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Steuerrecht
24.04.2025
Steuerrecht
EuGH-SA: Erbringung von Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige nichtsteuerpflichtige Endkunden ...

GA Szpunar, Schlussanträge vom 10.4.2025 – C-101/24; Finanzamt Hamburg-Altona gegen XYRALITY GmbH, ECLI:EU:C:2025:266

Volltext BB-Online BBL2025-981-1

... durch eine in einem Mitgliedstaat ansässige Entwicklerin mobiler Apps über einen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen betriebenen Appstore

Schlussanträge

1. Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er im Fall von vor dem 1. Januar 2015 auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung von Computerprogrammen (mobilen Apps) und Zusatzleistungen über ein Portal (Appstore) anwendbar ist, mit der Folge, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Appstore betreibt, so behandelt wird, als hätte er diese Dienstleistungen vom Entwickler der App erhalten und an die Endkunden erbracht.

2. Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Ort einer fingierten Dienstleistung, die von einem Dritten an einen Steuerpflichtigen erbracht wird, der unter den in diesem Art. 28 genannten Voraussetzungen an der Erbringung von Dienstleistungen an in einem Mitgliedstaat ansässige Nichtsteuerpflichtige beteiligt ist, auf der Grundlage von Art. 44 der genannten Richtlinie bestimmt wird.

3. Art. 203 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Dritter, für dessen Rechnung ein Steuerpflichtiger handelt, der an der Erbringung von Dienstleistungen unter den in Art. 28 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen beteiligt ist, nicht deshalb Mehrwertsteuer schuldet, weil der Steuerpflichtige ihn mit seiner Zustimmung in seinen elektronisch an nichtsteuerpflichtige Endkunden übermittelten Kaufbestätigungen als Leistenden genannt und den Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat.

 

Aus den Gründen

Einleitung

1.        Die Vorschriften des Unionsrechts über die Mehrwertsteuer begründen eine Art juristische Fiktion für den Fall der „Dienstleistungskommission“, d. h., wenn ein Steuerpflichtiger an der Erbringung einer Dienstleistung durch eine andere Person beteiligt ist und im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Person handelt. In einem solchen Fall wird nämlich davon ausgegangen, dass der Kommissionär (der Auftragnehmer) und nicht der Kommittent (der Auftraggeber) die Dienstleistung an die Endkunden erbringt(2).

2.        Eine besondere Art von Dienstleistung ist die Bereitstellung von Computerprogrammen, eine Tätigkeit, die in ihrem Wesen dem Verkauf von Waren weitgehend ähnelt(3). Wie bei Waren erfolgt die Bereitstellung von Computerprogrammen an Endkunden häufig über Läden, wobei es sich im Fall von Computerprogrammen um virtuelle „Stores“ handelt, die rechtlich gesehen Vermittler bei der Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Schöpfern von Computerprogrammen (Entwicklern) und ihren Endkunden sind. Solche „Stores“ sind insbesondere auf dem Markt für sogenannte mobile Apps tätig, d. h. Computerprogramme, die für die Nutzung auf mobilen Geräten, also Smartphones, Tablets usw., bestimmt sind. Solche „Appstores“ werden oft von den Anbietern der Betriebssysteme für diese Geräte betrieben, aber die große Mehrheit der dort verkauften Apps stammt von unabhängigen Entwicklern.

3.        In dieser Situation stellt sich die Frage, ob es sich bei der Bereitstellung von Computerprogrammen auf diese Weise um eine Dienstleistungskommission handelt und ob damit die oben genannte juristische Fiktion darauf anwendbar ist, d. h., ob der Appstore hinsichtlich der über ihn bereitgestellten mobilen Apps als Leistender anzusehen ist. Dies ist aus zwei Gründen relevant. Erstens ist der Appstore als Leistender im Verhältnis zu den Endkunden für die korrekte Berechnung, Erhebung und Abführung der Mehrwertsteuer auf die von ihm vermittelten Umsätze verantwortlich. Zweitens wird nach dem vor dem 1. Januar 2015 geltenden, auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Recht der Leistungsort durch den Dienstleistungserbringer bestimmt, wenn der Dienstleistungsempfänger kein Steuerpflichtiger ist. Da die Erbringung von Dienstleistungen auf elektronischem Weg indessen ihrem Wesen nach potenziell grenzüberschreitend ist, bestimmt der Ort dieser Dienstleistungen auch die steuerliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sowie den Steuersatz.

4.        Unter dem Gesichtspunkt des ordnungsgemäßen Funktionierens des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist es in einer solchen Situation natürlich vorteilhaft, den Appstore als Leistenden zu betrachten, der als „Aggregator“ und direkter Erbringer der Dienstleistungen, die von verschiedenen Entwicklern mobiler Apps erbracht werden, die Identität der einzelnen Dienstleistungsempfänger besser kennt und von der Steuerverwaltung leichter zu kontrollieren ist. Nicht vorteilhaft ist dies jedoch unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Interessen der Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die App-Entwickler ansässig sind(4), und der Appstores selbst, die dadurch mit zusätzlichen Verpflichtungen belastet werden(5).

5.        Seit dem 1. Januar 2015 ist in den unionsrechtlichen Durchführungsbestimmungen detailliert geregelt, wie die oben beschriebene juristische Fiktion auszulegen und auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen, auch über sogenannte Appstores, anzuwenden ist. In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Frage, ob und inwieweit eine ähnliche Auslegung auf Sachverhalte anzuwenden ist, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind.

 Rechtlicher Rahmen

6.        Die Art. 28, 44, 45 und 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(6) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008(7) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) sehen vor:

„Artikel 28

Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.

Artikel 44

Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. …

Artikel 45

Als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. …

Artikel 203

Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.“

7.        Gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. c der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011(8) bezüglich des Ortes der Dienstleistung(9) wurde folgender Art. 9a in die Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 eingefügt:

„(1)      Für die Anwendung von Artikel 28 der Richtlinie [2006/112] gilt, dass[,] wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, davon auszugehen ist, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist, es sei denn, dass dieser Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt.

Damit der Anbieter der elektronisch erbrachten Dienstleistungen als vom Steuerpflichtigen ausdrücklich genannter Erbringer der elektronisch erbrachten Dienstleistungen angesehen werden kann, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:

a)      Auf der von jedem an der Erbringung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen beteiligten Steuerpflichtigen ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und der Erbringer dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen angegeben sein;

b)      auf der dem Dienstleistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung oder Quittung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und ihr Erbringer angegeben sein.

Für die Zwecke dieses Absatzes ist es einem Steuerpflichtigen nicht gestattet, eine andere Person ausdrücklich als Erbringer von elektronischen Dienstleistungen anzugeben, wenn er hinsichtlich der Erbringung dieser Dienstleistungen die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert oder die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.

(3)      Dieser Artikel gilt nicht für einen Steuerpflichtigen, der lediglich Zahlungen in Bezug auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen oder über das Internet erbrachte Telefondienste einschließlich VoIP-Diensten (Voice over Internet Protocol) abwickelt und nicht an der Erbringung dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen oder Telefondienste beteiligt ist.“

8.        Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013 gilt sie ab dem 1. Januar 2015.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

9.        Die XYRALITY GmbH, eine Gesellschaft deutschen Rechts, Klägerin in erster Instanz und Revisionsbeklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Xyrality), erbrachte in den Jahren 2012 bis 2014 Dienstleistungen in Form der Bereitstellung von Apps (Spielen) für mobile Geräte. Diese Bereitstellung erfolgte insbesondere über eine Plattform (Appstore), die von der Gesellschaft X mit Sitz in Irland(10) betrieben wurde. Endkunden konnten die genannten Spiele kostenlos herunterladen; für Verbesserungen und andere Zusatzleistungen musste jedoch bezahlt werden (sogenannte In‑App-Käufe). Diese Käufe wurden ebenfalls über den von X betriebenen Appstore getätigt. Beim Herunterladen der App wurden die Endkunden darüber informiert, dass Xyrality der Anbieter ist. Die In‑App-Käufe hingegen wurden tatsächlich auf der Plattform des Appstore getätigt, und es war das Unternehmen X, das den Kauf bestätigte und den Preis vereinnahmte. Erst in der Kaufbestätigung, die der Appstore den Endkunden übermittelte, wurde Xyrality angegeben.

10.      Xyrality sah sich zunächst gemäß Art. 45 der Richtlinie 2006/112 als Leistende an die Endkunden und Deutschland als Ort der Dienstleistungen an in der Union ansässige Nichtsteuerpflichtige an. Sie gab daher eine entsprechende Steuererklärung ab und entrichtete die geschuldete Mehrwertsteuer.

11.      Am 29. Januar 2016 reichte Xyrality jedoch eine Berichtigung ihrer Steuererklärung für die Jahre 2012 bis 2014 ein, in der sie angab, dass eine Dienstleistungskommission im Sinne von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 vorgelegen habe, dass Erbringer der Dienstleistungen an die Endkunden X gewesen sei und dass die Dienstleistungen daher (gemäß den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112) ausschließlich in Irland erbracht worden seien, so dass in Deutschland keine Mehrwertsteuer auf diese Dienstleistungen geschuldet worden sei.

12.      Das Finanzamt Hamburg-Altona (Deutschland), der Revisionskläger des Ausgangsverfahrens, erließ einen Steuerbescheid, in dem es die von Xyrality vorgenommene Berichtigung nicht berücksichtigte. Das Finanzamt vertrat nämlich die Auffassung, dass das Unternehmen X nur ein Vermittler und Xyrality der eigentliche Erbringer der Dienstleistungen an die Endkunden sei. Xyrality focht diesen Bescheid vor Gericht an.

13.      Mit Urteil vom 25. Februar 2020 gab das Finanzgericht Hamburg (Deutschland) Xyrality Recht. Das Finanzamt legte gegen dieses Urteil Revision beim vorlegenden Gericht ein.

14.      Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine deutsche Steuerpflichtige (Entwicklerin) vor dem 1. Januar 2015 eine Dienstleistung auf elektronischem Weg an im [Unions]gebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige (Endkunden) über einen Appstore einer irischen Steuerpflichtigen erbracht hat, Art. 28 der Richtlinie 2006/112 anzuwenden mit der Folge, dass die irische Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob sie diese Dienstleistungen von der Entwicklerin erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, weil der Appstore erst in den – den Endkunden erteilten – Bestellbestätigungen die Entwicklerin als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat?

2.      Bei Bejahung der Frage 1: Liegt der Ort der gemäß Art. 28 der Richtlinie 2006/112 fingierten, von der Entwicklerin an den Appstore erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 der Richtlinie 2006/112 in Irland oder gemäß Art. 45 der Richtlinie 2006/112 in Deutschland?

3.      Falls nach der Antwort auf die Fragen 1 und 2 die Entwicklerin keine Dienstleistungen in Deutschland erbracht hat: Besteht eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer gemäß Art. 203 der Richtlinie 2006/112, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E‑Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind?

15.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 7. Februar 2024 beim Gerichtshof eingegangen. Xyrality, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, die Rechtssache ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

 Würdigung

16.      Das vorlegende Gericht legt dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vor, von denen die erste offensichtlich die wichtigste ist. Ich werde diese Fragen in der Reihenfolge behandeln, in der sie gestellt wurden.

 Erste Vorlagefrage

17.      Die erste Vorlagefrage betrifft die Anwendbarkeit von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 im Ausgangsverfahren. Die Parteien streiten sowohl über die Auslegung der Bestimmung selbst als auch über die Relevanz von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 für diese Auslegung vor dem 1. Januar 2015. Bevor ich diese Frage prüfe, muss ich jedoch einige einleitende Bemerkungen machen.

 Einleitende Bemerkungen

18.      Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 unterliegen gegen Entgelt erbrachte Dienstleistungen der Mehrwertsteuer. Im Ausgangsverfahren erfolgten nur die In‑App-Käufe gegen Entgelt, während die Bereitstellung der App selbst kostenlos und daher als solche nicht zu besteuern war.

19.      Aus diesem Grund stützte sich im Ausgangsverfahren das erstinstanzliche Gericht bei seiner Auslegung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112, die vom vorlegenden Gericht weitgehend geteilt wird, auf die Merkmale der Käufe, die in der von Xyrality angebotenen App getätigt wurden. Es wies insbesondere darauf hin, dass die „in der App“ getätigten Käufe tatsächlich in separaten Fenstern stattfanden, die mit dem Logo des Appstores gekennzeichnet waren, und dass die Empfänger über die Identität des tatsächlichen Anbieters der im Rahmen dieser Käufe erbrachten Dienstleistungen, nämlich der Entwicklerin der App, erst in der ihnen vom Appstore per E‑Mail übermittelten Bestätigung informiert wurden.

20.      Ich bin jedoch der Ansicht, dass die etwaige Anwendung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 nicht nur im Zusammenhang mit den In‑App-Käufen und losgelöst von den Umständen der Bereitstellung der App selbst betrachtet werden kann. Und es wäre meines Erachtens völlig unlogisch, den Appstore als den Anbieter der In‑App-Käufe zu betrachten, während der Anbieter der App selbst, die über eben diesen Store heruntergeladen wird, ihre Entwicklerin ist. Auch der Zweck von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität erlauben es meines Erachtens nicht, In‑App-Käufe nur deshalb unterschiedlich zu behandeln, weil die Bereitstellung der App selbst gegen Entgelt oder kostenlos erfolgte.

21.      Die Dienstleistung in Form der In‑App-Käufe hängt nämlich vollständig von der Hauptdienstleistung der Bereitstellung der App selbst ab und ist eine Zusatzleistung zu dieser. Dementsprechend sind die Bereitstellung der App, ob gegen Entgelt oder kostenlos, und die Dienstleistung der In-App-Käufe meines Erachtens für Mehrwertsteuerzwecke als untrennbare Teile einer einzigen Dienstleistung zu behandeln, wobei die Hauptdienstleistung hier in der Bereitstellung der App besteht(11). Unter dem Gesichtspunkt von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 bedeutet dies, dass die Rolle der verschiedenen an dem Umsatz Beteiligten unter Berücksichtigung der Gesamtheit der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen – beginnend mit den Umständen der Bereitstellung der App selbst – zu beurteilen ist und nicht nur anhand der Umstände der Bereitstellung der Dienstleistung des In‑App-Kaufs(12).

22.      Daher bin ich nicht der Ansicht, dass für die Beurteilung der Anwendung der genannten Vorschrift Erwägungen wie der Zeitpunkt und die Art und Weise der Information der Endkunden über die Identität des Entwicklers einer App anlässlich der Dienstleistungen betreffend Einkäufe in dieser App entscheidend sind. Die Rechtsfrage im vorliegenden Fall ist nämlich allgemeinerer Natur und betrifft alle Dienstleistungen, die über Einrichtungen wie Appstores erbracht werden, darunter in erster Linie die Bereitstellung der Apps selbst(13).

23.      Ich schlage daher vor, davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 28 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er im Fall von vor dem 1. Januar 2015 auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung von Computerprogrammen (mobilen Apps) und Zusatzleistungen über ein Portal (Appstore) anwendbar ist, mit der Folge, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Appstore betreibt, so behandelt wird, als hätte er diese Dienstleistungen vom Entwickler der App erhalten und an die Endkunden erbracht.

 Auslegung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112

24.      Nach Art. 28 der Richtlinie 2006/112 gelten Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, als Erbringer dieser Dienstleistungen. Nach Ansicht des Gerichtshofs führt diese Vorschrift die juristische Fiktion zweier gleichartiger, nacheinander erbrachter Dienstleistungen ein, die der Vermittler zunächst vom Auftraggeber erhält und dann an den Endempfänger erbringt. Dies bedeutet für die Zwecke der Mehrwertsteuer eine fiktive Umkehrung der Rollen des Auftraggebers und des Auftragnehmers als Leistender bzw. Zahler(14). Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift und ihrem Charakter als juristische Fiktion ergeben sich einige Anhaltspunkte für ihre Auslegung in Bezug auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen, an denen Vermittler wie Appstores beteiligt sind.

25.      Ein Vermittler, der in der in Art. 28 der Richtlinie 2006/112 beschriebenen Weise handelt, wird manchmal als „nicht offengelegter Auftragnehmer“ (undisclosed agent) bezeichnet, obwohl es richtiger wäre, von einem „Auftragnehmer  eines nicht offengelegten Auftraggebers“ (agent of an undisclosed principal) zu sprechen(15).

26.      Die Nichtoffenlegung der Identität des Auftraggebers ist jedoch keine Voraussetzung für die Anwendung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112, so dass der Umstand, dass der App-Entwickler den Endkunden bekannt ist, es nicht ausschließt, dass der Appstore als Vermittler angesehen wird, der in der in dieser Vorschrift beschriebenen Art und Weise handelt.

27.      Erstens deutet nichts im Wortlaut von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 darauf hin, dass die Nichtoffenlegung der Identität des „Dritten“, für dessen Rechnung der Vermittler tätig wird, eine Voraussetzung für seine Anwendung ist. Zweitens hat der Gerichtshof im Urteil Fenix International(16) ein solches Erfordernis für die Anwendung der fraglichen Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber hinaus hat der Gerichtshof die Anwendung dieser Vorschrift auf die Vermittlung durch Verwertungsgesellschaften bei der Erteilung einer Lizenz zur öffentlichen Wiedergabe von Werken durch die betreffenden Rechteinhaber zugelassen(17), obwohl die Identität der Urheber dieser Werke doch häufig bekannt ist.

28.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass der Umstand, dass die Endempfänger einer über einen Appstore erbrachten Dienstleistung der Bereitstellung von Computerprogrammen (mobilen Apps) entweder vor oder nach der Erbringung der Dienstleistung über die Identität des Entwicklers der App informiert werden, der Anwendung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in dieser Situation nicht entgegensteht.

29.      Was die Beurteilung der Frage betrifft, ob ein Steuerpflichtiger im eigenen Namen handelt, hat der Gerichtshof entschieden, dass das mit einem bestimmten Fall befasste nationale Gericht dies auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen, insbesondere der Rechtsbeziehungen des Steuerpflichtigen zu seinen Kunden, zu bestimmen hat(18). Die vertraglichen Vereinbarungen spiegeln nämlich grundsätzlich die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Transaktionen wider, deren Berücksichtigung ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt, so dass die einschlägigen Vertragsbestimmungen ein Umstand sind, der bei der Feststellung, wer Erbringer und wer Begünstigter einer Dienstleistung im Sinne der Richtlinie 2006/112 ist, zu berücksichtigen ist(19).

30.      Es ist jedoch zu beachten, dass sich diese Ausführungen des Gerichtshofs auf Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 beziehen und nur bedeuten, dass die in dieser Vorschrift enthaltenen Vermutungen nach Ansicht des Gerichtshofs die tatsächlichen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien der von der Verordnung geregelten Vorgänge angemessen widerspiegeln(20).

31.      Was hingegen Art. 28 der Richtlinie 2006/112 selbst betrifft, so spiegelt er nicht genau die tatsächlichen Vertragsverhältnisse zwischen den einzelnen an der Dienstleistung beteiligten Parteien wider, da er, wie ich bereits erwähnt habe, eine juristische Fiktion für die Zwecke der Mehrwertsteuer schafft(21). Dies ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen durch Dritte tätig werden, so „behandelt [werden], als ob“ sie diese Dienstleistungen selbst erbracht hätten. Die tatsächlichen zivilrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien sehen also anders aus. Hätte der betreffende Steuerpflichtige die Dienstleistung tatsächlich selbst erbracht, wäre er nämlich lediglich ein weiteres Glied in der Leistungskette, und es bestünde keine Notwendigkeit, die in der fraglichen Vorschrift vorgesehene Fiktion anzuwenden.

32.      Art. 28 der Richtlinie 2006/112 verlangt lediglich, dass der Steuerpflichtige für Rechnung Dritter, aber in eigenem Namen tätig wird. Der Steuerpflichtige tritt also gegenüber den Dienstleistungsempfängern als er selbst auf und bestimmt die Regeln für die Begründung und Durchführung dieses Rechtsverhältnisses selbst. Dagegen übernimmt er weder die Verpflichtung zur Erbringung der Dienstleistung noch die Verantwortung für die Dienstleistung, da er in diesem Fall für eigene Rechnung und nicht für Rechnung eines Dritten handeln würde. Der Steuerpflichtige bleibt also ein Vermittler zwischen dem eigentlichen Leistungserbringer und dem Leistungsempfänger, und es wird nur für die Zwecke der Mehrwertsteuer fiktiv angenommen, dass er selbst die Leistung erbringt.

33.      Das Vorbringen der deutschen Regierung, wonach Art. 28 der Richtlinie 2006/112 auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation nicht anwendbar sei, überzeugt mich daher nicht, da die Empfänger der Dienstleistung der Bereitstellung der mobilen Apps in Wirklichkeit Verträge mit den Entwicklern dieser Apps abschließen und diese für das Funktionieren der Apps verantwortlich sind. Gerade darin besteht die Tätigkeit des Steuerpflichtigen (in diesem Fall des Appstores) für Rechnung Dritter (der App-Entwickler). Würde der Appstore mit den Nutzern dieser Apps Verträge abschließen und für das Funktionieren der Apps verantwortlich sein, würde er auf eigene Rechnung und nicht für Rechnung der Entwickler handeln. Die Argumentation der Bundesregierung würde dazu führen, dass die fragliche Bestimmung der Richtlinie 2006/112 bedeutungslos wird, da sie nach dieser Argumentation Sachverhalte regelte, die nicht existieren.

34.      Bei Dienstleistungen wie der Bereitstellung mobiler Apps über einen Appstore handelt der Appstore jedoch insoweit im eigenen Namen, als der Vorgang des Zugriffs auf die App durch die Empfänger vollständig innerhalb der App des Appstores(22) stattfindet, ohne dass auf eine Website oder eine andere Quelle der Entwickler der einzelnen Apps verwiesen wird. Es ist auch der Appstore, der einheitlich für alle bei ihm verfügbaren Apps die Bedingungen für einen solchen Zugriff festlegt. Darüber hinaus bietet der Appstore nicht den Zugang zu jeder beliebigen App, sondern nur zu solchen, die für ein bestimmtes Betriebssystem konzipiert und auf ihre Interoperabilität mit diesem System sowie auf ihre Sicherheit hin überprüft worden sind.

35.      Das Gleiche gilt für die Zusatzleistungen (In‑App-Käufe). Nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen fanden die In‑App-Käufe tatsächlich in einem separaten Fenster statt, das ein Fenster des Appstores war; die Nutzer wurden also von der App der Entwicklerin auf die App des Appstores weitergeleitet. Auch bei diesen Zusatzleistungen handelt der Steuerpflichtige, der den Appstore betreibt, also im eigenen Namen.

36.      Auch aus Sicht der Dienstleistungsempfänger handelt der Appstore in eigenem Namen. Eine Dienstleistung wie die Bereitstellung mobiler Apps wird vollständig elektronisch und in entmaterialisierter Form erbracht. Der Empfänger kann daher zwar Kenntnis davon haben, dass er eine App von einem bestimmten Entwickler erhält, aber er kennt weder die vertraglichen Vereinbarungen zwischen diesem Entwickler und dem Store noch den Weg, auf dem er Zugang zur App oder zu Zusatzleistungen erhält. Denn er bestellt die App nicht beim Entwickler, sondern lädt sie direkt aus dem Appstore herunter, in den der Entwickler sie zuvor hochladen muss. Die App ist mit dem Herunterladen aus dem Appstore, unabhängig von einer Kaufbestätigung oder einem späteren Tätigwerden des Entwicklers, unmittelbar nutzbar. Für den Empfänger ist damit der Store der unmittelbare Anbieter der App. Darüber hinaus nimmt der Appstore ein Entgelt für die Bereitstellung der App und bestätigt den Vertragsschluss. Gegenüber dem Empfänger tritt daher der Store als Leistender auf(23).

37.      Bei der Erbringung einer so spezifischen Art von Dienstleistung wie der Bereitstellung mobiler Apps über einen Appstore kommt die wirtschaftliche und technische Realität damit der Fiktion des Art. 28 der Richtlinie 2006/112 am nächsten. Die Anwendung dieser Vorschrift ist daher hier umso mehr gerechtfertigt.

38.      Die vorgenannte Vorschrift ist daher meines Erachtens so auszulegen, dass sie im Fall von vor dem 1. Januar 2015 auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung von mobilen Apps und Zusatzleistungen über einen Appstore anwendbar ist.

 Anwendung von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011

39.      Zur Erinnerung: Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 führt in Bezug auf elektronisch über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbrachte Dienstleistungen die Vermutung ein, dass ein entsprechender Vermittler in eigenem Namen, aber für Rechnung eines Dritten handelt, es sei denn, dass dieser Dritte ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird. Art. 28 der Richtlinie 2006/112 findet daher grundsätzlich auf solche Dienste Anwendung. Darüber hinaus ist diese Vermutung unwiderlegbar, wenn die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, d. h., wenn der Vermittler die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert oder die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.

40.      Wie ich bereits oben(24) ausgeführt habe, findet Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 nach Art. 3 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013 seit dem 1. Januar 2015 Anwendung. Es ist daher nicht möglich, diese Bestimmung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anzuwenden, der einen Zeitraum vor diesem Datum erfasst.

41.      Ebenso wenig kann jedoch dem Vorbringen des Finanzamts im Ausgangsverfahren gefolgt werden, wonach aus dem Umstand, dass die fragliche Bestimmung im streitigen Zeitraum nicht in Kraft war, gefolgert werden kann, dass Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in Bezug auf diesen Zeitraum grundlegend anders auszulegen ist, als es sich aus Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ergibt. Die letztgenannte Vorschrift ändert oder ergänzt nämlich nicht die genannte Richtlinienvorschrift, sondern legt lediglich die Art und Weise ihrer Durchführung fest. Die von der Steuerbehörde vorgebrachte Argumentation a contrario ist daher hier nicht anwendbar.

42.      Der Gerichtshof hat Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 in der Rechtssache Fenix International eingehend geprüft, in der er die Gültigkeit dieser Vorschrift im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 28 der Richtlinie 2006/112 untersucht hat.

43.      In jenem Urteil hat der Gerichtshof insbesondere festgestellt, dass die in Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 enthaltene Vermutung nicht die Art der in Art. 28 der Richtlinie 2006/112 aufgestellten Vermutung ändert, sondern sich darauf beschränkt, diese durch vollständige Integration im spezifischen Kontext der Dienstleistungen zu konkretisieren, die elektronisch erbracht werden(25). Mit anderen Worten: Bereits auf der Grundlage des genannten Art. 28 der Richtlinie 2006/112 und ohne dass es einer Bezugnahme auf Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 bedurft hätte, d. h. auch vor deren Inkrafttreten, war die Vermutung gerechtfertigt, dass ein Appstore, der die Bereitstellung mobiler Apps vermittelt, in eigenem Namen, aber für Rechnung der Entwickler dieser Apps handelt.

44.      Dagegen hat der Gerichtshof in Bezug auf Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 insbesondere festgestellt, dass ein Vermittler unter den dort genannten Umständen die Möglichkeit hat, einseitig wesentliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Dienstleistung festzulegen, und dass er daher in Anbetracht der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität, die sich in ihnen widerspiegelt, als Dienstleistungserbringer im Sinne von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 anzusehen ist. Der Gerichtshof hat weiter festgestellt, dass Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, der eine unwiderlegbare Vermutung einführt, dass der Vermittler unter den dort genannten Umständen in eigenem Namen handelt, den durch Art. 28 der Richtlinie geschaffenen Regelungsgehalt nicht verändert, sondern sich darauf beschränkt, dessen Anwendung für den besonderen Fall der in Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung genannten Dienstleistungen zu konkretisieren(26).

45.      Der Gerichtshof hat daher den Regelungsgehalt von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 mit der vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung vorzunehmenden Auslegung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in Bezug auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen, u. a. über Appstores, gleichgesetzt.

46.      Im Kontext des vorliegenden Falls ist festzustellen, dass, sobald der Entwickler die mobile App in den Appstore hochlädt, der diesen Shop betreibende Steuerpflichtige, wie im Ausgangsverfahren das Unternehmen X, (1) die Erbringung der Dienstleistung der Bereitstellung dieser App und der Zusatzleistungen (In‑App-Käufe) genehmigt, (2) die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert und (3) die allgemeinen Bedingungen der Erbringung dieser Dienstleistung festlegt. Demnach sind alle in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 aufgeführten Voraussetzungen für die Unwiderlegbarkeit der Vermutung, dass er im eigenen Namen handelt, erfüllt(27). Auch wenn dieser Art. 9a selbst nicht auf für vor dem 1. Januar 2015 eingetretene Sachverhalte anwendbar ist, bestätigt sein Wortlaut die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112, wonach ein Steuerpflichtiger, der – wie im Ausgangsverfahren das Unternehmen X – einen Appstore betreibt, als Erbringer einer Dienstleistung der Bereitstellung mobiler Apps im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, und zwar unabhängig davon, dass die Endempfänger dieser Dienstleistung die Identität der Entwickler der Apps kennen(28).

 Antwort auf die Frage

47.      Nach alledem schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 28 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er im Fall von vor dem 1. Januar 2015 auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung von Computerprogrammen (mobilen Apps) und Zusatzleistungen über ein Portal (Appstore) anwendbar ist, mit der Folge, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Appstore betreibt, so behandelt wird, als hätte er diese Dienstleistungen vom Entwickler der App erhalten und an die Endkunden erbracht.

 Zweite Vorlagefrage

48.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 28 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass der Ort einer fingierten Dienstleistung, die von einem Dritten an einen Steuerpflichtigen erbracht wird, der unter den in diesem Art. 28 genannten Voraussetzungen an der Erbringung von Dienstleistungen an in einem Mitgliedstaat ansässige Nichtsteuerpflichtige beteiligt ist, auf der Grundlage von Art. 44 der Richtlinie 2006/112 oder auf der Grundlage ihres Art. 45 zu bestimmen ist.

49.      Wie ich bereits oben(29) dargelegt habe, schafft Art. 28 der Richtlinie 2006/112 die juristische Fiktion zweier aufeinander folgender Dienstleistungen, von denen die erste von einem Dritten (dem Auftraggeber) an einen Steuerpflichtigen (den Auftragnehmer) und die zweite von diesem an den Endkunden erbracht wird.

50.      Die erste dieser Dienstleistungen, eine fiktive Dienstleistung, ist per Definition eine Dienstleistung, die an einen Steuerpflichtigen erbracht wird(30). Der Ort einer solchen Dienstleistung wird nach den üblichen Regeln auf der Grundlage von Art. 44 der Richtlinie 2006/112 bestimmt, wonach dieser Ort grundsätzlich der Sitz des Steuerpflichtigen ist. Dagegen kann die zweite Dienstleistung, die tatsächliche Dienstleistung, sowohl an Steuerpflichtige als auch an Nichtsteuerpflichtige erbracht werden. Beim Sachverhalt des Ausgangsverfahrens dürfte in den allermeisten Fällen Letzteres der Fall sein, da davon auszugehen ist, dass es sich bei den Empfängern der Dienstleistung betreffend die in einer mobilen Spiele-App getätigten Käufe im Allgemeinen um Verbraucher, d. h. um nicht mehrwertsteuerpflichtige Personen, handelt. In einem solchen Fall bestimmt sich der Ort der Dienstleistung nach der vor dem 1. Januar 2015 geltenden Rechtslage und bei Dienstleistungen an Personen, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, nach Art. 45 der Richtlinie, wonach dieser Ort grundsätzlich der Sitz des Dienstleistungserbringers ist(31). Beim Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist daher der Ort beider Dienstleistungen Irland, der Sitz der Gesellschaft X.

51.      Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob im Ausnahmefall der Anwendung von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 der Ort der ersten fiktiven Dienstleistung nicht so zu bestimmen ist, als ob sie vom Auftraggeber unmittelbar an die Endkunden erbracht worden wäre, die in diesem Fall in der Regel Nichtsteuerpflichtige sind. Dieser Ort würde daher für die in einem Mitgliedstaat ansässigen Empfänger auf der Grundlage von Art. 45 der genannten Richtlinie bestimmt und läge in Deutschland, wo Xyrality ihren Sitz hat.

52.      Ebenso wie die Verfahrensbeteiligten, die sich in der vorliegenden Rechtssache geäußert haben, einschließlich der deutschen Regierung, bin ich der Ansicht, dass eine so gestellte Frage zu verneinen ist.

53.      Gemäß Art. 28 der Richtlinie 2006/112 wird davon ausgegangen, dass der Auftragnehmer vom Auftraggeber eine Dienstleistung erhalten hat, die er dann an den eigentlichen Empfänger weitergibt. Diese erste Leistung ist also fiktiv in dem Sinne, dass sie nicht der tatsächlichen Beziehung zwischen den betreffenden Parteien entspricht. Aus mehrwertsteuerlicher Sicht muss diese Leistung jedoch als bestehend und steuerpflichtig behandelt werden. Weder aus Art. 28 noch aus den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 noch aus einer anderen Bestimmung dieser Richtlinie geht hervor, dass der Ort dieser Leistung anders zu bestimmen ist als der Ort anderer Dienstleistungen. Da es sich um eine Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen handelt, bestimmt sich ihr Ort nach Art. 44 der genannten Richtlinie. Es gibt nämlich keine Grundlage für eine andere Bestimmung dieses Ortes.

54.      Die Annahme der vom vorlegenden Gericht vorgeschlagenen These könnte dagegen zu erheblichen Komplikationen führen.

55.      Nach der vor dem 1. Januar 2015 geltenden Rechtslage besteht der Unterschied zwischen Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 lediglich darin, dass nach der erstgenannten Bestimmung der Ort einer Dienstleistung der Ort ist, an dem der Dienstleistungsempfänger seinen Sitz hat (alternativ der Ort der Niederlassung oder des Wohnsitzes), während nach der letztgenannten Bestimmung der Ort der Dienstleistung der Ort ist, an dem der Dienstleistungserbringer seinen Sitz hat (alternativ der Ort der Niederlassung oder des Wohnsitzes). Die Anwendung der einen oder der anderen Bestimmung stellt für die ordnungsgemäße Erhebung und Einziehung der Steuer keine übermäßigen Schwierigkeiten dar.

56.      Art. 28 der Richtlinie 2006/112 sollte jedoch sowohl vor als auch nach dem 1. Januar 2015 in gleicher Weise ausgelegt werden. Nach diesem Datum gilt als Ort elektronisch erbrachter Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige nicht der Ort des Sitzes des Dienstleistungserbringers, sondern der Ort des Wohnsitzes des Dienstleistungsempfängers(32). Da elektronisch erbrachte Dienstleistungen naturgemäß an Personen erbracht werden können, die in verschiedenen Mitgliedstaaten oder außerhalb des Unionsgebiets ansässig sind, muss der Dienstleister diese Dienstleistungen jedes Mal nach dem Wohnsitz der einzelnen Dienstleistungsempfänger besteuern. Handelt der Dienstleistungserbringer nicht selbst, sondern über einen Vermittler, der auf seine Rechnung, aber im eigenen Namen handelt, hat er keinen direkten Kontakt zu den Dienstleistungsempfängern, so dass die Berechnung und Abführung der Mehrwertsteuer erheblich erschwert werden und mit erheblichen Fehlern behaftet sein könnte.

57.      Dieses Problem wird dadurch gelöst, dass auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen nach dem 1. Januar 2015 Art. 28 der Richtlinie 2006/112 angewandt wird, der die Verpflichtung zur Erhebung und Abführung der Mehrwertsteuer auf den Auftragnehmer verlagert, d. h. auf den Steuerpflichtigen, der die Transaktion direkt mit den Endkunden abschließt und über die Informationen verfügt, die für die korrekte Besteuerung dieser Transaktionen erforderlich sind. Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber in Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 spezifische Bestimmungen festgelegt(33).

58.      Würde man dem Vorschlag des vorlegenden Gerichts folgen, den Ort der fiktiven Dienstleistung des Auftraggebers an den Auftragnehmer so zu bestimmen, als handele es sich um eine unmittelbar an die eigentlichen Dienstleistungsempfänger erbrachte Dienstleistung, so würden diese Vorteile zunichtegemacht und der Zweck von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 in Frage gestellt. Dies ist ein zusätzliches Argument dafür, dass der Ort dieser fiktiven Dienstleistung nach den allgemeinen Vorschriften über den Ort von Dienstleistungen an Steuerpflichtige bestimmt werden sollte.

59.      Ich schlage daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass Art. 28 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass der Ort einer fingierten Dienstleistung, die von einem Dritten an einen Steuerpflichtigen erbracht wird, der unter den in diesem Art. 28 genannten Voraussetzungen an der Erbringung von Dienstleistungen an in einem Mitgliedstaat ansässige Nichtsteuerpflichtige beteiligt ist, auf der Grundlage von Art. 44 dieser Richtlinie zu bestimmen ist.

 Dritte Vorlagefrage

60.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 203 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass ein Dritter, für dessen Rechnung ein Steuerpflichtiger handelt, der an der Erbringung von Dienstleistungen unter den in Art. 28 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen beteiligt ist, Mehrwertsteuer schuldet, weil der Steuerpflichtige ihn mit seiner Zustimmung in seinen elektronisch an nichtsteuerpflichtige Endkunden übermittelten Kaufbestätigungen als Leistenden genannt und den Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat.

61.      Gemäß Art. 203 der Richtlinie 2006/112 wird die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

62.      Nach ständiger Rechtsprechung soll diese Vorschrift der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann(34). Sie kommt folglich zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Adressat der in Rede stehenden Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann(35). Dementsprechend ist Art. 203 der Richtlinie 2006/112 nur für eine Steuerschuld anwendbar, die über die Steuer hinausgeht, die nach den allgemeinen Vorschriften über die Entstehung des Steueranspruchs geschuldet wird(36).

63.      Mit anderen Worten erhöht diese Vorschrift die Steuerforderung über den Betrag der tatsächlichen Steuerschuld nach den materiellen Bestimmungen hinaus. Sie sollte daher eng ausgelegt werden(37).

64.      Gemäß diesem Erfordernis der engen Auslegung hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 203 der Richtlinie 2006/112 nicht anwendbar ist, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil die fraglichen Rechnungen an Nichtsteuerpflichtige ausgestellt wurden und diese daher per definitionem nicht zum Vorsteuerabzug auf diesen Rechnungen berechtigt sind(38).

65.      Eine ähnliche Situation liegt im Ausgangsverfahren vor. Wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, handelt es sich bei den Empfängern einer Dienstleistung betreffend Käufe in einer App wie einer mobilen Spiele-App in der Regel um Verbraucher und nur in ganz außergewöhnlichen Fällen um Steuerpflichtige, die in dieser Eigenschaft handeln. Es besteht daher keine Gefährdung des Steueraufkommens in Bezug auf das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die fälschlicherweise in einer Rechnung ausgewiesen wird; Art. 203 der Richtlinie 2006/112 ist nicht anwendbar.

66.      Das vorlegende Gericht vertritt jedoch die Auffassung, dass diese Bestimmung im Ausgangsverfahren Anwendung finden könnte, da eine Gefährdung des Steueraufkommens aufgrund eines negativen Zuständigkeitsstreits zwischen den Steuerbehörden in Deutschland und Irland bestehe, weshalb die Mehrwertsteuer letztlich in keinem der beiden Mitgliedstaaten erhoben würde. Damit macht das Gericht Xyrality für diese Situation verantwortlich.

67.      Ich teile diesen Standpunkt nicht. Wie ich bereits ausgeführt habe, erhöht Art. 203 der Richtlinie 2006/112 die Steuerschuld über die tatsächliche Steuerschuld hinaus und sollte daher eng ausgelegt werden. Seine Anwendung hängt mit der Ausweisung der Mehrwertsteuer in der Rechnung zusammen, die wiederum das Hauptinstrument ist, mit dem die Steuerpflichtigen ihr Recht auf Vorsteuerabzug nachweisen(39). Diese Bestimmung ist daher funktional mit dem Recht auf Vorsteuerabzug verknüpft und dient nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(40) dazu, eine Gefährdung des Steueraufkommens zu vermeiden, die sich aus einem zu hoch bemessenen Abzugsbetrag ergibt.

68.      Die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geschuldete Mehrwertsteuer in vollem Umfang erhoben wird, obliegt dagegen den Mitgliedstaaten. Diese Verpflichtung rechtfertigt es jedoch nicht, die Steuer in einem Mitgliedstaat, in dem sie nicht geschuldet wird, und bei einem Steuerpflichtigen, der sie nicht zu entrichten hat, zu erheben, nur weil die Steuer in einem anderen Mitgliedstaat und bei einer anderen Person nicht erhoben wurde. Meines Erachtens hat Xyrality ihre Mehrwertsteuerschuld korrekt, wenn auch verspätet, bestimmt, und es ist Sache der betreffenden Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Steuer korrekt zu erheben.

69.      Aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass Art. 203 der Richtlinie 2006/112 nicht auf die Mehrwertsteuer anwendbar ist, die in den Bestellbestätigungen ausgewiesen ist, die ein Steuerpflichtiger, der an der Erbringung von Dienstleistungen unter den in Art. 28 der Richtlinie 2006/112 genannten Bedingungen beteiligt ist und einen anderen Steuerpflichtigen als Leistenden nennt, an nichtsteuerpflichtige Endkunden übermittelt.

70.      Darüber hinaus habe ich Zweifel, ob solche Bestätigungen als Rechnungen im Sinne von Art. 203 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden können, wie das vorlegende Gericht es tut(41).

71.      Im Urteil Finanzamt Österreich(42) hat der Gerichtshof zwar Eintrittskarten für einen Indoor-Spielplatz stillschweigend als Rechnungen anerkannt, um dann festzustellen, dass Art. 203 der Richtlinie 2006/112 aus den in Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen nicht anwendbar ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass eine Rechnung in erster Linie dazu dient, ein Recht auf Vorsteuerabzug nachzuweisen. Daher schreibt Art. 220 der Richtlinie 2006/112 grundsätzlich die Ausstellung einer Rechnung für Umsätze zwischen Steuerpflichtigen vor. Der Gerichtshof hat zwar zugelassen, dass ein anderes Dokument als die eigentliche Rechnung für die Zwecke der Anwendung von Art. 203 der genannten Richtlinie als Rechnung behandelt wird, doch gilt dies nur für Dokumente, die alle erforderlichen Angaben enthalten, damit die Steuerverwaltung des Mitgliedstaats feststellen kann, ob die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug im konkreten Fall erfüllt sind(43).

72.      Eine Bestellbestätigung oder ein anderes Dokument, das einem Nichtsteuerpflichtigen ausgestellt wird, ermöglicht dagegen keine Kontrolle des Rechts auf Vorsteuerabzug, da diese Person kein solches Recht hat. Ein solches Dokument ermöglicht auch keine wirksame Kontrolle der Steuerzahlung durch den Steuerpflichtigen, der das Dokument ausgestellt hat, da es sich im Besitz des Empfängers befindet und der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, eine Kopie des Dokuments anzufertigen und aufzubewahren. Ich bin daher der Auffassung, dass solche Dokumente für die Zwecke der Anwendung von Art. 203 der Richtlinie 2006/112 nur dann als Rechnungen behandelt werden sollten, wenn das Unionsrecht die Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung vorsieht, d. h., wenn auch nur potenziell ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht.

73.      Schließlich bin ich nicht davon überzeugt, dass in der von Art. 28 der Richtlinie 2006/112 erfassten Situation der Auftraggeber als die Person anzusehen ist, „die [die Mehrwertsteuer] in einer Rechnung ausweist“, wenn die angebliche Rechnung vom Auftragnehmer ausgestellt wird, auch wenn der Auftraggeber darin mit seiner Zustimmung als Erbringer der Dienstleistung angegeben ist. Da der Auftragnehmer in eigenem Namen handelt und die Kontrolle über die wesentlichen Gesichtspunkte der Dienstleistung hat(44), kann nämlich davon ausgegangen werden, dass es der Auftragnehmer ist, der in eigenem Namen den Erhalt und die Erfüllung der Bestellung bestätigt. Art. 203 der Richtlinie schreibt nicht vor, dass der Aussteller der Rechnung der eigentliche Dienstleister sein muss; es kann sich um „jede Person“ handeln.

74.      Ich schlage daher vor, die dritte Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass Art. 203 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass ein Dritter, für dessen Rechnung ein Steuerpflichtiger handelt, der an der Erbringung von Dienstleistungen unter den in Art. 28 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen beteiligt ist, nicht deshalb Mehrwertsteuer schuldet, weil der Steuerpflichtige ihn mit seiner Zustimmung in seinen elektronisch an nichtsteuerpflichtige Endkunden übermittelten Kaufbestätigungen als Leistenden genannt und den Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat.

 Ergebnis

75.      Nach alledem schlage ich vor, die vom Bundesfinanzhof (Deutschland) gestellten Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

er im Fall von vor dem 1. Januar 2015 auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung von Computerprogrammen (mobilen Apps) und Zusatzleistungen über ein Portal (Appstore) anwendbar ist, mit der Folge, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Appstore betreibt, so behandelt wird, als hätte er diese Dienstleistungen vom Entwickler der App erhalten und an die Endkunden erbracht.

2.      Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

der Ort einer fingierten Dienstleistung, die von einem Dritten an einen Steuerpflichtigen erbracht wird, der unter den in diesem Art. 28 genannten Voraussetzungen an der Erbringung von Dienstleistungen an in einem Mitgliedstaat ansässige Nichtsteuerpflichtige beteiligt ist, auf der Grundlage von Art. 44 der genannten Richtlinie bestimmt wird.

3.      Art. 203 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

ein Dritter, für dessen Rechnung ein Steuerpflichtiger handelt, der an der Erbringung von Dienstleistungen unter den in Art. 28 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen beteiligt ist, nicht deshalb Mehrwertsteuer schuldet, weil der Steuerpflichtige ihn mit seiner Zustimmung in seinen elektronisch an nichtsteuerpflichtige Endkunden übermittelten Kaufbestätigungen als Leistenden genannt und den Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat.


1      Originalsprache: Polnisch.


2      Vgl. im Einzelnen Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge.


3      In seinem Urteil vom 3. Juli 2012, UsedSoft (C‑128/11, EU:C:2012:407), hat der Gerichtshof sogar die Auffassung vertreten, dass die Bereitstellung von Computerprogrammen in immaterieller Form nach dem Recht des geistigen Eigentums mit dem Verkauf von materiellen Gegenständen identisch sein kann. Auf der Grundlage der Mehrwertsteuervorschriften ist eine solche Gleichsetzung jedoch nicht möglich, da diese Vorschriften eine sehr strenge Definition der Lieferung von Gegenständen enthalten. Die Bereitstellung von Computerprogrammen, jedenfalls in immaterieller Form, die jetzt die Regel ist, sollte daher als eine Dienstleistung behandelt werden.


4      Dieser Aspekt ist nunmehr hauptsächlich von historischem Interesse, da seit dem 1. Januar 2015 elektronisch erbrachte Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige in der Regel am Wohnsitz des Dienstleistungsempfängers besteuert werden. Er kann jedoch die Position der deutschen Regierung im vorliegenden Fall erklären.


5      Auf diese Interessendivergenz wird von S. Claessens und T. Corbett hingewiesen, Intermediated Delivery and Third-Party Billing: Implications for the Operation of VAT Systems around the World, in: Lang, M., Lejeune, I. (Hrsg.), VAT/GST in a Global Digital Economy, Kluwer Law International, Alphen aan den Rijn, 2015.


6      ABl. 2006, L 347, S. 1.


7      ABl. 2008, L 44, S. 11.


8      Durchführungsverordnung des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Neufassung) (ABl. 2011, L 77, S. 1).


9      ABl. 2013, L 284, S. 1.


10      Das vorlegende Gericht verwendet den Anfangsbuchstaben „X“ als Bezeichnung für den Betreiber des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Appstores. Er ist nicht mit dem Betreiber zu verwechseln, der unter der Marke X Dienstleistungen der Informationsgesellschaft anbietet.


11      Es kann natürlich auch sein, dass die App keine In‑App-Käufe vorsieht oder dass die Empfänger diese nicht tätigen. Dann allerdings – wenn die App selbst kostenlos ist – stellt sich die Frage der Mehrwertsteuer entweder überhaupt nicht, oder die Konfiguration der an dem Umsatz beteiligten Unternehmen ist ganz anders als im vorliegenden Fall (z. B. wenn die Bereitstellung der App durch Werbung finanziert wird, die während ihrer Nutzung angezeigt wird).


12      Diese Frage hat auch weitere Auswirkungen im Bereich der Mehrwertsteuer, zum Beispiel in Bezug auf das Recht auf Abzug der im Rahmen der Produktionskosten einer den Endnutzern anschließend kostenlos zur Verfügung gestellten App gezahlten Steuer. Dies würde den Rahmen der vorliegenden Schlussanträge sprengen, aber es lohnt sich, diese Fragen zusammenhängend zu behandeln.


13      Ergänzend möchte ich anmerken, dass die vorstehenden Ausführungen nicht nur für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2015 gelten, sondern auch für Sachverhalte, die nach diesem Datum eingetreten sind, sowie für die Frage der etwaigen Anwendung von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 auf diese Sachverhalte.


14      Vgl. Urteile vom 14. Juli 2011, Henfling, Davin, Tanghe (C‑464/10, EU:C:2011:489, Rn. 35), und vom 28. Februar 2023, Fenix International (C‑695/20, im Folgenden: Urteil Fenix International, EU:C:2023:127, Rn. 54 am Ende und die dort angeführte Rechtsprechung). Was der Gerichtshof damit meint, ist, dass ein Vermittler, der in Wirklichkeit eine Vermittlungsleistung für den Erbringer der Hauptleistung erbringt, zum Empfänger dieser Leistung wird, für die er einen fiktiven Preis „zahlt“, und in Wirklichkeit den vom Endempfänger dieser Hauptleistung gezahlten Preis, gegebenenfalls vermindert um eine Vermittlungsspanne, weitergibt.


15      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑305/03, EU:C:2005:110, Nr. 41).


16      Rn. 87.


17      Urteil vom 21. Januar 2021, UCMR – ADA (C‑501/19, EU:C:2021:50, Nr. 2 des Tenors).


18      Urteil Fenix International (Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Urteil Fenix International (Rn. 72).


20      Zum Inhalt von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 vgl. Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.


21      Vgl. Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge.


22      Funktional gesehen ist auch der Appstore eine App.


23      Anders kann es sich möglicherweise verhalten, wenn der elektronische Weg nur für den Abschluss eines Vertrags über die Erbringung einer materiellen Dienstleistung (z. B. Unterbringung, Immobilienvermietung oder Beförderung) verwendet wird. In einem solchen Fall steht der Empfänger nämlich in direktem Kontakt mit dem betreffenden Dienstleistungserbringer.


24      Vgl. Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Rn. 70.


26      Urteil Fenix International (Rn. 83 bis 86).


27      Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht kumulativ, so dass die Erfüllung einer dieser Voraussetzungen ausreicht, um die Vermutung unwiderlegbar zu machen.


28      Wie Xyrality zu Recht hervorhebt, lässt der Gerichtshof bei der Auslegung der Richtlinie 2006/112 eine Bezugnahme auf die in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbaren Bestimmungen der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 als Auslegungshinweise zu (vgl. Urteil vom 15. November 2012, Leichenich, C‑532/11, EU:C:2012:720, Rn. 32).


29      Vgl. Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge.


30      Da der Auftragnehmer gemäß Art. 28 der Richtlinie 2006/112 nur ein Steuerpflichtiger sein kann.


31      Hingegen gilt für elektronische Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige mit Wohnsitz außerhalb des Unionsgebiets Art. 59 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2006/112 in der vor dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung, wonach als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz dieser Personen gilt.


32      Vgl. derzeitiger Art. 58 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112.


33      Vgl. Erwägungsgründe 1 bis 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013.


34      Urteil vom 8. Dezember 2022, Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:968, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


35      Urteil vom 8. Dezember 2022, Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:968, Rn. 21).


36      Vgl. entsprechend Urteil vom 8. Dezember 2022, Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:968, Rn. 23).


37      Vgl. entsprechend Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:657, Nrn. 25 und 26).


38      Urteil vom 8. Dezember 2022, Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlich in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:968, Rn. 24 und 25).


39      Sie stellt die „Eintrittskarte für das Recht zum Vorsteuerabzug“ dar, wie es Generalanwalt Sir G. Slynn beschrieben hat (Schlussanträge des Generalanwalts Slynn in den verbundenen Rechtssachen Jeunehomme und EGI, 123/87 und 330/87, EU:C:1988:274, S. 4534; vgl. Terra, B., Kajus, J., A Guide to the European VAT Directives, IBFD 2024, Bd. 1, S. 1326).


40      Vgl. Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge.


41      Generalanwältin J. Kokott vertrat in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) (C‑378/21, EU:C:2022:657, Nr. 29) jedoch eine andere Auffassung zu dieser Frage.


42      Urteil vom 8. Dezember 2022 (C‑378/21, EU:C:2022:968).


43      Urteil vom 29. September 2022, Raiffeisen Leasing (C‑235/21, EU:C:2022:739, Tenor).


44      Vgl. Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge.

 

 

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