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Steuerrecht
25.08.2017
Steuerrecht
BFH: Ermittlung des Gewinns bei der Veräußerung von jungen Aktien nach Ausübung von Bezugsrechten aus sog. Altanteilen

BFH, Urteil vom 9.5.2017 – VIII R 54/14

ECLI:DE:BFH:2017:U.090517.VIIIR54.14.0

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2017-2022-1

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns einer Aktie, die durch die Ausübung eines Bezugsrechts erworben wurde, das von einer vor dem 1. Januar 2009 erworbenen und bereits steuerentstrickten Aktie abgespalten wurde, sind die Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG 2009 nicht mit 0 EUR, sondern in der tatsächlichen Höhe anzusetzen.

Sachverhalt

I. 

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung der D-AG erwarb der Kläger im Streitjahr (2010) junge Aktien der D-AG über die Ausübung von Bezugsrechten. Diese waren von Aktien abgespalten worden, die der Kläger bereits vor dem 1. Januar 2009 angeschafft hatte (sog. Altaktien). Die Anschaffungskosten der Bezugsrechte beliefen sich auf 7,20 EUR je Aktie. Noch im Streitjahr veräußerte der Kläger zehn der jungen Aktien und erzielte einen Veräußerungserlös in Höhe von insgesamt 410,35 EUR. Nach der Bescheinigung der Bank über den Wertpapierverkauf belief sich der Veräußerungsgewinn, bei dessen Ermittlung der Wert der Bezugsrechte unberücksichtigt blieb, auf 58,15 EUR.

Die Kläger beantragten in der Einkommensteuererklärung für 2010 die Überprüfung des Steuereinbehalts für Kapitalerträge gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Sie erklärten Kapitalerträge des Klägers in Höhe von insgesamt 135 EUR, darin enthalten der Gewinn aus der Veräußerung der jungen Aktien in Höhe von 58 EUR. Der Kläger minderte die Summe der Kapitalerträge um die Anschaffungskosten der Bezugsrechte für die zehn Aktien der D-AG in Höhe von 72 EUR (10 x 7,20 EUR), so dass er nach seiner Berechnung Kapitaleinkünfte in Höhe von insgesamt 63 EUR erzielte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 22. Juli 2011 einen Gewinn aus Aktienverkäufen in Höhe von 58 EUR und Kapitaleinkünfte in Höhe von insgesamt 135 EUR und legte nach Abzug des Sparer-Pauschbetrags die Kapitaleinkünfte der Besteuerung mit 0 EUR zugrunde. In dem geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 2. Oktober 2012 erhöhte das FA die Kapitaleinkünfte des Klägers auf 19.433 EUR. Den Gewinn aus der Veräußerung der Aktien legte es dabei unverändert in Höhe von 58 EUR der Besteuerung zugrunde. Das FA wies den hiergegen erhobenen Einspruch, mit dem die Kläger den Abzug der Anschaffungskosten der Bezugsrechte in Höhe von 72 EUR begehrten, unter Hinweis auf § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG und Rz 108 ff. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Dezember 2009 IV C 1-S 2252/08/10004 (BStBl I 2010, 94; aktuell BMF-Schreiben vom 18. Januar 2016 IV C 1-S 2252/08/10004:017, 2015/0468306, BStBl I 2016, 85) als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 209 veröffentlichen Urteil vom 23. Oktober 2014  10 K 3473/12 statt.

Hiergegen wendet sich die Revision des FA, der das BMF beigetreten ist. Das Urteil des FG verletze § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG. Danach sei bei der Gewinnermittlung des Aktienverkaufs nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile, der auf das Bezugsrecht entfalle, mit 0 EUR anzusetzen. Die Regelung gelte nach der Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG für alle Kapitalerträge, die dem Anteilseigner nach dem 31. Dezember 2008 zugeflossen seien. Maßgeblicher Zeitpunkt sei nach § 20 Abs. 4a Satz 6 EStG die Einbuchung in das Depot. Dies gelte nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz 108 unabhängig davon, ob die Altanteile vor dem 1. Januar 2009 oder nach dem 31. Dezember 2008 angeschafft worden seien. Ziel der gesetzlichen Regelung sei, das Besteuerungsverfahren zu vereinfachen. Der Gesetzgeber habe darauf reagiert, dass in der Praxis bei der Ermittlung des Bezugswerts gravierende Probleme aufgetreten seien. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn am ersten Handelstag ein Börsenkurs für das Bezugsrecht fehle, so dass eine Berechnung der Anschaffungskosten nach der Gesamtwertmethode nicht möglich sei. In diesen Fällen führe die rein rechnerische Ermittlung der Anschaffungskosten des Bezugsrechts zu unrealistischen Ergebnissen.

Das BMF schließt sich der Argumentation des FA an. Die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG sei verfassungsgemäß, so dass entgegen der Auffassung des FG eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht komme.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

 

II. 

7          Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 16. Dezember 2014 im Umfang des Tenors zu ändern (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

 

8          1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO bedarf.

 

9          a) Der im FG-Verfahren angefochtene Einkommensteuerbescheid und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung wurden während des Revisionsverfahrens durch den Änderungsbescheid vom 16. Dezember 2014 ersetzt. Damit liegen dem FG-Urteil nunmehr nicht mehr existierende Bescheide zugrunde, so dass es keinen Bestand haben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Mai 2013 VI R 28/12, BFHE 241, 200, BStBl II 2013, 737).

 

10        b) Der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 16. Dezember 2014 ist gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Es haben sich hinsichtlich der in Streit stehenden Punkte keine Änderungen ergeben. Die Beteiligten haben auch keine weitergehenden Anträge gestellt. Es bedarf danach keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind. Sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43 [BB 2003, 1100]).

 

11        2. Die Revision des FA hat auch in der Sache Erfolg. Die Sache ist spruchreif. Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns des Klägers aus dem Verkauf der jungen Aktien der D-AG gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile, der auf das Bezugsrecht entfällt, nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 EUR, sondern mit den tatsächlichen Anschaffungskosten des Bezugsrechts in Höhe von 72 EUR anzusetzen ist (s. hierzu nachfolgend unter 3.). Der danach verbleibende Verlust in Höhe von 14 EUR kann aufgrund der Einschränkung der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verrechnet werden. Er ist mangels Verlustverrechnungsmöglichkeit im Streitjahr gemäß § 10d Abs. 4 EStG gesondert festzustellen (s. hierzu nachfolgend unter 4.).

 

12        3. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der jungen Aktien gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG sind die Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 EUR, sondern mit 72 EUR zu berücksichtigen.

 

13        a) Der Kläger erzielte durch den Verkauf der jungen Aktien der D-AG Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Da er die Aktien erst nach dem 31. Dezember 2008 erworben hatte, fällt der Veräußerungsgewinn unter das Regime der Abgeltungsteuer (§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG). Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 EStG ist gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Werden Bezugsrechte veräußert oder ausgeübt, die nach § 186 des Aktiengesetzes einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags begründen, wird gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile, der auf das Bezugsrecht entfällt, bei der Ermittlung des Gewinns nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG mit 0 EUR angesetzt. Die Regelung findet nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge Anwendung.

 

14        b) Zwar enthält der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG keine eindeutige Regelung zur Bewertung des Bezugsrechts bei der Veräußerung von jungen Aktien. Der Senat geht jedoch mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum (Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 821 f.; Jochum, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz Fa 56; Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 20 n.F. Rz 338; Hamacher/ Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 416; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 20 EStG Rz 588; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 20 Rz 162; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (D/P/M), Kommentar zum KStG und EStG, § 20 EStG, Rz 301b; Steinlein, Deutsches Steuer-Recht --DStR-- 2009, 509, 511) davon aus, dass die Einkünfteermittlungsvorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auch bei der Veräußerung von jungen Aktien Anwendung findet, die aufgrund der Ausübung eines Bezugsrechts erworben wurden. Da die Ausübung von Bezugsrechten selbst nicht unter den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG fällt (so Rz 110 des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94; aktuell BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, und die h.M. in der Literatur s. Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 820; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 55; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl., § 20 Rz 163; Schmitt-Homann, Betriebs-Berater --BB-- 2010, 351, 354; Bron/ Seidel, Deutsche Steuer-Zeitung 2009, 268, 275; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588; a.A. Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 416) und es somit nicht zu einer Gewinnermittlung nach § 20 Abs. 4 EStG kommen kann, ergibt die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf die Ermittlung des Gewinns aus einer späteren Veräußerung der durch Ausübung des Bezugsrechts erlangten Anteile bezieht (Jochum, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 56).

 

15        c) Entgegen der Auffassung des FA und des BMF findet die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG jedoch --trotz der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG-- keine Anwendung, wenn die veräußerten jungen Aktien aufgrund der Ausübung von Bezugsrechten erworben wurden, die von vor dem 1. Januar 2009 angeschafften Altanteilen abgespalten wurden, bei denen --wie im vorliegenden Fall-- die Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der am 1. Januar 1999 geltenden Fassung (EStG a.F.) zum Zeitpunkt der Veräußerung der jungen Aktien bereits abgelaufen war (so im Ergebnis auch Schmidt/ Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 163; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 57 ff.; Wüllenkemper, EFG 2015, 214; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), a.a.O., § 20 EStG, Rz 301b; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 354 f.). In diesem Fall sind bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns die tatsächlichen Anschaffungskosten des Bezugsrechts zu berücksichtigen.

 

16        aa) Eine Kapitalerhöhung gegen Einlage führt hinsichtlich der bereits bestehenden Anteile zu einer Substanzabspaltung zugunsten der aufgrund der Bezugsrechte erworbenen neuen Anteile. Die Substanzabspaltung hat zur Folge, dass Anschaffungskosten der bereits bestehenden Anteile den neuen Anteilen zuzuordnen sind; entsprechend mindern sich die Anschaffungskosten der Altanteile (Gesamtwertmethode). Der Gesellschafter erhält danach durch die "Verwässerung" seiner Beteiligung aufgrund der Kapitalerhöhung keinen weiteren Wertzuwachs der stillen Reserven seiner Anteile (BFH-Urteil vom 21. September 2004 IX R 36/01, BFHE 207, 543, BStBl II 2006, 12, m.w.N. [BB 2005, 136]; s.a. Hahne/Krause, DStR 2008, 1724, 1727; BTDrucks 16/10189, S. 50).

 

17        bb) Dies hat zur Folge, dass die Besteuerung der durch die Abspaltung von den Altanteilen auf die neuen Geschäftsanteile übergegangenen stillen Reserven nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. erfolgt, wenn die Altanteile vor dem 1. Januar 2009 angeschafft wurden (§ 52a Abs. 11 Satz 4 EStG). Waren die übergegangenen stillen Reserven aufgrund des Ablaufs der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. nicht mehr steuerbar, dürfen sie nicht lediglich aufgrund der Kapitalerhöhung bei einer Weiterveräußerung der jungen Aktien erneut steuerverhaftet werden (BFH-Urteil in BFHE 207, 543, BStBl II 2006, 12).

 

18        cc) Dies wäre jedoch der Fall, wenn bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der jungen Aktien die auf die Neuanteile übergegangenen Anschaffungskosten der Altanteile gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 EUR angesetzt würden. Die Regelung führte zu einer Besteuerung der bereits steuerentstrickten stillen Reserven der Altanteile (Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 823; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 59; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 20 Rz 162; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (D/P/M), a.a.O., § 20 EStG, Rz 301b; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588; Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 354; Hahne/ Krause, DStR 2008, 1724, 1727; Wüllenkemper, EFG 2015, 214; Meilicke, Der Betrieb --DB-- 2009, 476). Dagegen spricht aber, dass es sich bei der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG um eine Einkünfteermittlungsvorschrift handelt, die ein Besteuerungsrecht voraussetzt, jedoch kein Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte begründet (vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. Oktober 2016 VIII R 10/13, BFHE 255, 537, BStBl II 2017, 262 [BB 2017, 612]).

 

19        dd) Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG lediglich eine Erleichterung für die zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichteten Kreditinstitute (s. BTDrucks 16/10189, S. 50) und keinen Besteuerungstatbestand für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte schaffen wollte (s.a. Wüllenkemper in EFG 2015, 214). Die Regelung des § 20 Abs. 4a EStG sollte lediglich zu einer zeitlichen Verschiebung der Besteuerung führen (Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 822; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 416; s.a. BTDrucks 16/10189, S. 50). Dies setzt jedoch voraus, dass auch der Altanteil, von dem das Bezugsrecht abgespalten wird, stets und dauerhaft nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 52a Abs. 10 Satz 1 EStG steuerlich verstrickt ist, weil er nach dem 31. Dezember 2008 erworben wurde. Denn nur in diesem Fall führt der Ansatz des Bezugsrechts mit 0 EUR dazu, dass die Besteuerung der stillen Reserven auf den Veräußerungszeitpunkt der neuen Aktien verschoben wird, ohne dass dies zu einer insgesamt höheren Besteuerung des Anlegers führt.

 

20        ee) Zudem wollte der Gesetzgeber durch die Übergangsregelungen des § 52a Abs. 10 Satz 1, Abs. 11 Satz 4 EStG erkennbar verhindern, dass stille Reserven, die am 31. Dezember 2008 keiner Besteuerung mehr unterlagen, durch die Einführung der Abgeltungsteuer wieder steuerverstrickt werden. Der Finanzausschuss hat darauf im Zusammenhang mit § 20 Abs. 4a EStG auch ausdrücklich hingewiesen (BTDrucks 16/11108, S. 16, allerdings zu § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG). Mit dieser Zielsetzung stünde die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG bei der Bewertung von Bezugsrechten, die aus vor dem 1. Januar 2009 angeschafften Altaktien abgespalten wurden, in Widerspruch. Sie würde zur Durchbrechung der Bestandsschutzregeln des § 52a Abs. 10 Satz 1, Abs. 11 Satz 4 EStG führen (Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 823; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 57; Hahne/Krause, DStR 2008, 1724, 1727; Wüllenkemper, EFG 2015, 214; Meilicke, DB 2009, 476).

 

21        d) Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf Bezugsrechte, die aus vor dem 1. Januar 2009 angeschafften Aktien abgespalten wurden, ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten (so auch Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 57 ff.; Moritz/ Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), a.a.O., § 20 EStG, Rz 301b; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588; Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 355; Meilicke, DB 2009, 476; Wüllenkemper, EFG 2015, 214). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, rückwirkend auf bereits steuerentstrickte Vermögenspositionen zuzugreifen.

 

22        aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Unzulässigkeit von rückwirkenden Gesetzen verstößt eine Besteuerung gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit sie auf Vermögensgegenstände zugreift, die nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerentstrickt waren und bis zum Zeitpunkt der Verkündung der neuen gesetzlichen Regelung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können. Ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf liegt bereits dann vor, wenn der Steuerpflichtige in Form der steuerentstrickten stillen Reserven einen konkret vorhandenen Vermögensbestand im grundrechtlich geschützten Bereich erworben hat und durch die Schaffung eines neuen Besteuerungstatbestandes dieser nachträglich entwertet wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, Rz 65 ff. [StB 2011, 11]). Dies wäre vorliegend der Fall, wenn der auf das Bezugsrecht abgespaltene Teil von Aktien, für die die einjährige Haltefrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits abgelaufen war, bei der Veräußerung der jungen Aktien aufgrund einer Bewertung des Bezugsrechts gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 EUR wieder der Besteuerung unterliegen würden.

 

23        bb) Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, diese nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, sind nicht erkennbar. Die Regelung des § 20 Abs. 4a EStG sollte nach der Gesetzesbegründung dazu führen, die Abgeltungsteuer für Steuerpflichtige und quellensteuerabzugsverpflichtete Kreditinstitute praktikabel auszugestalten (BTDrucks 16/10189, S. 50; BTDrucks 16/11108, S. 16). Hieraus ergibt sich jedoch keine Rechtfertigung für den steuerlichen Zugriff auf steuerentstrickte stille Reserven aus Aktien, die vor dem 1. Januar 2009 angeschafft wurden. Ein solcher ist angesichts der durch § 32d Abs. 4 EStG geschaffenen Möglichkeit, den Steuereinbehalt im Festsetzungsverfahren überprüfen zu lassen und ggf. rückgängig zu machen, auch nicht erforderlich. Zwar mag die Ermittlung des tatsächlichen Werts der Bezugsrechte im Besteuerungsverfahren zu einem erheblichen Aufwand führen. Dies ist aber im Übergangszeitraum zur Abgeltungsteuer hinzunehmen, da nur auf diese Weise die eindeutige Trennung zwischen alten steuerentstrickten und neuen steuerverstrickten stillen Reserven erreicht wird (s.a. Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; Wüllenkemper, EFG 2015, 214). Die Schwierigkeit und Streitanfälligkeit der Feststellung der auf das Bezugsrecht entfallenden Anschaffungskosten der Altanteile rechtfertigen jedenfalls nicht die Besteuerung bereits steuerentstrickter Wertsteigerungen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 1).

 

24        e) Der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG steht dieser systematischen und verfassungsrechtlichen Auslegung nicht entgegen, weil er keine eindeutige Regelung zur Bewertung des Bezugsrechts bei der Veräußerung von jungen Aktien enthält (s. hierzu vorstehend unter II.3.b).

 

25        f) Da im vorliegenden Fall die veräußerten Aktien aufgrund der Ausübung von Bezugsrechten erworben wurden, die von vor dem 1. Januar 2009 erworbenen Aktien abgespalten wurden, bei denen die Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits abgelaufen war, sind bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf der jungen Aktien die Anschaffungskosten der Bezugsrechte entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 EUR, sondern in der tatsächlichen Höhe von 72 EUR zu berücksichtigen.

 

26        4. Der danach steuerlich zu berücksichtigende Verlust aus der Veräußerung der jungen Aktien der D-AG in Höhe von 14 EUR ist zwar nicht in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu berücksichtigen, wird jedoch gemäß § 10d Abs. 4 EStG vom FA gesondert festzustellen sein.

 

27        a) Der Ansatz der Anschaffungskosten der Bezugsrechte mit 72 EUR führt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG zu einem Verlust aus der Veräußerung der jungen Aktien in Höhe von 14 EUR. Dieser kann aufgrund der Einschränkung der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG und nicht mit den positiven Einkünften des Klägers aus Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 1 EStG verrechnet werden. Da der Kläger im Streitjahr keine Aktiengewinne erzielt hat, ist der verbleibende Verlust in Höhe von 14 EUR gemäß § 10d Abs. 4 EStG gesondert festzustellen.

 

28        b) Die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterfallen, nur aufgrund einer Bescheinigung i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG berücksichtigt werden dürfen, steht der Verlustverrechnung in den folgenden Veranlagungszeiträumen nicht entgegen. Die auszahlende Stelle ist aufgrund der von der Finanzverwaltung geäußerten Verwaltungsauffassung (s. Rz 108 des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94; aktuell BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85) davon ausgegangen, dass die Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns mit 0 EUR anzusetzen sind. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust aus der Veräußerung der jungen Aktien doppelt berücksichtigt wurde. Es wäre reiner Formalismus, in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG zu verlangen (Senatsurteil vom 20. Oktober 2016 VIII R 55/13, BFHE 256, 56, BStBl II 2017, 264 [RdF-Rechtsprechungsreport Lechner, RdF 2017, 168]).

 

29        5. Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Kläger zu 20 % und das FA zu 80 % (§ 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kostenverteilung ergibt sich nach dem Maße des Obsiegens bzw. Unterliegens, somit danach, in welchem Umfang der Klageantrag erfolgreich ist. Es ist auf den Unterschied zwischen der begehrten und der erreichten Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 2012 III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544). Die Kläger begehrten die Minderung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 72 EUR. Aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mindern sich diese lediglich um 58 EUR. Daraus ergibt sich eine Quote des Obsiegens der Kläger von 80 % gegenüber des Obsiegens des FA zu 20 %.

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