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Steuerrecht
27.06.2024
Steuerrecht
EuGH: Freier Kapitalverkehr – Stempel-steuer – kurzfristige Geldgeschäfte – gebietsansässige und gebietsfremde Kreditnehmer (Portugiesisches Vor-abentscheidungsersuchen)

EuGH, Urteil vom 20.6.2024 – C-420/23, Faurécia – Assentos de Automóvel Lda gegen Autoridade Tributária e Aduaneira

ECLI:EU:C:2024:534

Volltext BB-Online BBL2024-1557-1

Tenor

Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats ent-gegensteht, nach der kurzfristige Geldge-schäfte von der Stempelsteuer befreit sind, wenn an ihnen zwei in diesem Mit-gliedstaat ansässige Unternehmen betei-ligt sind, nicht jedoch, wenn der Kredit-nehmer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 63 sowie von Art. 65 Abs. 3 AEUV.

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Faurécia – Assentos de Automóvel Lda (im Folgenden: Faurécia) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Erhebung einer Stempelsteuer auf kurzfristige Geldgeschäfte.

 

Portugiesisches Recht

3          Art. 1 Abs. 1 des Código do Imposto do Selo (Stempelsteuergesetz) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: CIS) lautet:

„Die Stempelsteuer wird auf alle in der [Tabela Geral do Imposto do Selo (Allgemeine Stempelsteuertabelle)] vorgesehenen Handlungen, Verträge, Dokumente, Titel, Schriftstücke und sonstigen Tatsachen oder rechtlichen Situationen erhoben, einschließlich der unentgeltlichen Übertragung von Vermögenswerten.“

 

4          In Art. 7 Abs. 1 und 2 CIS heißt es:

„1. Von der Stempelsteuer sind ebenfalls befreit:

g) Finanzgeschäfte, einschließlich der entsprechenden Zinsen, mit einer Laufzeit von höchstens einem Jahr, sofern sie ausschließlich zur Deckung von Liquiditätsengpässen bestimmt sind und von Risikokapitalgesellschaften zugunsten von Gesellschaften getätigt werden, an denen sie Anteile halten, sowie, sofern diese Finanzgeschäfte von anderen Gesellschaften zugunsten von Gesellschaften getätigt werden, die von ihnen beherrscht werden, oder zugunsten von Gesellschaften, bei denen sie gemäß der letzten genehmigten Bilanz eine Beteiligung von mindestens 10 % des stimmberechtigten Kapitals oder eine Beteiligung mit einem Anschaffungswert von mindestens 5 000 000 Euro halten, und ferner, sofern diese Finanzgeschäfte zugunsten einer Gesellschaft getätigt werden, mit der ein Beherrschungs- oder Konzernverhältnis besteht;

2. Art. 7 Abs. 1 Buchst. g und h findet keine Anwendung, wenn einer der Beteiligten seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung nicht im Inland hat, es sei denn, der Gläubiger hat seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, mit dem die Portugiesische Republik ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen geschlossen hat; in diesem Fall bleibt der Anspruch auf Steuerbefreiung bestehen, es sei denn, der Gläubiger hat zuvor die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. g und h vorgesehenen Finanzierungen durch Geschäfte mit im Ausland ansässigen Kreditinstituten oder Finanzunternehmen oder mit Niederlassungen oder Zweigstellen im Ausland von im Inland ansässigen Kreditinstituten oder Finanzunternehmen durchgeführt.“

 

5          In Abschnitt 17 („Finanzgeschäfte“) der Allgemeinen Stempelsteuertabelle heißt es:

„17.1. Für die Nutzung des Kredits in Form von Barmitteln, Waren und anderen Werten, aufgrund der Kreditgewährung zu welchem Zweck auch immer, einschließlich der Forderungsabtretung, des Factorings und Geldgeschäften, wenn sie irgendeine Art der Finanzierung für den Zessionar, den Beitretenden oder den Schuldner umfassen, wobei die Verlängerung der Vertragsdauer stets als neue Kreditgewährung – bis zu seinem jeweiligen Wert – angesehen wird, je nach Laufzeit:

17.1.4. als Kontokorrentkredit, Überziehungskredit oder in sonstiger Form genutzter Kredit, dessen Nutzungsdauer weder bestimmt noch bestimmbar ist, auf den durch Addition der über einen Zeitraum von einem Monat täglich festgestellten ausstehenden Salden und Division durch 30 berechneten Monatsdurchschnitt – 0,04 %.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6          Faurécia, eine in Portugal ansässige Gesellschaft, ist in der Automobilzulieferindustrie tätig. Im für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Zeitraum wurde sie von der Faurécia Investments SA (99,99 %) und der Financière Faurécia SA (0,01 %), die beide in Frankreich ansässig waren und demselben Konzern angehörten (im Folgenden: Faurécia-Konzern), gehalten.

 

7          Um das Cash-Management innerhalb des Faurécia-Konzerns zu gewährleisten, wurde im Februar 2000 eine Cash-Pooling-Vereinbarung zwischen den Konzernunternehmen unterzeichnet, nach der Financière Faurécia mit dieser Aufgabe beauftragt wurde. Nach dieser Vereinbarung sollten die von bestimmten Unternehmen des Faurécia-Konzerns erwirtschafteten Liquiditätsüberschüsse in Form der Gewährung von verzinslichen Krediten auf das Konto von Faurécia Investments übertragen werden, die diese Mittel daraufhin zur Deckung des Liquiditätsbedarfs anderer Unternehmen des Faurécia-Konzerns einsetzen sollte.

 

8          Vor diesem Hintergrund wurde zwischen Faurécia als Kreditgeberin und Faurécia Investments als Kreditnehmerin ein Kreditvertrag geschlossen. Aufgrund dieses Vertrags, der am 1. Januar 2011 in Kraft trat, gewährte Faurécia der Faurécia Investments ein Darlehen in Form eines Kontokorrentkredits mit einer Laufzeit von einem Jahr und einem Kredithöchstbetrag von 65 Mio. Euro gegen Zahlung von am jeweiligen Monatsende auf der Grundlage der monatlichen Nutzung des Kredits berechneten Zinsen. Dieser Vertrag wurde in der Folge mehrfach geändert, u. a. hinsichtlich seiner Laufzeit und des Kredithöchstbetrags.

 

9          Nach vier im Jahr 2019 durchgeführten Steuerprüfungen für die Geschäftsjahre 2014 bis 2017 nahm die Steuer- und Zollbehörde eine Steuerberichtigung vor, da sie der Ansicht war, dass diese Art der Kreditgewährung durch Faurécia der Stempelsteuer unterliege.

 

10        Nachdem ihr Einspruch gegen diese Steuerberichtigung zurückgewiesen worden war, erhob Faurécia beim Tribunal Arbitral em Matéria Tributária (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) Klage u. a. wegen Verstoßes gegen die in den Art. 18 und 63 AEUV verankerten Grundsätze der Nichtdiskriminierung und des freien Kapitalverkehrs. Am 3. November 2020 erließ dieses Schiedsgericht einen Schiedsspruch, mit dem es die Klage von Faurécia abwies. In einem früheren Schiedsspruch vom 6. Oktober 2020, in dem es um dieselben Parteien wegen desselben Sachverhalts und auf der Grundlage einer unverändert gebliebenen nationalen Regelung ging, hatte dasselbe Schiedsgericht jedoch entschieden, dass die Erhebung der Stempelsteuer gegen den freien Kapitalverkehr verstoße.

 

11        Faurécia legte ein Rechtsmittel gegen den Schiedsspruch des Tribunal Arbitral em Matéria Tributária (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) vom 3. November 2020 beim Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal), dem vorlegenden Gericht ein, wobei sie sich auf den Widerspruch zwischen diesem Schiedsspruch und dem vom selben Schiedsgericht am 6. Oktober 2020 erlassenen Schiedsspruch stützte.

 

12        Das vorlegende Gericht hat somit zu prüfen, ob die einschlägigen Bestimmungen des CIS mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. g CIS vorgesehene Befreiung von der Stempelsteuer grundsätzlich auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Finanzgeschäfte anwendbar sei. Art. 7 Abs. 2 CIS beschränke jedoch den Anwendungsbereich dieser Befreiung, da sie nicht anwendbar sei, wenn einer der Beteiligten seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung nicht in Portugal habe.

 

13        Art. 7 Abs. 2 CIS sehe zwar eine Ausnahme vom Ausschluss der Befreiung vor, diese gelte jedoch nur, wenn der Gläubiger seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder in einem Staat habe, mit dem die Portugiesische Republik ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen geschlossen habe. Im vorliegenden Fall habe der Gläubiger, d. h. Faurécia, seinen Sitz in Portugal, so dass diese Gesellschaft nicht unter diese Ausnahme falle.

 

14        Überdies habe das Tribunal Arbitral em Matéria Tributária (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) in seinem Schiedsspruch vom 6. Oktober 2020 die Auffassung vertreten, dass Art. 7 Abs. 2 CIS eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstelle, da für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen nicht die Möglichkeit bestehe, für in Portugal aufgenommene Kredite die Befreiung von der Stempelsteuer in Anspruch zu nehmen.

 

15        Dagegen sei im Schiedsspruch vom 3. November 2020 der Umstand, dass im vorliegenden Fall der Gläubiger, d. h. Faurécia, und nicht der in Frankreich ansässige Schuldner stempelsteuerpflichtig sei, als entscheidend angesehen worden, um gegenüber dem Schiedsspruch vom 6. Oktober 2020 zum gegenteiligen Ergebnis zu gelangen. So habe das Tribunal Arbitral em Matéria Tributária (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) im Schiedsspruch vom 3. November 2020 festgestellt, dass in Portugal ansässige Gläubiger hinsichtlich der Stempelsteuer nicht je nach Staatsangehörigkeit oder Ort der Ansässigkeit ihrer Kreditnehmer steuerlich unterschiedlich behandelt würden.

 

16        Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

Steht Art. 7 Abs. 2 CIS, wonach die für kurzfristige Geldgeschäfte vorgesehene Befreiung von der Stempelsteuer anwendbar ist, wenn an diesen Geschäften zwei in Portugal ansässige Unternehmen beteiligt sind oder wenn der Kreditnehmer in Portugal (und der Kreditgeber in der Union) ansässig ist, jedoch nicht anwendbar ist, wenn der Kreditnehmer (Schuldner) in einem Mitgliedstaat der Union und der Kreditgeber (Gläubiger) in Portugal ansässig ist, mit den in den Art. 18 und 63 sowie Art. 65 Abs. 3 AEUV niedergelegten Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und des freien Kapitalverkehrs im Einklang?

 

Zur Vorlagefrage

17        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 18 und 63 sowie Art. 65 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der kurzfristige Geldgeschäfte von der Stempelsteuer befreit sind, wenn an ihnen zwei in diesem Mitgliedstaat ansässige Unternehmen beteiligt sind oder wenn der Kreditnehmer in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht jedoch, wenn der Kreditgeber in diesem Mitgliedstaat und der Kreditnehmer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

 

Zu den anwendbaren Grundsätzen und Freiheiten

18        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 18 AEUV als eigenständige Grundlage nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen angewendet werden kann, für die der AEU-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (Urteil vom 18. März 2021, Autoridade Tributária e Aduaneira [Steuer auf Veräußerungsgewinne aus Immobilien], C‑388/19, EU:C:2021:212, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

19        Der AEU-Vertrag sieht aber insbesondere in seinem Art. 63 auf dem Gebiet des freien Kapitalverkehrs ein besonderes Diskriminierungsverbot vor (Urteil vom 18. März 2021, Autoridade Tributária e Aduaneira [Steuer auf Veräußerungsgewinne aus Immobilien], C‑388/19, EU:C:2021:212, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es sich bei von Gebietsansässigen an Gebietsfremde gewährten Darlehen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV handelt (vgl. diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 1999, Sandoz, C‑439/97, EU:C:1999:499, Rn. 7).

 

20        Daher ist die Vorlagefrage ausschließlich mit Blick auf Art. 63 AEUV zu beurteilen.

 

Zum freien Kapitalverkehr

21        Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Zu den Maßnahmen, die diese Bestimmung als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, gehören solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteil vom 27. April 2023, L Fund, C‑537/20, EU:C:2023:339, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

22        Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass der CIS für die Gewährung von Krediten durch eine in Portugal ansässige Person unterschiedliche Besteuerungsvorschriften vorsah, je nachdem, ob der Kreditnehmer in Portugal ansässig war oder nicht, wobei eine Befreiung von der Stempelsteuer nur im ersteren Fall vorgesehen war.

 

23        Eine solche unterschiedliche Behandlung ist geeignet, im Ausland getätigte Investitionen, wie die Gewährung von Darlehen, für in Portugal ansässige Personen weniger attraktiv zu machen als im portugiesischen Hoheitsgebiet getätigte Investitionen. Diese unterschiedliche Behandlung wirkt sich auch gegenüber gebietsfremden Kreditnehmern beschränkend aus, da diese anders als gebietsansässige Kreditnehmer hierdurch bei der Beschaffung von Kapital in Portugal behindert werden.

 

24        In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden portugiesischen Rechtsvorschriften der in Portugal ansässige Kreditgeber und nicht der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Kreditnehmer stempelsteuerpflichtig ist. Der Umstand, dass die Ausübung des freien Kapitalverkehrs aufgrund einer nationalen Steuerregelung, die einen innerstaatlichen Sachverhalt und einen grenzüberschreitenden Sachverhalt unterschiedlich behandelt, weniger attraktiv gemacht wird, genügt nämlich als solcher für die Annahme einer Beschränkung.

 

25        Darüber hinaus ist auch das Vorbringen der portugiesischen Regierung, die Stempelsteuer stelle keine steuerliche Belastung für den Kreditgeber dar, weil die Steuer tatsächlich von den Kreditnehmern getragen werde, wenngleich sie in der Regel die Möglichkeit hätten, den Betrag im Rahmen der Gewinnbesteuerung abzuziehen, nicht geeignet, das Fehlen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darzutun.

 

26        Zwar kann es, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in ihren schriftlichen Erklärungen selbst ausgeführt hat, letztlich der Kreditnehmer sein, der die Stempelsteuer trägt, sei es, weil der Kreditgeber ihm einen entsprechenden Betrag auferlegt, sei es, weil die Steuer unmittelbar von ihm verlangt wird, wenn der Steuerpflichtige diese Steuer nicht entrichtet. Diese Feststellung ändert zum einen jedoch nichts daran, dass nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung der Kreditgeber der Stempelsteuer unterliegt. Zum anderen erzeugt diese Regelung, wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt, jedenfalls nicht nur gegenüber gebietsansässigen Kreditgebern, sondern auch gegenüber gebietsfremden Kreditnehmern eine beschränkende Wirkung.

 

27        Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende stellt demzufolge eine nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

 

28        Nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV jedoch nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.

 

29        Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Diese Bestimmung kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (Urteil vom 16. November 2023, Autoridade Tributária e Aduaneira [Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen], C‑472/22, EU:C:2023:880, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

30        Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen dürfen nämlich nach dessen Abs. 3 weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung darstellen. Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass solche Ungleichbehandlungen nur zulässig sind, wenn sie Situationen betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder, anderenfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (Urteil vom 16. November 2023, Autoridade Tributária e Aduaneira [Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen], C‑472/22, EU:C:2023:880, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

31        Die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt eines Mitgliedstaats ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und ihres Inhalts zu prüfen. Für die Beurteilung, ob die unterschiedliche Behandlung aufgrund einer derartigen Regelung einem objektiven Unterschied der Situationen entspricht, sind nur die von der betreffenden Regelung aufgestellten maßgeblichen Unterscheidungskriterien zu berücksichtigen (Urteil vom 16. November 2023, Autoridade Tributária e Aduaneira [Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen], C‑472/22, EU:C:2023:880, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

32        Insoweit haben zum einen weder das vorlegende Gericht noch die portugiesische Regierung angegeben, welches Ziel mit der teilweisen Befreiung von der Stempelsteuer, die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung ergibt, verfolgt wird.

 

33        Zum anderen beruht das einzige Unterscheidungskriterium, das die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung vorsieht, auf dem Ort der Ansässigkeit des Kreditnehmers, da kurzfristige Geldgeschäfte von der Stempelsteuer befreit sind, wenn an ihnen zwei in Portugal ansässige Unternehmen beteiligt sind oder wenn der Kreditnehmer in Portugal ansässig ist, nicht jedoch, wenn der Kreditnehmer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

 

34        Wie die Kommission in Bezug auf die in Portugal erhobene Stempelsteuer in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, erscheint der Fall eines Darlehens, das einem gebietsansässigen Kreditnehmer gewährt wird, jedoch mit dem eines Darlehens vergleichbar, das einem gebietsfremden Kreditnehmer gewährt wird, da diese Steuer auf der Grundlage jedes einzelnen Geschäftsvorgangs berechnet wird, für den unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände ein fester Steuersatz gilt.

 

35        In Anbetracht des Gegenstands und des Inhalts der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung scheint die sich aus ihr ergebende unterschiedliche Behandlung, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, nicht auf einem objektiven Unterschied der Situationen zu beruhen.

 

36        Im Übrigen haben weder das vorlegende Gericht noch die portugiesische Regierung einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses geltend gemacht, der die sich durch diese Regelung ergebende Beschränkung rechtfertigen würde.

 

37        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der kurzfristige Geldgeschäfte von der Stempelsteuer befreit sind, wenn an ihnen zwei in diesem Mitgliedstaat ansässige Unternehmen beteiligt sind, nicht jedoch, wenn der Kreditnehmer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

 

 Kosten

 

38        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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