FG Düsseldorf: Einordnung eines vollautomatisch betriebenen Hochregallagers als Gebäude oder als Betriebsvorrichtung
FG Düsseldorf, Urteil vom 19.9.2013 - 11 K 211/12 BG
Aus den Gründen
I. Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Einheitswertbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Das Finanzamt hat das Hochregallager einschließlich Vorzone zu Unrecht als Gebäude bewertet.
Das Betriebsgrundstück der Klägerin ist gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BewG wie Grundvermögen zu bewerten. Nach § 68 Abs. 1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile sind.
Für die Abgrenzung zwischen Gebäuden und Betriebsvorrichtungen ist vom Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören. Deshalb kann ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 18.03.1987 II R 222/84, BStBl II 1987, 551 unter Hinweis auf das Urteil vom 25.03. 1977 III R 5/75, BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594 mit weiteren Nachweisen).
Ein Bauwerk ist als Gebäude anzusehen, wenn es nicht nur fest mit dem Grund und Boden verbunden, von einiger Beständigkeit und ausreichend standfest ist, sondern es muss auch Menschen oder Sachen durch räumliche Umschließung Schutz gegen Witterungseinflüsse gewähren und den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestatten (BFH-Urteil vom 28.05.2003 II R 41/01, BStBl. II 2003, 693, BFHE 202, 376 unter Hinweis auf BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie vom 30. Januar 1991 II R 48/88, BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618). Alle Bauwerke, die sämtliche dieser Begriffsmerkmale aufweisen, sind ausnahmslos als Gebäude zu behandeln (BFH-Urteil vom 13. Juni 1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612).
Dabei dürfen die einzelnen Flächen, welche den Aufenthalt von Menschen erlauben, im Verhältnis zum Ganzen nicht von untergeordneter Bedeutung sein (BFH-Urteil vom 14.11.1975 III R 150/74, BStBl. II 1976, 198). Diesbezüglich ist nicht nur auf die Größenverhältnisse der jeweils maßgebenden Bauteile abzustellen, sondern auch auf die Nutzungsintensität (BFH-Urteil vom 14.11.1975, a.a.O.).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze stellt das Hochregallager nebst Vorzone kein Gebäude sondern eine Betriebsvorrichtung dar.
1. Die Eigenschaft als Gebäude ist deshalb nicht gegeben, weil das Hochregallager nicht den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet.
Nach dem Inhalt der Akten und aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung steht fest, dass das vollautomatisch betriebene Hochregallager während des laufenden Betriebs von Menschen nicht betreten werden kann und aufgrund der automatisiert ablaufenden Ein- und Auslagerungsvorgänge auch nicht betreten werden darf. Das betriebliche Transport- und Lagersystem schaltet sich ab, sobald von der Vorzone, dem einzig möglichen Zugang, die Türe zum Hochregallagerraum geöffnet wird. Im Bereich des Regallagers selbst befinden sich außer den dem automatisierten Warentransport dienenden Lagergassen keinerlei Wartungs- und Beobachtungsgänge, auf denen sich Menschen ungestört durch das interne Transportsystem aufhalten können. Soweit sich Menschen zeitweilig außerhalb des Betriebsablaufs zu Wartungs-, Inspektions- und Reparaturarbeiten in dem Bauwerk (Lagerbereich) aufhalten, also während einer Betriebspause, ist dieser nur für kurze Zeitspannen mögliche Aufenthalt von untergeordneter Bedeutung (so schon BFH-Urteil vom 18.03.1987 II R 222/84, BStBl. II 1987, 551 zu einem vollautomatischen Hochregallager).
2. Anders als im eigentlichen Regallagerbereich ist zwar in der Vorzone wegen der neben dem Transportsystem verbliebenen Raumflächen der nicht nur vorübergehende Aufenthalt von Menschen möglich.
a) Gleichwohl führt dies nicht dazu, den aus dem Hochregallagerbereich und der Vorzone bestehenden Bauwerkskomplex insgesamt als Gebäude im Sinne des Bewertungsgesetzes anzusehen. Hier greift die oben erwähnte BFH-Rechtsprechung (BStBl. II 1976,198), wonach es nötig ist, dass der Teil des Bauwerks, der zum Aufenthalt von Menschen geeignet ist, nicht nach Größenverhältnis und Nutzungsintensität von untergeordneter Bedeutung ist. In Bezug auf Größenverhältnisse ist die von der Rechtsprechung praktizierte 10 % Grenze als im Steuerrecht vertretene Erheblichkeitsschwelle zu berücksichtigen (vergleiche zu dieser Grenze etwa BFH-Urteil vom 21.09.2011, I R 89/10, BFHE 235, 263 unter Hinweis auf BFH Beschluss vom 07.04.2011 IV B 157/09, BFH/NV 2011, 1392).
Nach Maßgabe beider Kriterien ist die Vorzone (einschließlich ihrer Zwischenebene) als Räumlichkeit von untergeordneter Bedeutung anzusehen.
Hinsichtlich der Größenverhältnisse liegt die Vorzone unstreitig deutlich unter 10 % der Gesamtfläche (je nach Berechnungsart 7 % bzw. sogar nur 1,87 %).
Auch die Nutzungsintensität der Vorzone spricht nur für eine untergeordnete Bedeutung. Die Zone wird lediglich zur Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten aufgesucht. Die Steuerung des gesamten Hochregallagers, welche als eine intensive und prägende Nutzung angesehen werden könnte, erfolgt von einem anderen Raum aus, der etwa 200 m vom Regallager- und Vorzonenbereich entfernt liegt und dessen Bewertung hier nicht strittig ist.
b) Die Vorzone selbst ist außerdem nicht als (eigenständiges) Gebäude einzuordnen. Insoweit fehlt es an der für den Gebäudebegriff nötigen eigenen räumlichen Umschließung. Die Vorzone befindet sich zusammen mit dem Hochregallager in einem Bauwerk. Die tragenden Außenwände sind sowohl Umschließungen des Hochregallagerbereiches als auch des Vorzonenbereiches. Die Trennung im Inneren durch den Metallgitterzaun (Klägerschriftsatz vom 03.09.2013 i.V.m. der Anlage 1, insbesondere auch den Anlagen 20 - 23), welcher ohnehin keinerlei tragende Funktion aufweist, ist nur wenig mehr als „mannshoch". Infolge der durch die Vorzone verlaufenden Förderbänder für die Hänge- und die Liegeware ist die Vorzone zudem funktionstechnisch untrennbar mit dem eigentlichen Hochregallagersystem verbunden.
3. Die bautechnisch separate Konstruktion des Hochregallagersystems einerseits und des sie sowie die Vorzone umschließenden Bauwerks andererseits (die Außenwände sind keine Umwandungen, die notwendiger Bestandteil der Betriebsvorrichtung "Hochregallagersystem" sind, vergleiche hierzu BFH-Urteil vom 13.06.1969 III 17/65, BStBl. II 1969, 517 - Förderturm als Betriebsvorrichtung) führt entgegen der Ansicht des Finanzamtes nicht zur Bejahung der Gebäudeeigenschaft.
a) Der BFH hat seinerzeit einen in Stahlbetonbauweise errichteten Förderturm als Betriebsvorrichtung angesehen, da seine Außenwände zum größten Teil ausschließlich als Tragscheiben zur Betriebsvorrichtung gehörten. Damit habe die Fläche der Außenwände des gesamten Bauwerks größtenteils aus Umwandungen bestanden, die notwendiger Bestandteil der Betriebsvorrichtungen seien. Denke man sich von der gesamten Umschließung den Teil der Außenwände weg, der ausschließlich und unmittelbar zu einer Betriebsvorrichtung gehöre, so würde die Umschließung unzweifelhaft in sich zusammenfallen, d.h. sie wären nicht mehr standfest im Sinne der Begriffsbestimmung des Gebäudes. Die Umschließung erfülle damit nicht alle Merkmale des Gebäudebegriffs. Dementsprechend sei der ganze Förderturm einschließlich der von seinen Außenwänden gebildeten Umschließung als Betriebsvorrichtung zum beweglichen Betriebsvermögen zu rechnen.
Abweichend von diesem Sachverhalt, welcher der vorerwähnten BFH-Entscheidung vom 13.06.1969 zu Grunde lag, kann im Streitfall die für eine Gebäudeeigenschaft nötige Standfestigkeit des die Betriebsvorrichtung umschließenden Bauwerks zwar nicht infrage gestellt werden. Dies führt aber gleichwohl nicht zu der Annahme der Gebäudeeigenschaft des das Regalsystem umschließenden Bauwerkes.
Entscheidend für die Bewertung sind stets die tatsächlichen Verhältnisse. Zu diesen tatsächlichen Verhältnissen gehört im Streitfall das im Betrieb befindliche vollautomatische Hochregallagersystem. Aufgrund dieser tatsächlichen Verhältnisse müssen alle Kriterien erfüllt sein, die den Gebäudebegriff ausfüllen.
Nach diesen Grundsätzen sind zwar die feste Verbindung mit dem Grund und Boden, die Standfestigkeit sowie die räumliche Umschließung des Bauwerks gegeben.
Das Bauwerk gestattet aber bei laufendem Betrieb unabhängig davon, ob zwischen der Regalanlage und der äußeren Bauwerkshülle eine konstruktive, bautechnisch bedingte Verbindung in Gestalt einer untrennbaren Einheit besteht oder nicht besteht, aus den oben aufgezeigten Gründen keinen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen. Damit ist nach wie vor ein wesentliches Gebäudemerkmal nicht erfüllt.
b) Die Argumentation des Beklagten, bei dem Bauwerk handele es sich um ein Gebäude, in dem eine (übergroße) Betriebsvorrichtung untergebracht sei, beruht offensichtlich auf der Vorstellung, den Streitfall mit den Fällen gleich zu behandeln, bei denen in Lagergebäuden kleinere Betriebsvorrichtungen installiert sind. In derartigen Fällen ist infolge der verbleibenden freien Raumflächen der nicht nur vorübergehende Aufenthalt von Menschen möglich und die Gebäudeeigenschaft demnach zu bejahen.
Der Senat folgt dieser Ansicht für den Streitfall aus zweierlei Gründen nicht.
Zum einen würde diese Betrachtungsweise nicht den tatsächlichen sondern einen anderen fiktiven Sachverhalt erfassen.
Zum anderen läuft eine solche Argumentation letztlich darauf hinaus, den Gebäudebegriff über die Verkehrsauffassung zu korrigieren. Das aber hat die Rechtsprechung stets abgelehnt (BFH-Urteil vom 18.03.1987 a.a.O. unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 13.06.1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612 sowie in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517 und in BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594).
c) Soweit der Beklagte die Annahme der Gebäudeeigenschaft damit begründet, dass nach Herausnahme der Hochregalanlage der die Anlage umgebende Baukörper im gesamten Umfang unverändert vorhanden ist, kann der Senat dieser Überlegung zur Bejahung der Gebäudeeigenschaft ebenfalls nicht zustimmen. Auch diese Betrachtungsweise erfasst nicht den tatsächlichen sondern einen anderen fiktiven Sachverhalt.
II. Die Übertragung der Berechnung des festzustellenden Einheitswerts beruht auf § 100 Abs. 2 S. 1 und 2 FGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Ausführungen oben unter I.3. zugelassen.