EuGH: Kapitalbereitstellung und Lieferung von Gegenständen des Umlaufvermögens, die für die landwirtschaftliche Erzeugung erforderlich sind
EuGH, Urteil vom 8.12.2016 – C 208/15, Stock `94, ECLI:EU:C:2016:936
Volltext: BB-Online BBL2016-3093-2
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Tenor
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass
– ein Umsatz der integrierten landwirtschaftlichen Zusammenarbeit, wonach ein Wirtschaftsteilnehmer einem Landwirt Gegenstände liefert und ihm ein zum Kauf dieser Gegenstände bestimmtes Darlehen gewährt, einen einheitlichen Umsatz im Sinne dieser Richtlinie darstellt, bei dem die Lieferung der Gegenstände die Hauptleistung bildet. Die Steuerbemessungsgrundlage für diesen einheitlichen Umsatz besteht sowohl im Preis dieser Gegenstände als auch in den auf die den Landwirten gewährten Darlehen gezahlten Zinsen;
– der Umstand, dass ein Integrator gegenüber den Landwirten zusätzliche Dienstleistungen erbringen oder ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse käuflich erwerben kann, hat auf die Einstufung des in Rede stehenden Umsatzes als einheitlichen Umsatz im Sinne der Richtlinie 2006/112 keine Auswirkung.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1, Art. 73, Art. 78 Buchst. b sowie Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Stock ‘94 Szolgáltató Zrt. und der Nemzeti Adóés Vámhivatal Déldunántúli Regionális Adó Főigazgatósága (Oberfinanzdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung für die Region Südtransdanubien, Ungarn, im Folgenden: Oberfinanzdirektion) über die auf einen Umsatz der sogenannten „integrierten Zusammenarbeit“ anwendbare Mehrwertsteuerregelung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.“
4 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c dieser Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“, sowie „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.
5 Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie definiert die Lieferung von Gegenständen als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.
6 Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“
7 Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
8 Art. 78 Buchst. b der Richtlinie bestimmt:
„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:
…
b) Nebenkosten wie Provisions-, Verpackungs-, Beförderungs- und Versicherungskosten, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger fordert. …“
9 Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
b) die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kreditgeber“.
Ungarisches Recht
10 Nach § 2 Buchst. a des Az általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény (Gesetz Nr. CXXVII aus dem Jahr 2007 über die allgemeine Umsatzsteuer, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) sind aufgrund dieses Gesetzes Steuern zu entrichten „für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt tätigt bzw. erbringt“.
11 In § 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes ist die Lieferung von Gegenständen insoweit definiert als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über körperliche Gegenstände zu verfügen, oder jeder andere Umsatz, der unter dem Gesichtspunkt des Erwerbs von körperlichen Gegenständen eine solche Rechtswirkung zur Folge hat“. Aus § 13 Abs. 1 dieses Gesetzes ergibt sich, dass als Dienstleistung „jeder Umsatz [gilt], der keine Lieferung von Gegenständen im Sinne dieses Gesetzes ist“.
12 § 65 des Umsatzsteuergesetzes bestimmt:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen umfasst die Steuerbemessungsgrundlage – sofern dieses Gesetz nichts anderes vorsieht – den in Geld ausgedrückten Gegenwert, den der Berechtigte entweder vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Lieferungen oder Dienstleistungen zusammenhängenden Subventionen jeder Art.“
13 Gemäß § 70 Abs. 1 Buchst. b dieses Gesetzes umfasst die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen „Nebenkosten, die der Lieferer bzw. Dienstleistungserbringer auf den Erwerber oder Dienstleistungsempfänger abwälzt, insbesondere Gebühren und Kosten für die Provision oder sonstige Vermittlung sowie für Verpackung, Beförderung und Versicherung“.
14 Nach § 86 Abs. 1 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes sind „die Gewährung und Vermittlung von Krediten und Darlehen und sonstige ein derartiges Rechtsverhältnis begründende Dienstleistungen … sowie deren Verwaltung durch den Gläubiger“ von der Steuer befreit.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
15 Stock ‘94 ist eine Handelsgesellschaft mit Sitz in Ungarn. Sie ist als „Integrator“ im Rahmen eines dem ungarischen Agrarsystem eigenen Rechtsinstituts, der sogenannten „integrierten Zusammenarbeit“, tätig. Dieses Rechtsinstitut wird von dem Grundsatz bestimmt, dass der Integrator mit einem Landwirt, d. h. dem „Integrierten“, einen Vertrag schließt, mit dem er dem Landwirt ein Darlehen gewährt, das dieser dazu verwendet, beim Integrator die für seine Tätigkeit als Erzeuger erforderlichen und als „Umlaufvermögen“ bezeichneten Mittel wie beispielsweise Saatgut einzukaufen. Der Integrierte verkauft seine Erzeugnisse anschließend entweder an den Integrator oder über diesen am Markt.
16 Im vorliegenden Fall schloss Stock ‘94 mit verschiedenen landwirtschaftlichen Erzeugern Verträge über eine integrierte Zusammenarbeit, mit denen sie sich zum einen verpflichtete, namentlich in technologischer Hinsicht die Erzeugertätigkeit der Landwirte zu unterstützen und den Einkauf des dazu erforderlichen Umlaufvermögens zu finanzieren. Zum anderen verpflichteten sich diese Landwirte, die betreffenden Erzeugnisse auf bestimmten Flächen anzubauen und die vom Integrator gewährten Darlehen ausschließlich dazu zu verwenden, bei ihm Umlaufvermögen einzukaufen.
17 Stock ‘94 fakturierte den Verkauf von Umlaufvermögen an die Landwirte unter Anwendung eines Mehrwertsteuersatzes von 25 % auf die Lieferungen. Hingegen berechnete sie für die vierteljährlich fakturierten Zinsen, die sie im Zusammenhang mit den Darlehen vereinnahmte, die sie den Landwirten für den Einkauf von Umlaufvermögen gewährte, keine Umsatzsteuer. Im Juni 2011 beliefen sich die gemäß den Verträgen zur Finanzierung von Gegenständen des Umlaufvermögens vereinnahmten Zinsen auf 149 846 000 ungarische Forint (HUF) (ungefähr 483 500 Euro).
18 Im Rahmen einer nachträglichen steuerlichen Prüfung der Umsatzsteuererklärungen für diesen Zeitraum durch die erstinstanzlichen ungarischen Steuerbehörden stellten diese hinsichtlich der vereinnahmten Darlehenszinsen eine Umsatzsteuerdifferenz in Höhe von 37 462 000 HUF (ungefähr 121 000 Euro) fest. Infolgedessen forderten sie von Stock ‘94 die Zahlung dieses Betrags zuzüglich Verzugszinsen und verhängten außerdem eine Steuerstrafe gegen sie.
19 Die Oberfinanzdirektion bestätigte die Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde in der Sache und stellte fest, dass die für den Einkauf von Umlaufvermögen bestimmten Darlehen fester Bestandteil der von Stock ‘94 im Rahmen der integrierten Zusammenarbeit erbrachten Dienstleistungen gewesen seien. Sie gelangte daher zu der Auffassung, dass auf die Lieferungen der Gegenstände des Umlaufvermögens und auf die Darlehen derselbe Mehrwertsteuersatz anzuwenden sei. Allerdings hat sie den zu zahlenden Betrag auf 17 588 000 HUF (ungefähr 56 500 Euro) herabgesetzt.
20 Das erstinstanzliche Gericht bestätigte die Auffassung der Oberfinanzdirektion. Es stellte insoweit fest, dass die gewährten Darlehen ausschließlich dazu verwendet werden könnten, bei Stock ‘94 Gegenstände des Umlaufvermögens einzukaufen, so dass die Kredite und die Lieferung der Gegenstände des Umlaufvermögens an die Landwirte zwei feste Bestandteile der von der genannten Gesellschaft erbrachten komplexen Dienstleistung der integrierten Zusammenarbeit darstellten. Außerdem stellte dieses Gericht fest, dass diese Leistungen denselben Zweck gehabt hätten und dass die Zinsen auf die für den Einkauf der Gegenstände des Umlaufvermögens verwendeten Kredite lediglich Nebenkosten zur Lieferung dieser Gegenstände seien, da diese Lieferung im Rahmen des in Rede stehenden komplexen Geschäfts die Hauptleistung darstelle. Die als Nebenleistung fakturierte Gegenleistung müsse daher derselben steuerlichen Regelung unterliegen wie die Lieferung der Gegenstände des Umlaufvermögens.
21 Die mit einem von Stock ‘94 gegen das in erster Instanz ergangene Urteil eingelegten Rechtsmittel befasste Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) möchte wissen, ob die Lieferung von Gegenständen des Umlaufvermögens und die Gewährung eines Darlehens im Hinblick auf die Mehrwertsteuer als zwei unterschiedliche, voneinander unabhängige Umsätze oder vielmehr als ein einheitlicher Umsatz anzusehen ist. Für den Fall, dass diese beiden Leistungen als einheitlicher Umsatz anzusehen sind, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, unter welchen Voraussetzungen die integrierte Zusammenarbeit eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Mehrwertsteuerzahlung darstellt.
22 Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen
1. Sind Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1, Art. 73, Art. 78 Buchst. b und Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Lieferung von Gegenständen und die Gewährung eines Darlehens aufgrund eines Vertrags zwischen dem Integrator und dem Integrierten unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuerpflicht selbständige (distinct and independent) Umsätze darstellen, oder vielmehr dahin, dass es sich um einen einheitlichen (single) Umsatz handelt, bei dem die Steuerbemessungsgrundlage neben der Gegenleistung für die gelieferten Gegenstände auch die Zinsen für das gewährte Darlehen umfasst?
2. Falls die letztgenannte Auslegung mit der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang steht: Kann die Mehrwertsteuerrichtlinie im Zusammenhang mit einem einheitlichen (single) Umsatz, der eine mehrwertsteuerpflichtige Lieferung von Gegenständen und eine mehrwertsteuerfreie Erbringung einer Dienstleistung einschließt, dahin ausgelegt werden, dass dieser Umsatz eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Mehrwertsteuerzahlung darstellt? Falls ja: Welche Kriterien müssen erfüllt sein?
3. Ändert sich etwas an den Antworten auf die vorstehenden Fragen und, falls ja, inwieweit, wenn der Integrator auf der Grundlage des Vertrags zugunsten des Integrierten und auf dessen Ersuchen weitere Dienstleistungen erbringen sowie dessen Erzeugnisse kaufen kann?
Zu den Vorlagefragen
23 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Gewährung eines Darlehens, das für den Einkauf von Agrargütern bestimmt ist, und die Lieferung dieser Güter im Rahmen eines Umsatzes der integrierten landwirtschaftlichen Zusammenarbeit – auch in Anbetracht der dem Integrator eröffneten Möglichkeit, zusätzliche Dienstleistungen zu erbringen und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Integrierten käuflich zu erwerben – nach dieser Richtlinie als ein einheitlicher komplexer Umsatz anzusehen sind, oder vielmehr dahin, dass sie als unterschiedliche und unabhängige Umsätze anzusehen sind.
24 Für den Fall, dass die beiden Leistungen als einheitlicher komplexer Umsatz anzusehen sind, möchte das vorlegende Gericht weiter wissen, welche Kriterien für die Feststellung maßgeblich sind, ob ein Umsatz der integrierten Zusammenarbeit als eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Mehrwertsteuerzahlung angesehen werden kann.
25 Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, ist die letztgenannte Frage so zu verstehen, dass damit festgestellt werden soll, welche Leistung – die des Darlehens oder die der Lieferung von Gegenständen – die für den Umsatz der integrierten Zusammenarbeit geltende Regelung bestimmt. Da nämlich Nebenleistungen mehrwertsteuerlich genauso zu behandeln sind wie die Hauptleistung (Urteil vom 2. Dezember 2010, Everything Everywhere, C‑276/09, EU:C:2010:730, Rn. 24), wäre in dem Fall, dass die Darlehensgewährung die Hauptleistung darstellt, der gesamte Umsatz gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit.
26 Insoweit ist zu beachten, dass im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jede Leistung in der Regel als eigene und selbständige Leistung zu betrachten ist, wie sich aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt (Urteil vom 16. April 2015, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, C‑42/14, EU:C:2015:229, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Allerdings sind mehrere formal eigenständige Leistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, unter bestimmten Umständen als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht voneinander unabhängig sind. Ein einheitlicher Umsatz liegt namentlich vor, wenn die Leistung des Steuerpflichtigen aus zwei oder mehreren Elementen oder Handlungen besteht, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine oder mehrere Leistungen die Hauptleistung und der oder die anderen Leistungen Nebenleistungen darstellen, die steuerlich somit ebenso zu behandeln sind wie die Hauptleistung. Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 16. April 2015, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, C‑42/14, EU:C:2015:229, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Zur Klärung der Frage, ob die erbrachten Leistungen im Hinblick auf die Mehrwertsteuer mehrere voneinander unabhängige Leistungen oder eine einheitliche Leistung darstellen, sind die charakteristischen Merkmale des betreffenden Umsatzes zu ermitteln (Urteile vom 17. Januar 2013, BGŻ Leasing, C‑224/11, EU:C:2013:15, Rn. 32, und vom 16. April 2015, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, C‑42/14, EU:C:2015:229, Rn. 32).
29 Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zur Bestimmung, ob ein Umsatz, der mehrere Leistungen umfasst, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einen einheitlichen Umsatz darstellt, den wirtschaftlichen Zweck dieses Umsatzes berücksichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C‑461/08, EU:C:2009:722, Rn. 39, vom 28. Oktober 2010, Axa UK, C‑175/09, EU:C:2010:646, Rn. 23, und vom 27. September 2012, Field Fisher Waterhouse, C‑392/11, EU:C:2012:597, Rn. 23). Außerdem berücksichtigt der Gerichtshof bei seiner Beurteilung das Interesse der Leistungsempfänger (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. April 2015, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, C‑42/14, EU:C:2015:229, Rn. 35).
30 Zum anderen haben im Rahmen der mit Art. 267 AEUV errichteten Zusammenarbeit die nationalen Gerichte festzustellen, ob der Steuerpflichtige in einem konkreten Fall eine einheitliche Leistung erbringt, und dazu alle definitiven Tatsachenbeurteilungen vorzunehmen. Der Gerichtshof hat jedoch den nationalen Gerichten alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können (Urteil vom 17. Januar 2013, BGŻ Leasing, C‑224/11, EU:C:2013:15, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Im vorliegenden Fall geht erstens aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Umsatz der integrierten Zusammenarbeit von dem Grundsatz bestimmt wird, dass der Integrator einem Integrierten ein Darlehen gewährt, das dieser ausschließlich dazu verwenden kann, beim Integrator Gegenstände des Umlaufvermögens einzukaufen.
32 Unter diesen Umständen stellt die Gewährung dieser Darlehen keine Leistung dar, an der aus Sicht der Integrierten ein gesondertes Interesse bestünde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2010, Everything Everywhere, C‑276/09, EU:C:2010:730, Rn. 27), da diese finanziellen Mittel nicht frei verwendet werden können.
33 Zweitens durfte Stock ‘94, wie sie in ihren Erklärungen selbst eingeräumt hat, aufgrund dessen, dass sie nicht über eine Erlaubnis verfügte, als Kreditinstitut zu handeln, den Integrierten keine Darlehen gewähren, die nicht dazu bestimmt gewesen wären, bei ihr Gegenstände des Umlaufvermögens einzukaufen.
34 Drittens geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Lieferung von Gegenständen des Umlaufvermögens und das Darlehen denselben wirtschaftlichen Zweck verfolgen, nämlich im Wesentlichen die Bereitstellung einer finanziellen und wirtschaftlichen Unterstützung für die Landwirte, die diesen die Ausübung einer landwirtschaftlichen Erzeugertätigkeit ermöglicht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich Stock ’94 nach den für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende integrierte Zusammenarbeit geltenden allgemeinen Bedingungen, wie sie in der Vorlageentscheidung zusammenfassend dargestellt sind, verpflichtet hat, die Erzeugertätigkeit der Integrierten zu unterstützen und den Einkauf der zu diesem Zweck erforderlichen Gegenstände des Umlaufvermögens zu finanzieren.
35 Unter diesen Umständen stellt die Lieferung dieser Gegenstände des Umlaufvermögens für die Integrierten die zur integrierten Zusammenarbeit gehörende Hauptleistung dar, da die Landwirte durch diese Gegenstände in die Lage versetzt werden, ihre landwirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Die Aufnahme eines Darlehens zum Erwerb dieser Gegenstände stellt somit für diese Landwirte keinen eigenen Zweck, sondern ausschließlich ein Mittel dar, das es ihnen ermöglicht, die für ihre landwirtschaftliche Erzeugung erforderlichen Gegenstände des Umlaufvermögens zu erwerben.
36 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsatz der integrierten Zusammenarbeit tatsächlich der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführte wirtschaftliche Zweck verfolgt wird, und festzustellen, ob die Lieferung der Gegenstände des Umlaufvermögens für die Integrierten eine solche wesentliche Bedeutung hat.
37 Sollte dies der Fall sein, sind die Lieferung der Gegenstände des Umlaufvermögens und die Gewährung des für den Einkauf dieser Gegenstände bestimmten Darlehens im Hinblick auf die Mehrwertsteuer als ein einheitlicher komplexer Umsatz anzusehen, wobei die Hauptleistung in der Lieferung dieser Gegenstände besteht.
38 Viertens schließlich hat der Umstand, dass Stock ‘94 den Integrierten fakultativ zusätzliche Dienstleistungen anbieten und deren landwirtschaftliche Erzeugnisse käuflich erwerben kann, in Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 31 bis 37 des vorliegenden Urteils keine Auswirkungen auf die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils dargestellte Lösung.
39 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass
– ein Umsatz der integrierten landwirtschaftlichen Zusammenarbeit, wonach ein Wirtschaftsteilnehmer einem Landwirt Gegenstände liefert und ihm ein zum Kauf dieser Gegenstände bestimmtes Darlehen gewährt, einen einheitlichen Umsatz im Sinne dieser Richtlinie darstellt, bei dem die Lieferung der Gegenstände die Hauptleistung bildet. Die Steuerbemessungsgrundlage für diesen einheitlichen Umsatz besteht sowohl im Preis dieser Gegenstände als auch in den auf die den Landwirten gewährten Darlehen gezahlten Zinsen;
– der Umstand, dass ein Integrator gegenüber den Landwirten zusätzliche Dienstleistungen erbringen oder ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse käuflich erwerben kann, hat auf die Einstufung des in Rede stehenden Umsatzes als einheitlichen Umsatz im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie keine Auswirkung.
Kosten
40 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.