: Kaufvertragliche Übernahme der Kosten einer noch durchzuführenden „Ausgleichsmaßnahme an anderer Stelle"
BFH, Urteil vom 28.10.2009 - II R 18/08
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 15.10.2007 - 7 K 56/03 (EFG 2008, 1814)
Leitsatz
Verpflichtet sich eine Stadt als Verkäuferin eines Grundstücks, auf dem die vom Erwerber beabsichtigte Nutzung einen naturschutzrechtlichen Eingriff erfordert, die noch ausstehende Ausgleichsmaßnahme an anderer Stelle (§ 135a Abs. 2 BauGB) durchzuführen, und verpflichtet sich der Erwerber zur Zahlung der dadurch entstehenden Kosten, sind diese auch dann Teil der Gegenleistung sowie der Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer, wenn die Ausgleichsmaßnahme an anderer Stelle dem erworbenen Grundstück i. S. von § 9 Abs. 1a Satz 2 BauGB zugeordnet worden ist.
GrEStG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1; BauGB § 9 Abs. 1a Satz 2, § 135a Abs. 2
Sachverhalt
I.
1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 18. Dezember 2000 von der Stadt ein Grundstück. Um die beabsichtigte gewerbliche Nutzung zu ermöglichen, hatte die Stadt noch den Flächennutzungsplan zu ändern und einen Bebauungsplan aufzustellen. Außerdem waren aus Gründen des Naturschutzes auf einem anderen Grundstück Ausgleichsmaßnahmen ("Waldumwandlung") vorzunehmen. Die anteiligen Kosten dieser Ausgleichsmaßnahmen von 40.000 DM übernahm die Klägerin neben dem nach Quadratmetern berechneten Kaufpreis. Der Kaufvertrag wurde unter der aufschiebenden Bedingung des Wirksamwerdens des Bebauungsplans abgeschlossen. Die Bedingung trat mit Rechtskraft des Plans am 21. September 2002 ein.
2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in der Kostentragung für die Ausgleichsmaßnahmen eine sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und setzte auf dieser Grundlage die Steuer mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 fest. Nach erfolglosem Einspruch führte das Klageverfahren zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2007 durch Erklärung des FA zu Protokoll des Gerichts bei einer Bemessungsgrundlage von 169.810 DM zu einer Herabsetzung der Steuer auf 3.038,61 € (5.943 DM).
3 In dem verbliebenen Streitpunkt, ob die Übernahme der Kosten der Ausgleichsmaßnahmen zur Gegenleistung gehöre, folgte das Finanzgericht (FG) der Klägerin, die das verneinte, und gab der Klage insoweit statt. Es berief sich dabei mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1814 veröffentlichten Entscheidung auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover vom 29. Dezember 1999 S 4521 -155-StH 563, S 4521 -10-StO 243 (Steuererlasse in Karteiform, Grunderwerbsteuergesetz 1983, § 9 Nr. 108), wonach Zahlungen zur Ablösung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz vom 11. April 1994 --NNatG-- (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1994, 155) im Zusammenhang mit einem Grundstückserwerb nicht zur Gegenleistung gehören, und setzte die Steuer weiter auf 2.322,80 € (4.543 DM) herab. Die Klägerin habe mit der Kostentragung eine eigene gesetzliche Verpflichtung erfüllt; diese Kosten hätte sie gemäß den §§ 10 und 12 NNatG auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Kaufvertrag zu tragen gehabt.
4 Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung der §§ 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Anders als in dem o.a. Erlass vorausgesetzt sei im Streitfall die Stadt als Grundstücksveräußerin nicht untere Naturschutzbehörde. Deren Aufgaben seien vielmehr vom Landkreis wahrzunehmen. Die gesetzliche Verpflichtung zu Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gemäß den §§ 10 und 12 NNatG habe nicht die Klägerin getroffen, sondern die Stadt, da diese durch die von ihr betriebene Änderung des Flächennutzungsplans und Aufstellung eines Bebauungsplans Verursacher der veränderten Grundflächennutzung i.S. des § 12 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 NNatG sei. Gleichwohl sei die Vornahme von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach dem NNatG keine der Grundstückserschließung vergleichbare öffentliche Aufgabe der Gemeinden. Daher gehe die Bezugnahme des FG auf den o.a. Erlass fehl.
5 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus den Gründen
II.
7 Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Kosten für die erforderliche Ausgleichsmaßnahme sind Teil der Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und damit der Bemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 1 GrEStG).
8 1. Entgegen der Ansicht der Beteiligten und des FG konnte im Streitfall ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Ausgleichsmaßnahme der Waldumwandlung an anderer Stelle --wenn überhaupt-- nur gemäß § 135a des Baugesetzbuchs (BauGB) und nicht etwa auf der Grundlage des NNatG entstehen.
9 a) Die naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen mit ihrem Grundprinzip von Eingriff, Ausgleich und Ersatz, wie sie bundesrechtlich nunmehr in den Rahmenvorschriften der §§ 18 und 19 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) vom 25. März 2002 (BGBl. I 2002, 1193) --zuvor § 8 BNatSchG i.d.F. der Neubekanntmachung vom 21. September 1998 (BGBl. I 1998, 2994)-- und landesrechtlich in den §§ 7 bis 12 NNatG enthalten sind, sind gemäß der weiteren Rahmenregelung des § 21 BNatSchG --zuvor wortgleich § 8a BNatSchG a.F.-- nicht anwendbar, wenn aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen (§ 1 Abs. 2 BauGB) Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind und deshalb über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz nach den Vorschriften des BauGB zu entscheiden ist. Hintergrund der Regelung ist, dass die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nur einmal geprüft werden sollen. Flächennutzungspläne und Bebauungspläne erfüllen auch nicht etwa selbst die Voraussetzungen eines Eingriffs i.S. der §§ 18 und 19 BNatSchG bzw. der §§ 7 ff. NNatG; sie bereiten derartige Eingriffe ggf. lediglich vor (so Lorz/ Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2003, § 21 Rz 6).
10 b) Nach § 135a Abs. 2 Satz 1 BauGB ist eine Kostentragungspflicht des Vorhabenträgers oder Eigentümers davon abhängig, dass die Maßnahmen zum Ausgleich an anderer Stelle dem Eingriffsgrundstück nach § 9 Abs. 1a BauGB zugeordnet worden sind. Ist dies geschehen, bestimmt § 135a Abs. 3 BauGB, die Kosten können geltend gemacht werden, sobald die Grundstücke, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, baulich oder gewerblich genutzt werden dürfen. Die Erstattungspflicht entsteht mit der Herstellung der Maßnahmen zum Ausgleich durch die Gemeinde.
11 2. Im Streitfall sollte die durch den zu erwartenden Eingriff erforderlich werdende Ausgleichsmaßnahme der "Waldumwandlung" nicht auf dem erworbenen Grundstück, sondern an anderer Stelle erfolgen. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, die Kosten zu erstatten, konnte daher gemäß § 135a Abs. 2 Satz 1 BauGB unter den Voraussetzungen des Abs. 3 der Vorschrift nur entstehen, wenn die Ausgleichsmaßnahme dem von der Klägerin erworbenen Grundstück nach § 9 Abs. 1a BauGB zugeordnet worden ist. Ob dies geschehen ist, ist nicht festgestellt, kann aber auf sich beruhen.
12 a) Ist eine Zuordnung unterblieben, hat sich die Stadt des Rechts, den Vorhabenträger oder Eigentümer nach § 135a BauGB zu den Kosten der Ausgleichsmaßnahme heranzuziehen, begeben (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Kommentar, § 9 Rz 238; Löhr in Battis/ Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, Kommentar, 11. Aufl. 2009, § 9 Rz 98b; Mitschang in Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht --ZfBR-- 2005, 644, 646). Wollte die Stadt die Kosten in diesem Fall nicht selbst tragen, war sie darauf angewiesen, die Kosten vertraglich abzuwälzen. Die kaufvertragliche Übernahme der Kosten wäre dann ohne weiteres Teil des Kaufpreises i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und damit in die Bemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG einzubeziehen.
13 b) Ist im Streitfall eine Zuordnung erfolgt, rechnet die kaufvertragliche Übernahme der Ausgleichskosten ebenfalls zur Gegenleistung, da die Stadt sich verpflichtet hatte, die noch erforderliche Ausgleichsmaßnahme durchzuführen und das Grundstück naturschutzrechtlich geordnet auf die Klägerin zu übertragen. Erwerbsgegenstand war daher das Grundstück mit dem an anderer Stelle ausgeglichenen Eingriff. Zwar betraf die an anderer Stelle noch durchzuführende Ausgleichsmaßnahme nicht einen in der Zukunft noch zu schaffenden tatsächlichen (körperlichen) Zustand des zu übertragenden "Eingriffsgrundstücks" (vgl. dazu Sack in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl. 2007, § 9 Rz 136 ff.; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2004, § 8 Rz 7; Pahlke/ Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 8 Rz 3); die Ausgleichsmaßnahme an anderer Stelle wirkt aber auf die Nutzbarkeit des zu übertragenden "Eingriffsgrundstücks" in einer Weise ein, die einer tatsächlichen Veränderung des Grundstückszustands vergleichbar ist. Sie gestattet nämlich auf dem zu übertragenden Grundstück den Eingriff in das Landschaftsbild oder den Naturhaushalt (§ 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB) als tatsächliches Geschehen. Damit gelten für die vertragliche Übernahme der Kosten einer dem "Eingriffsgrundstück" zugeordneten Ausgleichsmaßnahme nach § 135a Abs. 2 BauGB bei der Anwendung der §§ 8 und 9 GrEStG dieselben Grundsätze wie bei der Übernahme der Erschließungskosten.