BFH: Kein Feststellungsinteresse für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen eine Prüfungsanordnung
BFH, Urteil vom 11.3.2025 – IX R 30/22
ECLI:DE:BFH:2025:U.110325.IXR30.22.0
Volltext BB-Online BBL2025-981-4
Amtliche Leitsätze
1. Das für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen eine Prüfungsanordnung erforderliche besondere Feststellungsinteresse im Sinne von § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung fehlt, wenn die Prüfungsergebnisse bereits bescheidmäßig umgesetzt worden sind (Anschluss an Senatsurteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789).
2. Dies gilt auch, wenn die Umsetzung der Prüfungsergebnisse in mehreren Bescheiden unterschiedlicher Finanzbehörden erfolgt ist.
SACHVERHALT
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) veranstaltete Musik-Festivals. Er engagierte Künstler und Produktionsgesellschaften, deren Gagen dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterlagen. Als Vergütungsschuldner war der Kläger für die Steuer einbehaltungs-, anmeldungs- und abführungspflichtig. Die Steueranmeldungen reichte er zunächst beim Finanzamt … (FA A) ein, ab dem Jahr 2014 beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt).
Am 15.09.2015 ordnete das für die Besteuerung des Klägers zuständige Wohnsitzfinanzamt ‑‑der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (FA)‑‑ eine Lohnsteuer-Außenprüfung an. Die Anordnung erstreckte sich auf den Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 EStG für die Jahre 2012 bis 2014. Am 30.05.2016 erließ das FA eine weitere Anordnung für eine Lohnsteuer-Außenprüfung, die ebenfalls die Durchführung des Steuerabzugs gemäß § 50a Abs. 1 EStG umfasste, und zwar für das Jahr 2015.
Gegen die Prüfungsanordnungen legte der Kläger keinen Einspruch ein.
Im Rahmen beider Prüfungen erließ das FA A gegen den Kläger einen Haftungsbescheid wegen nicht ordnungsgemäß einbehaltener und abgeführter Steuern gemäß § 50a Abs. 1 EStG für die Jahre 2012 und 2013. Mit einem weiteren Bescheid erhob das BZSt vom Kläger rückständige Steuern für die Jahre 2014 und 2015 nach. Gegen beide Bescheide sind seit dem Jahr 2018 Klagen vor dem Niedersächsischen Finanzgericht ‑‑FG‑‑ (Haftungsbescheid) und dem Finanzgericht Köln (Nacherhebungsbescheid) anhängig. In beiden Verfahren führt der Kläger an, die Prüfungsanordnungen seien von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden und deshalb nichtig. Die Nichtigkeit führe zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der Prüfungsfeststellungen.
Im Jahr 2021 erhob der Kläger die vorliegende Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Prüfungsanordnungen. Das FG gab der Klage, die es für zulässig hielt, teilweise statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2022, 1004). Es entschied, für die Jahre 2014 und 2015 sei das BZSt für eine Außenprüfung über die Durchführung des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 1 EStG sachlich zuständig gewesen; insoweit seien beide Prüfungsanordnungen nichtig. Für die Jahre 2012 und 2013 sei zwar nicht das beklagte FA, sondern das FA A zuständig gewesen. Dieser Zuständigkeitsmangel lasse aber insoweit die Wirksamkeit der Prüfungsanordnung vom 15.09.2015 unberührt, da beide Finanzämter verbandsmäßig auf derselben Verwaltungsstufe stünden.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Kläger habe kein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer Nichtigkeit.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als der Klage stattgegeben wurde und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des FA zurückzuweisen.
Der Kläger meint, er habe wegen des von ihm erstrebten Verwertungsverbots ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen. Bei einer inzidenten Prüfung der Nichtigkeit in den beiden gegen den Haftungs- und den Nacherhebungsbescheid geführten Klageverfahren drohten divergierende Entscheidungen. Eine vorgreifliche Nichtigkeitsfeststellung sei prozessökonomisch.
Mit seiner eigenen Revision führt der Kläger an, das FG habe Bundesrecht verletzt, als es die Prüfungsanordnung vom 15.09.2015 nicht auch für die Jahre 2012 und 2013 als nichtig gewertet habe.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als der Klage nicht stattgegeben wurde und der Klage insgesamt stattzugeben.
Das FA beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Das FA hat an der mündlichen Verhandlung aufgrund antragsgemäßer Gestattung des Senatsvorsitzenden mittels Videoverhandlung teilgenommen. Auf Antrag des Klägers hat der Senat in der mündlichen Verhandlung die Öffentlichkeit gemäß § 52 Abs. 2 FGO ausgeschlossen.
Aus den Gründen
14 II. 1. Der vom Kläger in der Sitzung am 11.03.2025 (nochmals) gestellte Antrag, den Termin zur ‑‑bereits eröffneten‑‑ mündlichen Verhandlung aufzuheben und zu späterer Zeit in beiderseitiger Präsenz der Beteiligten mündlich zu verhandeln, war abzulehnen. Der Kläger hat keine erheblichen Gründe vorgebracht, die eine Terminsänderung gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) gerechtfertigt hätten. Insoweit wird auf das Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 10.03.2025, mit dem bereits ein entsprechender Terminsverlegungsantrag des Klägers vom 06.03.2025 abgelehnt wurde, Bezug genommen.
15 2. Die ausschließlich mit technischen und datenschutzrechtlichen Erwägungen begründeten Einwendungen des Klägers gegen die auf § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 128a Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 ZPO beruhende Videozuschaltung des FA sind vorliegend unbeachtlich. Prozessuale Verfahrensrechte des Klägers werden hierdurch ‑‑selbst wenn die Einwendungen zuträfen‑‑ weder berührt noch verletzt.
16 III. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt im Umfang des stattgebenden Teils der Klage zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur vollständigen Klageabweisung gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO (dazu unter 1.). Dies hat zur Folge, dass die Revision des Klägers unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen ist (unter 2.).
17 1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, soweit das FG festgestellt hat, dass die Anordnung für eine Außenprüfung betreffend den Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 1 EStG vom 30.05.2016 in Gänze und die entsprechende Prüfungsanordnung vom 15.09.2015 hinsichtlich des Prüfungsjahres 2014 nichtig sind.
18 a) Das FG-Urteil leidet an dem Rechtsfehler, die Feststellungsklage als zulässig anzusehen. Es fehlt an einem für die Feststellung der Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen erforderlichen berechtigten Interesse im Sinne von § 41 Abs. 1 FGO.
19 aa) Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass ein berechtigtes Interesse für eine Feststellungsklage sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann. Die Feststellung muss geeignet sein, zu einer Verbesserung der Rechtsposition des Klägers zu führen (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28.09.2022 - X R 7/21, BFHE 278, 254, BStBl II 2023, 178, Rz 32 sowie vom 29.07.2003 - VII R 39/02, VII R 43/02, BFHE 202, 411, BStBl II 2003, 828, unter 2.b, jeweils m.w.N.). Die Rechte des Klägers müssen ohne gerichtliche Feststellung gefährdet sein. Ein berechtigtes Interesse besteht dagegen nicht, wenn der Kläger sein Prozessziel auf anderem Weg schneller, einfacher und billiger erreichen kann (Senatsurteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, unter 2.). Denn das Feststellungsinteresse ist eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (BFH-Urteil vom 10.02.1987 - VII R 77/84, BFHE 149, 387, BStBl II 1987, 545, unter B.I.2., m.w.N.).
20 bb) Beruft sich ein Kläger ‑‑wie hier‑‑ ausschließlich auf die Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung und sind die Prüfungsfeststellungen bereits in einem Bescheid ausgewertet, fehlt einer Nichtigkeitsfeststellungsklage das berechtigte Interesse (Senatsurteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789).
21 Der erkennende Senat hat hierfür prozessökonomische Gesichtspunkte angeführt und verdeutlicht, dass es keines vorgelagerten gerichtlichen Feststellungsausspruchs zur Nichtigkeit bedarf, wenn es Ziel des Steuerpflichtigen ist, in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen einen der Außenprüfung nachfolgenden Steuerbescheid ein Verwertungsverbot der Prüfungsfeststellungen zu erreichen. Anders als bei einer nur rechtswidrigen ‑‑aber wirksamen‑‑ Prüfungsanordnung kann der Einwand der Nichtigkeit unmittelbar im Verfahren gegen den Auswertungsbescheid geführt werden (vgl. Senatsurteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, unter 2.; Krumm in Tipke/Kruse, § 41 FGO Rz 22). Eine Feststellungsklage ist demnach nur zulässig, wenn sie benötigt wird und geeignet ist, ein Verwertungsverbot auszulösen (Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz 43; Gosch in Gosch, AO § 196 Rz 182).
22 cc) An diesen Rechtsgrundsätzen hält der Senat fest. Soweit das FG für seine abweichende Ansicht auf das BFH-Urteil vom 09.11.1994 - XI R 33/93 (BFH/NV 1995, 621) Bezug nimmt, verkennt es, dass jene Entscheidung zu einer Fallgestaltung erging, in der die Rechtswidrigkeit und eben nicht die Nichtigkeit der Prüfungsanordnung in Frage stand. Derselben rechtlichen Fehleinschätzung unterlag das FG Nürnberg in seinem Urteil vom 14.01.2014 - 1 K 215/13, auf das in der angefochtenen Entscheidung ebenfalls Bezug genommen wird (zutreffend Lutter, EFG 2022, 1009, 1010).
23 dd) Die prozessuale Ausgangslage des Klägers rechtfertigt keine Ausnahme. Eine Gefährdung seiner Rechte ist trotz des Erlasses mehrerer Auswertungsbescheide von unterschiedlichen Finanzbehörden nicht erkennbar. Der Kläger kann sowohl im Haftungs- als auch im Steuernachforderungsverfahren den Einwand der Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen unmittelbar geltend machen, um sein Ziel eines Verwertungsverbots zu erreichen. Die Tatbestandswirkung einer mangels Anfechtung bestandskräftig gewordenen Prüfungsanordnung stünde dem Kläger im Fall deren Nichtigkeit prozessual nicht im Wege. Ein vorgelagerter Rechtsschutz auf Feststellung der Nichtigkeit ist somit auch dann nicht erforderlich, wenn die Auswertungsbescheide von unterschiedlichen Behörden erlassen wurden. Hieran ändert auch die vom Kläger und der Vorinstanz benannte Gefahr divergierender (gerichtlicher) Entscheidungen nichts. Eine solche Unwägbarkeit genügt nicht, um dem Kläger die Möglichkeit zu eröffnen, ein der Sache nach nicht gebotenes zusätzliches gerichtliches Verfahren zu eröffnen. Dass die Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung für die Frage der Rechtmäßigkeit eines daraufhin ergangenen Steuerbescheids ein vorgreifliches Rechtsverhältnis im Sinne von § 74 FGO ist, spielt keine Rolle. Denn nicht jedes vorgreifliche Rechtsverhältnis vermittelt dem Kläger das Recht, dessen Nichtigkeit gerichtlich feststellen zu lassen.
24 Der Senat verkennt nicht, dass im Zivilprozessrecht die Möglichkeit besteht, das Bestehen oder Nichtbestehen eines im Laufe des Prozesses streitig gewordenen und entscheidungserheblichen Rechtsverhältnisses gerichtlich feststellen zu lassen (Zwischenfeststellungsklage, § 256 Abs. 2 ZPO), um auf diese Weise auch ein für den Leistungsausspruch maßgebliches präjudizielles Rechtsverhältnis in die Rechtskraft einzubeziehen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 256 Rz 35). Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift über § 155 Satz 1 FGO scheidet aber aus, da § 41 FGO eine eigenständige und in sich geschlossene ‑‑die Besonderheiten des steuerlichen Verfahrensrechts beachtende‑‑ Regelung für Feststellungsklagen vorhält (vgl. Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 41 Rz 44 ff.; von Beckerath in Gosch, FGO § 41 Rz 16; Krumm in Tipke/Kruse, § 41 FGO Rz 31; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 41 FGO Rz 89 f.; offengelassen im BFH-Beschluss vom 27.03.1986 - I S 16/85, BFH/NV 1986, 632, unter 1.a).
25 b) Fehlt es somit bereits an der Zulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage, bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob beziehungsweise in welchem Umfang die Prüfungsanordnungen nichtig sind.
26 2. Die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage bedingt, dass der Kläger mit seiner eigenen Revision nicht durchdringen kann.
27 3. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist ebenso ausgeschlossen wie ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union. Im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Feststellungsklage sind die vom Kläger aufgeworfenen verfassungs- und unionsrechtlichen Fragestellungen nicht entscheidungserheblich.
28 4. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 135 Abs. 1 FGO (Revision des FA) und § 135 Abs. 2 FGO (Revision des Klägers).