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Steuerrecht
10.10.2013
Steuerrecht
FG Hamburg: Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft

FG Hamburg, Urteil vom 17.5.2013 - 6 K 199/12


Sachverhalt


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.


Die am ... 1998 durch Verschmelzung erloschene A GmbH & Co. KG (im Folgenden: A KG) erwarb mit Vertrag vom ... 1996 rückwirkend zum 01.03.1996 von der B AG sämtliche Geschäftsanteile an der Klägerin, die seinerzeit noch als C ... GmbH (im Folgenden: C GmbH) fimierte.


Mit Schreiben vom 13.05.1996 (Anlage K 1, Finanzgerichtsakten -FGA- Anlagenband) beantragte die Klägerin beim Finanzamt für Körperschaften Hamburg-1 (im Folgenden: FA Kö-1) die Erteilung einer verbindlichen Auskunft. Sie teilte mit, dass geplant sei, ihren Geschäftsbetrieb gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten auf eine noch zu gründende neue Gesellschaft zu übertragen. Anschließend solle das Stammkapital der Klägerin mittels einer Sacheinlage der A KG erhöht werden; die A KG solle ihren Beteiligungsbesitz in die Klägerin einbringen. Schließlich solle die A KG im Wege der Realteilung aufgelöst werden. Die Klägerin vertrat dabei die Auffassung, dass die zu ihren Gunsten bis dahin festgestellten steuerlichen Verlustvorträge bei dieser Umstrukturierung nicht gemäß § 8 Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) a. F. untergehen würden, weil der Geschäftsbetrieb nicht eingestellt und wieder aufgenommen, sondern fortgeführt würde.


Mit Bescheid vom 18.06.1996 (Anlage K 2, FGA Anlagenband) erteilte das FA Kö-1 die verbindliche Auskunft antragsgemäß und stellte hierin Folgendes fest:


"Die wirtschaftliche Identität im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz der C ... GmbH (C) wird bezüglich eines verbleibenden Verlustabzugs (§ 10d Abs. 3 Einkommensteuergesetz) infolge der Übertragung des gesamten Geschäftsbetriebs mit sämtlichen Beteiligungsgesellschaften gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten auf die (noch zu gründende) D ... GmbH (D GmbH) nicht verändert.


Die C bleibt zur Berücksichtigung der Verluste auch nach Übernahme des gesamten Beteiligungsbesitzes der A GmbH & Co. KG (A KG) - mit Ausnahme der Beteiligungen an der C selbst - mit allen Passiva im Wege der Sacheinlage sowie Änderung ihrer Firma in A GmbH berechtigt.


(...) Diese verbindliche Auskunft tritt außer Kraft, wenn eine Rechtsvorschrift, auf der die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert wird. Die Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf die Höhe der Verlustvorträge."


Am ... 1996 übertrug die A KG sämtliche Anteile an der Klägerin auf die Konzernmuttergesellschaft E ... GmbH (im Folgenden: E GmbH). Am selben Tag wurde eine Kapitalerhöhung bei der Klägerin um ... DM im Wege der Sacheinlage (Einlage von Beteiligungen) beschlossen.


Die Klägerin brachte am ... 1996 sämtliche Aktiva und Passiva mit Ausnahme der durch die E GmbH eingebrachten Beteiligungen im Wege der Kapitalerhöhung durch Sacheinlage gegen Gewährung von Geschäftsanteilen in die mit Gesellschaftsvertrag vom ... 1996 von der Klägerin und der A KG gegründete D ... GmbH (im Folgenden: D GmbH) ein.


Die bis zum 11.11.1996 entstandenen körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Verlustvorträge der Klägerin wurden in den Steuer- und Verlustfeststellungsbescheiden für die Jahre 1996 bis 1999 jeweils abgezogen bzw. festgestellt. Die Bescheide ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.


Der nunmehr zuständige Beklagte führte ab 2000 für die Jahre 1996 bis 1999 eine Außenprüfung bei der Klägerin durch und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität auf der Grundlage der Neufassung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG vom 29.10.1997 durch die Umstrukturierungen vom ... 1996 verloren habe. Nach dieser zum 01.11.1997 in Kraft getretenen Neuregelung sei nicht mehr nur die Wiederaufnahme, sondern auch die Fortführung des Geschäftsbetriebs schädlich, wenn mehr als drei Viertel der Anteile übertragen worden seien und überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt worden sei (Tz. 20 und 31 sowie Prüfungsanmerkung Nr. 1 nebst Anlage, Betriebsprüfungsbericht vom 14.12.2005, Betriebsprüfungsakten -BpA-).


Der Beklagte erließ daraufhin am 26.04.2006 geänderte Verlustfeststellungsbescheide zur Körperschaft- und Gewerbesteuer, jeweils auf den 31.12.1996, in denen er die bis zum 11.11.1996 entstandenen Verluste nicht mehr berücksichtigte. Ferner erließ er geänderte Körperschaftsteuerbescheide für 1996 bis 1998 (Körperschaftsteuer 1998: ... €) und geänderte Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerbescheide für 1996 bis 1998 (Gewerbesteuermessbetrag und Gewerbesteuer 1998 jeweils 0 €).


Mit Schreiben vom 24.05.2006 legte die Klägerin Einspruch gegen die am 26.04.2006 geänderten Bescheide ein. Die Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1997 und 1998 und gegen den Gewerbesteuermessbescheid für 1996 nahm die Klägerin zurück. Gegen den am 25.10.2006 nach einer weiteren Außenprüfung ebenfalls geänderten Körperschaftsteuer- und den Gewerbesteuermessbescheid für 1999 legte die Klägerin mit Schreiben vom 27.11.2006 Einspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden worden ist.


Für 1996 erließ der Beklagte am 15.12.2011 Abhilfebescheide (festgestellter verbleibender Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1996: ... DM; festgestellter vortragsfähiger Gewerbeverlust auf den 31.12.1996: ... DM). Am selben Tag erließ der Beklagte einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1997, in dem er von dem zum 31.12.1996 festgestellten Verlust nur einen Betrag von ... DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzog und den überschießenden Betrag von ... DM, nämlich den bis zum 11.11.1996 entstandenen Verlust, nach § 8 Abs. 4 KStG nicht berücksichtigte. Eine geänderte Verlustfeststellung zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1997 führte der Beklagte nicht durch, weil er nach wie vor davon ausging, dass kein verbleibender Verlustabzug bestehe. In dem geänderten Verlustfeststellungsbescheid vom selben Tag stellte der Beklagte den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1997 in Höhe von ... DM fest, wobei er den bis zum 11.11.1996 entstandenen Gewerbeverlust in Höhe von ... DM als nicht abziehbar behandelte. Mit Änderungsbescheid vom selben Tag wurde die Körperschaftsteuer für 1999 auf ... € festgesetzt. Der Gewerbesteuermessbetrag für 1999 wurde mit Bescheid vom selben Tag auf ... € festgesetzt und die Gewerbesteuer auf ... €.


Mit Schreiben vom 29.12.2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten, den Untergang des auf den 31.12.1996 festgestellten Verlustvortrags für die Jahre 1997 bis 1999 bei der Steuerfestsetzung im Billigkeitsweg nicht zu berücksichtigen bzw. die Körperschaft- und Gewerbesteuer 1997 bis 1999 einschließlich der Zinsen in Höhe der durch den Wegfall des Verlustvortrags eingetretenen Mehrbesteuerung zu erlassen. Die Klägerin berief sich auf das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot und auf einen Überhang des Tatbestands des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. über den Gesetzeszweck der Missbrauchsabwehr. Das Verfahren ruht hinsichtlich des Jahres 1997 bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvL 2/09. Ferner beantragte die Klägerin die Stundung der Steuerforderungen im Hinblick auf Liquiditätsprobleme.


Der Beklagte gewährte die beantragte Stundung der Körperschaftsteuerforderungen für 1998 und 1999 nebst Zinsen mit Bescheid vom 23.02.2012.


Mit Bescheid vom 11.04.2012 lehnte der Beklagte die Anträge auf abweichende Steuerfestsetzung hinsichtlich der Jahre 1998 und 1999 ab. Durch die Erteilung einer verbindlichen Auskunft erhalte ein Steuerpflichtiger Rechtssicherheit bzgl. der steuerrechtlichen Beurteilung eines Lebenssachverhaltes nach den zu dieser Zeit geltenden Vorschriften. Im Streitfall sei der Klägerin durch die verbindliche Auskunft bestätigt worden, dass ihr Geschäftsbetrieb vor der Anteilsübertragung nicht eingestellt und danach wieder aufgenommen worden sei. Ein Vertrauen auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen werde hierdurch nicht begründet. Da der Gesetzgeber eine Übergangsfrist von einem Jahr als ausreichend betrachte, um den Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen zu gewährleisten, komme eine abweichende Steuerfestsetzung für die Jahre 1998 und 1999 auch unter diesem Aspekt nicht in Betracht. Persönliche Billigkeitsgründe seien nicht vorgetragen worden.


Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 11.05.2012 Einspruch ein und wies darauf hin, dass im Streitfall eine im Vertrauen auf eine verbindliche Auskunft vorgenommene unumkehrbare Disposition mit einer unecht rückwirkenden Gesetzesänderung zusammentreffe und die Verfassungsmäßigkeit der typisierenden Vorschrift des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. durch Billigkeitsmaßnahmen in Einzelfällen zu gewährleisten sei.


Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.08.2012 als unbegründet zurück. Ein Erlass oder eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kämen nicht in Betracht. Persönliche Billigkeitsgründe habe die Klägerin nicht vorgetragen und seien nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Erhebung bzw. Festsetzung der Steuern sei aber auch nicht sachlich unbillig. Die erteilte verbindliche Auskunft sei durch die Änderung des § 8 Abs. 4 KStG außer Kraft getreten. Ein Vertrauen auf den Fortbestand eines Missbrauchsausschlusses nach der alten Rechtslage sei durch die Auskunft nicht begründet worden. Wie der Übergangsvorschrift des § 54 Abs. 6 KStG 1996 zu entnehmen sei, habe der Gesetzgeber eine Übergangsfrist von einem Jahr für ausreichend gehalten, um dem Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand der vorherigen gesetzlichen Regelung gerecht zu werden. Da es im Streitfall um die Veranlagungszeiträume 1998 und 1999 gehe, sei diese Übergangsfrist eingehalten. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Fall der Klägerin anders hätte regeln wollen, seien nicht ersichtlich; dies führte zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung der Empfänger verbindlicher Auskünfte. Der Situation der Klägerin sei im Übrigen bereits durch die gewährte Stundung der Steuerforderungen aus den Streitjahren ausreichend Rechnung getragen worden.


Die Klägerin hat am 07.09.2012 Klage erhoben. Die zunächst auch gestellten Anträge auf Verpflichtung des Beklagten zur abweichenden Festsetzung der Gewerbesteuer 1998 und zum Verzicht auf die Aussetzungszinsen hat die Klägerin zurückgenommen. Die diesbezüglichen Verfahren sind jeweils abgetrennt und eingestellt worden.


Die Klägerin trägt vor:


Sie habe einen Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitswege in der Weise, dass die gemäß § 8 Abs. 4 KStG i. d. F. vom 29.10.1997 untergegangenen Verlustvorträge berücksichtigt würden. Das Ermessen sei wegen sachlicher Härte auf null reduziert.


Die sachlich unbillige Härte ergebe sich aus dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot und der überschießenden Wirkung des gesetzlichen Tatbestandes des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. als Norm zur Missbrauchsabwehr. Da sie, die Klägerin, auf der Grundlage der verbindlichen Auskunft eine nicht mehr änderbare Disposition vorgenommen habe, sei ihr Vertrauen in besonders hohem Maße schutzwürdig, so dass ihr der Verlustabzug nicht rückwirkend versagt werden könne. Nach der neuesten Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10) könne der Gesetzeszweck der typisierenden Missbrauchsabwehr im Einzelfall aufgrund einer atypischen Situation verfehlt und ein Steuererlass geboten sein. Die Situation sei im Streitfall ebenfalls atypisch, weil sie, die Klägerin, den Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft eigens gestellt habe, um sich zu versichern, nicht missbräuchlich zu handeln, und außerdem ein lebendes Unternehmen und kein bloßer Verlustmantel erworben worden sei.


Nach den früheren Verwaltungsanweisungen (s. BMF-Schreiben vom 24.09.1987 und vom 15.07.1998 zu § 207, jeweils Tz. 1), die bis 2000 gegolten hätten, seien im Einzelfall Billigkeitsmaßnamen in Betracht zu ziehen, wenn eine verbindliche Zusage wegen Änderung der Rechtsvorschriften außer Kraft trete (§ 207 Abs. 1 Abgabenordnung -AO-) und dies für den Steuerpflichtigen eine unbillige Härte mit sich bringe. Die zu einer verbindlichen Zusage i. S. des § 207 AO entwickelten Grundsätze seien aber nach allgemeiner Auffassung auch im Rahmen einer verbindlichen Auskunft anzuwenden.


Das eröffnete Ermessen sei vor dem Hintergrund der aufgrund der verbindlichen Auskunft getroffenen unumkehrbaren Disposition reduziert. Eine weitere Ermessensreduzierung ergebe sich aus dem Zusammenwirken dieser redlicherweise vorgenommenen Disposition mit der nicht vorher erkennbaren unecht rückwirkenden Gesetzesänderung. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des BVerfG die Steuer bei unecht rückwirkenden Gesetzesänderungen selbst ohne eine verbindliche Auskunft bei etwaigen Härten zu erlassen.


Darüber hinaus handele es sich bei § 8 Abs. 4 KStG um eine Norm mit überschießender Wirkung. Bei einer derartigen Norm der typisierenden Missbrauchsabwehr könne nach der Rechtsprechung des BFH ein Billigkeitserlass geboten sein, wenn die Norm nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalte, weil im Einzelfall die Möglichkeit bestehe, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen. Der Erlass sei danach eine flankierende Maßnahme zur Typisierung. Der BFH sehe die unechte Rückwirkung des § 8 Abs. 4 KStG zwar als verfassungsmäßig an, berücksichtige dabei aber, dass bei missbrauchsanfälligen Gestaltungen die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Steuerpflichtigen für den typischen Fall generell herabsetzt sei und die Möglichkeit bestehe, einzelnen Härtefällen im Erlasswege Rechnung zu tragen.


Vorliegend schließe die erteilte verbindliche Auskunft die Missbrauchsgefahr der Umstrukturierung jedoch aus; die typisierend unterstellte Missbräuchlichkeit sei durch die verbindliche Auskunft widerlegt worden. Sie, die Klägerin, habe durch die Einholung der verbindlichen Auskunft alles getan, um einen Missbrauch und somit einen für sie schädlichen nachträglichen Eingriff des Gesetzgebers zu verhindern. Demgegenüber sei ein Steuerpflichtiger, der allein im Vertrauen auf den Wortlaut der Vorschrift disponiert habe, weniger schutzwürdig. Denn die Vorschrift des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 a. F. enthalte lediglich Regelbeispielsfälle für den unbestimmten Rechtsbegriff der "wirtschaftlichen Identität" und sei nicht abschließend. Durch die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs mit einer Typisierung durch Regelbeispiele habe der Gesetzgeber die Finanzverwaltung zur Ausfüllung der Norm ermächtigt und ihr damit eine "gewaltenteilige" Rechtsetzungsmacht eingeräumt. Die Verwaltung habe den gesetzlichen Auftrag durch die Erteilung der verbindlichen Auskunft umgesetzt. Hierdurch werde der Gesetzgeber ebenso wenig in seiner Dispositionsbefugnis beeinträchtigt wie durch einen Billigkeitserlass nach einem Außerkrafttreten der Auskunft. Ein Steuerpflichtiger, der den u. U. von § 8 Abs. 4 KStG erfassten Sachverhalt lediglich im Rahmen seiner Steuererklärung mitteile, verzichte auf die vom Gesetzgeber vorgesehene Konkretisierung durch die Verwaltung mittels einer verbindlichen Auskunft und lasse ihn gegenüber einem Auskunftsinhaber in Bezug auf die Änderungsbefugnis des Gesetzgebers weniger schutzwürdig erscheinen. Eine verbindliche Auskunft in diesem Bereich begründe somit die Atypik eines solchen Falles gegenüber anderen Fällen.


Die Atypik beruhe des Weiteren darauf, dass sie, die Klägerin, die Verlustvorträge ohne die Umstrukturierungsmaßnahmen hätte nutzen können, weil sie in der Folgezeit aus ihrer ursprünglichen wirtschaftlichen Tätigkeit ausreichend Gewinne erwirtschaftet hätte, die mit den Vorträgen hätten verrechnet werden können (vgl. Schreiben des Wirtschaftsprüfers F vom 23.01.2013, Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 13.02.2013, FGA Anlagenband). Ein missbräuchlicher Mantelkauf liege auch deshalb nicht vor. Die Umstrukturierung sei unternehmerisch sinnvoll, aber nicht zwingend erforderlich gewesen und nur im Vertrauen auf die verbindliche Auskunft durchgeführt worden. Daher wäre es ohne das durch die verbindliche Auskunft begründete Vertrauen darauf, nicht missbräuchlich zu handeln, nicht zu der Umstrukturierung gekommen mit der Folge, dass die Verluste vollständig hätten genutzt werden können. Hierdurch unterscheide sich der Streitfall von den typischen Fällen, in denen die Verlustvorträge ohne Zuführung neuen Betriebsvermögens nicht genutzt werden könnten.


Ihrem, der Klägerin, Interesse werde durch die gewährte Stundung der Steuerforderungen nicht hinreichend Rechnung getragen.


Die Klägerin beantragt,


den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 11.04.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.08.2012 zu verpflichten, die Körperschaftsteuer für 1998 und für 1999 unter Berücksichtigung eines Verlustvortrages auf den 31.12.1997 in Höhe von ... DM aus Billigkeitsgründen abweichend jeweils auf 0,00 € festzusetzen und


die Gewerbesteuer für 1999 unter Berücksichtigung eines zusätzlichen vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1997 in Höhe von ... DM aus Billigkeitsgründen abweichend auf 0,00 € festzusetzen.


Der Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen.


Der Beklagte nimmt zur Begründung auf den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor:


Die Versagung der Verlustnutzung in den Jahren 1998 und 1999 begründe keine sachliche Unbilligkeit. Dem Steuerpflichtigen stehe bei Wegfall einer verbindlichen Auskunft kein auf Ermessensreduzierung beruhender Anspruch auf Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen zu. Zwar könne in Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger im Vertrauen auf eine verbindliche Zusage während ihrer Geltungszeit redlicherweise und unwiderruflich disponiert habe, eine abweichende Steuerfestsetzung in Betracht kommen, doch müssten auch in diesem Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 163 AO vorliegen; dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall.


Auf die Sitzungsniederschriften des Erörterungstermins vom 17.01.2013 und der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2013 wird Bezug genommen.


Dem Gericht haben je ein Band Körperschaft- und Gewerbesteuerakten, Betriebsprüfungsakten und Akten betreffend Billigkeitsmaßnahmen (St.-Nr. .../.../...) vorgelegen.


Aus den Gründen


I.


Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.


Die Ablehnung einer abweichenden Steuerfestsetzung durch den Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Finanzgerichtsordnung -FGO-).


1. Gemäß 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.


Zweck des § 163 AO ist, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11).


Die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Die gerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zur abweichenden Steuerfestsetzung aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum so eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht sein kann (sog. Ermessensreduzierung auf null; BFH-Urteile vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; vom 26.08.2010 III R 80/07, BFH/NV 2011, 401).


Der Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens wird durch den Begriff "unbillig" i. S. des § 163 AO abgegrenzt (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Unbilligkeit im Sinne dieser Vorschrift kann in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben (BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606). Die Kriterien hierfür sind im Regelungsbereich des § 163 AO dieselben wie im Rahmen des § 227 AO, weil sich diese beiden Billigkeitsvorschriften im Wesentlichen nur in der Rechtsfolgeanordnung, nicht aber in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unterscheiden (BFH-Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11).


2. Im Streitfall liegen weder sachliche noch persönliche Gründe für eine Unbilligkeit der Steuererhebung vor.


a) In der wirtschaftlichen Situation der Klägerin liegende (persönliche) Billigkeitsgründe sind im Streitfall nicht geltend gemacht worden. Zwar hat die Klägerin im vorgerichtlichen Verfahren zur Begründung ihres Stundungsantrages auf wirtschaftliche Schwierigkeiten hingewiesen, die Geltendmachung persönlicher Billigkeitsgründe im hiesigen Verfahren jedoch ausdrücklich abgelehnt.


b) aa) Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Urteile vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; vom 14.07.2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916).


bb) Eine Billigkeitsentscheidung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Sie darf nicht die Wertung des Gesetzes durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen (BFH-Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 05.05.2011 V R 39/10, BFH/NV 2011, 1474; vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103).


cc) Entspricht die Einziehung der Steuer zwar dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig. Dies kann nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren gegen den betreffenden Steuerbescheid geltend gemacht werden und rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme (BVerfG-Beschluss vom 08.07.1987 1 BvR 623/86, DStZ/E 1987, 277; BFH-Urteil vom 23.03.1998 II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098). Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen (BVerfG-Beschluss vom 19.12.1978 1 BvR 335/76 u. a., BVerfGE 50, 57, BStBl II 1979, 308; für einen Verstoß gegen das Übermaßverbot nur im Einzelfall BVerfG-Beschluss vom 05.04.1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, 445, m. w. N.; BFH-Urteil vom 23.03.1998 II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098). Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung, die in einem atypischen Einzelfall zu ergreifen ist (BFH-Urteile vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103; IV R 36/10, BFHE 238, 429, BFH/NV 2013, 2481).


dd) Unabhängig von einer etwaigen Verfassungswidrigkeit kann eine zur Missbrauchsverhinderung dienende, typisierende Vorschrift zu einer sachlichen Unbilligkeit im Einzelfall führen. Werden Missbrauchsfälle in typisierender Weise erfasst, ist eine Missbrauchsprüfung im Einzelfall zwar nicht erforderlich. Wird jedoch jenseits dieses Zwecks ein atypischer Einzelfall erfasst, in dem der Gesetzeszweck von vorneherein nicht greift, so stellt dies einen im Billigkeitswege zu korrigierenden Gesetzesüberhang dar (BFH-Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11, für die Absenkung der Beteiligung unter die Wesentlichkeitsschwelle gemäß § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 in einer wirtschaftlichen Notlage).


c) Im Streitfall hat der Beklagte eine abweichende Festsetzung der Steuern aus Billigkeitsgründen zu Recht abgelehnt, weil die Steuererhebung sachlich nicht unbillig ist. Da die Kriterien für eine abweichende Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 163 AO dieselben sind wie für einen Steuererlass gemäß § 227 AO (s. oben unter 1.), hat der Beklagte auch einen Erlass zu Recht abgelehnt, so dass nicht entschieden werden muss, ob und inwieweit der Klageantrag als auf einen Erlass gerichtet auszulegen wäre (zum Verhältnis der beiden Rechtsinstitute vgl. Urteil des FG München vom 17.01.2006 6 K 2292/04, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 21, 30).


aa) Der Beklagte hat die in der Zeit bis zum 11.11.1996 entstandenen Verluste der Klägerin entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes nicht zum 31.12.1997 und zum 31.12.1998 festgestellt und dementsprechend nicht gemäß § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10 d EStG, § 10a Gewerbesteuergesetz (GewStG) i. d. F. der Streitjahre vom jeweiligen Gesamtbetrag der Einkünfte bzw. vom Gewerbeertrag abgezogen.


aaa) Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG i. d. F. vom 22.02.1996 (i. V. m. § 10a Satz 4 GewStG) ist Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Wirtschaftliche Identität liegt nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als drei Viertel der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt. § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. definiert die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist (BFH-Urteil vom 22.10.2003 I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468).


bbb) Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (UntStRFoG) vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590) wurde das Regelbeispiel in Satz 2 in zwei Punkten verschärft: Danach genügt es, wenn mehr als die Hälfte der Anteile übertragen werden und der Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgeführt wird. Das UntStRFoG ist zwar auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen, aber dennoch gültig (BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008 2 BvL 12/01, BVerGE 120, 56, BGBl I 2008, 481). Nach § 54 Abs. 6 KStG 1996 i. d. F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.12.1997 (RVFinG; BGBl I 1997, 3121; nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i. d. F. des Steuersenkungsgesetzes) ist die Neuregelung erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Ist der Verlust der wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 06.08. eingetreten - am 05.08.1997 wurde das UntStRFoG im Bundestag verabschiedet -, gilt § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 1998. § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. gilt danach bereits im Veranlagungszeitraum 1997 auch für solche Körperschaften, die nach den Maßstäben der Neuregelung ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 01.01.1997 verloren haben (BFH-Beschluss vom 08.10.2008 I R 95/04, BFHE 223, 105, DStR 2009, 161).


ccc) Nach der nach dem Gesetzeswortlaut auf den Streitfall anzuwendenden Neuregelung hat die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität am ... 1996 verloren, weil sämtliche Anteile an ihr übergegangen sind, ihr Betriebsvermögen auf die D GmbH übertragen wurde und ihr gleichzeitig vollständig neues Betriebsvermögenzugeführt wurden.


bb) Zwar macht die Klägerin zu Recht geltend, dass die Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG durch das UntStRFoG in Verbindung mit der Übergangsregelung des § 52 Abs. 6 KStG i. d. F. des RVFinG eine unechte Rückwirkung beinhaltet. Diese unechte Rückwirkung rechtfertigt für sich genommen jedoch keine Billigkeitsmaßnahme.


aaa) Die Neuregelung entfaltet eine sog. unechte Rückwirkung, weil hierdurch Verlustvorträge entwertet werden, die vor Verkündung des Gesetzes entstanden und ggf. bestandskräftig festgestellt worden waren (BFH-Beschluss vom 14.03.2011 I R 95/04, BFH/NV 2011, 1192). Nach Auffassung des BFH verstößt die Übergangsregelung des § 54 Abs. 6 KStG 1996 n. F. insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), als die Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität vor dem 01.01.1997 verloren haben, bereits ab 1997 gelten soll, obwohl diese Körperschaften nicht weniger schutzwürdig seien als die, die ihre wirtschaftliche Identität erst zwischen dem 01.01. und dem 06.08.1997 verloren haben. Denn insbesondere in Fällen, in denen der Verlust der wirtschaftlichen Identität erst Ende 1996 eingetreten sei, hätten die Verluste regelmäßig noch nicht genutzt werden können (Vorlagebeschluss des BFH vom 08.10.2008 I R 95/04, BFHE 223, 105, DStR 2009, 161). Der übergangslose Wegfall eines im Einklang mit bisherigem Recht und bestandskräftig festgestellten Verlustabzugs sei unzulässig, wenn insoweit das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage schutzwürdig sei, denn dann müsse dem Steuerpflichtigen zumindest für einen Übergangszeitraum von einem Jahr die Nutzung des bislang festgestellten Verlusts möglich sein (BFH-Beschluss vom 14.03.2011 I R 95/04, BFH/NV 2011, 1192).


bbb) Die Frage, ob die unechte Rückwirkung der Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 verfassungsrechtlich zulässig und wie die Übergangsfrist ggf. zu bemessen ist, ist allerdings allein durch das BVerfG zu beurteilen und kann für sich genommen keine abweichende Steuerfestsetzung rechtfertigen (s.o. 1.b)cc)).


ccc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin bereits im Jahr 1996 eine unumkehrbare Disposition vorgenommen hat. Für die vom BVerfG bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer unechten Rückwirkung zu prüfende Frage, inwieweit das Vertrauen der Steuerpflichtigen verfassungsrechtlich geschützt ist, wird u. a. darauf abgestellt, ob und wann eine verbindliche Disposition vorgenommen wurde (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 2 BvL 1/03 u. a., BVerfGE 127, 31, BGBl I 2010, 1297). Die Situation der Klägerin ist insoweit nicht anders als die anderer Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität nach der Neuregelung vor dem 01.01.1997 verloren haben. Da ein Anteilskauf, der zum Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft führt, steuerrechtlich stets und zivilrechtlich regelmäßig unumkehrbar ist, ist der Streitfall gegenüber den anderen von der unechten Rückwirkung betroffenen Steuerpflichtigen nicht atypisch.


cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Vortrag der Klägerin, es habe kein missbräuchlicher Mantelkauf vorgelegen, weil sie die Verluste in den Folgejahren ohne die Umstrukturierung mit eigenen Gewinnen hätte verrechnen können. Dabei kann offen bleiben, ob diese Behauptung zutreffend ist.


Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 eine überschießende Wirkung in dem Sinne hätte, dass der Gesetzgeber eigentlich nur sog. Verlustmäntel hätte erfassen wollen, also das äußere rechtliche Kleid einer Kapitalgesellschaft ohne nennenswertes Vermögen und ohne Geschäftsbetrieb (zum Begriff FG Hamburg, Beschluss vom 04.04.2011 2 K 33/10, EFG 2011, 1460; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 8 Abs. 4 a. F. Rz. 14). Das Gesetz stellt vielmehr auf die wirtschaftliche Identität der Körperschaft, die den Verlust erlitten hat, mit der Körperschaft, die den Verlustabzug geltend macht, ab, die bei Verwirklichung des in Satz 2 genannten Regelbeispiels stets verloren gehen soll.


Ebenso wenig kommt es für die Tatbestandsverwirklichung auf die Gründe für die Anteilsübertragung an, z. B. darauf, ob aus anderen Gründen als der Verlustnutzung eine konzerninterne Umstrukturierung durchgeführt werden soll (BFH-Urteil vom 20.08.2003 I R 61/01, BFHE 203, 135, BStBl II 2004, 616).


Dem Charakter des § 8 Abs. 4 KStG 1996 als Missbrauchsverhinderungsnorm wird (allein) dadurch Rechnung getragen, dass von der Rechtsprechung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung verlangt wird und dass bei der Frage, ob überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt wurde, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin untersucht werden, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren, wie es bei Anlagevermögen i. d. R. der Fall ist (BFH-Urteil vom 01.07.2009 I R 101/08, BFH/NV 2009, 1838). Im Streitfall bestand aber ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung auf die E GmbH und der Zuführung des vollständig neuen Betriebsvermögens.


Gründe, die die sachliche Unbilligkeit der Anwendung der Missbrauchsverhinderungsvorschrift im Einzelfall begründen könnten, wie etwa, dass die Anteilsübernahme aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage erforderlich gewesen sei (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; oben 2.b)dd)), macht die Klägerin nicht geltend.


dd) Die Klägerin kann sich ebenso wenig darauf berufen, dass die begehrte Billigkeitsmaßnahme als eine flankierende Maßnahme zur Sicherstellung der Verfassungsmäßigkeit der typisierenden Norm erforderlich wäre (s. oben 2.b)cc)). Dabei kann offen bleiben, ob die Regelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. flankierender Billigkeitsmaßnahmen bedarf, weil der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln konnte. Denn es ist nicht erkennbar, dass diese Regelung gerade im Fall der Klägerin zu einer verfassungswidrigen individuellen Härte führte, wie etwa zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot oder das Leistungsfähigkeitsprinzip.


ee) Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet auch das Zusammentreffen der unechten Rückwirkung und der unumkehrbaren Disposition mit dem Entfallen der verbindlichen Auskunft keine sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung.


aaa) Nach § 2 Abs. 2 der aufgrund des § 89 Abs. 2 Satz 4 AO (eingeführt durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 05.09.2006, BGBl I 2006, 2098) erlassenen Steuer-Auskunftsverordnung vom 30.11.2007 (BGBl I 2007, 2783) entfällt die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Aber auch vor Einführung dieser Vorschriften war anerkannt, dass eine verbindliche Auskunft außer Kraft tritt, wenn sich die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften ändern (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 Rz. 55: analoge Anwendung des § 207 Abs. 1 AO). Bei einer rückwirkenden Gesetzesänderung entfällt auch die Auskunft rückwirkend, selbst wenn der relevante Sachverhalt bereits verwirklicht wurde. Eine gegenüber der zulässigen Rückwirkung von Gesetzen verstärkte Vertrauensbasis vermag auch eine verbindliche Auskunft nicht zu gewähren (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 207 AO Rz. 10, für die verbindliche Zusage). Denn nach dem Gewaltenteilungsprinzip kann die Verwaltung weder versprechen, dass sich die zugrunde liegenden Gesetze nicht ändern werden, noch, dass anderenfalls zugunsten des Zusageadressaten weiterhin die günstigere alte Fassung angewandt werde (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 207 AO Rz. 3; Frotscher in Schwarz, AO, Vor §§ 204-207 Rz. 15). Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass man mit Gesetzesänderungen rechnen muss und nicht auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer einmal geltenden Rechtslage vertrauen kann (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 2 BvL 1/03 u. a., BVerfGE 127, 31, BGBl I 2010, 1297). Dementsprechend hat das FA Kö-1 in der verbindlichen Auskunft vom 18.06.1996 ausdrücklich auf das Außerkrafttreten bei Änderung einer zugrundeliegenden Rechtsvorschrift hingewiesen.


bbb) Zwar wird in der Literatur, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, z. T. vertreten, dass bei dem Entfallen einer verbindlichen Zusage wegen einer Gesetzesänderung Billigkeitsmaßnahmen in Betracht kommen (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 207 AO Rz. 7: bei unwiderruflicher Disposition; Schallmoser in Hübschann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 207 AO Rz. 10; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 207 Rz. 1: allenfalls ausnahmsweise; Steinhauff, JurisPR-SteuerrR 8/2008 Anm. 4, allerdings für den Spezialfall der Rückführung einer steuerlichen Vergünstigung, die dem Bürger einen Anreiz zu einer bestimmten Investition geben sollte, wenn der Bürger diese Investition getätigt hat).


Der Beklagte hat das ihm insoweit eröffnete Ermessen jedoch erkannt und ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat der Situation der Klägerin dadurch Rechnung getragen, dass er ihr die Stundung der Steuerforderungen für 1998 und 1999 gewährt hat. Darüber hinaus besteht keine Ermessensreduzierung auf null dahingehend, dass der Beklagte die aus dem Verlustuntergang resultierenden Steuerforderungen bzw. Messbeträge für die Streitjahre abweichend auf 0 € festzusetzen hätte. Eine sachliche Unbilligkeit liegt auch insoweit nicht vor. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei Erlass der Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 und der dazu ergangenen Übergangsvorschrift solche Körperschaften hätte ausnehmen wollen, denen in einer verbindlichen Auskunft die Nichtanwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG 1996 in der vorherigen Fassung zugesagt worden war. Denn da sich die Verbindlichkeit einer Auskunft immer nur auf die zur Zeit ihrer Erteilung geltende Rechtslage beschränkt, rechtfertigt ihre Erteilung grundsätzlich nicht die Erwartung, das jeweilige Gesetz werde auch in Zukunft nicht geändert. In Bezug auf künftige Rechtsänderungen sind die Empfänger verbindlicher Auskünfte nicht schutzwürdiger als andere Steuerpflichtige. Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass sie aufgrund der verbindlichen Auskunft mehr als andere Steuerpflichtige darauf vertrauen konnte, den Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. nicht zu erfüllen, weil selbst die Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen des Regelbeispiels in Satz 2 eindeutig nicht erfüllten, nicht sicher ausschließen konnten, einen wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt i. S. des Satzes 1 verwirklicht zu haben. Andererseits ist die Klägerin aufgrund der verbindlichen Auskunft aber nicht schutzwürdiger, als sie es bei einer bestandskräftigen und nicht mehr änderbaren Verlustfeststellung auf den 31.12.1996 gewesen wäre. Auch diese Fälle hat der Gesetzgeber indes nicht von der Neuregelung ausgenommen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass er, hätte er insoweit ein Regelungsbedürfnis erkannt, die Empfänger verbindlicher Auskünfte von der Anwendung der Neuregelung ganz ausgenommen oder für sie eine länger als ein Jahr währende Übergangsfrist eingeräumt hätte.


Das gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch unter Berücksichtigung der Eigenschaft des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. als typisierende Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Eine verbindliche Auskunft in einem derartigen Bereich stellt sicher, dass nach geltendem Recht kein Missbrauch vorliegt, schützt aber nicht davor, dass der Gesetzgeber einen Missbrauch durch eine Neuregelung anders definiert, dass er eine Typisierung wählt, die von einem Missbrauch völlig abgekoppelt ist, oder dass er den Verlustvortrag in anderer Hinsicht beschränkt. Die Klägerin konnte durch die Einholung der verbindlichen Auskunft nur sicherstellen, dass die Regelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. auf sie nicht angewendet wird, und nur hierauf berechtigterweise vertrauen. Einen Schutz gegenüber einer rückwirkenden Verschärfung der Norm durch den Gesetzgeber konnte die Klägerin über die Verwaltung dagegen nicht sicherstellen.


Der erkennende Senat folgt der Klägerin im Übrigen nicht darin, dass der Gesetzgeber durch die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs und einer Typisierung in § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. eine Konkretisierungsbefugnis auf die Finanzverwaltung delegiert und ihr auf diese Weise eine "gewaltenteilige" Rechtsetzungsmacht eingeräumt hätte. Der Gesetzgeber hat lediglich einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet und diesen durch ein Regelbeispiel ausgefüllt. Die Auslegung des Gesetzes ist letztlich Aufgabe der Gerichte, die dabei keinen Beurteilungsspielraum der Verwaltung zu berücksichtigen haben. Eine irgendwie geartete Rechtsetzungsmacht der Verwaltung, die zu einer zumindest im Billigkeitswege zu gewährenden Rechtsanwendung entsprechend der verbindlichen Auskunft führen könnte, wurde der Verwaltung nicht eingeräumt.


ff) Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Klägerin auf die verbindliche Auskunft in besonderem Maße vertraut und daraufhin die Umstrukturierung vorgenommen hat und dass der Wegfall der erheblichen Verlustvorträge - nach dem Wortlaut des Gesetzes ab 1997, nach Auffassung des BFH, der sich der Beklagte durch den Erlass der Abhilfebescheide für 1996 angeschlossen hat, ab 1998 - für sie eine Härte bedeutet. Da die Klägerin jedoch keine persönlichen Billigkeitsgründe geltend macht, können ihre individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigt werden. Die für alle Körperschaften aus der Neuregelung resultierende Härte ist in der Rückwirkung der Neuregelung begründet, die jedoch, wie dargelegt, keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt, sondern im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift zu würdigen ist. Eine sachliche Unbilligkeit im Einzelfall der Klägerin liegt damit nicht vor.


II.


1. Der erkennende Senat hat von einer Aussetzung der Verhandlung gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvL 2/09 abgesehen, weil die Beteiligten diese nicht beantragt haben und weil sich der Vorlagebeschluss des BFH (vom 08.1.2008 I R 95/04, BFHE 223, 105, BFH/NV 2009, 500) auf die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i. d. F. des UntStRFoG für die betroffenen Körperschaften nur auf den Veranlagungszeitraum 1997 bezieht und nicht auf die folgenden Veranlagungszeiträume, die hier streitgegenständlich sind und von der Entscheidung des BVerfG daher voraussichtlich nicht betroffen sein werden. Im Übrigen ist die Entscheidung über die Steuerfestsetzung oder, wie hier, über eine Verlustfeststellung für vorangegangene Zeiträume nicht vorgreiflich für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 31), sondern umgekehrt allenfalls die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO für die Steuerfestsetzung (BFH-Urteil vom 20.09.2007 IV R 32/06, BFH/NV 2008, 569).


2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


3. Gründe, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, liegen nicht vor. Bei der Vorschrift des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. und der hierzu ergangenen Übergangsvorschrift handelt es sich um seit geraumer Zeit ausgelaufenes Recht. Der Senat geht nicht davon aus, dass bei den anderen Finanzgerichten eine erhebliche Zahl gleichgelagerter Fälle anhängig ist.

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