FG Münster: Einkommensteuererstattung aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit gehört nicht zur Insolvenzmasse
FG Münster, Urteil vom 27.9.2013 - 14 K 1917/12 AO
Sachverhalt
Streitig ist, ob ein Einkommensteuer(ESt)-Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört.
Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn X K (K ) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 21.12.2009 eröffnet. K betrieb sowohl vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen gewerblichen Dienstleistungsbetrieb. Mit Schreiben vom 22.12.2009 gab der Kläger die vorgenannte selbstständige Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 1, 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
"Insolvenzverfahren über das Vermögen des ...
hier: Freigabe selbstständige Tätigkeit
Sehr geehrter Herr K ,
in der vorgenannten Angelegenheit sind Sie unter der Anschrift ... selbstständig tätig. Geschäftsgegenstand sind Montagearbeiten, Sonstige Tätigkeiten und Arbeiten für andere Unternehmen. Diese selbstständige Tätigkeit gebe ich hiermit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO aus der Insolzvenzmasse zu Ihren Gunsten frei. Auf § 295 Abs. 2 InsO weise ich vorsorglich hin."
Die Freigabe wurde vom Insolvenzgericht am 23.12.2009 veröffentlicht. Das Unternehmen wurde zum 30.06.2010 abgemeldet.
Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einkünfte aus der freigegebenen gewerblichen Tätigkeit setzte der Beklagte mit Bescheid vom 09.12.2009, zuletzt geändert am 15.02.2011, für das I. bis III. Quartal 2010 jeweils ESt-Vorauszahlungen i.H.v. 278 € gegenüber K und seiner mit ihm zusammen zur ESt veranlagten Ehefrau fest. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Vorauszahlungen von dem Girokonto des K aus dessen insolvenzfreien Vermögen bezahlt wurden.
Die ESt 2010 für die Eheleute K wurde mit Bescheid vom 05.05.2011 auf null festgesetzt. Hierbei wurden Einkünfte des K aus Gewerbebetrieb i.H.v. 10.796 € und aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 8.880 € berücksichtigt. Für die Ehefrau des K wurden keine Einkünfte angesetzt.
Unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen i.H.v. 834 € und Säumniszuschlägen i.H.v. 18 € ergab sich ein Steuererstattungsanspruch i.H.v. 816 €. Mit Schreiben vom 09.06.2011, gerichtet an die Eheleute K , rechnete der Beklagte den Erstattungsanspruch in voller Höhe gegen Einkommensteuerrückstände 2009 auf.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 11.07.2011 die Auszahlung des ESt-Guthabens 2010 begehrt hatte, wurde am 07.03.2012 der streitgegenständliche Abrechnungsbescheid erlassen. Der Beklagte stellte hierin im Ergebnis fest, dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zustehe. Der sich aus der ESt-Veranlagung 2010 ergebende Erstattungsanspruch sei in Höhe von 18 € durch Umbuchung auf Säumniszuschläge zur ESt-Vorauszahlung IV. Quartal 2010 und in Höhe von 816 € durch Aufrechnung mit ESt-Schulden 2009 der Eheleute K erloschen. Zur Begründung heißt es weiter, der Erstattungsanspruch sei dem insolvenzfreien Vermögen zugerechnet worden, weil aus diesem auch die zur Erstattung führenden Vorauszahlungen geleistet worden seien. Dementsprechend stehe das Guthaben zur Verrechnung mit Insolvenzforderungen zur Verfügung, zumal Aufrechnungsverbote - insbesondere § 96 Abs. 1 Nr. 1-4 InsO - nicht einschlägig seien.
Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger wandte sich sodann an das Gericht und beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) für eine gegen den Abrechnungsbescheid noch zu erhebende Klage, die sich auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 834 € richten sollte. Der Senat gewährte dem Kläger mit Beschluss vom 08.10.2012 lediglich PKH, soweit sich die beabsichtigte Klage auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 417 € beziehen würde. Begründet wurde dies damit, dass der Erstattungsanspruch auf beide Ehegatten je zur Hälfte entfalle und der Kläger allenfalls hinsichtlich der Hälfte des K anspruchsberechtigt sein könne.
Der Kläger hat sodann mit dem Ziel der Feststellung eines Erstattungsanspruch von 417 € Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt.
Er ist der Auffassung, dass der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehöre. Nach § 35 InsO erfasse das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Folglich würden auch Steueransprüche, die ein Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens erlange, in die Insolvenzmasse fallen. Zu betonen sei in diesem Zusammenhang, dass etwaige Steuererstattungsansprüche von ihm - dem Kläger - auch nicht freigegeben worden seien. Nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO könne der Insolvenzverwalter lediglich Vermögen aus einer Tätigkeit freigegeben. Bei dem ESt-Erstattungsanspruch handele es sich nicht um Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis.
Der Kläger beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 dahingehend zu ändern, dass festgestellt wird, dass er Anspruch auf Erstattung der ESt 2010 in Höhe von 417 € hat,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er verweist darauf, dass die ESt-Vorauszahlungen in keinerlei Zusammenhang mit der „insolvenzverursachenden bisherigen Tätigkeit" stehen würden. In dem Vorauszahlungsbescheid sei nur der aus der freigegebenen Tätigkeit zu erwartende Gewinn berücksichtigt worden, nicht aber etwaige Gewinne/Verluste aus der insolvenzbehafteten Tätigkeit. Auch habe K die Vorauszahlungen aus seinem insolvenzfreien Vermögen bezahlt. Würde man den Erstattungsanspruch dennoch der Insolvenzmasse zurechnen, würde sich der Steuerpflichtige schlechter stellen, als wenn er die ESt-Vorauszahlungen gar nicht entrichtete hätte.
Der Einwand des Klägers, dass keine Freigabe vorliege, weil es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit" handele, überzeuge nicht. Denn zum einen seien die aufgrund der aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag vorbehaltlos freigegeben worden und zum anderen handele es sich auch bei ESt-Erstattungsansprüchen um Forderungen, die auf Geld gerichtet seien und damit Vermögen darstellen würden. Sei dieser Vermögensgegenstand, wie z.B. ein USt-Erstattungsanspruch, eindeutig auf die freigegebene Tätigkeit zurückzuführen, dann gehöre er nicht zur Insolvenzmasse.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegte Finanzamtsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Aus den Gründen
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist die Klagefrist gewahrt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist in den Fällen, in denen ein isolierter Antrag auf PKH gestellt worden ist, dem Kläger Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren, wenn dieser bis zum Ablauf der Klagefrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Erhebung der Klage geschaffen hat und er nach der --stattgebenden oder ablehnenden-- Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbehelfsfrist stellt (vgl. BFH, Beschluss vom 09.04.2013 - III B 247/11, BFH/NV 2013, 1112 m.w.N).
So verhält es sich auch hier. Der Kläger hat innerhalb der Klagefrist das PKH-Gesuch zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den entsprechenden Belegen eingereicht und die Gründe für die beabsichtigte Klage dargelegt. Außerdem hat er innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des PKH-Beschlusses vom 08.10.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 ist rechtmäßig.
Streitgegenstand sind dabei lediglich die Feststellungen des Abrechnungsbescheids, die sich auf die auf K entfallende Hälfte des Erstattungsanspruchs beziehen. Der Beklagte hat insoweit zu Recht festgestellt, dass dieser Erstattungsanspruch zum insolvenzfreien Vermögen gehört und durch Aufrechnung mit Steuerschulden des K erloschen ist.
Dass K ein ESt-Erstattungsanspruch für 2010 i.H.v. 417 € zustand, dass diesem Anspruch Steuerforderungen des Beklagten für ESt 2009 und Säumniszuschläge zur ESt IV. Quartal 2010 gegenüberstanden und dass die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 AO, §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs) vorlagen, ist weder fraglich noch streitig. Streitig ist vielmehr im Wesentlichen, ob der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört, mit der Folge, dass das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Anwendung kommt. Dies ist zu verneinen.
Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung.
Von der Insolvenzmasse ist zum einen der vorinsolvenzrechtliche Vermögensteil abzugrenzen und zum anderen das nicht zur Insolvenzmasse gehörende insolvenzfreie Vermögen. Letzteres entsteht dann, wenn der Insolvenzverwalter einen zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese fallenden Vermögensgegenstand freigibt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten, wonach der Insolvenzverwalter in den Fällen, in denen der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt, dem Schuldner gegenüber zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.
Im Streitfall hat der Kläger die gewerbliche Tätigkeit des K unmittelbar nach Insolvenzeröffnung, nämlich am 22.12.2009, freigegeben. Wird eine selbständige Tätigkeit freigegeben, gehören die Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen. Dies gilt auch für die Steuerschulden und Steuererstattungsansprüche, die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit stehen. Soweit der Kläger insoweit vorträgt, dass ein Insolvenzverwalter nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO lediglich „Vermögen aus einer Tätigkeit" freigeben könne und es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners" handele, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis, welchen er - der Kläger - gerade nicht frei gegeben habe, verkennt er die Reichweite der Freigabe. Wird die Freigabe - wie hier mit Schreiben vom 22.12.2009 - ohne Einschränkungen ausgesprochen, sind alle Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, freigegeben. Hierzu gehören zweifelsohne auch die Steuern, die auf die durch eine freigegebene Tätigkeit erzielten Umsätze und Gewinne entfallen, und daher - im Gegenzug - zugleich auch die Steuererstattungsansprüche, die sich durch eine Überzahlung der durch die insolvenzfreie Tätigkeit ausgelösten Steuern ergeben.
Für den Bereich der Umsatzsteuer hat der BFH bereits mehrfach entschieden, dass ein durch eine freigegebene Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt und vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden kann (BFH, Beschluss vom 01.09.2010 - VII R 35/08, BStBl II 2011, 336; Beschluss vom 23.08.2011 - VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115). Daran, dass diese Grundsätze auch für sonstige Steuerarten - insbesondere für die ESt - gelten, hat der Senat keinen Zweifel. Zu beachten ist in Bezug auf die ESt lediglich, dass der Erstattungsanspruch - je nach der Art der erzielten Einkünfte - ggfs. aufzuteilen ist in einen Teil, der zum insolvenzfreien Vermögen gehört, und einen Teil, der in die Insolvenzmasse fällt.
Der ESt-Erstattungsanspruch des K für das Jahr 2010 gehört in voller Höhe zum insolvenzfreien Vermögen, und zwar schon deshalb, weil die ESt auf null festgesetzt worden ist und die Überzahlung von insgesamt 834 € (davon 417 € für K ) ausschließlich auf den mit Bescheid vom 09.12.2009 angeforderten Vorauszahlungen zur ESt 2010 beruht, bei deren Berechnung nur die Einkünfte des K aus Gewerbebetrieb zu Grunde gelegt worden sind. Auf die im ESt-Bescheid 2010 vom 05.05.2011 ebenfalls angesetzten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des K sind dagegen keine Vorauszahlungen geleistet worden und es sind insoweit auch keine Steuern vom Lohn einbehalten worden.
Davon abgesehen wurden die Vorauszahlungen auch aus dem insolvenzfreien Vermögen des K bezahlt. Hier zeigt sich letztlich auch die Widersprüchlichkeit der Argumentation des Klägers. Denn dieser will nur in den Genuss der mit der freigegebenen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Steuererstattungsansprüche kommen, nicht aber zugleich auch die durch die freigegebene Tätigkeit ausgelösten Steuern zahlen. Es kann jedoch nicht richtig sein, dass der Insolvenzschuldner die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit festgesetzten Steuern aus seinem eigenen (insolvenzfreien) Vermögen bezahlen muss, er diese im Fall einer Überzahlung jedoch nicht wieder zurückerhält, sondern die überzahlten Beträge der Insolvenzmasse zu Gute kommen. Denn dies würde letztlich bedeuten, dass sich der Steuerpflichtige, der die durch die freigegebene Tätigkeit veranlassten Steuervorauszahlungen pflichtwidrig nicht begleicht (und infolgedessen auch nichts überzahlt), sich im Ergebnis besser stellt als derjenige, der seine Steuerpflichten ordnungsgemäß erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Eine ausdrückliche höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob ein ESt-Erstattungsanspruch, der in Zusammenhang mit einer aus dem Insolvenzbeschlag freigegebenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners steht, zum insolvenzfreien Vermögen gehört, liegt - soweit ersichtlich - bislang nicht vor.