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Steuerrecht
26.07.2012
Steuerrecht
EuGH: Kapitalverkehrsfreiheit bei Anteilstausch

EuGH (3. Kammer), Urteil vom 19. 7. 2012 - Rs. C-48/11; Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö gegen A Oy


Tenor


Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 steht Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nach denen ein Austausch von Anteilen zwischen einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft und einer Gesellschaft mit Sitz im Hoheitsgebiet eines dem EWR angehörenden Drittlands einer steuerpflichtigen Veräußerung von Anteilen gleichgestellt wird, während ein solcher Vorgang steuerlich neutral wäre, wenn daran nur inländische oder in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften beteiligt wären, entgegen, sofern zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem Drittland ein Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen besteht, das einen ebenso wirksamen Informationsaustausch zwischen nationalen Behörden vorsieht wie die Bestimmungen der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern sowie der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.


Aus den Gründen


1             Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 31 und 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen).


2             Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö, der finnischen Finanzverwaltung, und der A Oy (im Folgenden: A), einer finnischen Gesellschaft, über einen Austausch von Anteilen.


Rechtlicher Rahmen


EWR-Abkommen


3             Art. 6 des EWR-Abkommens bestimmt:


„Unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung werden die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat."


4             Art. 31 des Abkommens bestimmt:


„(1) Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines ... Mitgliedstaats [der Europäischen Gemeinschaft] oder eines ... Staates [der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten keinen Beschränkungen. Das gilt gleichermaßen für die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines ... Mitgliedstaats [der Europäischen Gemeinschaft] oder eines EFTA-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ansässig sind.


Vorbehaltlich des Kapitels 4 umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 34 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.


(2) Die besonderen Bestimmungen über das Niederlassungsrecht sind in den Anhängen VIII bis XI enthalten."


5             Art. 40 des Abkommens bestimmt:


„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den ... Mitgliedstaaten [der Europäischen Gemeinschaft] oder den EFTA-Staaten ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten."


Unionsrecht


6             Der Austausch von Anteilen wird in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (ABl. L 310, S. 34) wie folgt definiert:


„... Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, oder - sofern sie die Mehrheit der Stimmrechte bereits hält - eine weitere Beteiligung dadurch erwirbt, dass die Gesellschafter der anderen Gesellschaft im Austausch für ihre Anteile Anteile am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft und gegebenenfalls eine bare Zuzahlung erhalten; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder - bei Fehlen eines Nennwerts - des rechnerischen Werts der im Zuge des Austauschs ausgegebenen Anteile nicht überschreiten".


Finnisches Recht


7             In § 52 und § 52 f Abs. 1 und 2 des Gesetzes 360/1968 über die Besteuerung gewerblicher Einkünfte (Laki elinkeinotulon verottamisesta [360/1968], im Folgenden: Gesetz über die Besteuerung von Gesellschaften) heißt es:


„§ 52


Die Bestimmungen der nachfolgenden §§ 52 a bis 52 f finden Anwendung auf Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen inländischer Aktiengesellschaften. Die §§ 52 a bis 52 e dieses Gesetzes finden auch Anwendung auf Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen anderer Gesellschaften im Sinne von § 3 des Gesetzes über die Einkommensbesteuerung. Die Bestimmungen über Aktiengesellschaften, Anteile, Kapital und Anteilseigner finden zu diesem Zweck Anwendung auf die anderen Gesellschaften, ihre Kapitalanteile, ihren ihrem Kapital entsprechenden Anteilsbetrag und ihre Anteilseigner oder Mitglieder. Die Bestimmungen über Fusionen finden auch auf Fusionen inländischer Wirtschaftsvereinigungen Anwendung. Die Bestimmungen über Aktiengesellschaften, Anteile und Anteilseigner finden zu diesem Zweck Anwendung auf die Kapitalanteile der Vereinigungen sowie auf ihre Anteilseigner und die Vereinigungen selbst.


Die §§ 52 a bis 52 f finden unter den nachfolgend genannten Beschränkungen Anwendung, wenn die Fusion, die Spaltung, die Unternehmensübertragung oder der Austausch von Anteilen der Körperschaftsteuer unterliegender Gesellschaften im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates [vom 23. Juli 1990] über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat betrifft. Die Gesellschaft wird als in einem Mitgliedstaat ansässig angesehen, wenn sie nach dem Recht dieses Mitgliedstaats als dort ansässig und nicht aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen dem Mitgliedstaat der Europäischen Union und einem Drittstaat als außerhalb der Union ansässig angesehen wird. ...


§ 52 f


Der Austausch von Anteilen ist ein Arrangement, bei dem eine Aktiengesellschaft so viele Anteile einer anderen Aktiengesellschaft erwirbt, dass die in ihrem Besitz befindlichen Anteile ihr mehr als die Hälfte der Stimmrechte verleihen, die sich aus sämtlichen Anteilen der anderen Aktiengesellschaft ergeben, oder - sofern sie bereits mehr als die Hälfte der Stimmrechte besitzt - weitere Anteile erwirbt und die Aktionäre der anderen Gesellschaft als Gegenleistung von ihr neu ausgegebene Anteile oder eigene Anteile aus ihrem Besitz erhalten. Die Gegenleistung darf auch in Geld bestehen, jedoch nicht mehr als zehn Prozent des Nennwerts der als Gegenleistung hingegebenen Aktien oder - bei Fehlen eines Nennwerts - des den Aktien entsprechenden Anteils des eingezahlten Aktienkapitals ausmachen.


Der Austausch von Anteilen gilt bei der Besteuerung nicht als Veräußerung. Als Anschaffungskosten der durch den Tausch erhaltenen Anteile gilt der bei der Besteuerung nicht abgeschriebene Teil der Anschaffungskosten der übertragenen Anteile. Soweit als Gegenleistung Geld erlangt wird, gilt der Austausch als Veräußerung."


Ausgangsverfahren und Vorlagefrage


8             A hält 4 093 der insgesamt 20 743 Anteile an der C Oy (im Folgenden: C), einer Gesellschaft finnischen Rechts, was einer Beteiligung von etwa 19,7 % entspricht. Zweite Eigentümerin von C ist die B AS (im Folgenden: B), eine norwegische Gesellschaft mit einer Beteiligung von etwa 80,3 %. Mit dem Arrangement, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, war beabsichtigt, Anteile im Sinne von § 52 f des Gesetzes über die Besteuerung von Gesellschaften auszutauschen, wobei A ihre Anteile am Kapital von C auf B übertragen und als Gegenleistung von B neu ausgegebene Anteile erhalten sollte, die einer Beteiligung von etwa 6 % an deren Kapital entsprachen. Im Anschluss daran wäre B folglich Inhaberin des gesamten Aktienkapitals von C.


9             A hatte beim Keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss) angefragt, ob § 52 f, wonach ein Austausch von Anteilen unter bestimmten Voraussetzungen nicht als steuerpflichtige Veräußerung gilt, auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Austausch von Anteilen Anwendung findet.


10           Der Ausschuss erklärte in seiner Vorabentscheidung Nr. 55/2008 vom 1. Oktober 2008, dass die in § 52 f des Gesetzes über die Besteuerung von Gesellschaften aufgestellten Grundsätze auf den zwischen A und B beabsichtigten Austausch von Anteilen angewandt werden könnten. Nach dieser Entscheidung sind die Grundsätze, die sich aus § 52 f des Gesetzes über die Besteuerung von Gesellschaften ergeben, auf den vorliegenden Fall anwendbar, so dass dieser Austausch im Rahmen der Besteuerung von A nicht als Veräußerung von Anteilen anzusehen wäre.


11           Mit seiner Klage beim Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) begehrt der Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö die Aufhebung der Vorabentscheidung des Zentralen Steuerausschusses.


12           Der Korkein hallinto-oikeus hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:


Ist ein Austausch von Anteilen, bei dem eine finnische Aktiengesellschaft einer norwegischen Gesellschaft (in der Rechtsform einer aksjeselskap [AG]) die Anteile einer ihr gehörenden Gesellschaft überträgt und als Gegenleistung von der norwegischen Gesellschaft ausgegebene Anteile erhält, bei der Besteuerung unter Berücksichtigung der Art. 31 und 40 des EWR-Abkommens in gleicher Weise neutral zu behandeln, wie wenn dieser Austausch zwischen inländischen Aktiengesellschaften oder zwischen Gesellschaften stattfände, die in Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässig sind?


Zur Vorlagefrage


13           Zunächst ist hervorzuheben, dass nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die Richtlinie 2009/133 durch das Gesetz über die Besteuerung von Gesellschaften in innerstaatliches Recht umgesetzt wird.


14           Nach ihrem Art. 1 gilt diese Richtlinie nur für den Austausch von Anteilen, wenn daran im Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften beteiligt sind. Da eine der Gesellschaften, die an dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Austausch von Anteilen beteiligt sind, nicht in einem Mitgliedstaat ansässig ist, und zwar die in Norwegen ansässige B, fällt der Austausch nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/133. Unter diesen Umständen sind zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage die Bestimmungen des nationalen Steuerrechts anhand der Bestimmungen des EWR-Abkommens zu prüfen.


15           In Bezug auf das EWR-Abkommen ist darauf hinzuweisen, dass eines der Hauptziele dieses Abkommens die möglichst umfassende Verwirklichung der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist, so dass der innerhalb des Unionsgebiets verwirklichte Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten ausgeweitet wird. Im Hinblick darauf dienen mehrere Bestimmungen des EWR-Abkommens dazu, dessen möglichst einheitliche Auslegung im gesamten EWR sicherzustellen (vgl. Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, Slg. 1992, I‑2821). In diesem Rahmen ist es Sache des Gerichtshofs, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des AEU-Vertrags identisch sind, innerhalb der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden (Urteile vom 19. November 2009, Kommission/Italien, C‑540/07, Slg. 2009, I‑10983, Randnr. 65, und vom 28. Oktober 2010, Établissements Rimbaud, C‑72/09, Slg. 2010, I‑10659, Randnr. 20).


16           Darüber hinaus fallen nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteile vom 7. September 2004, Manninen, C‑319/02, Slg. 2004, I‑7477, Randnr. 19, vom 6. März 2007, Meilicke u. a., C‑292/04, Slg. 2007, I‑1835, Randnr. 19, vom 24. Mai 2007, Holböck, C‑157/05, Slg. 2007, I‑4051, Randnr. 21, und vom 11. Oktober 2007, ELISA, C‑451/05, Slg. 2007, I‑8251, Randnr. 68). Desgleichen erlaubt diese Befugnis den Mitgliedstaaten nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die durch entsprechende Bestimmungen des EWR-Abkommens garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. Urteil Établissements Rimbaud, Randnr. 23).


17           Hinsichtlich der Freiheit, an der die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften zu messen sind, ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung, ob nationale Rechtsvorschriften unter die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit oder über den freien Kapitalverkehr fallen, der Gegenstand der fraglichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen ist (Beschluss vom 10. Mai 2007, Lasertec, C‑492/04, Slg. 2007, I‑3775, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18           So fallen nationale Vorschriften über eine Beteiligung, die es ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den sachlichen Geltungsbereich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit (vgl. Beschluss Lasertec, Randnr. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19           Aus dem Wortlaut von § 52 f des Gesetzes über die Besteuerung von Gesellschaften ergibt sich eindeutig, dass der betreffende Austausch von Anteilen nur dann nicht als steuerpflichtige Veräußerung gilt, wenn die erwerbende Gesellschaft Anteile der anderen Gesellschaft hält oder erwirbt, die ihr bei dieser Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte verschaffen. Solche nationalen Vorschriften, die auf Vorgänge Anwendung finden, durch die die Kontrolle über eine Gesellschaft ausgeübt oder übernommen wird, fallen unter die Niederlassungsfreiheit.


20           Somit ist die Vorlagefrage nur mit Blick auf Art. 31 des EWR-Abkommens zu beantworten.


21           Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Bestimmungen des Art. 31 des EWR-Abkommens, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit verbieten, mit denen des Art. 49 AEUV identisch sind (vgl. Urteile vom 23. Februar 2006, Keller Holding, C‑471/04, Slg. 2006, I‑2107, Randnr. 49, und vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, C‑157/07, Slg. 2008, I‑8061, Randnr. 24).


22           Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass nach Art. 6 des EWR-Abkommens, unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung, die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen der Unionsverträge in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens bereits vorliegenden Entscheidungen des Gerichtshofs ausgelegt werden.


23           Daher ist mit der Niederlassungsfreiheit für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats oder eines dem EWR angehörenden Drittlands gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union oder eines dem EWR angehörenden Drittlands haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten oder anderen dem EWR angehörenden Drittländern durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24           Der Gerichtshof hat außerdem hervorgehoben, dass der Begriff der Niederlassung im Sinne des AEU-Vertrags sehr weit gefasst ist und die Möglichkeit für einen Unionsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Union im Bereich der selbständigen Tätigkeiten gefördert wird (vgl. Urteil ELISA, Randnr. 63). Mit der Niederlassungsfreiheit soll somit die Inländerbehandlung der Tochtergesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werden, indem jede noch so geringfügige Diskriminierung verboten ist, die auf den Ort des Sitzes der Muttergesellschaft abstellt (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, Slg. 2006, I‑11949, Randnr. 22).


25           Nach ständiger Rechtsprechung sind als derartige Beschränkungen alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Randnr. 30).


26           Nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften wird ein Austausch von Anteilen zwischen Gesellschaften bei der übertragenden Gesellschaft, die ihren Sitz in Finnland hat, nur dann steuerlich neutral behandelt, wenn sich der Sitz der erwerbenden Gesellschaft ebenfalls in Finnland oder in einem Mitgliedstaat der Union befindet und der Austausch der Anteile zur Folge hat, dass die erwerbende Gesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung an der erworbenen Gesellschaft erlangt. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, insbesondere wenn, wie im Ausgangsverfahren, die erwerbende Gesellschaft ihren Sitz in einem dem EWR angehörenden Drittland hat, wird der Austausch von Anteilen steuerlich wie eine steuerpflichtige Veräußerung von Anteilen behandelt.


27           Die somit festgestellte unterschiedliche Behandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. Denn die steuerliche Behandlung eines Austauschs von Anteilen, der eine inländische Gesellschaft unterliegt, wird in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens allein durch den Ort des Sitzes der erwerbenden Gesellschaft bestimmt. Art. 31 des EWR-Abkommens verbietet jedoch jede Diskriminierung, die auf den Ort des Sitzes der Gesellschaften abstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2008, Burda, C‑284/06, Slg. 2008, I‑4571, Randnr. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28           Ferner ist hervorzuheben, dass entgegen den Ausführungen der finnischen Regierung die Anwendung von Art. 31 des EWR-Abkommens auf eine Regelung, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, nicht zu einer Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie 2009/133 auf Gesellschaften führt, die in einem dem EWR angehörenden Drittland ansässig sind. Nach dem in Art. 31 des EWR-Abkommens verankerten Diskriminierungsverbot ist ein Mitgliedstaat nämlich verpflichtet, die dem Austausch von Anteilen zwischen inländischen Gesellschaften vorbehaltene steuerliche Behandlung auch auf Fälle des Austauschs von Anteilen anzuwenden, an denen eine Gesellschaft mit Sitz in einem dem EWR angehörenden Drittland beteiligt ist.


29           Im Ergebnis ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung zu einer Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 31 des EWR-Abkommens führt.


30           Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung außerdem geeignet sein, die Erreichung des in Rede stehenden Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Randnr. 40).


31           Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die fragliche Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, die mit der Notwendigkeit zusammenhängen, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu wahren.


32           Der bloße Umstand, dass im Rahmen eines Austauschs von Anteilen die erwerbende Gesellschaft ihren Sitz in einem dem EWR angehörenden Drittland hat, kann jedoch keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung begründen und keine Maßnahme rechtfertigen, die die Ausübung einer durch das EWR-Abkommen garantierten Grundfreiheit beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2000, Kommission/Belgien, C‑478/98, Slg. 2000, I‑7587, Randnr. 45, vom 21. November 2002, X und Y, C‑436/00, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 62, vom 4. März 2004, Kommission/Frankreich, C‑334/02, Slg. 2004, I‑2229, Randnr. 27, und vom 29. November 2011, National Grid Indus, C‑371/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 84).


33           Zur Notwendigkeit, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu wahren, hat der Gerichtshof festgestellt, dass nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Steuerpflichtige zur Vorlage von Belegen in der Lage ist, anhand deren die Steuerbehörden des Mitgliedstaats eindeutig und genau prüfen können, dass er keine Steuerhinterziehung oder ‑umgehung zu begehen versucht (Urteil vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, Slg. 2007, I‑11531, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34           Diese Rechtsprechung, die sich auf Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Union bezieht, kann aber nicht in vollem Umfang auf die vom EWR-Abkommen garantierten Freiheiten übertragen werden, da sich deren Ausübung in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (vgl. in diesem Sinne Urteile A, Randnr. 60, und Établissements Rimbaud, Randnr. 40).


35           Hierzu ist festzustellen, dass der Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, der durch die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15) und die Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799 (ABl. L 64, S. 1) geschaffen wurde, zwischen ihnen und den zuständigen Behörden eines Drittstaats nicht besteht, wenn dieser keine Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe eingegangen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Établissements Rimbaud, Randnr. 41).


36           Insbesondere ist es in Bezug auf die dem EWR angehörenden Drittstaaten, wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Bedingungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines dem EWR angehörenden Drittstaats eingeholt werden, grundsätzlich gerechtfertigt, dass dieser Mitgliedstaat die Gewährung des Vorteils verweigert, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Auskunftserteilung, als unmöglich erweist, die Auskünfte von diesem Staat zu erhalten (vgl. Urteil Établissements Rimbaud, Randnr. 44).


37           Zwischen der Republik Finnland und dem Königreich Norwegen besteht ein Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, und zwar das Abkommen 37/1991, das am 7. Dezember 1989 in Kopenhagen unterzeichnet wurde. Auch wenn es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu beurteilen, ob dieses Abkommen ausreichende Mechanismen für den Informationsaustausch enthält, um den finnischen Behörden die Prüfung und Kontrolle zu ermöglichen, ob die nach den nationalen Rechtsvorschriften erforderlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Regelung über die steuerliche Neutralität auf einen Austausch von Anteilen wie den im Ausgangsverfahren erfüllt sind, ist festzustellen, dass die finnische Regierung in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt hat, dass die Bestimmungen des genannten Abkommens einen ebenso wirksamen Informationsaustausch zwischen nationalen Behörden vorsähen wie die Bestimmungen der Richtlinien 77/799 und 2011/16.


38           Unter diesen Umständen kann sich der betreffende Mitgliedstaat zur Rechtfertigung der in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils festgestellten unterschiedlichen Behandlung nicht auf die Notwendigkeit berufen, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil ELISA, Randnrn. 98 bis 101).


39           Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 31 des EWR-Abkommens Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Austausch von Anteilen zwischen einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft und einer Gesellschaft mit Sitz im Hoheitsgebiet eines dem EWR angehörenden Drittlands einer steuerpflichtigen Veräußerung von Anteilen gleichgestellt wird, während ein solcher Vorgang steuerlich neutral wäre, wenn daran nur inländische oder in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften beteiligt wären, sofern zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem Drittland ein Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen besteht, das einen ebenso wirksamen Informationsaustausch zwischen nationalen Behörden vorsieht wie die Bestimmungen der Richtlinien 77/799 und 2011/16; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

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