EuGH: Indirekte Steuern auf Ansammlung von Kapital
EuGH, Urteil vom 16.2.2012 - C-372/10, Pak-Holdco sp. z o.o. gegen Dyrektor Izby Skarbowej w Poznaniu
Tenor
1. Im Fall eines Staates, der, wie die Republik Polen, der Europäischen Union am 1. Mai 2004 beigetreten ist, ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung, wenn weder die Akte über den Beitritt dieses Staates zur Europäischen Union noch ein anderer Rechtsakt der Europäischen Union eine Ausnahmeregelung enthält, dahin auszulegen, dass die in diesem Artikel zwingend vorgeschriebene Steuerbefreiung nur für die unter diese - geänderte - Richtlinie fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
2. Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335, der von der Besteuerungsgrundlage „den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben", ausnimmt, ist dahin auszulegen, dass er unabhängig davon anwendbar ist, ob es sich um Mittel der Gesellschaft, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, handelt oder um solche, die von einer anderen Gesellschaft kommend dieses Kapital erhöhen.
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Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung.
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Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Pak-Holdco sp. z o.o. (im Folgenden: Pak-Holdco) und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Poznaniu wegen einer Besteuerung zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
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Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 69/335 bestimmt:
„Der Betrag, auf den die Steuer bei Erhöhung des Kapitals erhoben wird, umfasst nicht:
- den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben;
..."
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Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 ist mehrfach geändert worden. In seiner ursprünglichen Fassung bestimmte er:
„Bis zum Inkrafttreten der vom Rat gemäß Absatz 2 zu erlassenden Bestimmungen
a) darf der Satz der Gesellschaftsteuer nicht über 2 v. H. und nicht unter 1 v. H. liegen;
b) wird dieser Satz um 50 v. H. oder mehr ermäßigt, wenn eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen oder einen oder mehrere Zweige ihrer Tätigkeit in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen.
Die Ermäßigung hängt davon ab,
- dass für die Einlagen ausschließlich Gesellschaftsanteile gewährt werden, wobei die Mitgliedstaaten die Ermäßigung auch auf die Fälle ausdehnen können, in denen für die Einlagen Gesellschaftsanteile und eine bare Zuzahlung von nicht mehr als 10 v. H. ihres Nennbetrags gewährt werden,
- dass die an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften den Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben;
..."
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Die Richtlinie 73/79/EWG des Rates vom 9. April 1973 zur Änderung des Anwendungsbereichs des ermäßigten Satzes der Gesellschaftsteuer, der zugunsten bestimmter Umstrukturierungen von Gesellschaften in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vorgesehen ist (ABl. L 103, S. 13), änderte Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 durch die Einfügung eines wie folgt gefassten Buchst. bb:
„bb) kann der Satz der Gesellschaftsteuer um 50 v. H. oder mehr ermäßigt werden, wenn eine Kapitalgesellschaft, die gegründet wird oder bereits besteht, Anteile erhält, die mindestens 75 v. H. des früher von einer anderen Kapitalgesellschaft ausgegebenen Gesellschaftskapitals ausmachen. Wird dieser Vomhundertsatz infolge mehrerer Vorgänge erreicht, so gilt der ermäßigte Satz nur für den Vorgang, durch den dieser Vomhundertsatz erreicht wurde, sowie für die darauf folgenden Vorgänge, durch die dieser Vomhundertsatz sich erhöht.
..."
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Die Richtlinie 73/80/EWG des Rates vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer (ABl. L 103, S. 15) bestimmte:
„Artikel 1
Der in Artikel 7 der ... Richtlinie [69/335 in der durch die Richtlinie 73/79 geänderten Fassung] erwähnte Satz der Gesellschaftsteuer wird ab 1. Januar 1976 auf 1 v. H. festgesetzt.
Artikel 2
Die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b) und bb) der gleichen Richtlinie [in geänderter Fassung] genannten ermäßigten Steuersätze werden ab 1. Januar 1976 auf 0 bis 0,50 v. H. festgesetzt.
..."
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Schließlich änderte Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 85/303 Art. 7 der Richtlinie 69/335 wie folgt:
„Artikel 7 [der Richtlinie 69/335] erhält folgende Fassung:
‚Artikel 7
(1) Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftssteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftssteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der Befreiung oder gegebenenfalls für die Anwendung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.
Die Republik Griechenland bestimmt die Vorgänge, die sie von der Gesellschaftsteuer befreit.
...‘"
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Die Richtlinie 85/303 hat außerdem die Richtlinie 73/80 aufgehoben.
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Die Richtlinie 69/335 ist durch die Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 46, S. 11) aufgehoben worden. Diese Aufhebung erfolgte nach den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Ereignissen.
Nationales Recht
Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d des Gesetzes über die Stempelsteuer (ustawa o opłacie skarbowej) vom 19. Dezember 1975 (Dz. U. 1975, Nr. 45, Poz. 226) in der auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:
„Die Stempelsteuer wird erhoben:
...
3. auf folgende Dokumente, mit denen zivilrechtliche Rechtsgeschäfte beurkundet werden:
...
d) Unterlagen über die Beurkundung der Gründung einer Gesellschaft durch natürliche und juristische Personen, die ihre Tätigkeiten nicht im Rahmen der Planwirtschaft ausüben".
In § 54 Abs. 1 der Verordnung des Ministerrats über die Stempelsteuer (rozporządzenie Rady Ministrów w sprawie opłaty skarbowej) vom 16. Mai 1983 (Dz. U. Nr. 34, Poz. 161, im Folgenden: Verordnung über die Stempelsteuer) in der auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung heißt es:
„Die auf Gesellschaftsverträge erhobene, auf die Steuerbemessungsgrundlage anwendbare Stempelsteuer beträgt:
1. 10 % für Einlagen in Form von Grundstücken oder dauerhaftem Nießbrauch,
2. 5 % für sonstige Einlagen."
§ 54 Abs. 3 der Verordnung über die Stempelsteuer sieht vor:
„Die Bemessungsgrundlage für die Stempelsteuer ist
...
2. bei einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals der Betrag der Erhöhung des Gesellschaftskapitals."
§ 54 Abs. 4 der Verordnung über die Stempelsteuer bestimmt:
„Unter Gesellschaftskapital sind sämtliche Einlagen der Gesellschafter mit Ausnahme von Arbeitsleistungen und - in Gesellschaften mit beschränkter Haftung - Nachschüssen zu verstehen."
Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte (ustawa o podatku od czynności cywilnoprawnych) vom 9. September 2000 in geänderter Fassung (Dz. U. 2005, Nr. 41, Poz. 99, im Folgenden: PCC‑Gesetz) sieht vor:
„Der Steuer unterliegen:
1. folgende zivilrechtliche Rechtsgeschäfte:
...
k) Gesellschaftsverträge (Gründungsakte);
2. Änderungen der in Nr. 1 genannten Verträge, wenn sie zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte führen ..."
Art. 1 Abs. 3 Nr. 2 des PCC‑Gesetzes bestimmt:
„Im Fall eines Gesellschaftsvertrags gelten als Vertragsänderungen:
...
2. bei einer Kapitalgesellschaft - eine Einlage oder die Erhöhung einer Einlage in die Gesellschaft, deren Wert zu einer Erhöhung des Stamm- bzw. Grundkapitals führt, sowie Nachschüsse."
Art. 6 Abs. 1 Nr. 8 des PCC‑Gesetzes sieht vor:
„Bemessungsgrundlage ist:
...
8. bei einem Gesellschaftsvertrag:
...
b) im Fall einer Vertragsänderung - der Wert der Einlagen, die das Vermögen der Gesellschaft vergrößern, oder der Wert, um den das Stamm- bzw. Grundkapital erhöht wird".
In Art. 7 Abs. 1 Nr. 9 des PCC‑Gesetzes heißt es:
„Die Steuersätze betragen:
...
9. bei Gesellschaftsverträgen: 0,5 %."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Elektrownia Pątnów II sp. z o.o. (im Folgenden: EP II) und Pak-Holdco sind zwei Tochtergesellschaften der Zespół Elektrowni Pątnów‑Adamów-Konin SA (im Folgenden: ZEPAK).
Am 17. August 2005 veräußerte ZEPAK alle Anteile, die sie an EP II hielt, an Pak-Holdco, und zwar im Wege der Einbringung einer Sacheinlage an Letztere. Am 18. August 2005 nahm Pak-Holdco eine Kapitalerhöhung in einer dieser Sacheinlage entsprechenden Höhe vor, die den Wert der Anteile von ZEPAK an Pak-Holdco um den Betrag der Anteile erhöhte, die ZEPAK zuvor an EP II gehalten hatte. Da dieses Rechtsgeschäft eine Änderung des Gesellschaftsvertrags von Pak‑Holdco im Sinne des PCC‑Gesetzes war, wurde es mit einer Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte in Höhe von 0,5 % belegt.
Am 31. August 2006 beantragte Pak-Holdco bei den Steuerbehörden die Feststellung einer Überzahlung der auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte entrichteten Steuer in Höhe der aufgrund der Bestimmungen des PCC‑Gesetzes gezahlten Steuerbeträge, weil dieses Gesetz gegen die Richtlinie 69/335 verstoße, deren Art. 7 Abs. 1 - ausgelegt in Verbindung mit den Richtlinien 73/79, 73/80 und 85/303 - der Erhebung von Gesellschaftsteuer auf das fragliche Rechtsgeschäft entgegenstehe, und deshalb vorrangig die Richtlinie 69/335 anzuwenden sei. Darüber hinaus nehme Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich dieser Richtlinie von der Besteuerungsgrundlage das von einer Gesellschaft eingebrachte Vermögen aus, das bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen habe.
Nach der Ablehnung durch die Steuerverwaltung erhob Pak-Holdco Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Poznaniu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Poznań), der diese Entscheidung bestätigte. Das Gericht stützte sein Urteil u. a. darauf, dass die Richtlinien 73/79 und 73/80 vor dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union aufgehoben worden seien und sie folglich keine Rechtswirkungen in Bezug auf die Klägerin entfalten könnten. Außerdem befand es, dass Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335 auf den konkreten Sachverhalt nicht anwendbar sei.
Der mit der Kassationsbeschwerde befasste Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) stellt sich die Frage, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung grammatikalisch oder historisch auszulegen sei. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts existiert hierzu keine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs. Obschon sich der Gerichtshof nämlich im Urteil vom 21. Juni 2007, Optimus-Telecomunicações (C‑366/05, Slg. 2007, I‑4985, Randnr. 27), gegen eine historische Auslegung dieser Bestimmung ausgesprochen habe, habe er eine solche Auslegung gleichwohl im Urteil vom 9. Juli 2009, Kommission/Spanien (C‑397/07, Slg. 2009, I‑6029, Randnr. 21), vorgenommen.
Vor diesem Hintergrund hat der Naczelny Sąd Administracyjny beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Muss das nationale Gericht bei der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung die Bestimmungen der Änderungsrichtlinien, insbesondere der Richtlinien 73/79 und 73/80, berücksichtigen, obwohl diese Richtlinien zum Zeitpunkt des Beitritts der Republik Polen zur Union nicht mehr galten?
2. Falls die erste Frage verneint wird: Betrifft die in Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335 festgelegte Herausnahme der Eigenmittel der Kapitalgesellschaft aus der Besteuerungsgrundlage für die Gesellschaftsteuer ausschließlich die Eigenmittel derjenigen Kapitalgesellschaft, deren Kapital erhöht wird?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung im Fall eines Staates, der, wie die Republik Polen, der Union am 1. Mai 2004 beigetreten ist, in dem Sinne auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgeschriebene zwingende Befreiung nur für die unter diese - geänderte - Richtlinie fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist bei der Auslegung und Anwendung der Richtlinie 69/335 die besondere Lage eines Staates zu berücksichtigen, der, wie die Republik Polen, am 1. Mai 2004 Mitglied der Union geworden ist.
Das bedeutet erstens, dass die Richtlinie 69/335 vor diesem Zeitpunkt in diesem Mitgliedstaat nicht galt. Jede Maßnahme auf dem Gebiet der Besteuerung oder Steuerbefreiung von Vorgängen, die unter den Begriff der Ansammlung von Kapital fielen, wurde innerhalb der polnischen Rechtsordnung vor dem genannten Zeitpunkt allein auf der Grundlage des nationalen Rechts getroffen (vgl. Urteil Optimus-Telecomunicações, Randnr. 26).
Zweitens folgt daraus für die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 69/335 im Fall der Republik Polen, dass eine „historische" Auslegung der Ziele dieser Richtlinie nicht die Auslegung der Richtlinie in ihrer nach dem Beitritt dieses Staates geltenden Fassung beeinflussen kann (vgl. Urteil Optimus-Telecomunicações, Randnr. 27).
Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung enthält für die Mitgliedstaaten die klare, unbedingte Verpflichtung, diejenigen Vorgänge von der Gesellschaftsteuer zu befreien, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen. Diese völlig eindeutige Verpflichtung bindet seit dem 1. Mai 2004 auch die Republik Polen (vgl. in diesem Sinne Urteil Optimus-Telecomunicações, Randnr. 30).
Diese Auslegung entspricht nicht nur dem eindeutigen Wortlaut des Art. 7 Abs. 1, sondern auch dem Sinn und dem Hauptzweck der Richtlinie 69/335, der darin besteht, die Auswirkungen der Gesellschaftsteuer auf den freien Kapitalverkehr so weit wie möglich zu begrenzen (vgl. Urteil Optimus-Telecomunicações, Randnr. 31).
Schließlich ist festzustellen, dass der nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung als maßgeblicher Zeitpunkt festgesetzte 1. Juli 1984 auch für die Republik Polen gilt. Im Fall eines Beitritts zur Union gilt nämlich eine Verweisung auf einen im Unionsrecht vorgesehenen Zeitpunkt, sofern die Beitrittsakte oder ein anderer Unionsrechtsakt nichts anderes bestimmt, auch für den beitretenden Staat, selbst wenn dieser Zeitpunkt vor dem Beitrittszeitpunkt liegt. Weder die Beitrittsakte noch ein anderer Rechtsakt enthält insoweit eine Ausnahmeregelung für die Republik Polen (vgl. in diesem Sinne Urteile Optimus-Telecomunicações, Randnr. 32, und vom 16. Juni 2011, Logstor ROR Polska, C‑212/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 33).
Daraus folgt, dass im Fall eines Staates, der, wie die Republik Polen, der Union zum 1. Mai 2004 beigetreten ist, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung, wenn weder die Akte über den Beitritt dieses Staates zur Union noch ein anderer Unionsrechtsakt eine Ausnahmeregelung enthält, dahin auszulegen ist, dass die in diesem Artikel zwingend vorgeschriebene Steuerbefreiung nur für die unter diese Richtlinie fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen (vgl. in diesem Sinne Urteil Optimus-Telecomunicações, Randnr. 33).
Diese Auslegung wird durch Randnr. 21 des angeführten Urteils Kommission/Spanien nicht in Frage gestellt, in dem der Gerichtshof sich darauf beschränkt hat, den Umfang der Rügen, die die Kommission in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, erhoben hatte, einzugrenzen, indem er klarstellte, welche Vorgänge seit dem 1. Januar 1986, dem Zeitpunkt des Beitritts des Königreichs Spanien zu den Europäischen Gemeinschaften, zwingend von der Gesellschaftsteuer befreit waren.
Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass im Fall eines Staates, der, wie die Republik Polen, der Union am 1. Mai 2004 beigetreten ist, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung, wenn weder die Akte über den Beitritt dieses Staates zur Union noch ein anderer Unionsrechtsakt eine Ausnahmeregelung enthält, dahin auszulegen ist, dass die in diesem Artikel zwingend vorgeschriebene Steuerbefreiung nur für die unter diese - geänderte - Richtlinie fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335, der von der Besteuerungsgrundlage „den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben", ausnimmt, in dem Sinne auszulegen ist, dass von der Besteuerungsgrundlage nur die Mittel der Kapitalgesellschaft ausgenommen sind, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, oder auch die Mittel, die aus einer anderen Gesellschaft kommend dieses Kapital erhöhen.
Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335 stellt die Herausnahme aus der Besteuerungsgrundlage, die er vorsieht, unter zwei Voraussetzungen, nämlich zum einen, dass die betreffenden Mittel für die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft herangezogen werden, und zum anderen, dass sie bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben.
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass sie sich nicht ausschließlich auf die Mittel der Kapitalgesellschaft, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, bezieht. Die Hinzufügung einer weiteren Voraussetzung, wonach diese Mittel außerdem solche der Gesellschaft sein müssten, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, liefe der grammatikalischen Auslegung des Textes dieser Bestimmung zuwider.
Diese Hinzufügung wäre auch nicht mit dem Ziel vereinbar, das diese Bestimmung verfolgt, die aus der Bemessungsgrundlage die Beträge herausnimmt, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben, um deren Doppelbesteuerung zu vermeiden, wodurch der freie Kapitalverkehr gefördert werden soll (vgl. entsprechend Urteile vom 18. März 1993, Viessmann, C‑280/91, Slg. 1993, I‑971, Randnr. 21, und vom 12. November 2009, Elektrownia Pątnów II, C‑441/08, Slg. 2009, I‑10799, Randnr. 40). Denn die Hinzufügung einer weiteren Voraussetzung zu den im Text des Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335 genannten, wonach die fraglichen Mittel außerdem solche der Gesellschaft sein müssten, deren Kapital erhöht wird, würde eine doppelte Besteuerung ein und desselben Betrags ermöglichen, wenn der betreffende Vorgang sich auf unterschiedliche Gesellschaften bezöge.
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335, der von der Besteuerungsgrundlage „den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben", ausnimmt, dahin auszulegen ist, dass er unabhängig davon anwendbar ist, ob es sich um Mittel der Gesellschaft, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, handelt oder um solche, die von einer anderen Gesellschaft kommend dieses Kapital erhöhen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.