicht des Beklagten, nicht am notwendigen Gemeinwohlbezug. Es sei nicht erforderlich, dass umsatzsteuerrechtlich begünstigte Dienstleistungen unmittelbar dem Endverbraucher zustehen. In Absatz 20 der Erwägungsgründe der Post-Richtlinie werde lediglich betont, dass „insbesondere“ der Endverbraucher von den Universaldienstleistungen profitieren solle. Eine ausschließliche Begünstigung des Endverbrauchers sei damit nicht vorgegeben. Die Gewährleistung einer verlässlichen und ordnungsgemäßen Rechtspflege diene in gleicher Weise der „Grundversorgung der Bevölkerung“.

Schließlich folge aus einem Vergleich mit der Handhabung von Postzustellungsaufträgen bei der Deutsche Post AG als Konkurrenten der Klägerin, dass der Postzustellungsauftrag dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzuordnen und damit umsatzsteuerfrei zu belassen sei. Die Deutsche Post AG werbe auf ihrer Internetseite mit der Umsatzsteuerfreiheit des Postzustellungsauftrags (vgl. Bl. 28, 30 der GA). Darin zeige sich, dass der Beklagte den Postzustellungsauftrag als zum Post-Universaldienst gehörig ansehe, denn andernfalls hätte er dem Konkurrenten der Klägerin keine entsprechende Bescheinigung über die Umsatzsteuerfreiheit der Postdienstleistungen erteilen können. Aus Gründen der Wettbewerbsneutralität müssten für alle konkurrierenden Marktteilnehmer gleiche Verhältnisse gelten.

Soweit der Beklagte die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung der Klägerin zur Erbringung von Post-Universaldienstleistungen in Zweifel ziehe, weil diese Erklärung durch die Muttergesellschaft in Vertretung der Klägerin abgegeben wurde, könne dies nicht überzeugen. Dem Gesetz sei kein Verbot zu entnehmen, die Verpflichtungserklärung durch einen Vertreter abzugeben. Nicht zu beanstanden sei auch der Umfang der Verpflichtungserklärung. Mit der von ihr, der Klägerin, übernommenen Verpflichtung, Postzustellungsaufträge bundesweit anzubieten, biete die Klägerin gerade einen (genügenden) Teilbereich der in der Post-Richtlinie (Art. 3 Abs. 4) aufgeführten Post-Universaldienstleistungen an. Es ergebe sich daraus nicht, dass die Klägerin, wie von Beklagten gefordert, den gesamten Teilbereich „Einschreiben“ abdecken müsse. Der europarechtliche Begriff des Einschreibens stelle nur einen Oberbegriff dar, deren Ausgestaltung bzw. genauere Definition der Form(en) des Einschreibens den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibe. Dies decke sich schließlich mit der der Klägerin von der Bundesnetzagentur erteilten Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen, wozu ausdrücklich Postzustellungsaufträge zählten.

Abschließend weist die Klägerin darauf hin, dass es entgegen der Ansicht des Beklagten nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich sei, dass die Klägerin ein (tatsächliches) flächendeckendes Angebot der Erbringung von Postzustellungsaufträgen bzw. eine entsprechende Qualität nachzuweise. Nach dem Gesetz sei lediglich eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Postdienstleisters erforderlich, die von der Klägerin erbracht worden sei.

Hinsichtlich der Einzelheiten des klägerischen Vortrags wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Klägerbevollmächtigten vom 12. August 2011 (Bl. 23 ff. der GA) und vom 14. Februar 2012 (Bl. 58 ff. der GA).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

• 1. den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. August 2010 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. April 2011 zu verpflichten, der Klägerin die Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 11b UStG zu erteilen,

• 2. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

• 3. äußerst hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor: Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG zu Gunsten der Klägerin lägen nicht vor. Das Gesetz knüpfe hinsichtlich des Umfangs der von der Umsatzsteuer zu befreienden Post-Universaldienstleistungen ausschließlich an Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie und der darin genannten Mindestversorgung mit postalischen Diensten an. Hiernach müsse ein Universaldienst mindestens das Angebot umfassen,

(1.) Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg, (2.) Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 10 kg sowie

(3.) Dienste für Einschreib- und Wertsendungen.

Die besondere Versendungsart der Postzustellungsaufträge sei weder in Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie noch in § 1 Abs. 1 und 2 der die Post-Richtlinie konkretisierenden Post-Universaldienstleistungsverordnung als Universaldienst genannt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin schließe die Definition der „Einschreibsendung“ aufgrund wesensmäßiger Unterschiede das Sonderprodukt „Postzustellungsauftrag“ gerade nicht ein. Die Einschreibsendung sei durch das Element der pauschalen Haftung für Verlust, Entwendung oder Beschädigung der Sendung geprägt. Dies sei beim Postzustellungsauftrag eher ein Nebenaspekt. Der qualitative Mehrwert und damit maßgebliche Unterschied zur Einschreibsendung liege beim Postzustellungsauftrag darin, dass dem Absender nicht einfach nur eine Bestätigung über die Entgegennahme der Sendung bzw. deren Aushändigung an den Empfänger erteilt werde, sondern die Zustellung mittels einer besonderen öffentlichen Urkunde mit höherer Beweiskraft dokumentiert werde. Damit gehe der Postzustellungsauftrag inhaltlich über das hinaus, was von der Post-Richtlinie für die Grundversorgung der Bevölkerung mit einem Mindestinhalt an Universaldienstleistungen gefordert werde. Schließlich seien Leistungsempfänger des Sonderprodukts „Postzustellungsaufträge“ nicht die Letztverbraucher, sondern in den meisten Fällen öffentliche Einrichtungen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin folge auch nicht aus den Erwägungsgründen der Post-Richtlinie, dass das Produkt Postzustellungsauftrag zum Post-Universaldienst gehören müsse. Vielmehr folge aus Absatz 18 der Erwägungsgründe, dass gerade zwischen Kurierpost und postalischem Universaldienst unterschieden werde. Vor diesem Hintergrund erfüllten Dienstleistungen, die gegenüber dem Mindestumfang eines Post-Universaldienstes einen qualitativ eigenständigen Mehrwert beinhalten, wie vorliegend der Postzustellungsauftrag, nicht mehr die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlich begünstigten Post-Universaldienstleistung, da dies nicht den postalischen Grundbedürfnissen aller Nutzer diene, wie dies Art. 3 Abs. 1 der Post-Richtlinie für Universaldienste ausdrücklich fordere.

Dem entspreche auch die Gesetzesbegründung zu § 4 Nr. 11b UStG, wenn hiernach unter dem Begriff der „Grundversorgung der Bevölkerung“ nur solche Dienstleistungen verstanden worden seien, die für den durchschnittlichen Nachfrager eines Privathaushaltes bestimmt seien (vgl. BT-Drucksache 17/506, S. 31). Hierzu zählten nur Leistungen, die als allgemein und unabdingbar angesehen werden, weil sie standardmäßig von Bürgerinnen und Bürgern nachgefragt werden. Bei einem durchschnittlichen Privathaushalt bestehe kein Bedarf an förmlichen Zustellungen. Für die Belange der Privatpersonen genüge das Produkt „Einschreiben“. Ein lediglich mittelbares Gemeinwohlinteresse an einer funktionierenden Rechtspflege könne für das Vorliegen eines Post-Universaldienstes nicht genügen.

Dies habe auch der Europäische Gerichtshof im Urteil „TNT Post UK“ bestätigt, da unter einer Post-Universaldienstleistung inhaltlich ein flächendeckendes Angebot von postalischen Dienstleistungen, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, zu verstehen sei. Letztendlich böten auch Sinn und Zweck sowohl der Post-Richtlinie als auch der Mehrwertsteuersystemrichtlinie keine Rechtfertigung einer Steuerbefreiung des Sonderprodukts „Postzustellungsauftrag“. Beide Richtlinien verfolgten das Ziel, mit der Umsatzsteuerbefreiung letztendlich die Möglichkeit dafür zu schaffen, dass Unternehmer, die einen höheren Infrastrukturaufwand für das flächendeckende Erbringen von Post-Universaldienstleistungen im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaats vorhalten müssten, den Preis für diese Leistungen trotz höherer Kosten vermindern könnten, so dass er für die Nutzer erschwinglich bleibe (vgl. Bundestags-Drucksache - BT-Drucks. 17/506, S. 31).

Zudem hegt der Beklagte Zweifel, dass die Klägerin eine ausreichende Verpflichtungserklärung im Sinne von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG abgegeben habe, da vorliegend keine Verpflichtungserklärung durch die Klägerin selbst, sondern stellvertretend durch ihre (inzwischen insolvente) Muttergesellschaft abgegeben worden sei. Darüber hinaus fehle es an einer berücksichtigungsfähigen Selbstverpflichtung der Klägerin, selbst wenn man mit der Klägerin Postzustellungsaufträge als Einschreiben im Sinne von Art. 3 Abs. 4 Post-Richtlinie ansehen würde, da sich die Klägerin gerade nicht verpflichtet habe, den gesamten Teilbereich der Einschreibsendung flächendeckend für alle Nutzer anzubieten. Die Klägerin habe sich ausschließlich verpflichtet, das Sonderprodukt „Postzustellungsaufträge“ nach §§ 176 ff. ZPO flächendeckend im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten. Erforderlich– vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung, wie sich die Insolvenzen der Muttergesellschaft und anderer Unternehmen der Unternehmensgruppe der Klägerin auf die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung auswirke – sei jedoch im Mindesten, dass die Klägerin sich zum flächendeckenden Angebot des allumfassenden Produktes „Einschreiben“ verpflichtet hätte.

Selbst wenn man mit der Klägerin annehmen würde, dass ein Postzustellungsauftrag eine Variante des Einschreibens sei, würde die Klägerin damit noch nicht einen Teilbereich des Post-Universaldienstes im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG anbieten. Der Gesetzgeber habe unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie ausdrücklich klargestellt, dass die Umsatzsteuerbefreiung das Angebot zumindest eines der drei Teilbereiche von Post-Universaldienstleistungen voraussetze. Wenn die Klägerin allerdings ausschließlich Postzustellungsaufträge anbiete, erbringe sie damit keinesfalls den gesamten Teilbereich „Einschreib- und Wertsendungen“. Schließlich weist der Beklagte darauf hin, dass die Klägerin bisher nicht nachgewiesen habe, dass sie den Teilbereich „Einschreiben“ bzw. das Produkt „Postzustellungsauftrag“ in ganz Deutschland allen Nutzern in der erforderlichen Qualität anbietet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags des Beklagten wird ergänzend Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 12. Oktober 2011 (Bl. 42 ff. der GA) und vom 30. März 2012 (Bl. 79 ff. der GA).

Die Beteiligten haben auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet, die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 4. März 2015 (Bl. 108 der GA), der Beklagte mit Schriftsatz vom 5. März 2015 (Bl. 110 der GA).

Aus den Gründen

I. Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 4. August 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO). Die begehrte Bescheinigung kann nicht erteilt werden, da die Klägerin mit dem von ihr angebotenen Produkt des Postzustellungsauftrags keinen für die Umsatzsteuerbefreiung genügenden Teilbereich der Post-Universaldienstleistungen im Sinne der Post-Richtlinie anbietet.

1. a) Nach § 4 Nr. 11b UStG in der ab dem 1. Juli 2010 geltenden Fassung (geändert durch Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 8. April 2010, BGBl. I 2010, 386, 392) sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (Amtsblatt -ABl.- L 15 vom 21.1.1998, S. 14, L 23 vom 30.1.1998, S. 39), die zuletzt durch die Richtlinie 2008/6/EG (ABl. L 52 vom 27.2.2008, S. 3) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.

Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass der Unternehmer sich entsprechend einer Bescheinigung des Bundeszentralamtes für Steuern gegenüber dieser Behörde verpflichtet hat, flächendeckend im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Gesamtheit der Universaldienstleistungen oder einen Teilbereich dieser Leistungen nach § 4 Nr. 11b Satz 1 anzubieten (§ 4 Nr. 11b Satz 2 UStG).

b) Die Regelung in § 4 Nr. 11b UStG beruht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

aa) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (nachfolgend kurz: Mehrwertsteuersystemrichtlinie; ABl. L 347 vom 11. Dezember 2006, S. 1) befreien die Mitgliedstaaten u.a. die von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachten Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen von der Umsatzsteuer. Entsprechende Vorgaben fanden sich auch in der vorhergehenden Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG – nachfolgend kurz: Sechste Richtlinie; ABl. L 145 vom 13. Juni 1977, S. 1).

bb) Der Gesetzgeber hat bei der Regelung in § 4 Nr. 11b UStG zudem Bezug genommen auf die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (nachfolgend kurz: Post-Richtlinie; ABl. L 15 vom 21. Januar 1998, S. 14, berichtigt in ABl. L 23 vom 30. Januar 1998, S. 39), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft (ABl. L 52 vom 27. Februar 2008, S. 3).

Nach Art. 3 Abs. 1 der Post-Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet. Nach Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie erlässt jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, damit der Universaldienst mindestens folgendes Angebot umfasst:

- Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg;

- Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 10 kg;

- die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen.

c) Der Umsetzung der Post-Richtlinie dienen darüber hinaus weitere nationale Regelungen. Nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 des Postgesetzes (PostG) vom 22. Dezember (Bundesgesetzblatt –BGBl.- Teil I 1997, 3294) in der aktuell geltenden Fassung zählt zu Universaldienstleistungen ein Mindestangebot an Postdienstleistungen nach § 4 Nr. 1 PostG, die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden. Der Universaldienst ist auf lizenzpflichtige Postdienstleistungen und Postdienstleistungen, die zumindest in Teilen beförderungstechnisch mit lizenzpflichtigen Postdienstleistungen erbracht werden können, beschränkt. Er umfasst nur solche Dienstleistungen, die allgemein als unabdingbar angesehen werden.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 PostG wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates bedarf, nach Maßgabe des Absatzes 1 Inhalt und Umfang des Universaldienstes festzulegen. Hiervon hat die Bundesregierung Gebraucht gemacht und mit § 1 Abs. 1 der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I 1999, 2418) als Universaldienstleistungen folgende Postdienstleistungen bestimmt:

1. die Beförderung von Briefsendungen im Sinne des § 4 Nr. 2 des Gesetzes, sofern deren Gewicht 2.000 Gramm und deren Maße die im Weltpostvertrag und den entsprechenden Vollzugsverordnungen festgelegten Maße nicht überschreiten,

2. die Beförderung von adressierten Paketen, deren Einzelgewicht 20 Kilogramm nicht übersteigt und deren Maße die im Weltpostvertrag und den entsprechenden Vollzugsverordnungen festgelegten Maße nicht überschreiten,

3. die Beförderung von Zeitungen und Zeitschriften im Sinne des § 4 Nr. 1 Buchstabe c des Gesetzes. Hierzu zählen periodisch erscheinende Druckschriften, die zu dem Zwecke herausgegeben werden, die Öffentlichkeit über Tagesereignisse, Zeit- oder Fachfragen durch presseübliche Berichterstattung zu unterrichten.

Nach § 1 Abs. 2 PUDLV umfasst die Briefbeförderung auch folgende Sendungsformen:

1. Einschreibsendung (Briefsendung, die pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert ist und gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt wird),

2. Wertsendung (Briefsendung, deren Inhalt in Höhe des vom Absender angegebenen Wertes gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert ist),

3. Nachnahmesendung (Briefsendung, die erst nach Einziehung eines bestimmten Geldbetrages an den Empfänger ausgehändigt wird),

4. Sendung mit Eilzustellung (Briefsendung, die so bald wie möglich nach ihrem Eingang bei einer Zustelleinrichtung durch besonderen Boten zugestellt wird).

2. Nach diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG. Die für die Erteilung einer solchen Bescheinigung erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor, da sie, die Klägerin, gegenüber dem Beklagten keine Verpflichtungserklärung dahingehend abgegeben hat, dass die Klägerin flächendeckend im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Post-Universaldienstleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie insgesamt oder zumindest einen Teilbereich hiervon anbietet.

a) Der Beklagte ist zur sachlichen Prüfung der von der Klägerin abgegebenen Verpflichtungserklärung im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG berechtigt und verpflichtet.

aa) Die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG setzt neben der Abgabe der Verpflichtungserklärung im Sinne der Vorschrift voraus, dass der eine solche Bescheinigung begehrende Antragsteller auch tatsächlich in der Lage ist, entsprechend seiner Verpflichtungserklärung Post-Universaldienstleistungen auszuführen. Dem Beklagten steht vor Erteilung der Bescheinigung diesbezüglich eine sachliche Prüfungskompetenz zu; den Beklagten trifft insoweit sogar eine Prüfungspflicht.

Die dem Beklagten zustehende Prüfungskompetenz folgt zwar nicht aus dem Wortlaut von § 4 Nr. 11b UStG oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. a) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, deren Umsetzung § 4 Nr. 11b UStG dient, ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck der Regelung, Post-Universaldienstleistungen von der Umsatzsteuerpflicht zu befreien.

Die Regelung des Bescheinigungsverfahrens im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG dient dem Zweck, bereits vor Ausführung der Umsätze zu klären, ob diese von der Umsatzsteuer befreit sind, und etwaige Streitigkeiten hierüber vor Ausführung der Umsätze zu beseitigen. Die Gefahr, dass Umsätze zu Unrecht als steuerfrei behandelt werden, soll hierdurch reduziert werden. Würde dem Beklagten kein sachliches Prüfungsrecht zustehen, würde die Norm in der Praxis ausgehöhlt werden können. Wäre eine schlichte Verpflichtungserklärung, die inhaltlich nicht überprüft werden könnte, ausreichend, würden etwaige Streitigkeiten über die Umsatzsteuerbefreiung in das allgemeine Umsatzsteuerverfahren verlagert, so dass diese in der Regel erst nach Ausführung der Leistungen geklärt werden könnten.

bb) Diese Auslegung entspricht der gesetzgeberischen Intention. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 4 Nr. 11b UStG soll das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung der Steuerbefreiung vom Bundeszentralamt für Steuern festgestellt werden (vgl. BT-Drucks. 17/506, S. 31; ebenso bereits die Begr. zum vorherigen Gesetzentwurf, BT-Drucks. 16/11340, S. 8). Unter „Voraussetzungen“ sind hierbei die sachlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemeint. Dies ergibt sich zunächst aus dem Kontext, insbesondere da die Gesetzesmaterialien sich unmittelbar zuvor hiermit auseinandersetzen.

Für eine entsprechende Prüfungskompetenz des Beklagten spricht zudem, dass in den Gesetzesmaterialien davon die Rede ist, dass das Bundeszentralamt für Steuern die Bescheinigung gegebenenfalls auch rückwirkend zurücknimmt, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (vgl. BT-Drucks. 17/506, S. 31; ebenso König/Hanke, BB 2010, 1578). Wenn eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Kontinuität des Umsatzsteuer-Befreiungstatbestandes bestehen sollte, so sollte diese Kompetenz konsequenterweise bereits bei Erlass der Bescheinigung gegeben sein.

b) Die Klägerin erfüllt die sachlichen Voraussetzungen für die Erlangung einer Bescheinigung über die Umsatzsteuerfreiheit der von ihr angebotenen Postdienstleistungen nicht. Die von der Klägerin ausschließlich angebotene Dienstleistung „Postzustellungsauftrag“ erfüllt nicht die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 4 Nr. 11b UStG, denn der Postzustellungsauftrag als förmliche Zustellung nach § 33 PostG zählt nicht zur Post-Universaldienstleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie vom 15. Dezember 1997 in der Fassung vom 20. Februar 2008.

aa) Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11b UStG beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. a) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, der die Förderung bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt. Dieser allgemeine Zweck mündet im Postbereich in den spezifischeren Zweck ein, postalische Dienstleistungen, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, zu ermäßigten Kosten anzubieten (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009, C-357/07 – TNT Post UK, Amtliche Sammlung -Slg.- 2009, I-3025, Rdnr. 32 f.).

bb) Ein solcher Zweck entspricht im Kern dem Zweck der Post-Richtlinie, einen Universalpostdienst anzubieten, denn nach Art. 3 Abs. 1 der Post-Richtlinie entspricht ein Universalpostdienst dem flächendeckenden Angebot postalischer Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009, C-357/07 – TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025, Rdnr. 34). Unbeschadet dessen, dass die Post-Richtlinie keine Grundlage für die Auslegung von Art. 132 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bilden kann, stellt die Post-Richtlinie dennoch einen zweckdienlichen Anhaltspunkt für die Auslegung zum Zwecke der Umsatzsteuerfreiheit dar (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 35). Es ist daher nicht zu beanstanden und sogar geboten, bei der Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung an den von dem Mitgliedsstaaten im Rahmen der Postregulierung getroffen Wertungen festzuhalten.

Hiernach knüpft die Steuerbefreiungsregelung in § 4 Nr. 11b UStG daran an, dass der Dienstleister ein Mindestmaß an postalischen Dienstleistungen erbringt, die den grundlegenden Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, und einen Universalpostdienst, wie er in Art. 3 der Post-Richtlinie beschrieben ist, oder einen Teil davon gewährleistet (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009, C-357/07 – TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025, Rdnr. 36). Die Steuerbefreiung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Erbringung der qualitativ geforderten flächendeckenden Post-Universaldienstleistung zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der Bevölkerung für den Anbieter nicht immer wirtschaftlich von Vorteil ist. Mit der Steuerbefreiung soll hierfür ein Ausgleich geschaffen werden, so dass die Post-Universaldienstleistung trotz höherer Kosten für die Nutzer erschwinglich bleibt (vgl. auch BT-Drucks. 17/506, S. 31).

cc) Vor diesem Hintergrund stellt bei gemeinschaftsrechtkonformer Auslegung von § 4 Nr. 11b UStG der Postzustellungsauftrag keine Post-Universaldienstleistung und auch keinen Teilbereich der Universaldienstleistungen dar, deren flächendeckende Anbietung eine Umsatzsteuerbefreiung rechtfertigen könnte. Die insoweit vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben sowohl nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. der Sechsten Richtlinie als auch nach der Post-Richtlinie und deren Anwendung durch den Beklagten sind nicht zu beanstanden.

Hierbei kann offen gelassen werden, ob der Postzustellungsauftrag als besondere Einschreibsendung im Sinne von § 4 Nr. 11b UStG bzw. Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie verstanden werden kann. Jedenfalls erfordert die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 11b UStG die Erbringung zumindest eines Teilbereichs der Universaldienstleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie, etwa der „Dienste für Einschreib- und Wertsendungen“. Die Ausführung lediglich des Dienstleistungssegments „Postzustellungsaufträge“, wozu sich die Klägerin verpflichtet hat, genügt jedoch nicht.

(1) In § 4 Nr. 11b UStG wird zwar ausdrücklich an den Regelungsbereich des Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie angeknüpft. Allerdings ist der Wortlaut der Post-Richtlinie für die Frage, ob und inwieweit das Produkt „Postzustellungsauftrag“ zu den Universaldienstleistungen zählt, unergiebig, denn der Postzustellungsauftrag ist hierin gerade nicht erwähnt.

(2) Aus den vom deutschen Gesetzgeber geschaffenen Regelungen zur Umsetzung der Post-Richtlinie ergibt sich ebenfalls nicht, dass der Postzustellungsauftrag Teil der Post-Universaldienstleistungen ist.

In der Systematik des Postgesetzes wird unterschieden zwischen „Universaldienstleistungen“, geregelt in Abschnitt 3 des PostG, und „Förmliche Zustellung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften“, normiert in Abschnitt 7 des PostG. Der Universaldienst ist nach § 11 Abs. 1 PostG in Verbindung mit § 4 Nr. 1 PostG auf lizenzpflichtige Postdienstleistungen und Postdienstleistungen, die zumindest in Teilen beförderungstechnisch mit lizenzpflichtigen Leistungen erbracht werden können, beschränkt und umfasst nur solche Dienstleistungen, die allgemein als unabdingbar angesehen werden.

In § 1 Abs. 1, Abs. 2 PUDLV werden Inhalt und Umfang des Post-Universaldienstes genauer geregelt und in diesem Zusammenhang die Postdienstleistungen, bei denen es sich nach nationalem Recht um Universaldienstleistungen handelt, konkret aufgeführt. Hierzu zählt die Dienstleistung des Postzustellungsauftrags gerade nicht (aA von Streit in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 11b Rdnr. 514, 516 u.a. unter Hinweis auf die vom deutschen Recht abweichende Regelung in Österreich).

(3) Die gesetzgeberische Entscheidung, die Dienstleistung „Postzustellungsauftrag“ nicht in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11b UStG aufzunehmen, ist nicht zu beanstanden, insbesondere widerspricht sie nicht den europarechtlichen Vorgaben.

α) Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. die Sechste Richtlinie, deren Umsetzung § 4 Nr. 11b UStG dient, verlangt keine Umsatzsteuerbefreiung für den Bereich des Produkts „Postzustellungsauftrag“, denn dieser Bereich betrifft nicht dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, deren Förderung durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. die Sechste Richtlinie bezweckt wird (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013, VII-Verg 32/12, VergabeR 2013, 469; Jacobs, UR 2012, 621; aA FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. April 2011, 9 V 3795/10, EFG 2011, 1368; LG Hamburg, Urteil vom 16. September 2010, 327 O 507/10, Juris; von Streit in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 11b Rdnr. 521).

Dies folgt zum einen bereits daraus, dass die Dienstleistung „Postzustellungsaufträge“ nicht für jedermann zugänglich ist. Förmliche Zustellungen können nur Behörden und Gerichte in Auftrag geben. Ein Nutzen für den Verbraucher zeigt sich lediglich mittelbar in Form einer effektiv funktionierenden Rechtspflege. Dies genügt jedoch nicht, um im Hinblick auf die Daseinsvorsorge eine Umsatzsteuerbefreiung zu rechtfertigen.

Zum anderen ist der Postzustellungsauftrag eine von den Postdienstleistungen nach § 4 Nr. 1 PostG unabhängige Briefsendung, bei der die Beförderung nur eines von mehreren Dienstleistungselementen darstellt, und daher insbesondere nicht von der Definition der Einschreibsendung im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PUDLV mit umfasst. Der Postzustellungsauftrag umfasst daneben weitere Elemente im Rahmen der Beurkundung der Übergabe, der Ersatzzustellung oder der Niederlegung der Postsendung (mit den sich für den Empfänger nach den verfahrensrechtlichen Zustellungsregelungen ergebenden Konsequenzen), die sonst keine andere Postdienstleistung aufweist (vgl. hierzu ausführlicher OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013, VII-Verg 32/12, VergabeR 2013, 469; ebenso Jacobs, UR 2012, 621). Daher bedarf es auch keiner ausreichenden Anzahl fester Zugangspunkte und zufriedenstellender Bedingungen hinsichtlich der Häufigkeit der Abholung und Zustellung oder der Sicherung tragbarer Preise für alle Nutzer, wie es ein Post-Universaldienst gewährleisten soll (vgl. 11. und 12. Erwägungsgrund der Post-Richtlinie).

Schließlich hat der Postzustellungsauftrag den Charakter eines Hoheitsakts. Die Zustellungsurkunde stellt, anders als die Empfangsbestätigung bei der Einschreibsendung, eine öffentliche Urkunde (§ 418 ZPO) dar. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 PostG ist ein Lizenznehmer, der Briefzustelldienstleistungen erbringt, verpflichtet, Schriftstücke unabhängig von ihrem Gewicht nach den Vorschriften der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, förmlich zuzustellen. Im Umfang dieser Verpflichtung ist der Postdienstleister mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet und als beliehener Unternehmer tätig (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 PostG).

β) Darüber hinaus verlangt auch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 4 Nr. 11b UStG nicht, dass Postzustellungsaufträge allein wegen Aspekten des Gemeinwohls umsatzsteuerlich begünstigt werden müssen, denn dies ist europarechtlich nicht vorgegeben. Wie der EuGH (vgl. Urteil vom 23. April 2009 – TNT Post UK, Slg. I-03025) klargestellt hat, sehen Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie Steuerbefreiungen lediglich für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten vor. Dies setzt voraus, dass elementare Lebensbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt und die Leistungen häufig von öffentlichen, nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Einrichtungen erbracht werden. Soweit hierunter grundsätzlich auch Postdienste gehören, folgt daraus allerdings nicht, dass alle Dienstleistungen und die dazugehörigen Lieferungen von Gegenständen, die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführt werden und die nicht, wie die Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen, ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen sind, unabhängig von ihrer Natur von der Steuerpflicht befreit sind (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009, C-357/07 – TNT Post UK Ltd, Slg. 2009, I-3025, Rdnr. 43). Wegen ihres Ausnahmecharakters sind die Befreiungstatbestände vielmehr eng auszulegen, da die Steuerbefreiung eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt.

Wie ausgeführt, verlangt die Dienstleistung „Postzustellungsaufträge“ nicht zwingend eine Umsatzsteuerbefreiung, da diese nicht in ausreichendem Maße eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit darstellt.

γ) Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers bei der Neufassung von § 4 Nr. 11b UStG. Unter Anknüpfung an die europarechtlichen Vorgaben durch Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sowie unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 23. April 2009 (C-357/07 – TNT Post UK Ltd) sollten von der Steuerbefreiungsvorschrift nicht alle Postdienstleistungen, sondern nur dem Gemeinwohl, konkret der Grundversorgung der Bevölkerung dienende Tätigkeiten erfasst sein (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/506, S. 30; hieran anknüpfend auch der Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/939, S. 5).

δ) Etwas anderes folgt nicht aus den übrigen europarechtlichen Vorgaben, insbesondere nicht aus der Post-Richtlinie. Das dargelegte Verständnis des von der Steuerbefreiungsregelung in § 4 Nr. 11b UStG umfassten Post-Universaldienstes wird in einem ausgewogenen Verhältnis den mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. der Sechsten Richtlinie einerseits und der Post-Richtlinie andererseits verfolgten Zielen gerecht.

Der deutsche Gesetzgeber ging mit der Regelung nicht über den für den Bereich der Mehrwertsteuer durch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie aufgrund der maßgeblichen Gemeinwohlbelange vorgegebenen Rahmen hinaus, wenn er den Bereich des „Postzustellungsauftrags“ nicht von der Mehrwertsteuerbefreiung erfasst hat. Gleichzeitig missachtete der Gesetzgeber nicht die Vorgaben der Post-Richtlinie. Der Postzustellungsauftrag ist nach den Vorgaben der Post-Richtlinie weder explizit als Teil der Post-Universaldienstleistungen geregelt noch folgt aus den Umständen, dass der Postzustellungsauftrag als Teil des Universaldienstes anzusehen ist (im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013, VII-Verg 32/12, VergabeR 2013, 469; Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 11b Rdnr. 30).

Hierbei kann offengelassen werden, ob sich an dem Verständnis des Begriffes des Universaldienstes dadurch etwas geändert hat, dass sich in der Post-Richtlinie statt der ursprünglichen Regelungen zur „Harmonisierung der reservierbaren Dienste“ in Kapitel 3 nunmehr Vorgaben zur „Finanzierung der Universaldienste“ finden und hiernach für die Einrichtung und Erbringung von Postdienste grundsätzlich keine ausschließlichen oder besonderen Rechte mehr gewährt werden sollen (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Post-Richtlinie in der Fassung vom 20. Februar 2008). Nach wie vor findet sich in Art. 8 der Post-Richtlinie eine Regelung, wonach die Mitgliedstaaten besondere Regelungen treffen können für den Dienst, der Zustellungen im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren ausführt. Hieraus folgt nicht, dass auch der Postzustellungsauftrag als Teil des Universaldienstes im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie angesehen wird (a.A. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. April 2011, 9 V 3795/10, EFG 2011, 1368).

Zudem obliegt es gerade den einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der Vorgaben der Post-Richtlinie diejenigen Postdienstleistungen festzulegen, die im Interesse des Gemeinwohls gewährleistet sein müssen. Dem entspricht insbesondere auch der 10. Erwägungsgrund der Post-Richtlinie, wenn danach gemäß dem Subsidiaritätsprinzip auf Gemeinschaftsebene ein Bestand an allgemeinen Grundsätzen festzulegen ist. Gleichzeitig jedoch wird betont, dass es den Mitgliedstaaten überlassen ist, die Verfahren im einzelnen festzulegen und das für ihre Situation geeignetste System zu wählen. Dabei muss dann hingenommen werden, wenn es im Detail zu Abweichungen bei der Definition der zum Universaldienst gehörenden Dienste und ihrer Leistungsmerkmale kommt, die sich auch auf die Mehrwertsteuerbefreiung der Postdienstleistungen auswirken (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013, VII-Verg 32/12, VergabeR 2013, 469). Die Post-Richtlinie will mit dem Universaldienst gerade nur gewährleisten, dass ein Mindestangebot an Postdiensten einer bestimmten Qualität für alle Nutzer unabhängig von ihrer Ansässigkeit im Gemeinschaftsgebiet besteht (so 11. Erwägungsgrund der Post-Richtlinie).

Dieses für den Bereich der Postdienste wiederholte Subsidiaritätsprinzip bestätigt schließlich die in Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthaltene Grundregel, wonach eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.

FG Köln, 11.3.2015 – 2 K 1707/11

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