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Steuerrecht
25.06.2009
Steuerrecht
: Keine Entfernungspauschale für Familienheimflüge

BFH, Urteil vom 26.3.2009 - VI R 42/07

Vorinstanz: FG Nürnberg vom 18.7.2006 - I 51/2005

LEITSÄTZE

1. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Flugstrecken nicht in die Entfernungspauschale einbezogen hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Mit dem Abzug der tatsächlichen Flugkosten wahrt der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip in besonderer Weise und trägt folgerichtig dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit Rechnung.

3. Soweit die Entfernungspauschale als entfernungsabhängige Subvention und damit als Lenkungsnorm wirkt, ist es gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber aus verkehrs- und umweltpolitischen Motiven Flugstrecken nicht in die Entfernungspauschale einbezogen hat.

4. Mit dem Abzug der tatsächlichen Flugkosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG verstößt der Gesetzgeber nicht wegen eines normativen Vollzugsdefizits gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3; GG Art. 3 Abs. 1

SACHVERHALT

I.

Streitig ist, ob Aufwendungen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für Heimflüge im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung in Höhe der Entfernungspauschale angesetzt werden können.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat im Einkommensteuerbescheid 2002 die tatsächlichen Flugkosten zum Werbungskostenabzug zugelassen. Einspruchs- und Klageverfahren, in denen die Klägerin den Ansatz der Entfernungspauschale auch für die mit dem Flugzeug zurückgelegte Wegstrecke begehrte, blieben ohne Erfolg.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie, wegen eines normativen Vollzugsdefizits, gegen das Willkürverbot.

Die Kläger beantragen,

zunächst das Verfahren vorab nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und wegen Verletzung des Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen,

sodann das Urteil des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 18. Juli 2006 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 27. Januar 2004 --in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Januar 2005-- dahingehend abzuändern, dass zur Abgeltung von 44 Familienheimfahrten Werbungskosten wegen doppelter Haushaltsführung in Höhe von 11 246,40 € --unter Abzug der bisher für diese Fahrten berücksichtigten Aufwendungen-- angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

AUS DEN GRÜNDEN

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat Werbungskosten der Klägerin für Heimflüge im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung zu Recht nicht nach der Entfernungspauschale bemessen.

1. Werbungskosten sind auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Art. 1 Nr. 7 des Steueränderungsgesetzes 2003 --StÄndG 2003-- vom 15. Dezember 2003, BGBl I 2003, 2645 --EStG--, die nach § 52 Abs. 23b EStG in allen noch nicht formell bestandskräftigen Fällen anzuwenden ist). Aufwendungen für die Wege vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück (Familienheimfahrten) können jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abgezogen werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG bzw. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG 2002). Zur Abgeltung der Aufwendungen für eine Familienheimfahrt ist eine Entfernungspauschale von 0,40 € für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstands und dem Beschäftigungsort anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG bzw. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 EStG 2002). Dies gilt nicht für eine Flugstrecke (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. Nr. 4 Satz 3 EStG bzw. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 6 i.V.m. Nr. 4 Satz 3 EStG 2002).

Das FG hat die Vorschriften über die steuerrechtliche Berücksichtigung von Familienheimfahrten zutreffend angewendet. Auf der Grundlage der einfachgesetzlichen Rechtslage sind Aufwendungen für Flüge zwischen Beschäftigungs- und Wohnort im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung auch dann nur in Höhe der tatsächlichen Kosten dem Werbungskostenabzug zugänglich, wenn sich bei Anwendung der Entfernungspauschale ein höherer Abzugsbetrag ergäbe.

2. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Flugstrecken nicht in die Entfernungspauschale einbezogen hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Hierauf hat schon die Vorinstanz zutreffend hingewiesen. Insbesondere verstößt die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG kommt im Streitfall daher nicht in Betracht.

a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits (BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BFH/NV 2009, 338, m.w.N.).

Diesen verfassungs- wie einfachrechtlichen Maßstäben wird die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG gerecht. Schließlich lässt der Gesetzgeber Aufwendungen für Flüge zwischen Beschäftigungs- und Wohnort im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung in Höhe der tatsächlichen Kosten und nicht nur beschränkt durch die Entfernungspauschale zum Werbungskostenabzug zu. Damit wahrt der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip in besonderer Weise und trägt folgerichtig dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit Rechnung.

b) Aber auch soweit die Entfernungspauschale als entfernungsabhängige Subvention und damit als Lenkungsnorm wirkt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Mai 2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785), kommt eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG wegen ihrer Versagung im Streitfall nicht in Betracht.

Der Steuergesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen. Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Nur dann jedoch, wenn solche Förderungs- und Lenkungsziele von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen werden, sind sie auch geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Belastungen oder Entlastungen zu liefern. Weiterhin muss der Förderungs- und Lenkungszweck gleichheitsgerecht ausgestaltet sein, und auch Vergünstigungstatbestände müssen jedenfalls ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen (BVerfG-Urteil in BFH/NV 2009, 338, m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben begegnet der Umstand, dass der Gesetzgeber Flugstrecken nicht in die Entfernungspauschale einbezogen hat, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Lenkungswirkung entfaltet die Entfernungspauschale, wenn die tatsächlichen Wegekosten niedriger sind als der nach der Pauschale bemessene Aufwand (vgl. BFH-Urteil in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785). Dies ist in erster Linie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, bei der Sammelbeförderung durch den Arbeitgeber und bei Fahrgemeinschaften der Fall.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, in diesen Fällen eine Steuervergünstigung zu gewähren, ist erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen. Die Entfernungspauschale soll insbesondere die Chancengleichheit zwischen den Verkehrsträgern erhöhen und die Bildung von Fahrgemeinschaften honorieren (BTDrucks 14/4242, 5). Es ist deshalb gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Entfernungspauschale in Fällen, die --wie das Flugzeug-- Fahrgemeinschaften nicht zugänglich sind, für entbehrlich hält. Ebenfalls mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist es, wenn bei der Benutzung eines Flugzeugs die tatsächlichen Kosten und bei der Benutzung der Bahn Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale steuermindernd berücksichtigt werden. Der Umstand, dass die Bahn gegenüber dem Flugzeug in Bezug auf den Primärenergieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgasen das umweltfreundlichere Verkehrsmittel ist, erlaubt eine unterschiedliche Behandlung der beiden Verkehrsmittel im Rahmen der umwelt- und verkehrspolitisch motivierten (BTDrucks 14/4242, 5) Entfernungspauschale. Insbesondere ist darin keine willkürliche Differenzierung nämlicher Sachverhalte zu erblicken.

Im Übrigen sucht der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG unerwünschte Mitnahmeeffekte, insbesondere bei Familienheimfahrten, zu verhindern (BTDrucks 14/4242, 6). Er konnte typisierend davon ausgehen, dass mit dem Flugzeug in der Regel größere Entfernungen zurückgelegt werden und deshalb steuerliche Entlastung bei Anwendung der Entfernungspauschale und tatsächliche Wegekosten in besonderem Maße gegenläufig wären. Die Versagung der Entfernungspauschale für Flugstrecken ist damit auch insoweit sachlich gerechtfertigt.

c) Schließlich verstößt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG nicht wegen eines normativen Vollzugsdefizits gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Insoweit verkennen die Kläger, dass es im Fall der Werbungskosten für Familienheimfahrten nicht ausschließlich auf die Erklärung des Steuerpflichtigen ankommt, ob er wahrheitsgemäß die tatsächlichen Flugkosten oder die Entfernungspauschale geltend macht. Insbesondere hat der Gesetzgeber insoweit nicht auf die Möglichkeit der Verifikation verzichtet. Schließlich muss im Veranlagungsverfahren der Steuerpflichtige steuermindernde Abzugstatbestände nachweisen und damit gegebenenfalls auch belegen, mit welchem Verkehrsmittel er im Rahmen der doppelten Haushaltsführung Familienheimfahrten durchgeführt hat. Dies ist insbesondere auch dann erforderlich, wenn der Steuerpflichtige die Wegekosten nach der Entfernungspauschale berechnet und eine hohe Fahrleistung behauptet oder in Frage steht, ob der Steuerpflichtige Familienheimfahrten mit einem im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kraftfahrzeug zurückgelegt hat (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 6 EStG).

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