FG Baden-Württemberg: Die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 GrEStG bei Anteilsvereinigung und Rückerwerb von Gesellschaftsanteilen
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.7.2024 – 5 K 1668/22
Volltext BB-Online BBL2025-1493-2
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 02.07.2021 nach § 16 Abs. 2 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) rechtmäßig ist.
Bei der Klägerin handelt sich um eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in der Stadt A.
Mit notariellem Vertrag vom 14.02.2020 (Notar XY in der Stadt B) hat die Klägerin einen Geschäftsanteil in Höhe von XXX € (16 % des Stammkapitals von XXX €) der Firma 1 (inzwischen umfirmiert zu Firma 2) mit Sitz in der Stadt A zu einem Kaufpreis von XXX € an die Firma 3 (inzwischen umfirmiert zu Firma 4) verkauft und sogleich an den Erwerber abgetreten. Die Abtretung stand unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung. Die Firma 1 hatte zum damaligen Zeitpunkt Grundbesitz (…). Die Klägerin hielt bis dahin sämtliche Geschäftsanteile an der Firma 1.
In der gleichen Urkunde wurde der Klägerin vom Erwerber, der Firma 3, das Recht eingeräumt, den Geschäftsanteil mit Wirkung zum 31.12.2025 zurück zu erwerben. Die Klägerin übte diese Option mit Wirkung zum 31.12.2025 sofort aus. Sodann wurde der verkaufte Anteil an die Klägerin zurück abgetreten. Diese nahm die Abtretung an. Auch diese Abtretung stand unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung. Weiter wurde vereinbart, dass die (Rück-)Abtretung erst wirksam werde, wenn für die (erste) Abtretung die aufschiebende Bedingung eingetreten sei. Als Kaufpreis wurden ebenfalls XXX € vereinbart. Zwischenzeitliche Wertänderungen des Geschäftsanteils sollten ausdrücklich nicht berücksichtigt werden.
In dem Vertrag wurde unter (…) geregelt, dass das Finanzamt der Stadt A – Körperschaftsteuerstelle eine beglaubigte Abschrift und das Finanzamt der Stadt C – Grunderwerbsteuerstelle, das Finanzamt der Stadt A – Grunderwerbsteuerstelle und das Finanzamt der Stadt D – Grunderwerbsteuerstelle jeweils eine einfache Abschrift der notariellen Urkunde erhalten soll.
Am 27.02.2020 ging eine einfache Abschrift des Vertrags beim Finanzamt der Stadt C ein (...). Auf dem Deckblatt hatte der Notar als Adressat lediglich das Finanzamt der Stadt C, ohne zusätzliche Bezeichnung eines Sachgebiets (z.B. Grunderwerbsteuerstelle), genannt. Das Finanzamt der Stadt C übersandte am 03.03.2020 den Vertrag an die Grundstückswertstelle des Finanzamts der Stadt E, welches diesen an das zuständige Finanzamt der Stadt F weiterleitete.
Mit Schreiben vom 14.05.2020 (eingegangen beim Beklagten am 26.05.2020) übersandte der Notar nach Telefonaten mit dem Beklagten vom 13. und 14.05.2020 zwei Anzeigen über Anteilsübertragungen (...).
Mit Bescheid vom 20.10.2020 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von XXX € fest. Durch Anteilsvereinigung (Vertrag vom 14.02.2020) seien mindestens 95 % der Anteile an der Firma 1 in einer Hand vereinigt worden. Der Erwerbsvorgang unterliege gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Die Grundbesitzwerte seien in Höhe von XXX € geschätzt worden.
Mit notariellen Vertrag vom XX.XX.2021 (...) erklärten die Klägerin und die Firma 3 in einer Änderungsvereinbarung zum notariellen Vertrag vom 14.02.2020, dass die Abtretung des Geschäftsanteils an der Firma 1 von der Firma 3 auf die Klägerin mit Wirkung zu dem Zeitpunkt als erfolgt (aufschiebende Bedingung) gelte, in welchem die Klägerin an die Firma 3 als weiteren Kaufpreis einen Betrag in Höhe von XXX € zahle. Insgesamt sei somit ein Gesamtkaufpreis in Höhe von XXX € zu zahlen. Dieser sei sofort zur Zahlung fällig.
Aufgrund der gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Grundbesitzwerte der von dem Vorgang betroffenen Grundstücke wurde der Grunderwerbsteuerbescheid am 02.07.2021 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert. Die Grunderwerbsteuer wurde nun in Höhe von XXX € festgesetzt. Der Beklagte ging dabei von Grundbesitzwerten in Höhe von XXX € aus.
Mit Schreiben vom 06.07.2021 beantragte der Klägervertreter den Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.07.2021 gemäß § 16 Abs. 2 GrEStG aufzuheben. Erwerbe der Veräußerer die Anteile an einer Kapitalgesellschaft zurück, so werde auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfinde. Der Veräußerer müsse das Eigentum an den Anteilen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zurückerworben haben. D. h. es müsse sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft wirksam rückgängig gemacht worden sein. § 16 Abs. 2 GrEStG sei auch dann anzuwenden, wenn allein die Rückabwicklung eines Erwerbsvorgangs zur Grunderwerbsteuerpflicht führe. Mit Vertrag vom XX.XX.2020 sei bereits das Verpflichtungsgeschäft des Rückerwerbs wirksam abgewickelt worden. Da die Abtretung unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen worden sei, sei der Rückerwerb zunächst noch nicht in vollem Umfang wirksam geworden. Die Abtretung und Erfüllung eines wirksamen Verfügungsgeschäfts sei nun mit Vertrag vom XX.XX.2021 durch eine Änderungsvereinbarung der Abtretung vorgenommen und der ursprüngliche Zustand in vollem Umfang innerhalb der Zweijahresfrist erreicht worden.
Mit Schreiben vom 20.07.2021 lehnte der Beklagte den Antrag nach § 16 Abs. 2 GrEStG auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 02.07.2021 ab. Durch Rückerwerb von 16 % der Anteile an der Firma 1 durch Vertrag vom 14.02.2020 sei der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht worden. Gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG werde bei einer Vertragsrückabwicklung die Steuer des Rückerwerbs und die des vorausgegangenen Erwerbsvorgangs nicht erhoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren nach Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerb stattfinde. Voraussetzung sei allerdings gemäß § 16 Abs. 5 GrEStG, dass der Erwerbsvorgang fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt worden war. Die Anzeige sei fristgerecht, wenn sie gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG innerhalb von zwei Wochen oder gemäß § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei bzw. vier Wochen nach Kenntnisnahme des Anzeigepflichtigen erstattet worden sei. Sie sei vollständig, wenn sie alle Angaben des § 20 GrEStG enthalte. Leider sei die Anzeige des Notars XY nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Anzeigefrist nach § 18 Abs. 3 GrEStG habe mit Ablauf des 28.02.2020 geendet. Innerhalb dieser Frist sei lediglich eine Vertragskopie, adressiert an das Finanzamt der Stadt C, ohne Zusatz Grunderwerbsteuer/Grundstückswertstelle und ohne die nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG erforderlichen amtlich vorgeschriebenen Vordrucke, eingegangen. Zwar genüge es auch, wenn sich eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle adressierte Anzeige nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richte. Dazu sei es jedoch erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem Grunderwerbsteuergesetz gekennzeichnet sei und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung – insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihrer grunderwerbsteuerrechtlichen Relevanz bedürfe – an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten sei (Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] von 23.05.2012 – II R 56/10, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2012, 1579).
Im vorliegenden Fall sei dies nicht gegeben gewesen, weshalb der Vertrag erst vom Finanzamt der Stadt C zum Finanzamts der Stadt E, Grundstückswertstelle, und dann erst zum zuständigen Finanzamt der Stadt F, (…), weitergeleitet worden sei. Aus diesem Grund habe sich eine Bearbeitungsverzögerung von drei Monaten ergeben, da der Notar XY erst nach der telefonischen Aufforderung durch den Beklagten die amtlich vorgeschriebenen Vordrucke am 14.05.2020 nachgereicht habe.
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13 Nr. 1 GrEStG habe außerdem auch für den Beteiligten selbst eine Anzeigepflicht bestanden. Jedoch sei auch eine solche Anzeige nicht erstattet worden.
Unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 16 Abs. 5 GrEStG, die Anzeigepflicht aus den §§ 18, 19 GrEStG zu sichern, hätte nur eine innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG vom Notar erstattete Anzeige, die fehlende Anzeige der Klägerin ersetzen können. Gerade in Fällen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG werde das Finanzamt nur dann frühzeitig in die Lage versetzt, die Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 1 Abs. 3 GrEStG zu prüfen, wenn der beurkundende Notar verpflichtet sei, den Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Wochen nach Beurkundung anzuzeigen.
Da der Erwerbsvorgang somit nicht vollständig angezeigt worden sei, stehe § 16 Abs. 5 GrEStG der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG entgegen.
Mit Schreiben vom 02.08.2021 (beim Beklagten am 04.08.2021 eingegangen) legte der Klägervertreter gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 02.07.2021 Einspruch ein, welchen der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 01.08.2022 als unbegründet zurückgewiesen hat.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage trägt der Klägervertreter vor, dass zum Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs das Finanzamt der Stadt A nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständig gewesen sei.
Den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anzeige genüge auch eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts adressierte Anzeige, die sich nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts richte. Dazu sei erforderlich, dass die Anzeige ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten sei (BFH-Urteil vom 23.05.2012 – II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579).
Die Auffassung des Beklagten, dass aufgrund der Gesetzesänderung die zitierte Rechtsprechung überholt sei, werde nicht geteilt. Durch die Gesetzesänderung seien zwar in der Vorschrift die Vorgaben „ordnungsgemäß“ durch „fristgerecht“ „und in allen Teilen vollständig“ ersetzt worden, allerdings sei der Sinn und Zweck der Vorschrift – Steuervermeidungsgestaltungen entgegenzutreten – nicht verändert worden. Die Änderung sei aus dem Grund erfolgt, dass ansonsten Anzeigen zur Rückgängigmachung hätten führen können, bei denen grundstücksbezogene Angaben gänzlich gefehlt hätten. Um den Aufwand der Ermittlung der grundstücksbezogenen Angaben von der Finanzverwaltung weg auf den Steuerpflichtigen zu verlagern, sei der Gesetzestext angepasst worden (Bundestagsdrucksache [BT-Drs.] 18/1529, S. 79). Sämtliche Kommentarliteratur zitiere weiterhin die Rechtsprechung, die sich auf die vorherige Gesetzesfassung begründet. Dies sei auch korrekt, da durch die Gesetzesänderung der Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geändert worden sei. Es sei lediglich die Beweispflicht verlagert worden. Die Gesetzesänderung sei eine Reaktion auf das BFH-Urteil vom 18.04.2012 (II R 51/11, Bundessteuerblatt Teil II [BStBl II] 2013, 830) gewesen und betreffe daher nur den Inhalt der Anzeige, nicht aber den Zeitpunkt.
Auskunftsgemäß habe der Notar nach der Verfügung in der Urkunde gleichzeitig mit den Abschriften an die Beteiligten am 19.02.2020 jeweils eine vollständige Abschrift der Urkunde vom 14.02.2020 an die Finanzämter der Stadt A, der Stadt C und der Stadt D übersandt. Der Notar habe an das Finanzamt der Stadt A, welches für die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständig gewesen sei, die Abschrift fristgerecht übersandt. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei die Anzeige dort eingegangen.
Dem Vertrag sei zu entnehmen, dass einfache Abschriften der Urkunde an die Grunderwerbsteuerstelle der Finanzämter zugesandt werden sollten. Der Poststelle des Finanzamtes sei es ohne inhaltliche Prüfung möglich gewesen, nur durch Überfliegen des Vertrages, zu erkennen, dass sich die Abschrift an die Grunderwerbsteuerstelle richte. Nach Auskunft des Notars habe zudem das Deckblatt, mit welchem die Abschriften übersandt worden seien, den Zusatz Grunderwerbsteuerstelle getragen.
Da die Einrichtung der (…) beim Finanzamt der Stadt F zum 01.03.2020 vorgenommen worden sei, habe es noch keine Pflicht zur Übersendung der Unterlagen an das Finanzamt der Stadt F gegeben.
Herr Notar XY habe den Erwerbsvorgang fristgerecht beim zuständigen Finanzamt der Stadt A angezeigt. Damit habe die ergänzend durchgeführte Benachrichtigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck vom 14.05.2020 an die (…) in der Stadt F durch den beurkundenden Notar sowie die Weiterleitung des Vertrages vom Finanzamt der Stadt C an das Finanzamt der Stadt E, mangels Zuständigkeit, keine schädlichen Auswirkungen.
Eine Anzeige sei dann ordnungsgemäß, wenn der Vorgang dem Finanzamt in einer Weise bekannt werde, dass es die Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 1 Abs. 3 GrEStG prüfen könne. Dazu müsse die Anzeige die einwandfreie Identifizierung von Veräußerer, Erwerber und Urkundsperson sowie der Gesellschaft ermöglichen. Der Anzeige seien auch die erforderlichen Angaben zu den jeweiligen Grundstücken zu entnehmen, was sich insbesondere aufgrund der Neuregelung der Vorschrift ergebe. Sei bei der Anzeige nicht der amtlich vorgeschriebene Vordruck verwendet worden, handele es sich hierbei nicht um eine fehlerhafte Anzeige im Sinne des § 16 Abs. 5 GrEStG (BFH-Urteil vom 18.04.2012 – II R 51/11, BStBl II 2013, 830).
Der Abschrift der Urkunde vom 14.02.2020 hätten alle erforderlichen Angaben entnommen werden können:
- auf Seite 1 und 2 der Abschrift seien der Veräußerer, Erwerber und die Urkundsperson zu entnehmen
- in Abschnitt I und II des Geschäftsanteilskauf- und –abtretungsvertrags sei dargestellt worden, dass der neu gebildete Geschäftsanteil Nr. 3 der Firma 1 übertragen worden sei
- mit der Anlage 1 zur notariellen Urkunde sei eine Grundstücksliste des Grundbesitzes der Firma 1 beigefügt gewesen, welcher die Gemarkung, Adresse und Flurstücksnummer habe entnommen werden können
Die Übersendung der Abschrift des Vertrages stelle somit eine vollständige Anzeige dar, welche die notwendigen Angaben enthalten habe. Dem Finanzamt der Stadt A sei es daher durch die vom Notar erstattete Anzeige möglich gewesen, zu überprüfen, ob es sich um einen nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang handele. Der Klägerin sowie dem Notar könne daher nicht vorgeworfen werden, dass das Finanzamt nicht in die Lage versetzt werden sollte, frühzeitig die Verwirklichung des Tatbestandes prüfen zu können.
Dem Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG sei zudem genüge getan, wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten die Anzeige im vorbenannten Umfang erstattet (BFH-Urteil vom 18.04.2012 – II R 51/11, BStBl II 2013, 830).
Da der Notar bereits wenige Tage nach Verwirklichung des Erwerbsvorgangs seiner Verpflichtung nachgekommen sei, ergebe sich keine weitere Anzeigepflicht für die Klägerin.
Es könne jedoch dahingestellt bleiben, ob die Anzeige letztlich überhaupt fristgerecht beim Finanzamt der Stadt A eingegangen oder ob sie auf dem Postweg verloren gegangen sei. Denn § 16 Abs. 5 GrEStG finde aus Vertrauensschutzgründen keine Anwendung, wenn die Anzeige jedenfalls bis zum Ergehen des Grunderwerbsteuerbescheids und vor dem Abschluss des Aufhebungsvertrags nachgeholt werde (BFH-Beschluss vom 17.03.2006 – II B 157/05, BFH/NV 2006, 1341).
Die Veräußerungsanzeigen des Notars seien unstreitig mit Schreiben vom 14.05.2020 am 26.05.2020 beim Beklagten eingegangen und damit vor Erlass des ursprünglichen und des geänderten Grunderwerbsteuerbescheides vom 20.10.2020 bzw. 02.07.2021 nachgeholt worden. Mangels eines Aufhebungsvertrages sei auch die zweite Voraussetzung – Anzeige zeitlich vor einer Vertragsaufhebung – erfüllt.
Dem Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, zu verhindern, dass dem Finanzamt von Anfang an unbekannt gebliebene Erwerbsvorgänge rückabgewickelt werden könnten, sei vorliegend auch Genüge getan. Dabei sei zu berücksichtigen, dass selbst unter Zugrundelegung des Sachvortrags des Beklagten, wonach lediglich eine entsprechende Anzeige beim Finanzamt der Stadt C eingegangen sein solle, auf Seiten der Klägerin der Wille zum Ausdruck gekommen sei, eine entsprechende Anzeige zu erstatten und den Erwerbsvorgang nicht zu verheimlichen. Aufgrund der entsprechenden Kennzeichnung sei sowohl aus Sicht eines objektiven Dritten als auch aus Sicht der Klägerin mit einer Weiterleitung an das zuständige Finanzamt zu rechnen gewesen. Bei einem bewussten Verschweigen wäre eine Anzeige durch die Klägerin überhaupt nicht erfolgt.
Ein klassischer Fall der Steuervermeidung liege daher nicht vor, weshalb der vorliegende Fall auch nicht in den Anwendungsbereich des § 16 Abs. 5 GrEStG fallen könne.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 20.07.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.08.2022 aufzuheben und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.07.2021 auf EUR 0,00 herabzusetzen,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Im Gegensatz zur Darstellung der Klägerin sei der Vertrag nicht als Anzeige nach dem Grunderwerbsteuergesetz gekennzeichnet worden, insbesondere habe das Deckblatt nicht den Zusatz Grunderwerbsteuerstelle getragen. Auch sei nach Aktenlage allein eine Anzeige des Vertrages an das Finanzamt der Stadt C, nicht hingegen an die Finanzämter der Stadt A und der Stadt D erfolgt. Auf Anfrage des Beklagten habe das Finanzamt der Stadt A mitgeteilt, dass der Vertrag dort nicht vorliege.
Der streitgegenständliche Grunderwerbsteuerbescheid sei nicht nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben. Dies werde durch § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG ausgeschlossen, da der Vertrag vom 14.02.2020 nicht fristgerecht und nicht in allen Teilen vollständig angezeigt worden sei.
Bei dem Rückkauf von 16 % an der Firma 1 am 14.02.2020 durch die Klägerin handele es sich um einen nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbare Anteilsvereinigung. Die Pflicht zur Anzeige innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung / Kenntnisnahme ergebe sich für den Notar aus § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 GrEStG und für die Klägerin aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 GrEStG. Dabei gelte die Anzeigepflicht des Notars und der Klägerin für Zwecke des § 16 Abs. 5 GrEStG als erfüllt, wenn der jeweils andere Teil den Vorgang fristgemäß und in allen Teilen vollständig angezeigt habe.
Eine fristgerechte Anzeige sei aber weder durch die Klägerin noch durch den Notar erfolgt. Die Anzeige hätte innerhalb von zwei Wochen nach dem Vertragsschluss vom 14.02.2020, also bis zum 28.02.2020 bei dem für die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständigen Finanzamt der Stadt A eingereicht werden müssen. Die zentrale Zuständigkeit des Finanzamts der Stadt F bestehe erst ab dem 01.03.2020. Fälle, die zwischen dem 01.01.2020 und dem 28.02.2020 angezeigt worden seien, seien dem Beklagten weitergeleitet und von diesem bearbeitet worden. Eine Anzeige durch die Klägerin sei nicht erfolgt. Es läge auch keine Anzeige durch den Notar beim Finanzamt der Stadt A vor. Der Vorgang sei lediglich dem Finanzamt der Stadt C (Eingang dort am 27.02.2020) angezeigt worden. Das Finanzamt der Stadt C sei allerdings nicht das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt.
Zudem erfülle die Anzeige durch den Notar nicht die Anforderungen an eine Anzeige nach § 18 GrEStG. Zum einen sei sie nicht an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtet, zum anderen habe sie nicht die Veräußerungsanzeigen enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs müsse die Anzeige grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden oder sich zumindest nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richten (BFH-Urteil vom 22.05.2019 – II R 24/16, BStBl II 2020, 157). Dazu sei erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem Grunderwerbsteuergesetz gekennzeichnet sei und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung – insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre grunderwerbsteuerliche Relevanz bedürfe – an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten sei. Entgegen der Auskunft des Notars sei die an das Finanzamt der Stadt C geschickte Abschrift des Vertrages lediglich generell an das Finanzamt der Stadt C, aber nicht an die Grunderwerbsteuerstelle adressiert worden. Ein Hinweis, dass es sich um eine Anzeige nach § 18 GrEStG handele, sei dem Anschreiben des Notars nicht zu entnehmen. Damit sei für die Poststelle des Finanzamtes nicht erkennbar gewesen, dass der Vertrag an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten sei. Eine grunderwerbsteuerliche Relevanz hätte die Poststelle nur durch inhaltliche Überprüfung des Vertrages erkennen können. Dies sei aber nicht die Aufgabe der Poststelle. Wenn man der Auskunft des Notars darin folgen würde, dass gleichlautende Anzeigen verschickt worden seien, dann wären die Verträge den Finanzämtern – so wie die Anzeige an das Finanzamt der Stadt C – allesamt ohne einen Hinweis auf die Grunderwerbsteuer angezeigt worden. Eine Anzeige ohne Hinweis auf die Grunderwerbsteuer genüge aber nicht den vom Bundesfinanzhof dargestellten Anforderungen an eine Anzeige nach § 18 GrEStG.
Weiter verweise § 16 Abs. 5 GrEStG auf die §§ 18-20 GrEStG. § 18 GrEStG regele, dass die Anzeige nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck einzureichen sei. Allein dieser gesetzliche Verweis auf die amtlich vorgeschriebenen Vordrucke reiche laut früherer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 18.04.2012 – II R 51/11, BStBl II 2013, 830) nicht, um bei Fehlen der amtlichen Vordrucke § 16 Abs. 5 GrEStG anzunehmen. Diese Rechtsprechung sei ergangen, als § 16 Abs. 5 GrEStG noch eine „nicht ordnungsgemäße" Anzeige vorausgesetzt habe. Nach Änderung des § 16 Abs. 5 GrEStG sei dieser restriktiver und setze nunmehr eine „nicht in allen Teilen vollständige“ Anzeige voraus. In allen Teilen vollständig sei eine Anzeige aber nur dann, wenn sie auch die von § 18 GrEStG vorgeschriebenen Vordrucke enthalte. Angesichts des geänderten gesetzlichen Wortlautes des § 16 Abs. 5 GrEStG könne die oben genannte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht mehr fortgelten.
Da die Veräußerungsanzeige erst am 26.05.2020 beim inzwischen zuständigen Finanzamt der Stadt F eingegangen sei und nicht bis zum 28.02.2020 beim Finanzamt der Stadt A, liege keine in allen Teilen vollständige Anzeige vor.
Entgegen der Ansicht der Klägerin sei § 16 Abs. 5 GrEStG nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen. Die von der Klägerin aus dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 17.03.2006 (II B 157/05) zitierte Aussage, die sich auf den BFH-Beschluss vom 20.01.2005 (II B 52/04) beziehe, nämlich, dass § 16 Abs. 5 GrEStG aus Vertrauensgesichtspunkten ausscheide, wenn die Anzeige jedenfalls bis zum Ergehen des Grunderwerbsteuerbescheides und vor dem Abschluss des Aufhebungsvertrages nachgeholt werde, müsse im Kontext des entschiedenen Urteilsfalls verstanden werden. Wenn die Klägerin diese Aussage aus dem Kontext gerissen und gänzlich unabhängig vom zugrundeliegenden Fall heranziehen, komme sie zu falschen Schlussfolgerungen.
Der Bundesfinanzhof stelle im Beschluss vom 20.01.2005 (II B 52/04) klar, dass eine ordnungsgemäße Anzeige nach § 18 GrEStG voraussetze, dass die Anzeige innerhalb der Anzeigefrist von zwei Wochen erfolgen müsse. Allein wenn die Anzeige nicht alle Angaben nach § 20 GrEStG enthalte, sehe der Bundesfinanzhof den Normzweck des § 16 Abs. 5 GrEStG dennoch als gewahrt an, wenn das Finanzamt eine Fristverlängerung zur Nachreichung der fehlenden Angaben gewähre und diese Angaben auch innerhalb der gewährten Frist nachgereicht würden. Wenn sich der BFH im Beschluss vom 17.03.2006 (II B 157/05) auf seinen Beschluss vom 20.01.2005 (II B 52/04) beziehe, dann sei zu berücksichtigen, dass er weiterhin eine Anzeige nur dann als ordnungsgemäß ansehe, wenn innerhalb der Zweiwochenfrist zumindest die essenziellen Angaben zu Veräußerer, Erwerber, Urkundsperson und Gesellschaft gemacht würden, sowie eine Abschrift eingereicht werde. Nur wenn die fehlenden Angaben nach Fristsetzung durch das Finanzamt vor dem Bescheid nachgereicht würden, scheide § 16 Abs. 5 GrEStG aus Vertrauensschutzgründen aus.
Insofern könne es nicht dahingestellt bleiben, ob der Vorgang beim zuständigen Finanzamt der Stadt A angezeigt worden sei. Nach den Akten liege der Vertrag dem Finanzamt der Stadt A nicht vor und sei somit der Grundstückswertstelle des Finanzamts nicht ordnungsgemäß angezeigt worden. Allein die Nachreichung der Veräußerungsanzeige beim Finanzamt der Stadt A durch den Notar erfülle nicht die Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Anzeige. Eine Anzeige sei nur dann ordnungsgemäß, wenn sie an die Grundstückswertstelle des Finanzamts adressiert sei oder als Anzeige nach § 18 GrEStG gekennzeichnet sei (BFH-Urteil vom 22.05.2019 – II R 24/16, BStBl II 2020, 157). Eine Anzeige, die pauschal an das Finanzamt der Stadt A adressiert sei, genüge diesen Erfordernissen hingegen nicht.
Unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Bundesfinanzhofs mangele es für die Annahme des Nichteingreifens des § 16 Abs. 5 GrEStG wegen Vertrauensschutzes zudem an einer Fristsetzung seitens des Finanzamts und daran, dass keine Abschrift eingereicht worden sei.
Der Einwand der Klägerin, dass sie den Willen zur Anzeige gehabt habe, gehe fehlt. Die Anzeige ans Finanzamt der Stadt C sei nicht als Anzeige nach § 18 GrEStG gekennzeichnet gewesen und lasse nur auf den Willen des Notars zur Anzeige bei der Ertragsteuerstelle nach § 54 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) schließen. Es reiche nicht aus, dass man sich auf die Weiterleitung des Vertrages an die Grundstückswertstelle verlasse, insbesondere, da eine Weiterleitung häufig nicht stattfinde.
Auch der Vortrag, dass kein klassischer Fall der Steuervermeidung vorliege, sei wegen der objektiven Natur der Anzeigepflicht unbeachtlich (Viskorf, GrEStG, 20. Aufl., § 16 Rn. 284). Eine Anzeige sei bereits dann nicht ordnungsgemäß, wenn sie nicht tatsächlich der zuständigen Grundstückswertstelle innerhalb der Zweiwochenfrist ab Beurkundung oder Kenntnisnahme zugegangen sei.
Die Schlussfolgerung, dass § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG einen steuerbaren Vorgang zwingend voraussetze, da sich dieser auf einen in § 1 Abs. 2 - 3a GrEStG genannten Erwerbsvorgang beziehe, sei nicht zutreffend. Es sei auf § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a GrEStG hinzuweisen, dessen Wortlaut auch die Steuerbarkeit voraussetze, der aber anders ausgelegt werde. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a GrEStG müssten Steuerschuldner in Fällen des § 1 Abs. 2a GrEStG eine Anzeige erstatten. Hier sei anerkannt, dass die Anzeigepflicht der Beteiligten nicht nur für steuerbare Erwerbsvorgänge, sondern auch für nicht steuerbare Erwerbsvorgänge gelte. Nur so könne die Finanzverwaltung die mitunter schwierige Prüfung der Zehnjahresfrist bei § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG vornehmen oder die Frage beantworten, ob die 90 %-Schwelle überschritten worden sei. Da diese Prüfung für den Steuerpflichtigen unzumutbar und oft unmöglich sei, müssten – auch um Steuerausfälle zu vermeiden – entgegen des Wortlauts des § 19 Abs. 1 Nr. 3a GrEStG auch nicht steuerbare Erwerbsvorgänge angezeigt werden. Nichts Anderes könne für § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG gelten.
Auch die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG spreche für dessen Anwendung sowohl auf nicht angezeigte nicht steuerbare Erwerbsvorgänge als auch auf nicht angezeigte steuerbare Rückerwerbsvorgänge. Die Verhinderung der Aufhebungsmöglichkeit nach § 16 Abs. 2 GrEStG sei eine wesentliche Sanktion des § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG für nicht nach § 18 und § 19 GrEStG ordnungsgemäß angezeigte Erwerbe. Sollte die Nichtanzeige von nicht steuerbaren Anteilsübertragungen ohne Konsequenz bleiben, so würden Anreize dazu geschaffen, dass der Steuerschuldner selbst den Erwerb – falsch – als nicht steuerbar beurteilen könnte und diesen vermeintlich mangels drohenden Konsequenzen nicht anzeigen würde. Dieser Anreiz sollte nicht gesetzt werden. Auch nach dem BFH solle § 16 Abs. 5 GrEStG der Sicherung der Anzeigenpflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG dienen (z.B. Urteil vom 17.05.2017 – II R 35/15). Dass der BFH die Sicherung der Anzeigepflicht umfassend gemeint habe und damit auch nicht steuerbare Erwerbsvorgänge erfasse, ergebe sich aus der allgemeinen Nennung der §§ 18 und 19 GrEStG ohne Unterscheidung zwischen steuerbaren und nicht steuerbaren Vorgängen. Zudem spreche der BFH im Anschluss von steuerbaren Fällen, die nach Aufdeckung durch die Finanzverwaltung rückgängig gemacht würden als Unterfall der Verletzung der umfassenden Anzeigepflicht nach §§ 18 und 19 GrEStG, was durch das Wort insbesondere verdeutlicht werde.
Laut BFH solle § 16 Abs. 5 GrEStG den Beteiligten insbesondere die Möglichkeit nehmen, einen dieser Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt werde. § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG verhindere die Nichtfestsetzung nach § 16 Abs. 2 GrEStG sowohl des Hin- als auch Rückerwerbs. Der Gesetzgeber habe mit § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG den Fall erfassen wollen, dass ein nicht angezeigter steuerbarer Vorgang wegen späterer Rückabwicklung nicht besteuert werde. Vorliegend sei aber genau dies geschehen. Der Vorgang sei dem zuständigen Finanzamt der Stadt A nicht angezeigt worden. Dann sei es zur Steuerfestsetzung gekommen. Anschließend sei die für eine vollständig wirksame Rückabwicklung nach § 16 Abs. 2 GrEStG erforderliche (dingliche) Rückabtretung der Anteile mit Vertrag vom XX.XX.2021 vom ursprünglich vereinbarten 31.12.2025 auf den XX.XX.2021 vorgezogen worden und am 06.07.2021 der Antrag auf Aufhebung nach § 16 Abs. 2 GrEStG gestellt worden. Somit seien die Voraussetzung des § 16 Abs. 2 GrEStG erst mit dem Vertrag vom XX.XX.2021 und der wirksamen Abtretung vom XX.XX.2021 geschaffen worden.
Sollte eine direkte Anwendung des § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG ausscheiden, sei dieser zumindest analog anwendbar. Sollte § 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG aufgrund seines Wortlauts nicht die nicht steuerbaren Erwerbe mitumfassen, so läge eine Regelungslücke vor. Diese sei auch planwidrig, da es dem Gesetzgeber darauf angekommen sei, die Besteuerung von nicht angezeigten steuerbaren (auch Rück-)Erwerben auch bei Erfüllung aller Rückabwicklungsvoraussetzungen des § 16 Abs. 2 GrEStG, die erst nach dem Bekanntwerden des Vorgangs eingetreten seien, sicherzustellen. Eine gleiche Interessenlage läge hier ebenfalls vor: Erst die Vereinbarung vom XX.XX.2021 und die Abtretung von XX.XX.2021 hätten zur nach § 16 Abs. 2 GrEStG wirksamen Rückabwicklung geführt. Dies sei erst nach Bekanntwerden durch die Finanzbehörde und dem Ablauf der Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 3 GrEStG geschehen.
Mangels fristgerechter und in allen Teilen vollständiger Anzeige sei die Aufhebung des streitgegenständlichen Grunderwerbsteuerbescheides gemäß § 16 Abs. 5 GrEStG zu versagen.
Mit Schreiben vom 26.03.2024 bat der Berichterstatter den Vorsteher des Finanzamts der Stadt A um Auskunft, ob das Finanzamt der Stadt A im Zeitraum vom 14.02.2020 bis 14.05.2020 einen notariellen Vertrag vom 14.02.2020 von Herrn Notar XY (a Straße 1, Stadt B) zugesandt bekommen habe, ggf. welches Sachgebiet das Schreiben bekommen habe und ob er von dort noch an andere Sachgebiete oder ein anderes Finanzamt weitergeleitet worden sei.
Mit Schreiben vom 03.04.2024 erklärte der Sachgebietsleiter der Grundstückswertstelle des Finanzamts der Stadt A, dass der streitgegenständliche Vertrag vom 14.02.2020 weder bei der Körperschaftsteuerstelle noch bei der Grundstückswertstelle des Finanzamts der Stadt A vorliege. Im Finanzamt der Stadt A würden eingehende notarielle Verträge mit dem Posteingangsstempel versehen und anschließend an die Grundstückswertstelle zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet. Die Finanzämter seien durch eine Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 19.12.2019 darüber informiert worden, dass für gesellschaftsrechtliche Grunderwerbsteuerfälle ab dem 01.03.2020 die (…) eingerichtet werde. Die neue Zuständigkeit beziehe sich auf Vorgänge, die nach dem 31.12.2019 angezeigt worden seien. Trage die Anzeige ein Datum nach dem 31.12.2019, so sei der Vorgang auf einer Fallliste zu erfassen. In den beim Finanzamt der Stadt A geführten Falllisten sei jedoch im fraglichen Zeitraum kein Eintrag zu einem Vertrag vom Notar XY vermerkt. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass nach der Verfügung bei Verträgen, die nach dem 29.02.2020 nicht beim (…) sondern beim Finanzamt der Stadt A eingegangen seien, der anzeigenden Person eine Abgabenachricht über die Weiterleitung an die (…) zu erteilen sei.
Mit Senatsbeschluss vom 08.04.2024 wurde die Vernehmung von Herrn Notar XY als Zeugen angeordnet.
Der Klägervertreter wurde vom Berichterstatter um die Übersendung von Erklärungen sämtlicher am Beurkundungsvorgang vom 14.02.2020 (UR XX XXX/XXXX) des Notars XY beteiligten Parteien gebeten, mit denen diese den beurkundenden Notar und seinen Nachfolger im Amt von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreien. Solche Erklärungen wurden dem Gericht nicht vorgelegt.
Die Aussage des Zeugen Notar XY wurde digital aufgezeichnet. Auf die Aufzeichnung wird Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid, die Einspruchsentscheidung, den weiteren Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2024 sowie auf die dem Senat vorliegenden Akten des Beklagten (ein Band Grunderwerbsteuerakten) Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 20.10.2020 zuletzt geändert am 02.07.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).
1) Der Beklagte hat dem Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung zu Unrecht nicht stattgeben.
a) Die Klägerin hat zunächst einen gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbaren und steuerpflichtigen Erwerbstatbestand verwirklicht.
Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in der für den Besteuerungszeitpunkt 14.02.2020 gültigen Fassung unterliegt der Grunderwerbsteuer unter anderem ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sind im Streitfall erfüllt. Mit der durch die Klägerin im notariellen Vertrag vom 14.02.2020 ausgeübten Rückerwerbsoption erwarb die Klägerin den Anspruch auf Übertragung von 16 % der Anteile an der Firma 1. Da sie zu diesem Zeitpunkt bereits 84 % der Anteile an der Gesellschaft hielt, führte der erworbene Übertragungsanspruch dazu, dass sich in der Hand der Klägerin zukünftig (wieder) unmittelbar 100 % der Anteile an der Firma 1 vereinigen würden. Dass hierdurch der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht wurde, ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 20.10.2020, zuletzt geändert am 02.07.2021 wurde daher von der Klägerin auch nicht angegriffen und ist bestandskräftig geworden.
b) Im Streitfall liegen jedoch die Voraussetzungen für die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG dem Grunde nach vor.
aa) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder eine bereits erfolgte Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG betrifft über seinen Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG. Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt, wenn einer der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt war. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf die Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus (vgl. BFH-Urteil vom 21.06.2023 – II R 2/21, BStBl II 2023, 1057, m.w.N.).
§ 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG setzt nicht voraus, dass der rückgängig gemachte Erwerb steuerbar war. Nach der Rechtsprechung des BFH ist § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG einschlägig, wenn auf einen steuerbaren Erwerb durch Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ein Rückerwerb folgt, der zwar für sich nicht steuerbar ist, der aber bewirkt, dass das für die Steuerbarkeit der Anteilsvereinigung maßgebende Quantum von 95 % unterschritten wird (BFH-Urteil vom 11.06.2013 – II R 52/12, BStBl II 2013, 752). Nach Ansicht des erkennenden Senats gilt dies auch für den hier vorliegenden umgekehrten Fall (fehlende Steuerbarkeit des ersten Erwerbs, Steuerbarkeit des Rückerwerbs). Der BFH hat früher in vergleichbaren Fällen (inhaltsgleiche Regelungen zu § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG nach alter Rechtslage) ebenfalls entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass der rückgängig gemachte Vorgang der Grunderwerbsteuer unterlegen hat (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.1954 – II 14/53 U, BStBl III 1954, 99; BFH-Urteil vom 16.01.1980 – II R 83/74, BStBl II 1980, 358; BFH-Urteil vom 09.02.1983 – II R 26/81, juris). Für die Steuerbefreiung genügt es, dass in Bezug auf das Grundstück der bisherige Zustand wieder hergestellt wird (BFH-Urteil vom 09.02.1983 – II R 26/81, juris). Dies ist, soweit ersichtlich, auch die ganz herrschende Meinung in der Literatur (Pahlke in Pahlke GrEStG, 7. Aufl., § 16 Rn. 11 a.E.; Loose in Viskorf GrEStG, 21. Aufl., § 16 Rn. 17 und Rn. 130; Hofmann GrEStG, 11. Aufl., § 16 Rn. 11; Weilbach GrEStG, § 16 Rn. 35; Koppermann in Behrens/Wachter GrEStG, 2. Aufl., § 16 Rn. 40 und Rn. 98). Das Finanzgericht Münster (Urteil vom 11.05.2023 – 8 K 998/21 GrE, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2023, 1021) begründet dies auch mit einem Erst-Recht-Schluss: Wenn der Kläger im dort entschiedenen Fall statt 49 % der Gesellschaftsanteile 96 % der Anteile auf seinen Sohn übertragen und nach Ausübung des Widerrufs zurückerworben hätte, wären Schenkung und Rückerwerb steuerfrei. Es sei nicht ersichtlich, warum die Konstellation des Streitfalls im Vergleich dazu besteuerungswürdig sein sollte. Dem ist zuzustimmen.
Der BFH konnte diese Frage im Urteil vom 20.02.2019 (II R 27/16, BStBl II 2019, 559) offen lassen, allerdings wäre nach der Entscheidung des BFH für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG Voraussetzung, dass bei dem vorausgegangenen Erwerbsvorgang, auf den sich die wirkliche oder vermeintliche Rückgängigmachung bezieht, das betreffende Grundstück dem Veräußerer grunderwerbsteuerrechtlich zuzuordnen war, mithin wenigstens eine logische Sekunde vor dem Erwerbsvorgang in den grunderwerbsteuerlichen Zurechnungsbereich des Veräußerers gelangt ist. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist nur dann einschlägig, wenn der Erwerber die Herrschaft über das Grundstück nicht erstmalig erlangt, sondern diese innerhalb der vergangenen zwei Jahre bereits innehatte (BFH-Beschluss vom 22.01.2019 – II B 98/17, BFH/NV 2019, 412).
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen, welche der Senat für zutreffend hält, liegt im Streitfall dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG vor.
Der Klägervertreter hat mit Schreiben vom 06.07.2021 (Bl. 146 ff GrESt-Akten) den erforderlichen Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gestellt. Vor der mit notariellem Vertrag vom 14.02.2020 erfolgten Veräußerung von 16 % der Gesellschaftsanteile an der Firma 1 war die Klägerin die Alleingesellschafterin der Firma 1. Nach der Veräußerung dieser Gesellschaftsanteile von der Firma 3 zurück an die Klägerin mit Wirkung zum XX.XX.2021 war die Klägerin wieder Alleingesellschafterin der Firma 1. Der Rückerwerb der Gesellschaftsanteile an der Firma 1 durch die Klägerin war mit (Rück-)Abtretung der Anteile an der Firma 1 am XX.XX.2021 (Zahlung des Kaufpreises lt. Klägervertreter, ... GrESt-Akten) und damit innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen. Zudem waren sämtliche von dem Rückerwerb betroffenen Grundstücke bereits bei dem ersten Erwerb der Anteile der Firma 1 am 14.02.2020 durch die Firma 3 der Firma 1 und damit im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. GrEStG der Klägerin grunderwerbsteuerrechtlich zuzuordnen.
c) Der Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass der ursprüngliche Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt worden ist.
§ 16 Abs. 5 GrEStG in der zum Zeitpunkt der Steuerentstehung gültigen Fassung schließt den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 2 GrEStG aus, wenn einer der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18 bis 20 GrEStG) war.
Im vorliegenden Fall wurden weder der nicht steuerbare erste Erwerbsvorgang (Veräußerung des Geschäftsanteils in Höhe von 16 % des Stammkapitals von der Klägerin an die Firma 3) als auch der zweite gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbare und steuerpflichtige Erwerbstatbestand (Rückerwerb des Geschäftsanteils durch die Klägerin) fristgerecht und in allen Teilen vollständig dem zuständigen Finanzamt angezeigt. Zu einer Anzeige des Vorgangs wären der beurkundende Notar nach § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG und die Klägerin nach § 19 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG verpflichtet gewesen. Die Anzeigepflichten sind innerhalb von zwei Wochen nach Beurkundung bzw. Kenntnisnahme vom anzeigepflichtigen Vorgang zu erfüllen (§ 18 Abs. 3, § 19 Abs. 3 GrEStG). Soweit eine Anzeigepflicht sowohl den Notar nach § 18 GrEStG als auch den Steuerschuldner nach § 19 GrEStG trifft, reicht es für § 16 Abs. 5 GrEStG aus, wenn einer der Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß nachkommt (BFH-Urteil vom 22.05.2019 – II R 24/16, BStBl II 2020, 157, m.w.N.).
Nach § 18 Abs. 5 GrEStG und § 19 Abs. 4 GrEStG sind die Anzeigen an das für die Besteuerung, in den Fällen des § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG an das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt zu richten. Die Anzeige muss grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden oder sich zumindest nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richten. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung – insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte – an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFH-Urteil vom 03.03.2015 – II R 30/13, BStBl II 2015, 777, m.w.N.).
Dies ist hier nicht der Fall gewesen. Die Klägerin hat unstreitig keine Anzeige erstattet. Der beurkundende Notar XY hat die Anzeige nach Auffassung des Gerichts erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist beim zuständigen Finanzamt erstattet.
Der streitgegenständliche Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrag wurde am 14.02.2020 vor dem Notar XY in der Stadt B geschlossen. Dieser hätte die Anzeige somit bis zum Ablauf des 28.02.2020 beim zuständigen Finanzamt erstatten müssen. Bis einschließlich 29.02.2020 war das Finanzamt der Stadt A gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG für die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständig, da sich in dessen Bezirk die Geschäftsleitung der Firma 1 befunden hat und von dem Erwerbsvorgang Grundstücke betroffen waren, die im Bezirk eines anderen Finanzamtes lagen. Zwar ist nach § 1 Nr. 15a i.V.m. § 2a der Verordnung des Finanzministeriums Baden-Württemberg zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter (Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung, FAZuVO) das Finanzamt der Stadt F für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer unter anderem hinsichtlich Erwerbsvorgängen nach § 1 Absatz 2a bis 3a GrEStG, welche nach dem 31.12.2019 gem. §§ 18 oder 19 GrEStG angezeigt wurden, für alle Finanzämter des Landes Baden-Württemberg zuständig. Allerdings wurden § 1 Nr. 15a und § 2a der FAZuVO erst mit Wirkung vom 01.03.2020 in die Verordnung eingefügt (Gesetzblatt 2020, 105). Somit wäre das Finanzamt der Stadt A bis zum 29.02.2020 der richtige Adressat für die Anzeige nach § 18 GrEStG gewesen.
Trotz der Beauftragung des Zeugen Notar XY im streitgegenständlichen Vertrag, sowohl der Körperschaftsteuerstelle als auch der Grunderwerbsteuerstelle des Finanzamts der Stadt A je eine Abschrift des Vertrags zu übersenden, hat dieses nach dessen Auskunft vom 03.04.2024 (...) weder eine Anzeige des Notars nach § 18 GrEStG noch Abschriften des Vertrages vom 14.02.2020 erhalten. Der Senat hält die Auskunft des Finanzamts Stadt A für glaubwürdig. Die Tatsache, dass der Vertrag vom 14.02.2020 nicht in der nach der Verfügung der OFD Karlsruhe vom 19.12.2019 vom Finanzamt der Stadt A zu führenden Liste über alle nach dem 31.12.2019 angezeigten gesellschaftsrechtlichen Grunderwerbsteuerfälle aufgeführt ist, spricht deutlich dafür, dass der streitgegenständliche Vertrag nicht beim Finanzamt der Stadt A eingegangen ist.
Die Zeugenaussage des Notars XY konnte dies auch nicht widerlegen. So konnte er sich an den konkreten Fall nur noch insoweit erinnern, als er nach einer telefonischen Anfrage des Finanzamts der Stadt F, diesem alle Abschriften und Anzeigen übersandt habe (...). Ansonsten konnte er sich lediglich zu seiner üblichen Vorgehensweise bei Übersendungen von Verträgen an die Finanzbehörden äußern. So hat er erklärt, dass er nicht in jedem Fall die Adressierung kontrolliere (...). Ob im Adressfeld des Deckblattes zum streitgegenständlichen Vertrag auch die genaue Stelle im Finanzamt bezeichnet gewesen sei, wisse er nicht mehr. Zumindest seien die Verträge an das jeweilige Finanzamt adressiert gewesen und aus der Urkunde gehe hervor, dass die Abschrift die Grundstückswertstelle bekomme (...). Wenn auf dem Deckblatt der an das Finanzamt der Stadt C übersandten Abschrift des Vertrages nicht explizit die Grunderwerbsteuerstelle erwähnt sei, könnte dies auch bei den Schreiben an die anderen Finanzämter so gewesen sein (...). Zwar hielt er es für eher unwahrscheinlich, dass nur dem Finanzamt der Stadt C, nicht aber den anderen in der Urkunde genannten Ämtern, eine Abschrift der Urkunde übersandt worden sei (...), jedoch habe er es auch immer wieder erlebt, dass Abschriften nicht ankämen (...). Dies sei zwar nicht der Regelfall, aber es sei auch nicht nur ein Ausnahmefall, der nur einmal im Jahr vorkomme (...).
Der Zeuge Notar XY hat die Anzeige gem. § 18 GrEStG erst nach der telefonischen Aufforderung des Beklagten im Mai 2020 und damit nach Ablauf der Frist nachgeholt. Ein Fristverlängerungsantrag wurde, zumindest vor Ablauf der Anzeigefrist, nicht gestellt.Nach Ablauf der Anzeigefrist kommt eine rückwirkende Fristverlängerung (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AO) zur erstmaligen Erstattung der Anzeige nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 25.11.2015 – II R 64/08, BFH/NV 2016, 420; BFH-Beschluss vom 20.01.2005 – II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
Die Übersendung einer Abschrift des Vertrags vom 14.02.2020 durch Notar XY an das Finanzamt der Stadt C (Eingang 27.02.2020) ist keine wirksame Anzeige im Sinne das § 18 GrEStG, da sie sich weder an das zuständige Finanzamt noch eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtet hat.
Allerdings kommt es nach Auffassung des erkennenden Senats im vorliegenden Fall nicht auf eine fristgerechte und in allen Teilen vollständige Anzeige des rückgängig gemachten Erwerbsvorgangs an, da § 16 Abs. 5 GrEStG bereits nach seinem Wortlaut nicht anwendbar ist. Hiernach müsste einer der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht worden sein. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall, vielmehr verhält es sich umgekehrt. Bei dem ersten und damit rückgängig gemachten Erwerbsvorgang handelt es sich um einen nicht steuerbaren Erwerb. Erst die Rückgängigmachung dieses nicht in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgangs durch die Rückveräußerung der Gesellschaftsanteile an die Klägerin verwirklicht den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Eine direkte Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG kommt daher nicht in Betracht.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Sinn und Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, so dass auch dessen analoge Anwendung im Streitfall ausscheidet. Die Vorschrift dient einerseits der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und soll andererseits dem Anreiz entgegenwirken, durch Nichtanzeige einer Besteuerung den in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgängen zu entgehen. Den Beteiligten soll die Möglichkeit genommen werden, die dort benannten Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (BFH-Urteil vom 21.06.2023 – II R 2/21, BStBl II 2023, 1057, m.w.N.). Diese Missbrauchsmöglichkeit besteht bei der hier vorliegenden Fallkonstellation, bei der der Ersterwerb nicht steuerbar, dessen Rückgängigmachung jedoch nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG steuerpflichtig ist, gerade nicht (so im Ergebnis auch das Finanzgericht Münster im Urteil vom 11.05.2023 – 8 K 998/21 GrE, EFG 2023, 1021). Käme es dem Steuerpflichtigen auf die Steuerfreiheit des zweiten Erwerbsvorgangs an, so müsste er nicht dessen Anzeige nach §§ 18 bzw. 19 GrEStG pflichtwidrig unterlassen, er könnte nach dem (allein steuerpflichtigen) zweiten Erwerbsvorgang einfach einen Antrag auf Nichtfestsetzung der Steuer gem. § 16 Abs. 2 GrEStG stellen.
2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3) Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
4) Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gemäß § 139 Abs. 3 FGO für notwendig zu erklären. Aufgrund der komplexen Sach- und Rechtslage konnte und musste sich die Klägerin nicht selbst vertreten (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Auflage 2019, Rz. 128 zu § 139).
5) Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache und im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen II R 16/23 zuzulassen.