EuGH: Keine Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von betrieblichen Altersversorgungssystemen
EuGH, Urteil vom 7.3.2013 - C-424/11; Wheels Common Investment Fund Trustees u. a.
Tenor
Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind in dem Sinne auszulegen, dass ein Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems zusammengeführt wird, nicht unter den Begriff „Sondervermögen" im Sinne dieser Bestimmungen fällt, dessen Verwaltung in Anbetracht der Ziele dieser Richtlinien und des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität von der Mehrwertsteuer befreit werden kann, da die Mitglieder nicht die mit der Verwaltung dieses Fonds zusammenhängenden Risiken tragen und die Beiträge, die der Arbeitgeber an das Altersversorgungsystem zahlt, für ihn ein Mittel darstellen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nachzukommen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wheels Common Investment Fund Trustees Ltd u. a. und den Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) wegen der Weigerung der Commissioners, gegenüber der Wheels Common Investment Fund Trustees Ltd u. a. erbrachte Fondsverwaltungsdienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Sechste Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2006/112, die am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, aufgehoben. Da es im Ausgangsverfahren um den Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2007 geht, sind diese beiden Richtlinien auf das Ausgangsverfahren anwendbar.
4 Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 haben im Wesentlichen denselben Wortlaut. Nach diesen Bestimmungen befreien die Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer „die Verwaltung von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen".
Recht des Vereinigten Königreichs
5 Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 wurde zum im Ausgangsverfahren relevanten Zeitpunkt durch Schedule 9 Group 5 Items 9 und 10 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz von 1994) umgesetzt, wonach Befreiungen vorgesehen waren für:
„9. Die Verwaltung eines zugelassenen Investmentfondssystems oder eines Trust-basierten Fonds [authorised unit trust, im Folgenden: AUT].
10. Die Verwaltung des Anlagevermögens einer offenen Investmentgesellschaft [Open-ended investment company, im Folgenden: OEIC]".
6 Um der Entscheidung im Urteil vom 28. Juni 2007, JP Morgan Fleming Claverhouse Investment Trust und The Association of Investment Trust Companies (C-363/05, Slg. 2007, I-5517, im Folgenden: Urteil Claverhouse), Rechnung zu tragen, wurden die Tatbestände dieser Items 9 und 10 mit Wirkung vom 1. Oktober 2008 durch den Value Added Tax (Finance) (No. 2) Order 2008 erweitert. Nach diesen Items sind nun Befreiungen vorgesehen für die Verwaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen mit der Form einer OEIC oder eines AUT sowie für die Verwaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen des geschlossenen Typs wie Investment trust companies (im Folgenden: ITC).
7 Note 6 zu Schedule 9 Group 5 des Value Added Tax Act 1994 verweist für die Definitionen der OEIC und AUT auf den Financial Services and Markets Act 2000 (Gesetz über Finanzdienstleistungen und -märkte von 2000).
8 Teil XVII dieses Gesetzes sieht in den Art. 235 bis 237 u. a. Folgendes vor:
„235 Kollektive Anlagesysteme
(1) In diesem Teil bezeichnet ‚kollektives Anlagesystem‘ jedwede auf Vermögen beliebiger Art, einschließlich Geld bezogene Vereinbarung, deren Zweck oder Wirkung darin besteht, den daran beteiligten Personen (durch Übertragung des Vermögens oder eines Teils daran oder auf sonstige Art und Weise) die Beteiligung an oder den Bezug von Gewinnen oder Erträgen aus Erwerb, Besitz, Verwaltung oder Veräußerung des Vermögens oder von Beträgen, die aus diesen Gewinnen oder Erträgen ausgezahlt werden, zu ermöglichen.
(2) Die Vereinbarung muss so ausgestaltet sein, dass die daran teilnehmenden Personen (im Folgenden: Teilnehmer) die Vermögensverwaltung nicht laufend kontrollieren, auch wenn sie ein Anhörungs- oder Weisungsrecht haben.
(3) Die Vereinbarung muss ferner mindestens eines der folgenden Merkmale aufweisen:
(a) Die Beiträge der Teilnehmer und die Gewinne oder Erträge, aus denen Zahlungen an sie erfolgen sollen, werden in einem Pool zusammengelegt;
(b) das Vermögen wird als Ganzes vom Träger des Anlagesystems oder in dessen Namen verwaltet.
...
236 Offene Investmentgesellschaften
(1) In diesem Teil bezeichnet ‚offene Investmentgesellschaft‘ ein kollektives Anlagesystem, das sowohl die Vermögens- als auch die Anlagevoraussetzungen erfüllt.
(2) In Bezug auf das Vermögen wird vorausgesetzt, dass es wirtschaftlich gesehen einer juristischen Person gehört und von dieser oder für diese verwaltet wird und dass der Zweck dieser juristischen Person in der Anlage ihres Kapitals mit dem Ziel besteht,
(a) das Anlagerisiko zu streuen und
(b) die Vorteile aus der Verwaltung dieses Kapitals durch oder für diese juristische Person an die Mitglieder weiterzugeben.
...
237 Sonstige Definitionen
...
(3) In diesem Teil bezeichnet
‚zugelassenes Investmentfondssystem‘ ein Investmentfondssystem, das für die Zwecke dieses Gesetzes durch einen gültigen Zulassungsbeschluss nach Section 243 zugelassen ist;
‚zugelassene offene Investmentgesellschaft‘ eine juristische Person, die nach einer auf der Grundlage von Section 262 erlassenen Verordnung gegründet worden ist und über eine gültige Zulassung nach einer auf der Grundlage von Section 262(2)(l) erlassenen Bestimmung dieser Verordnung verfügt;
..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Die Wheels Common Investment Fund Trustees Ltd (im Folgenden: Wheels) ist Treuhänderin eines Fonds, in dem das Kapitalvermögen betrieblicher Altersversorgungssysteme, die die Ford Motor Company geschaffen hat, um ihren Verpflichtungen aus den nationalen Vorschriften und den Tarifverträgen nachzukommen, zu Anlagezwecken zusammengeführt wird.
10 Jedes dieser Systeme zahlt einer Kategorie ehemaliger Arbeitnehmer Renten, die auf der Grundlage des letzten Gehalts der Mitglieder und ihrer Beschäftigungsdauer in dem Unternehmen berechnet werden. Während ihrer Beschäftigungsdauer zahlen die Mitglieder des Systems, dem sich alle Arbeitnehmer anschließen können, aber nicht müssen, Beiträge in Höhe eines Festbetrags, der von ihrem Gehalt abgezogen wird. Der Arbeitgeber zahlt ebenfalls Beiträge in Höhe eines Betrags, der ausreicht, um die Finanzierung der restlichen Kosten der Rentenleistungen zu gewährleisten.
11 Zur maßgeblichen Zeit erbrachte die Capital International Limited Fondsverwaltungsdienstleistungen gegenüber der Wheels. Nach den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über die Mehrwertsteuer wurde der Wheels Mehrwertsteuer berechnet, die an die Commissioners abgeführt wurde.
12 Im September 2007 verlangte die Capital International Limited nach dem Erlass des Urteils Claverhouse von den Commissioners die Erstattung der Mehrwertsteuer, die auf die von ihr erbrachten Fondsverwaltungsdienstleistungen erhoben worden war, und machte geltend, dass diese Dienstleistungen unter die Steuerbefreiung fielen, die je nach betroffenem Zeitraum in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 oder Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie vorgesehen sei.
13 Mit Entscheidung vom 2. Januar 2008 wiesen die Commissioners diese Forderung zurück. Wheels erhob daher eine Klage gegen diese Entscheidung beim First-tier Tribunal (Tax Chamber). Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellen die von Wheels erbrachten Dienstleistungen zwar Dienstleistungen der „Verwaltung" im Sinne der Befreiungsvorschrift des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und des Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 dar, doch bestehen Zweifel hinsichtlich der Qualifizierung des von Wheels gehaltenen Fonds als „Sondervermögen" im Sinne dieser Befreiungsvorschrift.
14 Unter diesen Umständen hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann der Begriff „Sondervermögen" in Art. 13 Teil B Buchst. d Abs. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 auch (i) ein von einem Arbeitgeber errichtetes betriebliches Altersversorgungssystem, das der Gewährung von Ruhestandsleistungen an Arbeitnehmer dient, und/oder (2) einen gemeinsamen Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen verschiedener solcher Altersversorgungssysteme zum Zweck der Vermögensanlage zusammengelegt wird, umfassen, wenn bezüglich dieser Altersversorgungssysteme folgende Umstände vorliegen:
a) Die den Mitgliedern zustehenden Ruhestandsleistungen sind im Voraus in den rechtlichen Gründungsdokumenten definiert (nach einer Formel, die auf die Zugehörigkeit des Mitglieds zum Betrieb des Arbeitgebers und sein Gehalt abstellt) und richten sich nicht nach dem Wert des Kapitalvermögens des Systems;
b) der Arbeitgeber ist zu Beitragsleistungen in das System verpflichtet;
c) nur Arbeitnehmer des Arbeitgebers können sich am System beteiligen und Ruhestandsleistungen daraus erhalten (im Folgenden als „Mitglieder" bezeichnet);
d) Arbeitnehmern steht es frei, ob sie Mitglieder werden wollen;
e) Arbeitnehmer, die Mitglieder sind, sind normalerweise verpflichtet, Beiträge in das System in Höhe eines Prozentsatzes ihres Gehalts zu leisten;
f) die Beiträge des Arbeitgebers und der Mitglieder werden vom Treuhänder des Systems zusammengelegt und (im Allgemeinen in Wertpapiere) angelegt, um einen Fonds zu bilden, aus dem die im System vorgesehenen Leistungen an die Mitglieder gezahlt werden;
g) für den Fall, dass das Kapitalvermögen des Systems den Betrag übersteigt, der zur Deckung der vorgesehenen Versorgungsleistungen erforderlich ist, können der Treuhänder des Systems und/oder der Arbeitgeber in Übereinstimmung mit den dem System zugrunde liegenden Bestimmungen und dem einschlägigen nationalen Recht eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen treffen: (i) Reduzierung der Beiträge des Arbeitgebers in das System, (ii) vollständige oder teilweise Übertragung des Überschusses auf den Arbeitgeber und/oder (iii) Verbesserung der Versorgungsleistungen der Mitglieder;
h) für den Fall, dass das Kapitalvermögen des Systems zur Deckung der vorgesehenen Versorgungsleistungen nicht ausreicht, ist der Arbeitgeber normalerweise verpflichtet, die Unterdeckung auszugleichen; wenn der Arbeitgeber diese Verpflichtung nicht erfüllt oder erfüllen kann, werden die den Mitgliedern zu gewährenden Leistungen reduziert;
i) das System gewährt den Mitgliedern die Möglichkeit, zusätzliche freiwillige Beiträge zu leisten, die nicht von ihm gehalten werden, sondern auf einen Dritten zur Kapitalanlage und Gewährung zusätzlicher, an die Wertentwicklung des angelegten Kapitals gebundener Leistungen übertragen werden (diese Gestaltung unterliegt nicht der Mehrwertsteuer);
j) Mitglieder sind berechtigt, ihre im System erworbenen Leistungsansprüche (bewertet nach deren versicherungsmathematischem Gegenwert zum Zeitpunkt der Übertragung) auf andere Altersversorgungssysteme zu übertragen;
k) die Beiträge des Arbeitgebers und der Mitglieder in das System werden für die Zwecke der vom Mitgliedstaat erhobenen Einkommensteuer nicht als Einkommen der Mitglieder behandelt;
l) die aus dem System an Mitglieder gezahlten Ruhestandsleistungen werden für die Zwecke der vom Mitgliedstaat erhobenen Einkommensteuer als Einkommen der Mitglieder behandelt, und
m) der Arbeitgeber, nicht die Mitglieder des Systems, trägt die für dessen Verwaltung anfallenden Gebühren?
2. Im Licht der Ziele der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Abs. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112, des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und der in Frage 1 angeführten Umstände zu beantworten:
a) Ist ein Mitgliedstaat befugt, im nationalen Recht eine Definition der unter den Begriff „Sondervermögen" fallenden Fonds dahin vorzunehmen, dass die Art von Fonds, auf die in Frage 1 Bezug genommen wird, hiervon ausgenommen wird, während Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 375, S. 3) in der durch die Richtlinie 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 (ABl. L 41, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: OGAW-Richtlinie) eingeschlossen sind?
b) Inwieweit sind die folgenden Aspekte gegebenenfalls für die Frage relevant, ob ein Fonds der Art, auf die oben in Frage 1 Bezug genommen wird, von einem Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht als „Sondervermögen" anzuerkennen ist oder nicht:
- die Merkmale des Fonds, wie in Frage 1 ausgeführt;
- das Ausmaß, in dem der Fonds Anlageinstrumenten, die vom Mitgliedstaat schon als „Sondervermögen" anerkannt worden sind, „ähnlich ist und daher mit diesen in Wettbewerb steht"?
3. Wenn es in Beantwortung der Frage 2 b zweiter Gedankenstrich darauf ankommt, das Ausmaß zu bestimmen, in dem der Fonds Anlageinstrumenten, die vom Mitgliedstaat schon als „Sondervermögen" anerkannt worden sind, „ähnlich ist und daher mit diesen in Wettbewerb steht", ist dann als von der Frage der „Ähnlichkeit" gesonderte Frage zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß der fragliche Fonds mit solchen anderen Anlageinstrumenten im „Wettbewerb" steht?
Zu den Vorlagefragen
15 Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob und unter welchen Bedingungen das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems und der Investmentfonds, in dem es zusammengeführt wird, unter den Begriff „Sondervermögen" im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 fallen.
16 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die u. a. in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiungen nach ständiger Rechtsprechung zwar autonome unionsrechtliche Begriffe sind, die grundsätzlich eine gemeinsame Definition erfordern, um eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems zu verhindern, weshalb die Mitgliedstaaten ihren Inhalt nicht verändern können. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Gesetzgeber die Mitgliedstaaten mit der Bestimmung einiger Begriffe einer Befreiungsvorschrift betraut hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Mai 2006, Abbey National, C-169/04, Slg. 2006, I-4027, Randnrn. 38 und 39, sowie Claverhouse, Randnrn. 19 und 20). Die genannten Bestimmungen ermächtigen die Mitgliedstaaten, den Begriff „Sondervermögen" zu definieren (vgl. in diesem Sinne Urteile Abbey National, Randnrn. 40 und 41, sowie Claverhouse, Randnr. 43).
17 Diese den Mitgliedstaaten somit übertragene Definitionsbefugnis ist jedoch durch das Verbot begrenzt, der vom Unionsgesetzgeber verwendeten Formulierung der Befreiungsvorschrift zuwiderzuhandeln (vgl. Urteil Claverhouse, Randnr. 21). Ein Mitgliedstaat kann insbesondere nicht, ohne den Wortlaut des Begriffs „Sondervermögen" zu missachten, auswählen, welchen von den Sondervermögen die Befreiung gewährt wird und welchen nicht. Die genannten Bestimmungen räumen ihm somit lediglich die Befugnis ein, in seinem innerstaatlichen Recht die Fonds zu definieren, die unter den Begriff „Sondervermögen" fallen (vgl. Urteil Claverhouse, Randnrn. 41 bis 43).
18 Bei der den Mitgliedstaaten eingeräumten Befugnis zur Definition des Begriffs „Sondervermögen" ist außerdem das mit der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 verfolgte Ziel sowie der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem innewohnende Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten (vgl. Urteil Claverhouse, Randnrn. 22 und 43).
19 Insoweit ist zum einen festzustellen, dass mit der Befreiung von Umsätzen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Sondervermögen u. a. bezweckt wird, den Anlegern die Anlage in Wertpapiere über Organismen für Anlagen durch den Wegfall der Mehrwertsteuerkosten und somit durch die Gewährleistung der Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Bezug auf die Wahl zwischen unmittelbarer Anlage in Wertpapiere und derjenigen, die durch Einschaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen erfolgt, zu erleichtern (vgl. Urteile Abbey National, Randnr. 62, und Claverhouse, Randnr. 45).
20 Zum anderen lässt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es nicht zu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. September 2004, Cimber Air, C-382/02, Slg. 2004, I-8379, Randnrn. 23 und 24, vom 8. Dezember 2005, Jyske Finans, C-280/04, Slg. 2005, I-10683, Randnr. 39, Abbey National, Randnr. 56, und Claverhouse, Randnr. 29).
21 Außerdem verlangt dieser Grundsatz nicht, dass es sich um identische Umsätze handelt. Nach ständiger Rechtsprechung verbietet er es nämlich auch, gleichartige und infolgedessen miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. u. a. Urteile vom 23. Oktober 2003, Kommission/Deutschland, C-109/02, Slg. 2003, I-12691, Randnr. 20, vom 17. Februar 2005, Linneweber und Akritidis, C-453/02 und C-462/02, Slg. 2005, I-1131, Randnr. 24, vom 26. Mai 2005, Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Slg. 2005, I-4427, Randnr. 54, vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, Slg. 2006, I-5123, Randnr. 32, vom 12. Januar 2006, Turn- und Sportunion Waldburg, C-246/04, Slg. 2006, I-589, Randnr. 33, vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, Slg. 2006, I-3617, Randnr. 39, sowie Claverhouse, Randnr. 46).
22 Daher ist zu bestimmen, ob ein Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems zusammengeführt wird und der Merkmale aufweist, wie sie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Fonds hat, mit den Fonds identisch ist, die „Sondervermögen" im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 darstellen, oder mit diesen soweit vergleichbar ist, dass er mit ihnen im Wettbewerb steht.
23 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Fonds, die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Sinne der OGAW-Richtlinie darstellen, Sondervermögen sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 19. Juli 2012, Deutsche Bank, C-44/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 32). Wie sich aus Art. 1 Abs. 2 der genannten Richtlinie ergibt, sind Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren nämlich Organismen, die wie die AUT und die OEIC (vgl. in diesem Sinne Urteil Claverhouse, Randnr. 50) entsprechend dem Ziel, das mit der in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Befreiung verfolgt wird, dem ausschließlichen Zweck dienen, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung in Wertpapieren anzulegen.
24 Als Sondervermögen sind darüber hinaus auch Fonds anzusehen, die zwar keine Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne der OGAW-Richtlinie darstellen, jedoch dieselben Merkmale aufweisen wie diese und somit dieselben Umsätze tätigen oder diesen zumindest soweit ähnlich sind, dass sie mit ihnen im Wettbewerb stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile Abbey National, Randnrn. 53 bis 56, sowie Claverhouse, Randnrn. 48 bis 51).
25 Ein Investmentfonds wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems zusammengeführt wird, kann jedoch nicht als Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne der OGAW-Richtlinie angesehen werden. Ein solcher Fonds ist nämlich kein Publikumsfonds, sondern stellt, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, einen mit dem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Vorteil dar, den die Arbeitgeber lediglich ihren Angestellten gewähren. Ein solcher Fonds ist somit nicht mit den Fonds identisch, die Sondervermögen im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 darstellen.
26 Ein solcher Investmentfonds ist auch nicht mit den in der OGAW-Richtlinie definierten Organismen für gemeinsame Anlagen soweit vergleichbar, dass er mit diesen im Wettbewerb stünde. Sie unterscheiden sich in mehreren Punkten, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie denselben Bedürfnissen dienen.
27 Die Mitglieder eines Altersversorgungssystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden tragen insbesondere nicht die Risiken der Verwaltung des Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen dieses Systems zusammengeführt wird, im Gegensatz zu privaten Anlegern, die ihr Vermögen in einem Organismus für gemeinsame Anlagen anlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Claverhouse, Randnr. 50). Während die Rente, die ein Angestellter erhalten kann, der Mitglied eines Alterversorgungssystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist, in keiner Weise vom Wert des Kapitalvermögens des Systems und den Ergebnissen der von den Verwaltern des Systems getätigten Anlagen abhängt, sondern durch die Dauer seiner Beschäftigung bei dem Arbeitgeber und die Höhe seines Gehalts vorgegeben ist, richtet sich der Gewinn, den Personen, die Anteile an einem Organismus für gemeinsame Anlagen kaufen, erwarten können, nach den Ergebnissen der Anlagen, die von den Verwaltern des Fonds während des Zeitraums, während dessen sie diese Anteile halten, getätigt werden.
28 Ein Altersversorgungssystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterscheidet sich außerdem auch aus der Sicht des Arbeitgebers von einem Organismus für gemeinsame Anlagen. Der Arbeitgeber befindet sich insofern nicht in einer der Lage eines Investors eines Organismus für gemeinsame Anlagen vergleichbaren Lage, als die Beiträge, die er an das Altersversorgungsystem zahlt, selbst wenn er ebenfalls die finanziellen Folgen der von den Verwaltern des Systems getätigten Anlagen tragen muss, für ihn ein Mittel darstellen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nachzukommen.
29 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 in dem Sinne auszulegen sind, dass ein Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems zusammengeführt wird, nicht unter den Begriff „Sondervermögen" im Sinne dieser Bestimmungen fällt, dessen Verwaltung in Anbetracht der Ziele dieser Richtlinien und des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität von der Mehrwertsteuer befreit werden kann, da die Mitglieder nicht die mit der Verwaltung dieses Fonds zusammenhängenden Risiken tragen und die Beiträge, die der Arbeitgeber an das Altersversorgungsystem zahlt, für ihn ein Mittel darstellen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nachzukommen.
Kosten
30 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.