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Steuerrecht
02.08.2012
Steuerrecht
FG Köln: Keine AdV von Gewerbesteuermessbescheiden wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnung von Zinsen und Mieten

FG Köln, Beschluss vom 4.7.2012 - 13 V 1292/12


Sachverhalt


I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Gewerbesteuermessbescheid 2009 vom 9. Februar 2011 wegen Verfassungswidrigkeit der ab dem Jahr 2008 geltenden Regelungen über die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Finanzierungsanteilen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a), d), e) und f) des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (Bundesgesetzblatt I 2007, 1912; im Folgenden: GewStG) von der Vollziehung auszusetzen ist.


Die Antragstellerin ist eine Hotelgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ihren Hotelbetrieb ausschließlich in von fremden Dritten angepachteten Gebäuden betreibt. Ihr satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand ist der Erwerb, die Errichtung, der Betrieb, die Anpachtung, die Veräußerung und die Vermittlung von Hotels, Restaurants und artverwandter Betriebe sowie die Vornahme aller Geschäfte, die damit unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang stehen.


Im Streitjahr 2009 erwirtschaftete die Antragstellerin einen handelsrechtlichen Jahresfehlbetrag in Höhe von 6.281.169 €, im Vorjahr 2008 in Höhe von 8.829.468 €. Der unstreitige körperschaftsteuerliche Verlust der Antragstellerin betrug 3.400.149 € im Streitjahr 2009 und 4.167.917 € im Vorjahr 2008.


Die Jahresabschlüsse der Antragstellerin zum 31. Dezember 2008 und 2009 weisen einen Kassenbestand bzw. Guthaben bei Kreditinstituten in Höhe von ca. 11,5 Mio. € (2008) bzw. in Höhe von ca. 5,25 Mio. € (2009) aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Jahresabschlüsse verwiesen.


Die Antragstellerin wandte im Streitjahr 2009 Schuldentgelte in Höhe von 50.939 €, Pachtzinsen für bewegliche Wirtschaftsgüter im Eigentum eines anderen in Höhe von 9.403.200 €, Pachtzinsen für unbewegliche Wirtschaftsgüter im Eigentum eines anderen in Höhe von 56.223.688 € sowie Lizenzgebühren in Höhe von 87.400 € auf. Diese Aufwendungen führten zu gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a), d), e) und f) GewStG in Höhe von insgesamt 9.599.709 €. Wegen der Zusammensetzung der Hinzurechnungsbeträge wird auf die Anlage „Hinzurechnungen bei der GewSt" zur Gewerbesteuererklärung der Antragstellerin vom 27. Dezember 2010 verwiesen. Unter Berücksichtigung dieser Hinzurechnungen ermittelte der Antragsgegner einen Gewerbeertrag in Höhe von 5.431.792 € und setzte mit Bescheid vom 9. Februar 2011 bei einem auf 3.659.076 € beschränkten Verlustabzug den Gewerbesteuermessbetrag erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 62.044 € fest.


Im Vorjahr 2008 betrug die - erklärungsgemäße - gewerbesteuerliche Hinzurechnung für Schuldentgelte, Pachtzinsen und Lizenzgebühren gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a), d), e) und f) GewStG insgesamt 10.100.191 €. Der Antragsgegner setzte den Gewerbesteuer­messbetrag 2008 bei einem auf 4.420.026 € beschränkten Verlustabzug erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 79.800 € fest.


Gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2008 erhob die Antragstellerin nach erfolglosem Vorverfahren Klage, über die noch nicht entschieden ist (13 K 2768/10). Nach Auffassung der Antragstellerin verstoßen die Hinzurechnungsvorschriften für Finanzierungsanteile nach § 8 Nr. 1 Buchst. a), d), e) und f) GewStG in der ab 2008 geltenden Fassung gegen das Grundgesetz. Sie rügt einen Verstoß der betroffenen Vorschriften gegen die Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen-Menschenrechtskonvention (EMRK).


Gegen den im vorliegenden Aussetzungsverfahren streitgegenständlichen Gewerbesteuermessbescheid 2009 legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein; das Verfahren über den Einspruch beim Antragsgegner ruht.


Einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 lehnte der Antragsgegner am 30. März 2012 ab. Auch wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsnormen bestünden, sei im Streitfall das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten als das Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.


Mit Schriftsatz vom 26. April 2012 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 gestellt. Sie hält die Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermessbescheids 2009 für ernstlich zweifelhaft und verweist zur Begründung auf den Vorlagebeschluss des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 29. Februar 2012 1 K 138/10 (Az. beim Bundesverfassungsgericht - BVerfG -: 1 BvL 8/12), zustimmende Stimmen hierzu in der Literatur (Malzkorn/Rossa, Der Betrieb 2012, 1169) und ihr Vorbringen im Klageverfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2008.


Sie trägt vor, ihr von Beginn an betriebenes und realisiertes Unternehmenskonzept beruhe darauf, zum Zwecke eines Hotelbetriebs entsprechende Wirtschaftsgüter (Hotelmobiliar und -ausstattung) sowie Hotelimmobilien von dritten Eigentümern anzupachten. Das Geschäftsmodell sehe den Erwerb von eigenen Immobilien nicht vor, da entsprechende Investitionen von einer alleine auf Dienstleistung ausgerichteten Hotelkette wie der Antragstellerin nicht aufgebracht werden könnten. Aufgrund dieses Geschäftsmodells sei sie von der gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung von Pachtzinsen ab dem Jahr 2008 überproportional belastet und im Vergleich zu anderen Unternehmen benachteiligt. Die Hinzurechnung führe für sie zu einer unangemessenen Gewerbesteuerbelastung und zu einer Verletzung des Art. 14 GG. Trotz tatsächlich erzielter körperschaftsteuerlicher Verluste habe die gewerbesteuerliche Hinzurechnung eine erhebliche Substanzbesteuerung zur Folge. Ihre wirtschaftliche Existenz sei gefährdet.


Zudem werde das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletzt, ohne dass dies gerechtfertigt sei. Zur Rechtfertigung könne insbesondere nicht mehr auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer verwiesen werden, da dieser durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen der Vergangenheit (Einführung der Gewerbesteuerumlage, Wegfall der Lohnsumme als Besteuerungsgrundlagen, Wegfall der Gewerbekapitalsteuer, Wegfall der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer) zwischenzeitlich entfallen sei und sich die Gewerbesteuer zu einer reinen Ertragsteuer entwickelt habe. Durch die Neuregelungen der Gewerbesteuer würden unter Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit willkürlich Elemente einer Ertragsteuer mit Elementen einer Objektsteuer verknüpft.


Die übermäßige Belastung mit Gewerbesteuer habe erdrosselnde Wirkung und verstoße aus diesem Grund gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Die Hinzurechnungsvorschriften hätten zur Folge, dass bei ihr, die tatsächliche echte (d.h. nicht auf Sonderabschreibung o. Ä. beruhende) körperschaftsteuerliche Verluste erziele, gewerbesteuerlich ein Gewerbeertrag als Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer bestehe. Mangels tatsächlicher Erträge müsse sie die Steuern aus Eigenkapital und damit aus der Substanz der Gesellschaft aufbringen. Für das Jahr 2008 habe sie aus ihrer Substanz Gewerbesteuer für ihre 21 Betriebsstätten in Höhe von 326.949 € gezahlt. Ohne den teilweise verrechneten Verlustvortrag aus der Vergangenheit wäre ihre tatsächliche Gewerbesteuerbelastung noch erheblich höher gewesen.


Aus dem gleichen Grund liege auch ein Verstoß gegen Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK vor.


In ihrer Ungleichbehandlung mit solchen Hotelbetrieben, die ein Hotel in eigenen Immobilien betreiben, sieht die Antragstellerin einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.


Weiterhin rügt sie die Hinzurechnungsvorschriften hinsichtlich der Pachtaufwendungen als rechtswidrige Typisierung durch realitätsferne pauschale Hinzurechnung. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache - BT-Drucks. - 16/4841, 78), wonach das erklärte gesetzgeberische Ziel gewesen sei, das einkommen- bzw. körperschaftsteuerliche Ergebnis unabhängig von der Art und Weise des für die Kapitalausstattung des Betriebs zu entrichtende Entgelt darzustellen, vertritt sie die Auffassung, dass dieses Ziel mit der pauschalierten Hinzurechnung von 65 % (richtig: 16,25 %) der Miet- oder Pachtaufwendungen für Immobilien nicht erreicht werde. Der Gesetzgeber habe sich bei der Bemessung der Hinzurechnungsquote an einem ausschließlich eigenkapitalfinanzierten Unternehmen orientiert. Nach einer im Jahr 2008 veröffentlichten Studie der KfW-Bankengruppe betrage die durchschnittliche Eigenkapitalquote im Mittelstand dagegen lediglich 23,9 %. Der Gesetzgeber habe sich damit nicht am typischen Fall orientiert, die danach berechneten pauschalen Hinzurechnungen seien daher unverhältnismäßig.


Die Aussetzung der Vollziehung könne nicht aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung versagt werden. Der Bundesfinanzhof - BFH - gewichte das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung in seiner jüngeren Rechtsprechung deutlich weniger stark als in der Vergangenheit. Bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln bedürfe es keiner besonderen Begründung des Aussetzungsinteresses mehr, wenn sich die öffentlichen Haushaltsinteressen im bloßen fiskalischen Vollzugsinteresse erschöpften. Ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel reichten aus, um vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen. Dies habe der BFH auch in solchen Fällen angenommen, die eine ganz erhebliche und damit auch fiskalische Breitenwirkung besäßen. Andernfalls könne jeder legislative Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung legitimiert werden, was mit dem Gebot eines effektiven Individualrechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren sei. Aus diesen Gründen lasse der BFH in seiner aktuellen Rechtsprechung ausdrücklich offen, ob an dem Erfordernis eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresse überhaupt festzuhalten sei. Dieses Aussetzungsinteresse sei jedoch auch offensichtlich gegeben. Aus den handelsrechtlich und körperschaftsteuerrechtlich erzielten Verlusten und der allein auf den streitigen Hinzurechnungsvorschriften beruhenden Gewerbe-steuermessbetragsfestsetzungen ergebe sich deutlich, welches Gewicht die Hinzurechnungen für die Antragstellerin hätten. Ohne die beantragte Aussetzung der Vollziehung würde ihr kein effektiver Rechtsschutz gewährt.


Lediglich aufgrund der gegenüber dem allgemeinen Marktniveau hohen Aussetzungszinsen von 6% p.a. habe die Antragstellerin bislang keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Da es sich aber um einen Dauersachverhalt handele, habe sich ihre finanzielle Lage mittlerweile deutlich verschlechtert. Aus der nun abzusehenden langen Verfahrensdauer in der Hauptsache drohe schon aus allgemeiner Lebenserfahrung und erstem Anschein das konkrete Risiko wirtschaftlichen Schadens bis hin zur Insolvenz, da das Eigenkapital sukzessive aufgezehrt werde.


Der Hinweis des Antragsgegners auf die höher zu bewertenden haushaltsmäßigen Auswirkungen einer Vollziehungsaussetzung sei rechtsstaatlich unzulässig. Steuerverwaltung sei Eingriffsverwaltung, die immer besonderer Rechtfertigung bedürfe. Allein fiskalische Argumente könnten Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen. Aus diesem Grund sei selbst in Massenverfahren Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Auch könne nicht vorausgesehen werden, ob das BVerfG die streitgegenständlichen Vorschriften rückwirkend für nichtig erkläre, oder aber ob es einen Gesetzgebungsauftrag mit angemessener Frist ausspreche. Diese Entscheidung obläge allein dem BVerfG und dürfe nicht zu ihren Lasten vorweggenommen werden.


Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,


den Gewerbesteuermessbescheid 2009 vom 9. Februar 2011 von der Vollziehung auszusetzen und die Sicherheitsleistung für die Aussetzung der Vollziehung von Folgebescheiden ausdrücklich auszuschließen,


hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.


Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,


den Antrag abzulehnen,


hilfsweise, die Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.


Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, dass für eine Aussetzung der Vollziehung bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ein besonderes berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen erforderlich sei. Dies entspreche auch der aktuellen Rechtsprechung des BFH. Das Erfordernis des besonderen Aussetzungsinteresses folge aus dem Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes. Einem solchen Gesetz sei bis zur gegenteiligen Entscheidung durch das BVerfG der Vorrang einzuräumen, wenn die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führe und demgegenüber die Bedeutung und Schwere durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids beim Steuerpflichtigen eher als gering einzustufen und keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen zu befürchten seien. Bei dieser Abwägung seien die Interessen des Staates an einer geordneten Haushaltsführung keinesfalls geringer einzuschätzen als das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen.


Da nicht nur bei der Antragstellerin, sondern auch bei anderen Steuerpflichtigen eine erhebliche steuerliche Auswirkung der angegriffenen gesetzlichen Regelungen zu erwarten sei, käme es im Hinblick auf die erforderliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zu einer allgemeinen Nichtanwendung der betroffenen Vorschriften. Dadurch sei die geordnete Haushaltsführung gefährdet. Die Antragstellerin habe demgegenüber ein besonderes Aussetzungsinteresse weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht.


Aus den Gründen


II. Der Antrag ist unbegründet.


Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).


Danach bleibt der Antrag im Ergebnis ohne Erfolg. Der beschließende Senat hat zwar die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich rechtfertigende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermessbescheids 2009 (1.). Die Vollziehung dieses Bescheids ist dennoch nicht auszusetzen, da die Antragstellerin das hierfür erforderliche besondere Aussetzungsinteresse nicht dargelegt hat und aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angefochtenen Bescheids überwiegt (2.).


1.                            Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 87, 447, Bundessteuerblatt - BStBl - III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156; vom 26. August 2010 I B 85/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2011, 220).


a)                            Dies gilt auch dann, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (grundlegend BFH-Beschluss vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; vgl. aktuell die BFH-Beschlüsse vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; vom 30. März 2011 I B 136/10, BFHE 232, 395, BFH/NV 2011, 1042; vom 13. März 2012 I B 111/11, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2012, 955; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, Stand: Mai 2010, § 69 FGO Rz 96 m.w.N.). Es genügen auch in diesem Fall gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe; die Beurteilung des Aussetzungsantrags erfolgt nicht anhand der - strengeren - Maßstäbe, wie sie das BVerfG für die einstweilige Anordnung gemäß § 32 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) entwickelt hat (vgl. BFH in BStBl II 1984, 454).


b)                            Nach diesen Maßstäben hat der beschließende Senat hinreichend ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen der Hinzurechnungs­vorschriften in § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG durch das Unternehmen­steuerreformgesetz 2008.


Diese Zweifel haben ihren Grund in dem Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 29. Februar 2012 1 K 138/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2012, 960; Az. beim BVerfG: 1 BvL 8/12), mit welchem das FG Hamburg die Neuregelungen des § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt hat.


Nach der Rechtsprechung des BFH sind ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm bereits aus dem Grund zu bejahen, dass der BFH die Rechtsnorm im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens dem BVerfG vorgelegt hat (BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663 und vom 31. Januar 2007 VIII B 219/06, BFH/NV 2007, 914). Dies gilt nach Auffassung des beschließenden Senats im Regelfall auch dann, wenn der Vorlagebeschluss nicht durch den BFH, sondern durch ein Finanzgericht erfolgt (so auch Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, Stand: Oktober 2010, § 69 Rz 130; Koch in Gräber, FGO, 7. Aufl., § 69 Rz 90). Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Vorlagebeschluss durch den Senat eines Finanzgerichts unzulässig oder offenkundig unbegründet ist, führt dieser zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, der auf den betreffenden Rechtsnormen beruht. Ausweislich des o.g. Vorlagebeschlusses hat der 1. Senat des FG Hamburg die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der betreffenden gewerbesteuerrechtlichen Neuregelungen gewonnen und seine dahingehende Rechtsauffassung ausführlich begründet. Auf den veröffentlichten und den Beteiligten bekannten Vorlagebeschluss (EFG 2012, 960) wird wegen der Einzelheiten verwiesen.


c)              Der beschließende Senat kann und muss im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden, ob er die verfassungsrechtlichen Bedenken des FG Hamburg in vollem Umfang teilt; insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschriften zumindest teilweise bereits Gegenstand verfassungs­rechtlicher Verfahren gewesen und vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehen worden sind (vgl. bspw. Entscheidung des BVerfG vom 13. Mai 1969 1 BvR 25/65, Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE - 26, 1, BStBl II 1989, 424) und das BVerfG Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gewerbesteuerrechtlicher Vorschriften gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip als unzulässig verworfen hat (vgl. Kammerbeschluss vom 17. November 1998, 1 BvL 10/98, BStBl II 1999, 509 m.w.N.), lässt der Senat vielmehr ausdrücklich offen, ob auch aus seiner Sicht derzeit die Voraussetzungen für eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Klageverfahren vorliegen. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG, welche die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids 2009 als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen und eine Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich rechtfertigen können, sind zur Überzeugung des Senats aber allein bereits aufgrund des o.g. Vorlagebeschlusses des FG Hamburg zu bejahen.


d)              Dies entspricht im Ergebnis auch der Sichtweise des Antragsgegners. Auch dieser ist bei seiner ablehnenden Entscheidung von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermessbescheids 2009 ausgegangen und hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lediglich im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der geordneten Haushaltsführung abgelehnt.


Die Finanzverwaltung weist im Übrigen hinsichtlich der hier streitbefangenen Problematik selbst auf das gesetzliche Ruhen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO oder die Möglichkeiten des einvernehmlichen Ruhens wegen eines wichtigen Grundes hin (Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Magdeburg vom 7. Mai 2012 G 1422-59-St 216, juris).


e)              Ob auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung über die Hinzurechnung von 1/16 der Entgelte für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. f) GewStG bestehen, die nicht Gegenstand des o.g. Vorlagebeschlusses des FG Hamburgs ist, lässt der Senat offen. Zum einen hat die Antragstellerin gegen diese konkrete Hinzurechnungsvorschrift keine substantiierten verfassungsrechtlichen Einwendungen erhoben. Zum anderen ist hinsichtlich dieser Hinzurechnungen bereits aufgrund ihrer betragsmäßigen Höhe das erforderliche besondere berechtigte Interesse an der Aussetzung (hierzu im Einzelnen sogleich unter 2.) nicht erkennbar.


2.                            Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, dann ist der Verwaltungsakt, von Ausnahmen in Sonderfällen abgesehen, trotz der gesetzlichen Formulierungen „kann ... aussetzen" in § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO und „soll die Aussetzung erfolgen" in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO von der Vollziehung auszusetzen (so grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199). Das in § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO angelegte Ermessen des Finanzgerichts bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist dem Sinne vorgeprägt bzw. gebunden, dass das Gericht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen im Regelfall zur Aussetzung verpflichtet und nur ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel zugelassen ist (Gosch a.a.O., § 69 Rdnr. 179 m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814).


a)                            Ein solcher Ausnahmefall wird von der Rechtsprechung seit jeher insbesondere in den Fällen angenommen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakt auf ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsnormen beruhen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFH/NV 2012, 874 m.w.N. sowie in BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (bspw. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).


b)                            Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BStBl II 2010, 558).


Der BFH hat in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt, und zwar wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile entstehen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte, wenn der BFH die vom Kläger als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hatte, wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des bisher zulässigen Abzugs von laufenden erwerbsbedingten Aufwendungen als Werbungskosten bestehen oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage  oder um ausgelaufenes Recht geht (vgl. zu diesen Fallgruppen die Nachweise im BFH-Beschluss in BStBl II 2010, 558).


c)                            Diese einschränkende Rechtsprechung des BFH hat das BVerfG im Grundsatz gebilligt (Beschlüsse des BVerfG vom 6. April 1988 1 BvR 146/88, Deutsche Steuer-Zeitung / Eildienst - DStZ/E - 1988, 237 und vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726; im Ergebnis offengelassen zuletzt Beschluss des BVerfG vom 24. Oktober 2011 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2012, 89). Das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses, welches gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist, ist kein zusätzliches, unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, sondern eine zulässige Interpretation des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO als Soll-Vorschrift (Beschluss des BVerfG in DStZ/E 1988, 237) und verstößt nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (Beschlüsse des BVerfG in DStZE 1988, 237 und in HFR 1992, 726).


d)                            An der einschränkenden Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, einen Verwaltungsakt wegen ernstlicher Zweifel an der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnormen nur nach Abwägung des individuellen Aussetzungsinteresses gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes von der Vollziehung auszusetzen, ist nach Auffassung des beschließenden Senats trotz der Einwendungen der Antragstellerin und der in der Literatur geäußerten Kritik (vgl. insbesondere Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96 ff.; ders., Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, DStR 2012, 325; vgl. auch Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Rz 113; Schallmoser, Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm, DStR 2010, 297, alle m.w.N.) festzuhalten. Die Aussetzung der Vollziehung kann aus Gründen überwiegender öffentlichen Interessen an der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes abgelehnt werden.


Zwar ist die Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage uneinheitlich. Verschiedene Senate lassen die Frage, ob sie der bisherigen Rechtsprechung folgen wollen, dahingestellt, sofern bei der gleichwohl vorgenommenen Abwägung das individuelle Aussetzungsinteresse überwiegt (vgl. Beschluss des I. Senats in DStR 2012, 955; Beschluss des VI. Senats vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 89, BStBl II 2009, 826). Dabei wird - zutreffend - darauf hingewiesen, dass in der jüngeren Vergangenheit das öffentliche Haushaltsinteresse weniger stark als in der Vergangenheit gewichtet wurde und dass der schlichte Hinweis auf die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte nicht ausreiche, um das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen zu überwiegen (Beschluss des VI. Senats vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799). Nicht erhebliche, rein fiskalisch begründete Interessen, seien keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen an einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (so die Beschlüsse des IX. Senats vom 5. März 2001 IX B 90/09, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405 und vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Der VI. Senat sieht bereits in der bisherigen Spruchpraxis des BVerfG, nicht die Nichtigkeit steuerlicher Vorschriften festzustellen, sondern die Vorschriften lediglich als grundgesetzwidrig anzusehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger Frist eine Änderung für die Zukunft aufzugeben, eine Verstärkung des individuellen Aussetzungsinteresses (Beschlüsse des VI. Senats in BStBl II 2009, 826 und in BStBl II 2007, 799), die bei der Abwägung zum öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts zu berücksichtigen sei.


Allerdings ist nicht festzustellen, dass der BFH insgesamt von dem Erfordernis einer Interessabwägung abgerückt wäre. Sowohl der II. Senat (Beschluss in BStBl II 2010, 558) als auch der VII. Senat (Beschluss in BFH/NV 2012, 874) halten auch in ihrer aktuellen Rechtsprechung an dieser Abwägung fest und haben die Aussetzung der Vollziehung aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses abgelehnt. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2011 (HFR 2012, 89) die Spruchpraxis des II. Senats des BFH nicht verworfen, sondern unter Bestätigung der Entscheidung lediglich im Ergebnis offen gelassen, ob diese Rechtsprechung in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Der beschließende Senat schließt sich dieser Sichtweise an. Es ist nicht erkennbar, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Begründung für das Erfordernis einer Interessenabwägung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die ihren Kern im Grundsatz der Gewaltenteilung und der hieraus folgenden Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG hat (vgl. zu dieser Begründung zuletzt BFH-Beschluss in DStR 2012, 605), heute keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Der Vorwurf, dies führte zu „rechtsstaatlich unerträglichen Ergebnissen" (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 97), ist nicht belegt.


c)                            Die Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 und dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung fällt im Streitfall zu Lasten der Antragstellerin aus.


In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung der beantragten Aussetzung der Vollziehung - mit Rücksicht auf die erforderliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Februar 1967 VII B 46/66, BFHE 87, 414, BStBl III 1967, 123 und in BStBl II 2010, 558) - einem einstweiligen Außerkraftsetzen eines wesentlichen Teils der Neufassung des  Gewerbesteuergesetzes gleich. Aufgrund der damit verbundenen erheblichen Auswirkungen der Aussetzung der Vollziehung im Streitfall auf die öffentlichen, insbesondere kommunalen Haushalte, wäre es an der Antragstellerin gewesen, ihr demgegenüber besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung darzulegen und glaubhaft zu machen.


aa)              Die von der Antragstellerin umfassend für verfassungswidrig gehaltene Neuregelung der Hinzurechnungsvorschriften in § 8 GewStG hat betragsmäßig eine erhebliche Bedeutung für die öffentlichen, insbesondere kommunalen Haushalte. Nach der Schätzung des Gesetzgebers hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen des Unternehmen-steuerreformgesetzes 2008 beträgt die volle Jahreswirkung des Wegfalls der hälftigen Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen einschließlich der hinzuzurechnenden Mieten und Pachten nach § 8 GewStG a.F. insgesamt 995 Mio. €, bei den Gemeinden 1.062 Mio. €. Für das Streitjahr 2009 prognostizierte der Gesetzgeber Mindereinnahmen von insgesamt 740 Mio. €, bei den Gemeinden von 794 Mio. €. Die Einnahmen aus der Neuregelung des § 8 GewStG haben unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 100.000 € nach dieser Schätzung eine volle Jahreswirkung von insgesamt 965 Mio. €, bei den Gemeinden von 969 Mio. €. Für das Streitjahr 2009 sollten sich die Einnahmen aus der Neuregelung insgesamt auf 725 Mio. € belaufen, bei den Gemeinden auf 727 Mio. € (vgl. den Gesetzentwurf für ein Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 27. März 2007, BT-Drucks. 16/4841, 39, 42). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im Jahr 2009 das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden von 41,03 Mrd. € in 2008 auf 32,42 Mrd. € (vor Abzug der Gewerbesteuerumlage, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 4, Jahr 2009 „Kassenmäßige Steuereinnahmen der Gemeinden/Gv.") gesunken ist, kann die vom Gesetzgeber prognostizierte finanzielle Auswirkung der Neuregelung des § 8 GewStG nicht als unbedeutend angesehen werden. Die öffentliche Haushaltsführung ist durch die streitgegenständlichen Vorschriften danach nicht nur in untergeordnetem Umfang betroffen. Würden die Gewerbesteuermessbescheide 2009 gegenüber allen Steuerpflichtigen, die auch auf den streitgegenständlichen Neuregelungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 beruhen, von der Vollziehung ausgesetzt, so wäre nach Auffassung des beschließenden Senats die ordentliche Haushaltsführung der Kommunen zumindest ernsthaft gefährdet.


bb)              Unter diesen Umständen hätte die Antragstellerin darlegen und glaubhaft machen müssen, dass ihr aufgrund der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 irreparable Nachteile drohen, was ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen würde. Derartige irreparable Nachteile liegen aus Sicht des beschließenden Senats nicht vor.


Die Antragstellerin hat ihr besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung ausschließlich damit begründet, dass sie in den Jahren 2008 und 2009 handelsrechtlich und körperschaftsteuerrechtlich Verluste erwirtschaftet hat, es aufgrund der streitgegenständlichen Hinzurechnungsvorschriften dennoch zu einer tatsächliche Gewerbesteuerbelastung kommt, die nur aus der Substanz aufzubringen sei und dass es sich um einen Dauersachverhalt handele, ihre Belastung daher jedes Jahr steige. Dies reicht nicht aus, um ein gegenüber dem öffentlichen Interesse gesteigertes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin anzunehmen.


Zwar stellt die Gewerbesteuer auch des Streitjahres 2009 eine erhebliche Belastung für die Antragstellerin dar. Aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen lässt sich aber die Gefahr irreparabler Nachteile und einer Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht hinreichend erkennen. Die Antragstellerin hat selbst dargelegt, dass sie die Gewerbesteuerbelastung des Jahres 2009 zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wirtschaftlich verkraftet; schließlich hat sie trotz dieser Belastung einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner unter Hinweis auf die hohe Zinsgefahr (§ 238 Abs. 1 AO) erst am 19. März 2012, mithin mehr als ein Jahr nach Erlass des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids, gestellt. Zudem weisen die Jahresabschlüsse der Antragstellerin auf den 31. Dezember 2008 und 2009 einen Kassenbestand bzw. Guthaben bei Kreditinstituten in Höhe von ca. 11,5 Mio. € (2008) bzw. in Höhe von 5,25 Mio. € (2009) aus. Die - durch den beschränkten Verlustvortrag gemilderte - Gewerbesteuerbelastung für das Jahr 2009 in Höhe von 274.000 € (so die Gewerbesteuerrückstellung) kann hiernach auch aus den liquiden Mitteln der Antragstellerin getragen werden.


Zudem hätte die Antragstellerin die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz durch die Vorlage von aktuellen Geschäftszahlen darlegen und glaubhaft machen müssen. Dies hat sie unterlassen und lediglich auf die Gewerbesteuerbelastung des Jahres 2009 verwiesen. Aus dem veröffentlichen Jahresabschluss auf den 31. Dezember 2010 ergibt sich aber, dass die Antragstellerin einen - geringen - handelsrechtlichen Gewinn erzielt hat, obwohl sie für dieses Jahr (mangels weiterer vortragsfähiger Gewerbeverluste) eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von nunmehr 2,19 Mio. € gebildet hat und Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen in Höhe von insgesamt 4,24 Mio. € wertberichtigt hat. Hieran zeigt sich, dass die Antragstellerin in der Lage ist, auch unter der Neuregelung des § 8 GewStG Gewinne zu erwirtschaften.


Schließlich ist die Antragstellerin ausweislich des veröffentlichten Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2010 im Jahr 2011 in erheblichem Umfang mit neuem Eigenkapital ausgestattet worden. Im Dezember 2010 wurde eine Kapitalerhöhung bis zum 30. Juni 2012 in Höhe von zwischen 100.000 € und 4,9 Mio. € beschlossen; die Kapitalerhöhung wurde im Mai 2011 durch Bareinlage in Höhe von 3 Mio. € erbracht, die ausstehende Erhöhung um 1,9 Mio. € sollte im vierten Quartal 2011 realisiert werden.


Nach diesen zeitnahen Geschäftszahlen über die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin sieht der beschließende Senat trotz der erheblichen Belastung keine drohenden irreparablen Nachteile für die Antragstellerin, die ein Abwarten über die Beendigung des Hauptsacheverfahrens gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2009 als unzumutbar erscheinen ließe.


d)                            Da die beantragte Aussetzung der Vollziehung bereits aus diesem Grund abzulehnen war, braucht der Senat an dieser Stelle nicht mehr darüber zu entscheiden, ob er auch der vom II. Senat des BFH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Spruchpraxis folgt, wonach im Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten sei, dass regelmäßig keine weiter gehende Entscheidung getroffen werden könne, als vom BVerfG zu erwarten sei. Der II. Senat des BFH zieht hieraus den Schluss, dass bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung eine Prognose darüber anzustellen sei, ob das BVerfG die betroffene Vorschrift für nichtig erklärt oder aber ob eine befristete Fortgeltungsanordnung einer als verfassungswidrig erkannten Bestimmung bspw. aus Gesichtspunkten einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung in Betracht kommt (vgl. bspw. Beschlüsse vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942 m.w.N. sowie erstmalig vom 11. Juni 1986 II B II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782). Im zweiten Fall wäre eine Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.


Diese Rechtsprechung hat in der Literatur erhebliche Kritik erfahren (vgl. bspw. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96 m.w.N.; Gosch, a.a.O., § 69 FGO Rz 180.1 m.w.N.). Andere Senate des BFH lassen offen, ob sie dieser Argumentation folgen wollen (bspw. Beschluss des I. Senats in DStR 2012, 955) oder ziehen aus einer prognostizierten befristeten Fortgeltungsanordnung durch das BVerfG sogar den entgegengesetzten Schluss: So hat der VI. Senat in dieser Möglichkeit einen Grund dafür gesehen, die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, um dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zu genügen (Beschlüsse in BStBl II 2009, 826 und in BStBl II 2007, 799).


Ohne dass sich der beschließende Senat an dieser Stelle dem II. Senats des BFH anschließt, weist er darauf hin, dass nach dieser Spruchpraxis die beantragte Aussetzung der Vollziehung zumindest in Teilen ebenfalls abzulehnen wäre. Das FG Hamburg hat sich bei seinem Vorlagebeschluss im Wesentlichen auf den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit unter weitgehender Distanzierung gegenüber dem Objektsteuergedanken gestützt. Es hat dabei die bereits dem GewStG 1936 zu Grunde liegenden Überlegungen zur Gleichbehandlung von Unternehmungen, die mit Eigenkapital arbeiten und mit Fremdkapital finanzierten Unternehmungen verworfen.


Mit dieser Argumentation wäre man auch zu der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnungsvorschriften des Gewerbesteuergesetzes i.d.F. bis zum Erhebungszeitraum 2007 gekommen. Diese Hinzurechnungsvorschriften sind aber - zumindest teilweise - bereits Gegenstand verfassungsrechtlicher Verfahren gewesen und vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. bspw. Entscheidung des BVerfG vom 13. Mai 1969 1 BvR 25/65, Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE - 26, 1, BStBl II 1969, 424).


Mit seiner auf den Leistungsfähigkeitsgrundsatz gestützten Begründung, die auf die generelle Unzulässigkeit von Hinzurechnungen hinausläuft, befindet sich das FG Hamburg im Widerspruch zur ganz überwiegenden Rechtsprechung der Finanzgerichte, bei denen nur vereinzelt von einer Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnungsvorschriften ausgegangen worden ist. Vorlagen an das BVerfG im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip sind als unzulässig verworfen worden (vgl. z. B. Kammerbeschluss des BVerfG vom 17. November 1998, 1 BvL 10/98, BStBl II 1999, 509 m.w.N.)


Bei dieser Ausgangslage hält es der beschließende Senat für nahezu ausgeschlossen, dass das BVerfG die Hinzurechnung in Höhe eines Viertels der Entgelte für Schulden (bis 2007: die Hälfte der Entgelte für Dauerschulden) oder die Hinzurechnung in Höhe eines Zwanzigstels der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (bis 2007: die Hälfte der entsprechenden Miet- und Pachtzinsen mit diversen Modifikationen) für nichtig erklären könnte.


Hinsichtlich der Hinzurechnung von 16,25 % der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung unbeweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, kann in Anbetracht der regelmäßig hohen Beträge und der daraus resultierenden weit reichenden Auswirkungen auf die einzelnen Steuerpflichtigen bis hin zu der auch im vorliegenden Verfahren vorgetragenen Existenzgefährdung sowie der Problematik einer fehlenden Übergangsregelung eine Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG nicht ausgeschlossen werden. Da aber nach der oben dargestellten Interessenabwägung die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen ist, sieht der Senat an dieser Stelle von einer Prognose der Entscheidung des BVerfG ab.


3.                            Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO auch dann erfolgen, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellt. Anhaltspunkte hierfür sind von der Antragstellerin nicht vorgetragen worden und für den beschließenden Senat aus den Akten auch nicht erkennbar.


4.              Im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BFH zu der Frage, nach welchen Maßstäben die Entscheidung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung zu treffen ist, wenn die Verfassungswidrigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtsnormen gerügt wird, lässt der Senat die Beschwerde gegen den Beschluss zu. Die vormals gefestigte und durch das BVerfG gebilligte Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage ist durch die Kritik in der steuerrechtlichen Literatur und unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe der verschiedenen Senate des BFH uneinheitlich geworden. Durch eine - erneute Entscheidung - des BFH könnten im Hinblick auf die Vielzahl der Aussetzungsverfahren mit verfassungsrechtlichem Hintergrund ggfs. einheitliche, praktisch verwertbare Abwägungskriterien entwickelt werden.


Die Zulassung der Beschwerde ist auch dadurch gerechtfertigt, dass das Finanzgericht Thüringen die Aussetzung der Vollziehung trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8c des Körperschaftsteuergesetzes mangels Aussetzungsinteresse der Antragstellerin abgelehnt und die Beschwerde zugelassen hat (Beschluss des FG Thüringen vom 19. Januar 2012 3 V 1001/11, EFG 2012, 861 m. Anmerk. Wagner; Az. beim BFH: 1 B 18/12).


5.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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