OVG NRW: Gewerbeunzuverlässigkeit wegen Überschuldung
OVG NRW, Beschluss vom 17.4.2025 – 4 A 560/25
ECLI:DE:OVGNRW:2025:0417.4A560.25.00
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-1301-4
Aus den Gründen
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
1. Das Zulassungsvorbringen weckt zunächst nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.10.2020 ‒ 2 BvR 2426/17 ‒, juris, Rn. 34, m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 ‒ 7 AV 4.03 ‒, juris, Rn. 9.
Daran fehlt es hier. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20.3.2023, mit der dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Einbau von genormten Einbaufertigteilen, Sonnenschutz, Rollladen, Markisen, Sonnenschutztechnik und Insektenschutz, Online Marketing und Beratung, Onlinehandel mit Rollladen, Sonnenschutz und Markisen, Handel von Aluminium-Unterkonstruktionen für Photovoltaik, Holzhandel und Bauelementehandel, Fliegengitter für Fenster und Türen auf Maß, Onlinemarketing und Erstellen von Webseiten im Handwerk“ sowie aller anderen Gewerbe, auf die § 35 Abs. 1 GewO Anwendung finde, und die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person wegen Unzuverlässigkeit auf Dauer untersagt und unter Androhung eines Zwangsgelds i. H. v. 1.000,00 Euro die Betriebseinstellung innerhalb von sechs Wochen nach Bestandskraft der Verfügung angeordnet wurde, sei rechtmäßig, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.
Im Einklang mit ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht den Kläger in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung Mitte März 2023 unter Bezugnahme auf die Ordnungsverfügung gemäß § 117 Abs. 5 VwGO zutreffend als unzuverlässig angesehen, weil bei den Finanzämtern Lippstadt und Soest seit vielen Jahren aufgelaufene erhebliche Rückstände in Höhe von mehr als 80.000,00 Euro inkl. Säumniszuschlägen und Rückstände bei der W. Krankenkasse in Höhe von mehr als 700,00 Euro bestanden, er im Jahr 2022 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hat und wirtschaftlich leistungsunfähig war, was sich an den zahlreichen Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis gezeigt hat. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt offensichtlich nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept etwa anhand eines von allen Gläubigern akzeptierten Tilgungsplans gearbeitet. Vielmehr sind unstreitig Kontopfändungen vorgenommen worden.
Die Einwände des Klägers, die Kontopfändungen durch das Finanzamt Lippstadt hinsichtlich der Steuerrückstände aus den Jahren 2011 bis 2014 hätten in der Phase der Neugründung seines Unternehmens im Jahr 2022 eine erhebliche finanzielle Belastung ausgelöst und dennoch habe er die Steuerrückstände bei diesem Finanzamt und der W. Krankenkasse zurückgeführt, ferner habe das gegen ihn im Jahr 2024 eingeleitete Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung keinen entsprechenden Nachweis erbracht, stehen der Annahme seiner gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung nach den vom Verwaltungsgericht zutreffend herangezogenen Maßstäben nicht entgegen.
Insbesondere kann sich der Kläger nicht darauf berufen, das Finanzamt Lippstadt habe durch die Kontopfändung für Altlasten aus den Jahren 2011 bis 2014 gerade in der Zeit der Neugründung des Unternehmens eine erhebliche Belastung verursacht und damit die Liquiditätskrise erzwungen. Angesicht der von ihm nicht in Abrede gestellten, über einen langen Zeitraum angelaufenen Steuerverbindlichkeiten hätte er schon kein Gewerbe neu gründen dürfen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist von einem Gewerbetreibenden zu erwarten, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 ‒ 8 C 6.14 ‒, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 14, m. w. N.
Eine Neugründung eines anderen Unternehmens in vergleichbarer Lage lässt schon im Ansatz nicht den ordnungsgemäßen Betrieb eines Gewerbes erwarten.
Mit dem Hinweis auf die geleisteten Zahlungen stellt der Kläger im Übrigen nicht in Abrede, dass im maßgeblichen Zeitpunkt weiterhin erhebliche Steuerrückstände beim Finanzamt Soest bestanden und er nach der Neugründung seines Unternehmens für das Jahr 2022 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hat.
Der weitere Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die Umsatzsteuersonderprüfung und die unbegründete Steuerstrafsache fehlerhaft gewürdigt, greift ebenfalls nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat ‒ ebenso wie der Beklagte ‒ seine zur Bewertung der Zuverlässigkeit des Klägers zutreffend tragend bereits allein auf die bei den Finanzämtern Soest und Lippstadt sowie bei der W. Krankenkasse bestehenden Rückstände gestützt. Dabei hat es der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend die Gründe für die Entstehung der Rückstände als unbeachtlich angesehen.
Das Zulassungsvorbringen gibt auch kein schlüssiges Argument dafür her, dass die Berufsfreiheit des Klägers mit der Gewerbeuntersagung willkürlich eingeschränkt werde, es hätten mildere Maßnahmen geprüft werden müssen.
Abgesehen davon, dass dem Kläger selbst angesichts einer erweiterten Gewerbeuntersagung eine erhebliche Bandbreite an Tätigkeiten in abhängiger Beschäftigung verbleibt, steht der Ausschluss des Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr nach höchstrichterlicher Rechtsprechung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 GG in Einklang, wenn er – wie hier – gewerbeübergreifend unzuverlässig und die Untersagung erforderlich ist. Dies gilt insbesondere auch für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in engerem Sinne. Es verstößt nicht gegen das Übermaßverbot, die gewerbliche Betätigung eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden zu verhindern.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.12.2023 ‒ 4 A 651/22 ‒, juris, Rn. 22 f., m. w. N.
Schließlich geht der Einwand fehl, das Verwaltungsgericht habe fälschlich eine dauerhafte Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen, obwohl beim Finanzamt Lippstadt keine relevanten Rückstände mehr bestünden und sich seine wirtschaftliche Lage stabilisiert habe.
Das Verwaltungsgericht ist der Sache nach zutreffend davon ausgegangen, dass sich in Verfahren über Anfechtungsklagen gegen eine Gewerbeuntersagung die Frage, ob ein Gewerbetreibender unzuverlässig ist, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung beurteilt. Nicht entscheidend ist, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben. Ist ein Gewerbe wirksam untersagt worden, hat die Behörde nicht mehr zu prüfen, ob die Untersagungsgründe die ergangene Gewerbeuntersagung weiterhin tragen. Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss die Initiative zur Wiederzulassung nach § 35 Abs. 6 GewO vom Gewerbetreibenden ausgehen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 –, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 6.12.2023 – 4 A 651/22 –, juris, Rn. 13 f., m. w. N.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von §§ 84 Abs. 2 Nr. 2, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
Das Vorbringen des Klägers, es habe keine mündliche Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren stattgefunden, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Ein Beteiligter kann sich nur dann mit Erfolg auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör berufen, wenn er alle verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten ausgenutzt hat, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen, soweit ihm diese Möglichkeiten im Einzelfall zumutbar waren. Sich äußern kann auch, wer lediglich die Möglichkeit hat, sich Gehör zu verschaffen. Hat das Verwaltungsgericht – wie hier – durch Gerichtsbescheid entschieden, hat der Beteiligte die Möglichkeit, mündliche Verhandlung zu beantragen (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). In diesem Fall gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen (§ 84 Abs. 3 VwGO). In der dann stattfindenden mündlichen Verhandlung kann der Beteiligte sich als Reaktion auf die tragenden Erwägungen des Gerichts umfassend äußern. Dies ist eine anderweitige verfahrensrechtliche Möglichkeit, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen.
Zwar hat der Kläger nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Wahl zwischen dem Antrag auf Zulassung der Berufung und dem Antrag auf mündliche Verhandlung. Das enthebt ihn aber bei einer behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs nicht von der unabhängig davon bestehenden allgemeinen Obliegenheit, alle Möglichkeiten zu nutzen, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.4.2021 – 4 A 752/21 –, juris, Rn. 6 ff., m. w. N.
Da hier das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat, wäre es dem Kläger ohne Weiteres möglich und auch zumutbar gewesen, sich durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht rechtliches Gehör zu verschaffen. In dieser mündlichen Verhandlung hätte er auch Gelegenheit gehabt, sich – entsprechend seinem Begehren – umfassend zu äußern. Dieser Umstand schließt es aus, dass der Kläger sich vorliegend mit Verfahrensrügen die Berufungsinstanz eröffnen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.