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Steuerrecht
04.11.2021
Steuerrecht
FG Nürnberg: EuGH-Vorlage zur Versagung des Vorsteuerabzugs wegen Steuerhinterziehung des ursprünglichen Verkäufers

FG Nürnberg, Beschluss vom 21.9.2021 – 2 K 345/20

Volltext: BB-ONLINE BBL2021-2643-2

Sachverhalt

Der Kläger, ein Händler, erwarb von C, der sich als W ausgab, für sein Unternehmen 2011 einen Gebrauchtwagen, den C in einem früheren Jahr von einem Dritten erworben hatte. W wusste, dass C sich für ihn ausgab, und war damit einverstanden. C stellte W eine Rechnung über die Lieferung des Gebrauchtwagens für 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer, W dem Kläger eine Rechnung über 64.705,88 € zuzüglich 12.294,12 € Mehrwertsteuer, die er C überließ, der sie dem Kläger aushändigte. Der Kläger übergab C insgesamt 77.000 €, die dieser für sich behielt. C berücksichtigte in seiner Buchhaltung und seinen Steuererklärungen nur einen Verkaufspreis von 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Mehrwertsteuer und zahlte auch nur Steuer in der sich daraus ergebenden Höhe. W erfasste den Vorgang weder in seiner Buchhaltung noch in seinen Steuererklärungen und zahlte insoweit auch keine Steuer.

Der Kläger macht für den Erwerb des Gebrauchtwagens 12.294,12 € Vorsteuer geltend. Demgegenüber meint der Beklagte, der Kläger dürfe keinerlei Vorsteuer abziehen, da ihm der Vorsteuerabzug zu versagen sei, weil er von der Steuerhinterziehung des C wissen hätte müssen.

Aufgrund der Akten und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung geht das vorlegende Gericht davon aus, dass der Kläger nach den Umständen des konkreten Falles wegen mehrerer Auffälligkeiten verpflichtet gewesen wäre, sich über die Identität seines Geschäftspartners zu vergewissern, und dann zum einen festgestellt hätte, dass C seine Identität gezielt verschleierte, was keinen anderen Zweck haben konnte, als durch den Verkauf des Gebrauchtwagens entstehende Mehrwertsteuer zu hinterziehen, zum anderen, dass W seinen steuerlichen Pflichten gleichgültig gegenüberstand und nicht willens war, ihnen in der gebotenen Weise nachzukommen.

Aus den Gründen

II. Der Senat legt dem EuGH die im Tenor genannte Frage gem. § 267 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Buchst. a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vor.

1. Rechtlicher Rahmen

a. Unionsrecht

Nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) gilt als Lieferung von Gegenständen

„…die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.“

Art. 167 MwStSystRL bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

Art. 168 Buchst. a MwStSystRL lautet:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden.“

Gemäß Art. 178 Buchst. a MwStSystRL muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und das Erbringen von Dienstleistungen ausüben zu können, u. a. die folgende Bedingung erfüllen:

„… eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte Rechnung besitzen“.

b. Nationales Recht

§ 3 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lautet:

„Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs) liegt zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer.“

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung lautet:

„Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt.“

2. Beurteilung nach nationalem Recht und Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

Im Streitfall stellt sich auf Grundlage der Akten und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung die Frage, in welcher Höhe der Vorsteuerabzug für den Erwerb des Gebrauchtwagens bei dem Kläger zu versagen ist, da er von der Steuerhinterziehung des C wissen musste.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG für die in der Rechnung des W ausgewiesene Umsatzsteuer liegen vor. Aufgrund des Einverständnisses des W mit dem Vorgehen des C trat ein atypischer Fall einer Verkaufskommission ein, mit der Besonderheit, dass der Kommittent - C - zugleich Vertreter des Kommissionärs ist. Daher ist davon auszugehen, dass zunächst C den Wagen an W, dann W den Wagen an den Kläger lieferte.

Auch die Voraussetzungen für eine Versagung sind aber grundsätzlich gegeben. Nach der höchstrichterlichen nationalen Rechtsprechung, die sich insoweit an die gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs (z. B. Beschluss vom 14.04.2021 C-108/20, ECLI:EU:C:2021:266 - Finanzamt Wilmersdorf und die dort zitierte Rechtsprechung) anlehnt, ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn dessen Voraussetzungen zwar tatsächlich vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (BFH-Urteil vom 18.02.2016 V R 62/14, BFHE 253, 283, BStBl. II 2016, 589).

Danach wäre möglicherweise dem Kläger der Vorsteuerabzug in Höhe von 12.294,12 € zu versagen, obwohl C nur 2.394,96 € Mehrwertsteuer hinterzog und in der Leistungskette von C über W an den Kläger die tatsächlich gezahlte Steuer insgesamt nur um diesen Betrag hinter der bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Geschäftsvorfalls geschuldeten Steuer zurückbleibt.

3. Beurteilung nach Unionsrecht

Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob dieses Ergebnis der MwStSystRL in der Auslegung des Gerichtshofs entspricht.

Die Versagung von Rechten bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung soll nach der Rechtsprechung des EuGH eine unzutreffende Besteuerung vermeiden (vgl. Urteil der Großen Kammer vom 07.12.2010 C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 - R, Rz. 52, zur Versagung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen) und die Ansprüche der Staatskasse schützen (Urteile vom 21.06.2012 C-80/11, C-142/11 ECLI:EU:C:2012:373 - Mahageben und David, Rz. 48; vom 06.12.2012 C-285/11 ECLI:EU:C:2012:774 - Bonik, Rz. 42). Sie beruht darauf, dass dem Beteiligten an einer Steuerhinterziehung anzulasten ist, dass durch die Steuerhinterziehung Steuereinnahmen entgehen (Urteil vom 17.10.2019 C-653/18 ECLI:EU:C:2019:876 - Unitel, Rz 34). Dies spricht aus Sicht des vorlegenden Gerichts dafür, Rechte nur insoweit zu versagen, wie es erforderlich ist, entgehende Steuereinnahmen auszugleichen.

Das Urteil ECLI:EU:C:2021:266 Finanzamt Wilmersdorf enthält aber Erwägungen, wonach der Zweck der Versagung möglicherweise über den Schadensersatz oder die Haftung für hinterzogene Steuern hinausreicht. Die Versagung hängt nach den Ausführungen in Rz. 35 ff. dieses Urteils nicht davon ab, ob der Beteiligte an einer Steuerhinterziehung dadurch einen steuerlichen oder wirtschaftlichen Vorteil erlangte, sondern soll betrügerischen Umsätzen entgegenwirken, indem sie den Waren und Dienstleistungen, die Gegenstand eines in eine Steuerhinterziehung einbezogenen Umsatzes waren, den Absatzmarkt nimmt und somit zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung beiträgt. Der EuGH sieht darin keinen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

Wäre die Versagung betragsmäßig auf den entstandenen Steuerschaden zu begrenzen, könnte sie allerdings vielfach wirkungslos bleiben, wenn zur Ermittlung des Steuerschadens lediglich die Steuerfestsetzungen gegenüber gestellt werden, weil die Versagung regelmäßig erst nach Aufdeckung der Steuerhinterziehung möglich ist und die Finanzbehörden dann typischerweise auch die fehlerhaften ursprünglichen Steuerfestsetzungen berichtigen. Demgegenüber berücksichtigt ein Vergleich zwischen der festzusetzenden und der erhobenen Steuer den häufig anzutreffenden Fall, dass die Finanzbehörden zwar nach Aufdeckung der Steuerhinterziehungen Rechte versagen und Steuerfestsetzungen gegenüber Hinterziehern berichtigen, die aufgrund der berichtigten Steuerfestsetzungen zu leistenden Nachzahlungen aber nicht beitreiben können, weil die Hinterzieher die hinterzogenen Beträge verbrauchten oder beiseite schafften.

Das vorlegende Gericht neigt unter Berücksichtigung insbesondere des Urteils der Großen Kammer ECLI:EU:C:2010:742 - R dazu, die Versagung auf den entstandenen Steuerschaden zu begrenzen und diesen Steuerschaden durch Vergleich der in der Leistungskette insgesamt - bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Geschäftsvorfalls - gesetzlich geschuldeten und der tatsächlich gezahlten Steuer zu ermitteln. Dementsprechend könnte im Streitfall der Kläger 9.899,16 € Vorsteuer abziehen, nur in Höhe des darüber hinausgehenden, dem Steuerschaden entsprechenden, Betrages wäre ihm der Abzug zu versagen.

4. Aussetzung des Verfahrens

Aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens war das Verfahren auszusetzen. Ein Rechtsmittel dagegen ist nicht gegeben (vgl. BFH-Beschluss vom 27.01.1981 VII B 56/80, BFHE 132, 217, BStBl. II 1981, 324).

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