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Steuerrecht
06.03.2025
Steuerrecht
BFH: EuGH-Vorlage zur Frage, ob „Scraps“ Rauchtabak darstellen

BFH, EuGH-Vorlage vom 17.9.2024 – VII R 42/20

ECLI:DE:BFH:2024:VE.170924.VIIR42.20.0

Volltext BB-Online BBL2025-598-1

Amtliche Leitsätze

1. Ist der Begriff „Tabak, der sich (…) zum Rauchen eignet“ in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21.06.2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (Amtsblatt der Europäischen Union 2011, Nr. L 176, 24) ‑‑Tabaksteuerrichtlinie (TabStRL)‑‑ dahingehend auszulegen, dass eine solche Eignung nur für Waren gegeben ist, die nach der Verkehrsauffassung geraucht werden?

2. Ist der Begriff „ohne weitere industrielle Bearbeitung“ in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL dahingehend auszulegen, dass auch komplexere Methoden, die von Konsumenten aber zu Hause durchgeführt werden können, darunter zu subsumieren sind?

 

Sachverhalt

Die Firma B, ansässig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, mischt unverarbeitete Tabakblätter der Sorte Flue Cured Virginia. Anschließend entrippt und verpackt sie diese in Pakete verschiedener Größen. Sie belieferte unter anderem die C-GmbH in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) mit sieben Kartons je 175 kg, insgesamt 1 225 kg, Flue Clured Virginia "Scraps", die vom Zollfahndungsamt (ZFA) am 07.02.2017 sichergestellt wurden. Die Waren befanden sich in einem vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), dem Prokuristen der C-GmbH, gefahrenen Kleintransporter. Sie waren für ein anderes in Deutschland ansässiges Unternehmen, die D-Firma, bestimmt, die daraus Wasserpfeifentabak herstellen wollte.

Das ZFA leitete daraufhin gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein. Dieser gab bei seiner Vernehmung an, dass es sich nicht um Rauch-, sondern um Rohtabak handele, der in Deutschland zu Wasserpfeifentabak hätte verarbeitet werden sollen.

Im Ermittlungsverfahren sagte die Betreiberin der D-Firma aus, ein sehr kleiner Teil des an sie gelieferten Tabaks werde mit einem Gartenhäcksler weiterzerkleinert. Danach werde der Tabak in Wasser mit Zucker und Glycerin aufgekocht. Nach dem Abkühlen werde die Tabakmischung mit Molasse, Glycerin und Aromastoffen versetzt, verpackt und mit einer Steuerbanderole versehen.

Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung begutachtete eine Probe aus der sichergestellten Ware und kam zu dem Ergebnis, es handele sich um sogenannte Scraps. Die Tabakblattstücke seien weder aromatisiert noch weiterbearbeitet worden. Es handele sich um Tabakblattstücke, die als Nebenprodukte üblicherweise beim Dreschen von Rohtabakblättern anfielen. Die Proben enthielten neben den gedroschenen Tabakblattteilen keine Verunreinigungen, keine gröberen Blattrippen und keine Kleinst- oder Staubpartikel, die eine unmittelbare Raucheignung ausschlössen. Die Größe und die unregelmäßige Struktur der Blattteile stünden der Raucheignung ebenfalls nicht entgegen. Eine Verwendung in einer Pfeife oder als Einlage für selbstgedrehte Zigaretten sei "nicht ausgeschlossen". Es handele sich zwar nicht um eine in der Tabakindustrie übliche Rauch-Mischung, aber aufgrund der objektiv vorliegenden Eigenschaften und der geplanten weiteren Verarbeitung könne festgestellt werden, dass die Mischung ohne weitere industrielle Be- und Verarbeitung zum Rauchen geeignet sei. Denn die Tabakwaren hätten zur Herstellung des Wasserpfeifentabaks unmittelbar als Einlagetabak verwendet werden können, der lediglich mit Wasser, Glycerin und Zucker aufgekocht und mit der für Wasserpfeifentabak üblichen aromatisierten Mischung vermischt werden müsse. Lediglich ein geringer Anteil werde mittels eines Gartenhäckslers weiterzerkleinert. Die weiteren Verarbeitungsschritte zur Herstellung von Wasserpfeifentabak könnten in jedem Privathaushalt durch den Endverbraucher selbst durchgeführt werden, wofür es im Internet entsprechende Anleitungen gebe. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine größere Menge handele. Zolltarifrechtlich seien Scraps als Tabakabfall (Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur ‑‑ErlKN‑‑ 10.0 zu Position ‑‑Pos.‑‑ 2401) anzusprechen; die zolltarifrechtliche Einreihung sei jedoch nicht maßgeblich für die tabaksteuerrechtliche Einordnung.

Der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) setzte daraufhin gegenüber dem Kläger und der C-GmbH als Gesamtschuldner … € Tabaksteuer fest.

Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren legte der Kläger ein Gutachten vor, das zu dem Ergebnis kam, es handele sich um Rohtabak der Sorte Virginia von hoher Qualität. Der Tabak sei nicht geschnitten, sondern gedroschen und entrippt worden ("Scraps"). Er enthalte weder Rippen noch Verunreinigungen oder Bruch und könne zu Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Feinschnitt oder Zigarettentabak weiterverarbeitet werden. Die einfachste Bearbeitung sei das Befeuchten und Schneiden des Tabaks. Erst durch einen einfachen Herstellungsprozess entstehe aus dem Rohtabak ein steuerpflichtiges Gut.

Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) beauftragte ebenfalls einen Sachverständigen, der feststellte, der Wassergehalt habe bei durchschnittlich 6,9 % gelegen, was für Rohtabak typisch sei. Aufgrund der chemischen und visuellen Prüfung der Proben handele es sich um Rohtabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eigne.

Das FG urteilte, die Tabak-Scraps unterlägen nicht der Tabaksteuer, weil es sich nicht um Rauchtabak nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Tabaksteuergesetzes in der im Streitfall geltenden Fassung (TabStG) handele, sondern um nicht steuerpflichtigen Rohtabak. Die Tabak-Scraps seien weder unmittelbar zum Rauchen in einer Pfeife geeignet noch hätte die Eignung zum Rauchen durch einen einfachen nichtindustriellen Bearbeitungsvorgang hergestellt werden können. Nicht jeder zerkleinerte Rohtabak sei per se zum Rauchen geeignet. Bei der Beurteilung sei entscheidend, ob sich der Tabak, gegebenenfalls nach einer weiteren nichtindustriellen Bearbeitung, unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zum Rauchen, das heißt zum menschlichen Konsum eigne.

Gegen das Urteil des FG wehrt sich das HZA mit seiner Revision.

Aus den Gründen

10          II. Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 in Verbindung mit ‑‑i.V.m.‑‑ § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

 

11          1. Ist der Begriff "Tabak, der sich (…) zum Rauchen eignet" in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21.06.2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2011, Nr. L 176, 24) ‑‑Tabaksteuerrichtlinie (TabStRL)‑‑ dahingehend auszulegen, dass eine solche Eignung nur für Waren gegeben ist, die nach der Verkehrsauffassung geraucht werden?

 

12          2. Ist der Begriff "ohne weitere industrielle Bearbeitung" in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL dahingehend auszulegen, dass auch komplexere Methoden, die von Konsumenten aber zu Hause durchgeführt werden können, darunter zu subsumieren sind?

 

13          III. Für die Lösung des Streitfalls kommt es nach Auffassung des Senats auf die Vorschriften der Tabaksteuerrichtlinie an. Bei deren Auslegung bestehen Zweifel, die für den Streitfall entscheidungserheblich sind.

 

14          Anzuwendendes Unionsrecht:

 

15          Erwägungsgrund 2 TabStRL:

Die Steuervorschriften der Union für Tabakwaren sollten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau gemäß Artikel 168 AEUV gewährleisten, und zwar unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Tabakwaren schwere gesundheitliche Schäden verursachen können und dass die Union dem Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakkonsums beigetreten ist. Rechnung getragen werden sollte der jeweiligen Situation bei den einzelnen Tabakwaren.

 

16          Erwägungsgrund 8 TabStRL:

Im Interesse einer einheitlichen und gerechten Besteuerung ist eine Definition von Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und anderem Rauchtabak jeweils dahin gehend festzulegen, dass Tabakstränge, die aufgrund ihrer Länge als zwei Zigaretten oder mehr gelten können, verbrauchsteuerrechtlich als zwei Zigaretten oder mehr behandelt werden, dass eine bestimmte Art von Zigarren, die in vielerlei Hinsicht einer Zigarette ähnelt, verbrauchsteuerrechtlich als Zigarette behandelt wird, dass Rauchtabak, der in vielerlei Hinsicht Feinschnitttabak für selbstgedrehte Zigaretten ähnelt, verbrauchsteuerrechtlich als Feinschnitttabak behandelt wird, und dass Tabakabfälle eindeutig definiert sind.

(…)

 

17          Art. 2 TabStRL:

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie umfasst der Begriff "Tabakwaren":

a) Zigaretten;

b) Zigarren und Zigarillos;

c) Rauchtabak:

i) Feinschnitttabak für selbstgedrehte Zigaretten,

ii) anderen Rauchtabak.

(…)

 

18          Art. 3 TabStRL:

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie umfasst der Begriff "Zigaretten":

a) Tabakstränge, die sich unmittelbar zum Rauchen eignen und nicht Zigarren oder Zigarillos nach Artikel 4 Absatz 1 sind;

b) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werden;

c) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt werden.

(…)

 

19          Art. 4 TabStRL:

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie umfassen die Begriffe "Zigarren" und "Zigarillos" - falls sie sich als solche zum Rauchen eignen und aufgrund ihrer Eigenschaften und der normalen Verbrauchererwartungen ausschließlich dafür bestimmt sind:

(…)

 

20          Art. 5 TabStRL:

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie umfasst der Begriff "Rauchtabak":

a) geschnittenen oder anders zerkleinerten, gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet;

b) zum Einzelverkauf aufgemachte und zum Rauchen geeignete Tabakabfälle, die nicht unter Artikel 3 und Artikel 4 Absatz 1 fallen. Für die Zwecke dieses Artikels gelten als Tabakabfälle Überreste von Tabakblättern und bei der Verarbeitung von Tabak oder bei der Herstellung von Tabakwaren anfallende Nebenerzeugnisse.

(…)

 

21          ErlKN zu Pos. 2401 ("Tabak, unverarbeitet; Tabakabfälle"):

(…)    

Es gilt als:

     02.3

a) "flue-cured" Virginia: Tabak, der unter künstlichen atmosphärischen Bedingungen in einem Verfahren getrocknet worden ist, bei dem Hitze und Luftzirkulation kontrolliert werden, ohne dass Rauch mit den Tabakblättern in Berührung kommt. Die Färbung des getrockneten Tabaks reicht normalerweise von zitronengelb bis dunkelorange oder rot. Andere Farben und Farbmischungen ergeben sich meist aus Veränderungen im Reifegrad oder durch andere Anbau- oder Trocknungsweisen;

03.0

(…)    

 

22          ErlKN zu Pos. 2403 ("Anderer verarbeiteter Tabak und andere verarbeitete Tabakersatzstoffe; homogenisierter oder rekonstituierter Tabak; Tabakauszüge und Tabaksoßen"):

Zu Unterposition 2403 19 10 und 2403 19 90:

     01.3

Rauchtabak ist geschnittener oder anders zerkleinerter oder gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

02.0

(…)    

             

ANHANG A

 

19.0

 

RAUCHTEST FÜR TABAK UND TABAKWAREN

 

20.0

 

 Ziel

 

21.0

 

Mit dem Rauchtest soll ein harmonisiertes Verfahren zur Unterscheidung von verarbeitetem Tabak (ohne weitere Verarbeitung zum Rauchen geeignetem Tabak) der Position 2403 und unverarbeitetem Tabak der Position 2401 festgelegt werden. Um zwischen verarbeitetem Tabak der Position 2403 und unverarbeitetem Tabak der Position 2401 zu unterscheiden, wird ein Rauchtest durchgeführt. Der Siebtest wird nur dann durchgeführt, wenn es nicht möglich sein sollte, die Probe ohne weitere (industrielle) Verarbeitung zu rauchen.

 

22.0

 

             

Einleitung

 

23.0

 

Im Sinne der Unterposition 2403 19 bedeutet die Formulierung"zum Rauchen geeignet", dass die Ware in Zigarettenform gedreht oder in eine Zigarettenhülse oder Pfeife gefüllt und anschließend mit mehreren Zügen verbrannt werden kann.

 

24.0

 

             

Testprinzip

 

25.0

 

Ob sich eine Tabakprobe zum Rauchen eignet, wird auf verschiedene Arten beurteilt: Sie wird in Zigarettenpapier gerollt, um eine "selbst gedrehte Zigarette" herzustellen, und in eine Zigarettenhülse gefüllt oder in eine Pfeife gestopft. Die Pfeife und die vorbereiteten Zigaretten werden angezündet und geraucht.

Anzünde- und Rauchvorgang werden bewertet.

 

26.0

 

                                         

Anwendungsbereich

 

27.0

 

Der Test kann bei allen Arten von Tabak und Tabakwaren, einschließlich Teilen von Tabakwaren wie Zigarreneinlage, angewendet werden. Der Test kann gefährlich sein, wenn die Probe mit Schimmel kontaminiert ist.

 

28.0

 

                                          Ausrüstung

29.0

(…)       Rauchmaschine (ISO-3308-konform)

39.0

              Probenvorbereitung

40.0

Die Probe wird gründlich gemischt und gegebenenfalls durch manuelles oder automatisiertes Vierteln in Teilproben unterteilt.

41.0

(…)    

Die Probe darf in keiner Weise zerschnitten, zerbrochen, zerstoßen, zermahlen oder anderweitig zerkleinert werden.

42.0

              Testverfahren

43.0

(…)    

An der Pfeife wird in regelmäßigen Abständen von etwa einer Minute gezogen.

47.0

(…)    

Die vorbereiteten Zigaretten werden mit dem Feuerzeug angezündet und glimmen, ohne dass an ihnen gezogen wird (zum Verbrennen von überschüssigem Papier). An der Zigarette wird in regelmäßigen Abständen von etwa 30 bis 60 Sekunden in Abhängigkeit von der Qualität des Tabaks jeweils etwa zwei Sekunden lang gezogen.

51.0

 

23          Anzuwendendes nationales Recht:

 

24          § 1 TabStG in der ‑‑im Streitfall geltenden‑‑ Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 21.12.2010 (Bundesgesetzblatt I 2010, 2221):

(1) Tabakwaren unterliegen im Steuergebiet der Tabaksteuer. Steuergebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland. Die Tabaksteuer ist eine Verbrauchsteuer im Sinn der Abgabenordnung.

(2) Tabakwaren sind

1. Zigarren oder Zigarillos:

(…)

2. Zigaretten:

(…)

b) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werden, oder

c) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt werden;

3. Rauchtabak (Feinschnitt und Pfeifentabak): geschnittener oder anders zerkleinerter oder gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

(…)

(4) Tabakabfälle sind Rauchtabak, wenn sie zum Rauchen geeignet und für den Einzelverkauf aufgemacht sind sowie nicht Zigarren oder Zigarillos nach Absatz 2 Nummer 1 oder Zigaretten nach Absatz 2 Nummer 2 sind. Als Tabakabfälle im Sinn dieses Absatzes gelten Überreste von Tabakblättern sowie Nebenerzeugnisse, die bei der Verarbeitung von Tabak oder bei der Herstellung, Be- oder Verarbeitung von Tabakwaren anfallen.

(…)

 

25          IV. Bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL bestehen Zweifel.

 

26          1. Tabakwaren unterliegen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des deutschen Tabaksteuergesetzes der Tabaksteuer. Zu den Tabakwaren gehört nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG Rauchtabak in der Form von Feinschnitt und Pfeifentabak. Rauchtabak liegt vor, wenn es sich einerseits um geschnittenen oder anders zerkleinerten oder gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak handelt, der sich andererseits ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Im Streitfall kommt es darauf an, ob es sich bei der sichergestellten Ware um steuerpflichtigen Rauchtabak im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG oder um nicht steuerpflichtigen Rohtabak handelt.

 

27          2. Dass der streitgegenständliche Tabak vorliegend "anders zerkleinert" ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

 

28          3. Unklar ist aber, ob er sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Eine gesetzliche Definition fehlt hierfür, obwohl die Einordnung als Rauchtabak von den beiden Voraussetzungen "zum Rauchen geeignet" und "ohne weitere industrielle Bearbeitung" abhängt. Die Komponente der nicht-"industriellen Bearbeitung" ist dabei nur zu prüfen, wenn die Ware nicht bereits zum Rauchen geeignet ist. Die Einordnung einer Ware als Rauchtabak und damit als Steuergegenstand wird maßgeblich durch das Unionsrecht mitbestimmt, bei dessen Auslegung das vorlegende Gericht Zweifel hat.

 

29          a) Grundlage des geltenden deutschen Tabaksteuerrechts ist die Tabaksteuerrichtlinie. Der deutsche Gesetzgeber hat die Definition von Rauchtabak wörtlich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL übernommen. Eine ausdrückliche Bestimmung der beiden Voraussetzungen "ohne weitere industrielle Bearbeitung" und "zum Rauchen geeignet" fehlt aber auch im Unionsrecht.

 

30          b) Sinn und Zweck von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL ist insbesondere der Gesundheitsschutz des Endverbrauchers, sodass der Konsum eines tabakhaltigen Produkts besteuert werden soll. Dies könnte dafür sprechen, den Begriff der Tabakware weit auszulegen.

 

31          aa) Die Vereinheitlichung der Tabakbesteuerung sollte verschiedenen Zwecken dienen. Nach dem Erwägungsgrund 2 TabStRL sollten die Steuervorschriften der Union für Tabakwaren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleisten, und zwar unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Tabakwaren schwere gesundheitliche Schäden verursachen können und dass die Union dem Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakkonsums beigetreten ist.

 

32          bb) Dementsprechend ist die Tabaksteuer eine Fabrikatsteuer, die ein zu konsumierendes Endprodukt besteuert, und nicht den Rohstoff oder im Produktionsprozess entstehende Zwischenprodukte. Denn die Gesundheitsgefahren entstehen erst durch den Verbrauch. Auch der Begriff Tabakwaren und die Aufzählung dieser Tabakwaren in der Tabaksteuerrichtlinie weisen darauf hin, dass es für die Besteuerung auf die Abgrenzung zwischen Rohstoff und Waren ankommt.

 

33          c) Bis 2018 wurden getrocknete, zerkleinerte, teilweise entrippte Teile von Tabakblättern (sogenannte strips), getrocknete Tabakblätter, bei denen die Mittelrippe entfernt wurde (sogenannte hand-strips) und ‑‑hier streitgegenständlich‑‑ kleine, getrocknete Fragmente von Tabakblättern (sogenannte scraps) allgemein als Rohmaterialien für die Tabakproduktion und nicht als Steuergegenstand angesehen. Für deren Beförderung musste kein Steueraussetzungsverfahren im elektronischen Verbrauchsteueraussetzungsverfahren EMCS (Excise Movement and Control System) eröffnet werden. Auch eine Steuererklärung musste für sie nicht abgegeben werden.

 

34          d) Die deutsche Zollverwaltung geht seit dem EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277 allerdings davon aus, dass für die Qualifizierung eines Tabakprodukts als Rauchtabak im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL nicht auf die vorgesehene weitere Bearbeitung des Tabaks abzustellen ist, sondern darauf, ob der Tabak zum Zeitpunkt der Sicherstellung durch leicht durchführbare Vorgänge, die im Wesentlichen keine industrielle Bearbeitung darstellen, rauchfertig gemacht werden kann (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29.04.2019 - III B 4 - V 1203/0:002, juris-DOK 2019/0364329, Abs. 3).

 

35          Unerheblich ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts, ob es sich um lebensmittelrechtlich zulässige oder besonders gesundheitsgefährdende Tabakerzeugnisse handelt, da Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL diesbezüglich keine Einschränkungen macht.

 

36          e) Den bereits vorliegenden EuGH-Entscheidungen zur Tabaksteuerrichtlinie lässt sich keine klare Definition von Rauchtabak in Abgrenzung zum Rohtabak entnehmen, da sie sich auf den jeweiligen Einzelfall beziehen. Klargestellt hat der EuGH allerdings, dass der Begriff des "Rauchtabaks" nicht eng auszulegen ist (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 24).

 

37          Der EuGH hat in seinen bisherigen Entscheidungen den Schwerpunkt teilweise auf die Eignung des Tabaks zum Rauchen und teilweise auf die Herstellung dieser Eignung durch eine nichtindustrielle Verarbeitung gelegt.

 

38          aa) In der Entscheidung Eko-Tabak hat sich der EuGH zu dem in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL verwendeten Begriff "industrielle Bearbeitung" geäußert und ihn dahingehend konkretisiert, dass der Begriff die üblicherweise in großem Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens stattfindende Umwandlung von Rohstoffen in materielle Güter bezeichnet (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 30). Demgegenüber stellten leicht durchführbare Vorgänge, die die Eignung einer unfertigen Tabakware zum Rauchen herbeiführen sollten ‑‑zum Beispiel indem ein Tabakstrang einfach in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werde‑‑, im Wesentlichen keine "industrielle Bearbeitung" dar (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 31). Unter diesen Umständen seien Tabakwaren, die rauchfertig seien oder durch nichtindustrielle Mittel leicht rauchfertig gemacht werden könnten, als ohne weitere "industrielle Bearbeitung" zum Rauchen geeignet anzusehen (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 32). Bei den Tabakwaren im Urteil Eko-Tabak handelte es sich ‑‑wie hier‑‑ nicht um Wasserpfeifentabak selbst, sondern um ein Vorprodukt. Dieses war allerdings bereits in Form einer Vermischung mit Glycerin und kontrolliertem Feuchthalten bearbeitet, aber noch nicht zerschnitten beziehungsweise zerkleinert. Zudem war es für den Verkauf an Endverbraucher bestimmt (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 8). Der EuGH hat auf diese Vorbearbeitung (Vermischung mit Glycerin und kontrolliertes Feuchthalten) abgestellt und die anschließende Zerkleinerung als einfachen Prozess, der auch nichtindustriell erfolgen könnte, angesehen (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 33).

 

39          Zur Frage, wann eine Ware "zum Rauchen geeignet" ist, äußerte sich der EuGH in dieser Entscheidung nicht. Da der EuGH vielmehr geprüft hat, ob eine industrielle Bearbeitung vorlag, kann der Tabak ohne eine weitere Bearbeitung noch nicht zum Rauchen geeignet gewesen sein.

 

40          bb) In einer neueren Entscheidung nimmt der EuGH eine Eignung zum Rauchen an, wenn das Erhitzen und Verbrennen der Tabakstoffe "Rauch zum Einatmen erzeugen" (EuGH-Urteil Skonis ir kvapas vom 16.09.2020 - C-674/19, EU:C:2020:710, Rz 34, 38 folgende ‑‑ff.‑‑). Im dortigen Fall ging es ‑‑was zwischen den Parteien unstreitig war‑‑ um Wasserpfeifentabak, der arteigen nicht nur aus Tabak, sondern auch aus Zucker, Glycerin et cetera bestand. Die Raucheignung war im dortigen Fall nicht streitig und aus Sicht des EuGH nicht problematisch.

 

41          f) Der Wortlaut "zum Rauchen geeignet" deutet darauf hin, dass neben der reinen Möglichkeit, ein Produkt zu rauchen, mehr hinzukommen muss, damit aus Tabak Rauchtabak wird. Semantisch ist der Begriff "zum Rauchen geeignet" nicht identisch mit dem Begriff der "Rauchbarkeit". Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet "sich eignen", für einen Einsatz oder eine Funktion benötigte Eigenschaften oder Fähigkeiten zu besitzen. Dies weist insofern auf eine gewisse Subjektivität hin, als es sich bei der Eignung einer Sache oftmals nach der Meinung der betroffenen Mehrheit richtet, wann ein bestimmtes Merkmal einen hinreichenden Grad erreicht hat, dass die Sache als tauglich für etwas angesehen wird. Allerdings werden in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL ‑‑anders als in Art. 4 Abs. 1 TabStRL für Zigarren und Zigarillos‑‑ neben der Raucheignung die "normalen Verbrauchererwartungen" nicht ausdrücklich angesprochen. Der europäische Gesetzgeber hat also in der Tabaksteuerrichtlinie durchaus eine subjektive Tatbestandskomponente bedacht, diese aber nur bei Zigarren und Zigarillos als Tatbestandsvoraussetzung normiert.

 

42          In der englischen Fassung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL heißt es: "(…) is capable of being smoked without further industrial processing", in der französischen: "(…) qui est susceptible d’être fumé sans transformation industrielle ultérieure". Die englische Fassung scheint damit weiter als die deutsche und die französische Fassung zu sein. Denn sie stellt auf die bloße Möglichkeit, etwas zu rauchen, ab.

 

43          g) Der Vergleich zu Art. 5 Abs. 1 Buchst. b TabStRL deutet darauf hin, dass die Einordnung von Tabak als Rauchtabak nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL allein anhand objektiver Kriterien vorzunehmen ist.

 

44          Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b TabStRL sind Tabakabfälle Rauchtabak, wenn sie für den Einzelverkauf aufgemacht und zum Rauchen geeignet sind (soweit sie nicht Zigaretten nach Art. 3 TabStRL oder Zigarren oder Zigarillos nach Art. 4 Abs. 1 TabStRL sind). Anders als in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL wird für die Einordnung von Tabakabfällen als Rauchtabak also neben der Raucheignung darauf abgestellt, ob sie für den Einzelverkauf aufgemacht sind. Denn die Tabakprodukte nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL sind im Vergleich zu Tabakabfällen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b TabStRL höherwertiger, weshalb bei Tabak unter Buchst. a auf die Aufmachung zum Einzelverkauf verzichtet werden kann, während bei Tabakabfällen jedenfalls durch die Aufmachung für den Einzelverkauf verdeutlicht wird, dass es sich um einen Steuergegenstand handelt. In der Tabaksteuerrichtlinie wird also bewusst zwischen Tabakwaren und Tabakabfällen unterschieden.

 

45          h) Anhaltspunkte für die Abgrenzung von Roh- und Rauchtabak könnten sich aus dem Zolltarifrecht ergeben. In den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur wird eine konkrete Prüfmethode zur Unterscheidung von Rauch- und Rohtabak, die auch bei der Einreihung erforderlich ist, beschrieben.

 

46          aa) Nach ErlKN 22.0 zu Pos. 2403 ist für die Abgrenzung zwischen Pos. 2401 der Kombinierten Nomenklatur ‑‑KN‑‑ (Tabak, unverarbeitet; Tabakabfälle) und Pos. 2403 KN (anderer verarbeiteter Tabak und andere verarbeitete Tabakersatzstoffe; homogenisierter oder rekonstituierter Tabak; Tabakauszüge und Tabaksoßen) ein Rauchtest vorgesehen (Anlage A, ErlKN 19.0 ff. zu Pos. 2403). Nach diesem Rauchtest spielen subjektive Anforderungen wie der Genuss der Tabakwaren oder das Geschmackserlebnis keine Rolle; der Test stellt maßgeblich auf das Anzünden und Glimmen der Probe in einer Zigarette oder Pfeife ab und die anschließende Möglichkeit, daran ziehen zu können.

 

47          bb) Der Zolltarif ‑‑und damit auch der dort vorgesehene Rauchtest‑‑ und das Verbrauchsteuerrecht verfolgen aber unterschiedliche Ziele: Während der Rauchtest des Zolltarifs ein harmonisiertes Verfahren zur Unterscheidung verarbeiteten Tabaks der Pos. 2403 KN und unverarbeiteten Tabaks der Pos. 2401 KN ermöglichen soll, stellt das Verbrauchsteuerrecht auf das zu konsumierende Endprodukt als Gegenstand der Besteuerung ab. Letzten Endes geht es zwar auch bei der Tabaksteuerrichtlinie um die Frage, ob ein unverarbeitetes Rohprodukt vorliegt oder ein zum Rauchen geeignetes (bearbeitetes) Produkt. Anders als in anderen Verbrauchsteuergebieten werden die Steuergegenstände in der Tabaksteuerrichtlinie aber nicht durch einen Verweis auf die Tarifpositionen der Kombinierten Nomenklatur bestimmt. Die für Zwecke der zolltariflichen Einreihung entscheidenden Kriterien und die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur lassen sich deshalb nicht unmittelbar auf das Tabaksteuerrecht übertragen, auch wenn die zolltarifrechtlichen und tabaksteuerrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Abgrenzung von Roh- und Rauchtabak nahezu gleichlautend sind.

 

48          i) Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei der Beurteilung der Raucheignung subjektive Aspekte wie die Verbrauchererwartung berücksichtigt werden können.

 

49          Dies zeigt bereits Art. 4 Abs. 1 TabStRL für Zigarren und Zigarillos, der neben der Raucheignung unter anderem auf die "normalen Verbrauchererwartungen" abstellt. Das Merkmal der Verkehrsanschauung ist bislang aber in der Rechtsprechung des EuGH nicht thematisiert worden.

 

50          Auch anderen Rechtsakten des Verbrauchsteuerrechts sind subjektive Merkmale nicht fremd. Beispielsweise regelt Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABlEU 2003, Nr. L 283, 51) ‑‑Energiesteuerrichtlinie‑‑ den Steuersatz für zum Verbrauch als Heiz- oder Kraftstoff bestimmte andere Energieerzeugnisse als diejenigen, für die in dieser Richtlinie ein Steuerbetrag festgelegt wurde; diese werden je nach Verwendung zu dem für einen gleichwertigen Heiz- oder Kraftstoff erhobenen Steuersatz besteuert.

 

51          4. Das vorlegende Gericht neigt der Auffassung zu, dass sich die Eignung zum Rauchen nicht an der Verkehrsanschauung der beteiligten Kreise, also der Konsumenten des Tabaks, orientiert, sondern die Raucheignung allein anhand objektiv feststellbarer Merkmale der Ware zu bestimmen ist. Dabei ist zu bedenken, dass die Wege zum Verbraucher durch die in den letzten Jahren neu aufgekommenen Vertriebswege, insbesondere über das Internet, vielfältiger und die Produkte für die Endkunden damit einfacher zugänglich geworden sind.

 

52          a) Ohne Berücksichtigung einer subjektiven Komponente in der Begriffsbestimmung wären zwar im Ergebnis viele bislang als Rohtabak eingestufte Waren als "Rauchtabak" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL anzusehen. Denn bereits entrippte Tabakblätter können schon nach einfacher Bearbeitung geraucht werden.

 

53          b) Das spricht jedoch nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht gegen die Einordnung des streitgegenständlichen Tabaks als Rauchtabak, weil sich die Gewohnheiten der Konsumenten im Gebiet der Union nach Inkrafttreten der Tabaksteuerrichtlinie am 01.01.2011 erheblich geändert haben und sich Wasserpfeifentabak in Europa zunehmend verbreitet hat. Folglich wurde er in der Tabaksteuerrichtlinie noch nicht als Steuergegenstand definiert. Deshalb erscheint es ‑‑auch im Hinblick auf den von der Tabaksteuerrichtlinie beabsichtigten Gesundheitsschutz‑‑ angebracht, im Hinblick auf diesen in Europa neuartigen Konsum eines Tabakprodukts das bisherige Verständnis von Rauchtabak im Rahmen der Auslegungsmöglichkeiten kritisch zu hinterfragen.

 

54          Dazu kommt, dass ein derartiger Tabak, für den es noch vor Jahren zumindest im Geltungsbereich der Tabaksteuerrichtlinie kaum Verwendung als Rauchware gab, nunmehr zum Rauchen verwendet wird und auch durch den Konsumenten selbst zu einem rauchbaren Produkt verarbeitet werden kann. Denn beim Rauchen einer Wasserpfeife steht nicht der Genuss des Tabakgeschmacks im Vordergrund wie beim Rauchen einer Pfeife, sondern der Geschmack der beigegebenen Aromastoffe. Deshalb sind die Erwartungen an die Qualität von Wasserpfeifentabak im Vergleich zu anderen Konsumarten erheblich reduziert. Würde einem solchen Tabak die Raucheignung abgesprochen werden, allein weil er auch durch eine industrielle Verarbeitung zu Wasserpfeifentabak werden könnte, würde ein Großteil solcher Tabakwaren nicht mit Tabaksteuer belegt werden und der von der Tabaksteuerrichtlinie beabsichtigte Gesundheitsschutz nicht mehr durchgreifen.

 

55          c) Ferner setzt die Einordnung als Rauchtabak nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL keine Aufmachung des Tabaks für den Einzelverkauf voraus. Dies spricht dafür, dass es auf eine Präsentation oder Vorbereitung für den Endverbraucher nicht ankommt, sondern auf eine objektive Raucheignung abzustellen ist. Zudem hat sich der Online-Handel seit dem Erlass der Tabaksteuerrichtlinie derart verändert, dass die Aufmachung zum Einzelverkauf nicht der ausschließliche Weg ist, um ein Produkt an den Endverbraucher zu bringen. Eine Aufmachung für den Einzelverkauf ist daher lediglich ein Indiz dafür, dass keine weitere industrielle Verarbeitung erforderlich ist. Die Berücksichtigung anderer Umstände wie die tatsächlich erfolgende Bearbeitung derartiger Ware durch den Endverbraucher wird aber dadurch nicht ausgeschlossen.

 

56          d) Zudem könnten sich die Gepflogenheiten innerhalb des Verbrauchsteuergebiets im Sinne der ‑‑im Zeitpunkt der Sicherstellung des Tabaks im vorliegenden Streitfall noch geltenden‑‑ Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABlEU 2009, Nr. L 9, 12) ‑‑Verbrauchsteuersystemrichtlinie‑‑ unterscheiden, sodass die Harmonisierung der Tabakbesteuerung durch die Berücksichtigung lokaler Gepflogenheiten beeinträchtigt sein könnte (zur Harmonisierung vergleiche ‑‑vgl.‑‑ EuGH-Urteil Imperial Tobacco Bulgaria vom 09.06.2022 - C-55/21, EU:C:2022:459, Rz 38). Bei Berücksichtigung der Verkehrsanschauung der Tabakkonsumenten erscheint es daher nicht ausgeschlossen, dass die Mitgliedstaaten die streitgegenständlichen Scraps unterschiedlich behandeln und die Besteuerung in der Union uneinheitlich erfolgt. Das widerspräche dem Erwägungsgrund 2 TabStRL, nach dem die Steuervorschriften der Union für Tabakwaren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes gewährleisten sollen. Nach dem Erwägungsgrund 8 TabStRL besteht zudem ein Interesse an einer einheitlichen und gerechten Besteuerung.

 

57          e) Darüber hinaus spricht auch die englische Sprachfassung der Tabaksteuerrichtlinie (siehe oben) dafür, dass der Richtliniengeber subjektive Merkmale bei der Einordnung als Rauchtabak nicht für ausschlaggebend gehalten hat. Denn in der englischen Sprachfassung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL ("is capable of being smoked") wird auf eine objektive Eignung zum Rauchen abgestellt.

 

58          f) Gegen die Berücksichtigung subjektiver Komponenten wie die Verkehrsauffassung möglicher Endverbraucher oder die Bestimmung der Verwendung durch den Verkäufer bei der Beurteilung, ob es sich um steuerpflichtigen Rauchtabak handelt, sprechen zudem tatsächliche Schwierigkeiten bei der Prüfung einer solchen Komponente. Eine solche je nach den Umständen des Einzelfalls variierende Einschätzung würde die Anwendung der Tabaksteuerrichtlinie und dementsprechend auch des deutschen Tabaksteuergesetzes für die Zollverwaltung erheblich erschweren. Subjektive Kriterien wie Geschmack oder Verträglichkeit machen eine klare, möglichst zweifelsfreie Bestimmung des Steuergegenstandes für die Frage der Steuerbarkeit quasi unmöglich.

 

59          g) Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts kommt es schließlich nicht darauf an, dass der Tabak einen ersten Trocknungsprozess durchlaufen hat und anschließend kontrolliert feucht gehalten werden muss (so Urteil des Bundesgerichtshofs vom 01.04.2020 - 1 StR 5/20). Soweit der EuGH in der Rechtssache Eko-Tabak hierzu Ausführungen gemacht hat (vgl. Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz  25, 30  ff.; ebenso EuGH-Urteil Skonis ir kvapas vom 16.09.2020 - C-674/19, EU:C:2020:710, Rz  36, 39; ferner Ebner, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2021, 721), handelte es sich insoweit wohl lediglich um eine Beschreibung des dem Urteil Eko-Tabak zugrundeliegenden Tabakmaterials. Denn die Feuchtigkeitszugabe kann auch nachträglich ohne industrielle Verarbeitung erfolgen.

 

60          h) Bei der Begriffsbestimmung nach allein objektiven Kriterien mag Rauchtabak sehr weit verstanden werden. Für Art. 5 Abs. 1 Buchst. b TabStRL gäbe es dann nur einen begrenzten eigenständigen Anwendungsbereich, nämlich in dem Fall, dass der Tabak nicht zu Wasserpfeifentabak weiterverarbeitet werden kann. Diese Begriffsbestimmung von "Rauchtabak" führt jedoch nicht zu einer Aufgabe der Differenzierung verschiedener Tabakmaterialien, insbesondere im Verhältnis zum Tabakabfall. Denn der Begriff des "Tabakabfalls" stellt ein eigenes Tatbestandsmerkmal dar, das gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. b TabStRL neben der Raucheignung und der Aufmachung zum Einzelverkauf zu prüfen ist. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und b TabStRL sind mithin am Begriff "Abfall" zu differenzieren, denn die Raucheignung setzen beide Vorschriften voraus. Im Streitfall ist das FG ausdrücklich davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Tabakmaterialien kein Tabakabfall waren. Dies war zwischen den Parteien unstreitig.

 

61          5. Zudem ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts unklar, ob es sich bei der nachfolgenden Bearbeitung zu Wasserpfeifentabak um einen nichtindustriellen Vorgang handelt, aufgrund dessen die Raucheignung hergestellt wird. Dabei ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts darauf abzustellen, ob der Tabak zum Zeitpunkt der Sicherstellung durch leicht durchführbare Vorgänge, die keine industrielle Bearbeitung darstellen, rauchfertig gemacht werden könnte.

 

62          a) Nach dem EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 30 bezeichnet der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL verwendete Begriff "industrielle Bearbeitung" die üblicherweise in großem Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens stattfindende Umwandlung von Rohstoffen in materielle Güter. Standardisierung bedeutet, Verfahrensweisen, Typen, Maße oder Strukturen zu vereinheitlichen, um auf diese Weise Grundformen zu schaffen. Durch die individuelle Herstellung eines Produkts durch einen einzelnen Verbraucher ist jedoch eine Vereinheitlichung von Fertigungsverfahren grundsätzlich genauso wenig möglich wie eine Bearbeitung in großem Maßstab.

 

63          Demgegenüber stellen nach dem Urteil Eko-Tabak leicht durchführbare Vorgänge, die die Eignung einer unfertigen Tabakware zum Rauchen herbeiführen sollten ‑‑zum Beispiel indem ein Tabakstrang einfach in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werde‑‑, im Wesentlichen keine "industrielle Bearbeitung" dar (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 31). Unter diesen Umständen seien Tabakwaren, die rauchfertig seien oder durch nichtindustrielle Mittel leicht rauchfertig gemacht werden könnten, als ohne weitere "industrielle Bearbeitung" zum Rauchen geeignet anzusehen (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 32; ebenso EuGH-Urteil Skonis ir kvapas vom 16.09.2020 - C-674/19, EU:C:2020:710, Rz 39; ähnlich EuGH-Urteil f6 Cigarettenfabrik vom 14.03.2024 - C-336/22, EU:C:2024:226, Rz 33). Der EuGH scheint also bei der Einordnung eines Bearbeitungsverfahrens als nichtindustriell auch darauf abzustellen, ob es sich um einen einfachen oder leicht durchführbaren Vorgang handelt (EuGH-Urteil Eko-Tabak vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277, Rz 31; ebenso EuGH-Urteil Skonis ir kvapas vom 16.09.2020 - C-674/19, EU:C:2020:710, Rz 39).

 

64          b) Nach Ansicht des Generalanwalts N. Wahl in seinen Schlussanträgen im Eko-Tabak-Fall ist die Frage, ob der fragliche Tabak mit nichtindustriellen Mitteln unschwer verbrauchsfertig gemacht werden kann, aus einer funktionalen Perspektive zu betrachten. Insoweit stelle es keine industrielle Bearbeitung dar, wenn Raucher, ohne hierzu notwendigerweise über vorherige Fähigkeiten zu verfügen, zum eigenen Verbrauch geschnittenen oder anders zerkleinerten, gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak in ein rauchfertiges Erzeugnis umwandelten (Schlussanträge des Generalanwalts N. Wahl vom 15.12.2016 - C-638/15, EU:C:2016:962, Rz 39).

 

65          6. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts folgt aus diesen Grundsätzen, dass im Streitfall keine industrielle Verarbeitung erforderlich ist, damit der Tabak zum Rauchen geeignet ist. Die Bearbeitung von Tabak nach Anleitungen aus dem Internet erreicht nicht den Grad einer Standardisierung.

 

66          a) Im Streitfall legen zwar die Menge und die Verpackungsgrößen des Tabaks nahe, dass die D-Firma im großen ‑‑und damit wohl industriellen‑‑ Maßstab Wasserpfeifentabak herstellt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bearbeitung nicht nach einem standardisierten Verfahren hätte erfolgen sollen.

 

67          Allerdings ist, wie bereits zuvor dargelegt, nach Meinung des vorlegenden Gerichts nicht auf die konkret beabsichtigte Weiterverarbeitung durch die D-Firma abzustellen, sondern darauf, ob der Endverbraucher diesen Prozess zu Hause durchführen könnte. Denn aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL folgt, dass für die Qualifikation als Rauchtabak nicht allein auf die im konkreten Einzelfall geplante Weiterverarbeitung abzustellen ist, sondern auch andere Weiterverarbeitungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Im Internet finden sich Anweisungen dafür, wie man Wasserpfeifentabak als Endverbraucher gewissermaßen "mit Hausmitteln" herstellen könnte (zum Beispiel https://www.smokestars.de/blog/shisha-tabak-selber-machen-so-funktioniert-es; https://mixtobacco.com/shisha-magazin/shisha-tabak-selber-machen; https://www.shishadampf.de/blog/shisha-tabak-selber-machen-so-wird-er-richtig-gut). Danach läge wohl ‑‑entsprechend dem Eko-Tabak-Fall des EuGH, Urteil vom 06.04.2017 - C-638/15, EU:C:2017:277‑‑ keine industrielle Bearbeitung vor, weil eine Bearbeitung zu Hause durch den jeweiligen Endverbraucher nicht nach einem standardisierten Verfahren abläuft.

 

68          b) Zwar stellt sich aus Sicht des vorlegenden Gerichts der Herstellungsprozess von Wasserpfeifentabak aus Scraps nicht als einfach oder leicht durchführbar dar, weil mehrere Verarbeitungsschritte ‑‑Zerkleinern des Tabaks, Hinzufügen von Glycerin, Molasse und Aromastoffen, Aufkochen und so weiter‑‑ erforderlich sind, um das Endprodukt herzustellen. Diese Bearbeitung ist somit deutlich komplexer als der beispielhaft vom EuGH genannte leicht durchführbare Vorgang des Einführens eines Tabakstrangs in eine Zigarettenpapierhülse. Da diese Verarbeitungsschritte jedoch von den Konsumenten von Wasserpfeifentabak zu Hause und damit ohne eine Standardisierung durchgeführt werden können, geht der vorlegende Senat davon aus, dass die Scraps ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen geeignet sind.

 

69          Für dieses Ergebnis spricht auch der unterschiedliche Gesetzeswortlaut für Rauchtabak einerseits und für Tabakstränge für Zigaretten, in dem auf eine leicht durchführbare Verarbeitung abgestellt wird, andererseits. In Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL heißt es für Rauchtabak "ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet", während es in Art. 3 Abs. 1 TabStRL hinsichtlich Zigaretten heißt "b) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werden; [oder] c) Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt werden". Die ersten EuGH-Entscheidungen zum Steuergegenstand der vor der Tabaksteuerrichtlinie geltenden Richtlinien betrafen Tabakstränge, die dann als Zigaretten galten, wenn sie durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang fertiggestellt werden konnten (so EuGH-Urteil West Single Packs vom 10.11.2005 - C-197/04, EU:C:2005:672); bereits diese Vorgängerrichtlinien forderten explizit einen einfachen nichtindustriellen Vorgang (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 95/59/EG des Rates vom 27.11.1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1995, Nr. L 291, 40). Dementsprechend war für den EuGH eine einfache Handhabung zur Herstellung einer Zigarette maßgeblich. Anders ist es beim Rauchtabak, bei dem sich die Norm nicht zur Schwierigkeit der Herstellung äußert, sondern ausschließlich auf eine industrielle Bearbeitung, also ein standardisiertes Verfahren, abstellt.

 

70          Auch aufgrund des Erwägungsgrundes 2, des Gesundheitsschutzes, den die Tabaksteuerrichtlinie bezweckt, sieht das vorlegende Gericht in der Verarbeitung der streitgegenständlichen Scraps zu Wasserpfeifentabak eine nichtindustrielle Verarbeitung. Wenn solcher Tabak an Endverbraucher veräußert wird, die diesen Tabak nach einer entsprechenden Bearbeitung zu Hause rauchen, kann allein der Umstand, dass solche Bearbeitungsmethoden weitaus komplizierter sind als die bisher vom EuGH als einfach beurteilten Bearbeitungen, zu keiner anderen Einschätzung führen. Maßgeblich ist, ob der Endverbraucher das Herstellungsverfahren mit Hausmitteln für kleine Mengen nachahmen kann.

 

71          c) Im Ergebnis reicht damit nach Auffassung des vorlegenden Gerichts der Umstand, dass derartiger Tabak von den Konsumenten aufgrund einer konkreten Anleitung ‑‑zum Beispiel aus dem Internet‑‑ in einem mehrstufigen Verfahren in Wasserpfeifentabak transformiert werden kann und wird, nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a TabStRL aus, um den Ausgangsstoff als Rauchtabak einzustufen.

 

 

 

 

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