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Steuerrecht
31.03.2022
Steuerrecht
EuGH: Beziehung innerhalb eines Konzerns

EuGH, Urteil vom 24.2.2022 – C-605/20, Suzlon Wind Energy Portugal – Energia Eólica Unipessoal Lda gegen Autoridade Tributária e Aduaneira

ECLI:EU:C:2022:116

BB-Online: BBL2022-796-1

Tenor

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass Umsätze, die sich in einen vertraglichen Rahmen einfügen, in dem ein Erbringer von Dienstleistungen, der Empfänger dieser Dienstleistungen und die Art der in Rede stehenden, vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß verbuchten Leistungen benannt werden, deren Charakter als Dienstleistungen durch ihre Bezeichnung bestätigt wird und die zu einer vom Erbringer empfangenen Vergütung geführt haben, die den tatsächlichen Gegenwert dieser Dienstleistungen in Form von Belastungsanzeigen bildet, gegen Entgelt erbrachte Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, ungeachtet des etwaigen Fehlens eines Gewinns des Steuerpflichtigen oder des Bestehens einer Garantie in Bezug auf die Gegenstände, die Gegenstand dieser Leistungen waren.

Richtlinie 2006/112/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1, Art. 28, Art. 79 Abs. 1 Buchst. c, Art. 411 Abs. 1, Art. 413; Mehrwertsteuergesetz Art. 4; Richtlinie 77/388/EW Art. 2 Abs. 1

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Suzlon Wind Energy Portugal – Energia Eólica Unipessoal Lda (im Folgenden: Suzlon Wind Energy Portugal) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit von an einem Gegenstand während des Garantiezeitraums erbrachten Reparaturdienstleistungen für eine Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat, die mittelbar das gesamte Kapital der Klägerin des Ausgangsverfahrens hält.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Sechste Richtlinie 77/388/EWG

3          Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) sah vor:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen: … Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“

Richtlinie 2006/112

4          Der 66. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Die Pflicht zur Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht sollte nur jene Bestimmungen erfassen, die im Vergleich zu den bisherigen Richtlinien inhaltlich geändert wurden. Die Pflicht zur Umsetzung der inhaltlich unveränderten Bestimmungen ergibt sich aus den bisherigen Richtlinien.“

5          Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt.“

6          Nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie gilt als „Dienstleistung“ jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

7          Art. 28 der Richtlinie bestimmt:

„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“

8          Art. 411 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die Richtlinie 67/227/EWG und die [Sechste] Richtlinie [77/388] werden unbeschadet der Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang XI Teil B genannten Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und der Anwendungsfristen aufgehoben.“

9          Art. 413 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Diese Richtlinie tritt am 1. Januar 2007 in Kraft.“

Portugiesisches Recht

Mehrwertsteuergesetz

10        Art. 4 („Begriff der Dienstleistung“) des Código do Imposto sobre o Valor Acrescentado (Mehrwertsteuergesetz) in der Fassung des Decreto-Lei Nr. 102/2008 (Gesetzesdekret Nr. 102/2008) vom 20. Juni 2008 (Diário da República, Serie I, Nr. 118 vom 20. Juni 2008, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor:

„(1) Als Dienstleistungen gelten als gegen Entgelt bewirkte Umsätze, die keine Lieferungen, innergemeinschaftlichen Erwerbe oder Einfuhren von Gegenständen sind.

(2) Als Dienstleistung gegen Entgelt gelten auch:

c) die Lieferung beweglicher Sachen, die auf Bestellung mit vom Auftraggeber zu diesem Zweck geliefertem Material hergestellt oder montiert werden, unabhängig davon, ob der Auftragnehmer einen Teil der verwendeten Waren geliefert hat oder nicht.

(4) Wird die Dienstleistung von einem im eigenen Namen handelnden Bevollmächtigten erbracht, so ist dieser nacheinander der Empfänger und der Erbringer der Dienstleistung.“

Rundschreiben vom 4. Mai 1989

11        Im Ofício-Circulado da Direção de Serviços do IVA n. 49424 (Rundschreiben Nr. 49424 der Direktion für Mehrwertsteuerdienstleistungen) vom 4. Mai 1989 (im Folgenden: Rundschreiben vom 4. Mai 1989) heißt es:

„(1) Die während des Garantiezeitraums vorgenommenen Reparaturen gelten als nicht steuerpflichtig und als unentgeltlich ausgeführt, da sie als implizit im Verkaufspreis des Gegenstands, auf den sich die Garantie bezieht, enthalten angesehen werden und folglich nicht als gegen Entgelt bewirkte Umsätze gelten, wie sie unter anderen Umständen gemäß Art. 3 Abs. 3 Buchst. f und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b des Mehrwertsteuergesetzes gelten würden.

Wenn jedoch die genannten Dienstleistungen (unabhängig davon, ob sie die Verwendung von Material erfordern oder nicht) in Rechnung gestellt werden, sind diese unzweifelhaft gegen Entgelt bewirkte Umsätze und damit nach den üblichen Voraussetzungen des Mehrwertsteuergesetzes zu besteuern.

(2) Unter diesen Umständen kommt es ab dem Zeitpunkt, in dem die genannten Reparaturen in Rechnung gestellt, d. h. Dritte (seien es der Kunde, der Vertragshändler oder der Hersteller) belastet werden, zu einer Steuerveranlagung; das gleiche gilt, wenn es sich statt einer Belastung durch den Reparateur oder den Vertragshändler um eine vom Vertragshändler oder Hersteller mitgeteilte Gutschrift handelt.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12        Die Suzlon Wind Energy Portugal ist eine Gesellschaft, die im Energiesektor, insbesondere im Bereich der Windenergie, tätig ist. Sie ist in der Herstellung, der Montage, der Nutzung, dem Vertrieb, der Installation, der Entwicklung, der Bearbeitung, dem Betrieb und der Wartung sowie in der Erbringung von Dienstleistungen tätig. Sie ist in Portugal als Mehrwertsteuerpflichtige registriert. Diese Gesellschaft ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Suzlon Wind Energy A/S mit Sitz in Dänemark (im Folgenden: Suzlon Wind Energy Dänemark).

13        Am 17. Juni 2006 schloss die Suzlon Energy Limited (im Folgenden: Suzlon Energy Indien), eine Gesellschaft indischen Rechts, mit der Suzlon Wind Energy Dänemark, deren Kapital sie vollständig hielt, eine Vereinbarung über Verkaufsbedingungen (Terms and Conditions of Sales Agreement) von Windkraftanlagen und Zubehör (im Folgenden: Vereinbarung von 2006).

14        Die Vereinbarung von 2006 regelte gemäß ihrer Klausel 1 die Bedingungen für die Lieferung von Windkraftanlagen und Zubehör zwischen dem Lieferer, der Suzlon Energy Indien, und der Erwerberin, der Suzlon Wind Energy Dänemark, sowie zwischen dieser und ihren Tochtergesellschaften. Gemäß Klausel 11 dieser Vereinbarung übernahm der Lieferer für alle hergestellten Teile bei Fabrikationsfehlern für die Dauer von zwei Jahren ab dem Datum des Geschäftsabschlusses eine Garantie. Er garantierte somit die Zahlung der Teile, der Reparaturen und der Transporte der defekten Teile; die mit dem Austausch dieser defekten Teile verbundenen Lohnkosten wurden jedoch von der Erwerberin getragen. Bei von Dritten hergestellten Teilen musste der Lieferer die Erwerberin in die Lieferverträge eintreten lassen, damit diese selbst mit den Lieferern Kontakt aufnehmen konnte, um die geltende Garantie in Anspruch zu nehmen, wobei die damit verbundenen Kosten in diesem Fall von der Erwerberin zu tragen waren.

15        2007 und 2008 erwarb die Suzlon Wind Energy Portugal unmittelbar von der Suzlon Energy Indien insgesamt 21 Windkraftanlagen mit jeweils drei Rotorblättern für Windparks in Portugal im Gesamtwert von 3 879 000 Euro. Diese Parks gehören Drittunternehmen.

16        Ab September 2007 traten in einigen Rotorblättern, für die noch die Garantie galt, Risse auf, die ihre Reparatur bzw. ihren Austausch erforderlich machten.

17        Am 25. Januar 2008 schlossen die Suzlon Wind Energy Portugal und die Suzlon Energy Indien einen Dienstleistungsvertrag (Services Agreement, im Folgenden: Vertrag von 2008) über die Reparatur bzw. den Austausch von 63 defekten Rotorblättern. In diesem Vertrag heißt es, dass die Suzlon Wind Energy Portugal in der Lage sei, in Portugal eine Reparaturanlage für Windkraftanlagen und Zubehör zu errichten, und dass die Ersatzblätter von Indien nach Portugal transportiert würden.

18        Im Rahmen des genannten Vertrags verpflichtete sich die Suzlon Energy Indien, die Suzlon Wind Energy Portugal bei der Logistik und bei der Reparatur bzw. dem Austausch von Rotorblättern zu unterstützen. Die Suzlon Wind Energy Portugal sollte der Suzlon Energy Indien Reparaturanlagen zur Verfügung stellen und Dienstleistungen im Zusammenhang der Lagerung und Handhabung von Rotorblättern erbringen. Außerdem sollte sie auf Kosten der Suzlon Energy Indien sämtliche für die Reparatur der defekten Rotorblätter erforderlichen Geräte und Materialien erwerben und intern den Transport der Ersatzblätter organisieren. Schließlich sollte die Suzlon Wind Energy Portugal auf ihre Kosten der Suzlon Energy Indien jegliche von dieser vernünftigerweise gewünschte Information bzw. Unterstützung zukommen lassen.

19        Im Vertrag von 2008 wurde die Beziehung zwischen der Suzlon Energy Indien und der Suzlon Wind Energy Portugal als Kunde-Lieferer-Verhältnis bezeichnet, wobei die Suzlon Energy Indien auf eigene Rechnung und nicht im Interesse der Suzlon Wind Energy Portugal handelt.

20        Zwischen September 2007 und März 2009 führte die Suzlon Wind Energy Portugal den Austausch bzw. die Reparatur der defekten Rotorblätter sowie anderer Teile der Windkraftanlagen durch. Hierfür beschaffte sie das notwendige Material und vergab bestimmte Dienstleistungen an Dritte als Subunternehmer, die die entsprechenden Rechnungen für die in Rede stehenden Käufe und Dienstleistungen ausstellten. Ausweislich ihrer Buchführung brachte sie für alle diese Umsätze die Mehrwertsteuer in Abzug.

21        Am 27. Februar 2009 stellte die Suzlon Wind Energy Portugal der Suzlon Energy Indien die Belastungsanzeige Nr. 39/2008 über 2 909 643 Euro aus. Für einen Teil dieses Betrags, nämlich 2 232 373 Euro, enthielt die Belastungsanzeige den Vermerk „Nonkonformitätsbericht bis Ende März [2008]/Detaillierte Liste der [Berichte über die fehlende Konformität] im Anhang“.

22        Am 31. März 2009 stellte die Suzlon Wind Energy Portugal eine zweite Belastungsanzeige mit der Nr. 44/2008 über 3 263 454,84 Euro aus, die ebenfalls an die Suzlon Energy Indien gerichtet war und den Vermerk „Umrüstung Rotorblätter Portugal bis März 2009/a) Kosten Umrüstung Rotorblätter bis März 2009/b) Kosten Anleitung technische Änderung (nicht projektbezogen)“ enthielt.

23        Am gleichen Tag stellte sie derselben Empfängerin eine dritte Belastungsanzeige mit der Nr. 50/2008 aus, die sich auf 1 913 533,68 Euro belief. Diese letzte Belastungsanzeige enthielt den Vermerk „Nonkonformitätsbericht von April [20]08 bis März [20]09/Detaillierte Liste der [Berichte über die fehlende Konformität] im Anhang“.

24        Keine dieser drei Belastungsanzeigen (im Folgenden: streitige Belastungsanzeigen) wies die Mehrwertsteuer aus oder nannte einen Grund für eine Steuerbefreiung. Mehrwertsteuer wurde im Übrigen auch nicht berechnet.

25        Am 31. Mai 2012 stellten die Serviços de Inspecção Tributária da Direcção de Finanças de Lisboa (Steuerprüfungsdienste der Finanzdirektion von Lissabon, Portugal) der Suzlon Wind Energy Portugal im Rahmen einer Mehrwertsteuerprüfung für das Jahr 2009 eine Aufforderung zur Zahlung der Mehrwertsteuer zu, die fast vollständig der in den streitigen Belastungsanzeigen nicht ausgewiesenen Mehrwertsteuer entsprach. Der auf diese Aufforderung folgende Bescheid über die Nacherhebung der Mehrwertsteuer belief sich auf 1 666 710,02 Euro einschließlich Verzugszinsen. Nach den Angaben im Bericht der Steuerprüfungsdienste hätte die Mehrwertsteuer 1 481 872,31 Euro betragen, wenn die den streitigen Belastungsanzeigen zugrunde liegenden Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen worden wären.

26        Die Suzlon Wind Energy Portugal erhob gegen diesen Nacherhebungsbescheid Klage. Mit Urteil vom 30. Juni 2017 wies das Tribunal Tributário de Lisboa (Finanzgericht Lissabon, Portugal) die Klage ab.

27        Die Suzlon Wind Energy Portugal legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Sie macht geltend, eine Erzielung von Einnahmen werde nicht bezweckt, wenn Ausgaben, die ihr für die Reparatur oder den Ersatz der erworbenen Gegenstände entstanden seien, innerhalb des Garantiezeitraums an den Lieferer, im vorliegenden Fall die Suzlon Energy Indien, lediglich weiterberechnet würden. Die streitigen Belastungsanzeigen stellten keine Gegenleistung für eine Leistung dar, sondern es gehe um die Erstattung der ihr für die Durchführung einer Aufgabe, die dem Lieferer oblegen habe, entstandenen Kosten, da sich diese Aufgabe aus dessen Garantieverpflichtung für die Kaufsache ergebe. Es handele sich nicht um entgeltliche Dienstleistungen, sondern um bloße Cashflows, die keinen Mehrwert erzeugten und daher nicht der Mehrwertsteuer unterlägen.

28        Die Steuer- und Zollbehörde ist der Ansicht, dass die Umsätze in den streitigen Belastungsanzeigen der tatsächlichen Erbringung einer Dienstleistung durch die Suzlon Wind Energy Portugal in Portugal gemäß dem Vertrag von 2008 entsprächen, in dessen Rahmen die Suzlon Wind Energy Portugal sämtliche von ihren Subunternehmern gelieferten Gegenstände und erbrachten Dienstleistungen verbucht und die entsprechende Mehrwertsteuer abgezogen habe. Diese Dienstleistungen hätten daher der Mehrwertsteuer zum Normalsatz unterworfen werden müssen. Die genannte Behörde weist u. a. darauf hin, dass sich aus der Formulierung der streitigen Belastungsanzeigen ergebe, dass sie während des gesamten Projekts erstellte Nonkonformitätsberichte beträfen. Überdies sehe das im vorliegenden Fall einschlägige Rundschreiben vom 4. Mai 1989 für die seitens des Kunden an den Lieferer während des Garantiezeitraums erbrachten Dienstleistungen vor, dass Mehrwertsteuer für Dienstleistungen wie die in den streitigen Belastungsanzeigen genannten zu berechnen sei.

29        Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die Auslegung, nach der innerhalb des so genannten „Garantiezeitraums“ durchgeführte Reparaturen nur dann als nicht steuerpflichtige Umsätze angesehen werden, wenn sie unentgeltlich bewirkt werden, und nur, soweit sie stillschweigend im Kaufpreis des von der Garantie umfassten Produkts enthalten waren, sodass während des Garantiezeitraums erbrachte Dienstleistungen (unabhängig davon, ob sie die Verwendung von Material erfordern oder nicht), die in Rechnung gestellt werden, steuerpflichtig sind, da sie zwingend als entgeltliche Dienstleistungen einzuordnen sind, mit dem Unionsrecht vereinbar?

2. Ist es als bloße Kostenweitergabe und damit als von der Mehrwertsteuer befreiter Tatbestand oder vielmehr als entgeltliche steuerpflichtige Dienstleistung anzusehen, wenn dem Lieferer von Teilen für Windkraftanlagen zum Zweck der Wiedererlangung der dem Erwerber innerhalb des Garantiezeitraums entstandenen Kosten – für Ersatzteile (neue Wareneinfuhren des Lieferers, die mit Mehrwertsteuer belegt worden sind und ein Recht zum Vorsteuerabzug haben entstehen lassen) und die entsprechenden Reparaturen (durch Ankauf von Dienstleistungen bei Dritten, für die Mehrwertsteuer zu entrichten war) im Rahmen von Dienstleistungen zur Installation eines Windparks, die der Erwerber (der zum selben Konzern gehört wie der in einem Drittland ansässige Verkäufer) Dritten gegenüber erbracht hat – eine Belastungsanzeige ausgestellt wird?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

Es bestehen Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens

30        Ohne förmlich geltend zu machen, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei, äußert die portugiesische Regierung Zweifel an dessen Vereinbarkeit mit Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

31        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, die nunmehr Ausdruck in Art. 94 dieser Verfahrensordnung gefunden hat, eine Auslegung des Unionsrechts, die für das nationale Gericht von Nutzen ist, nur dann möglich ist, wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 30. April 2020, Blue Air – Airline Management Solutions, C-584/18, EU:C:2020:324, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Sechste Richlinie 77/388

32        Im vorliegenden Fall trifft es zwar zu, dass die in Rn. 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorlagefragen keine spezielle Bestimmung des Unionsrechts oder des portugiesischen Rechts erwähnen, doch ist vorab darauf hinzuweisen, dass sich das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen auf die Sechste Richtlinie 77/388 bezieht und darauf hinweist, dass es „Zweifel über die Auslegung von Art. 2 [dieser] Richtlinie hegt“. Ferner weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es in den übrigen Bestimmungen dieser Richtlinie und im Mehrwertsteuergesetz keine eindeutige oder klare Antwort gefunden habe. Das vorlegende Gericht verweist auch auf die im Rundschreiben vom 4. Mai 1989 dargelegte Rechtsauffassung der portugiesischen Finanzverwaltung betreffend Reparaturen von Gegenständen während des Garantiezeitraums, die daher als nationale Praxis angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2013, Metropol Spielstätten, C-440/12, EU:C:2013:687, Rn. 39 [BB 2013, 2978 m. BB-Komm. Dziadkowski]).

Der Ausgangsrechtsstreit ist kurz aber verständlich dargestellt

33        Das vorlegende Gericht hat den rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits somit kurz, aber verständlich dargestellt.

Es geht um Fragen zur Mehrwertsteuer

34        Überdies geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hinreichend klar hervor, dass sich dem Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) hinsichtlich der Umsätze, auf die sich die streitigen Belastungsanzeigen beziehen, Fragen zu dem Begriff der „gegen Entgelt erbrachten Dienstleistungen“ stellen, wenn es darum geht, zu bestimmen, ob die fraglichen Umsätze der Mehrwertsteuer unterliegen müssen.

Die Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit ist zu beachten

35        Es ist indessen darauf hinzuweisen, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht spricht und der Gerichtshof die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen kann, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 26. Oktober 2017, BB construct, C-534/16, EU:C:2017:820, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung [RIW 2017, 849]).

Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts sind erheblich

36        In der vorliegenden Rechtssache ermöglichen es die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur Erheblichkeit der für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits vorgelegten Fragen, deren Tragweite zu bestimmen und dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist zulässig

37        Außerdem macht die Europäische Kommission geltend, dass die erste Vorlagefrage aus zwei Teilen bestehe und der zweite Teil, der die Frage betreffe, ob der in Rede stehende Gegenwert als stillschweigend in den Kaufpreis einbezogen angesehen werden könne, wenn die Reparaturdienstleistung unentgeltlich erbracht werde, unzulässig sei, weil er Dienstleistungen betreffe, die nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache seien. Insoweit genügt die Feststellung, dass dieses Vorbringen auf einem falschen Verständnis der ersten Vorlagefrage beruht. Aus deren Formulierung geht nämlich hervor, dass in ihrem Kontext die „unentgeltlich und … stillschweigend im Kaufpreis des von der Garantie umfassten Produkts enthalten[en]“ Umsätze nur für eine Auslegungshypothese der Sechsten Richtlinie 77/388 stehen, um deren Prüfung das vorlegende Gericht den Gerichtshof ersucht, aus der sich im Umkehrschluss ergäbe, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze mehrwertsteuerpflichtig sind.

38        Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher als zulässig zu erachten.

Zur Beantwortung der Vorlagefragen

Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/112

Es bestehen Zweifel an der Auslegung der Sechsten Richtlinie

39        Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Auslegung von Art. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388, die seines Erachtens in ihrer „zum Zeitpunkt des Sachverhalts geltenden“ Fassung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar ist.

Der Sachverhalt betrifft die Richtlinie 2006/112

40        Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Aufforderung zur Zahlung der Mehrwertsteuer im Ausgangsverfahren auf den im Jahr 2009 verbuchten streitigen Belastungsanzeigen beruht, in denen keine Mehrwertsteuer ausgewiesen war, weswegen diese zu diesem Zeitpunkt nicht berechnet worden ist. Der maßgebliche Sachverhalt hat sich somit nach dem 1. Januar 2007 zugetragen, dem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie 2006/112, wie sich aus ihren Art. 411 und 413 ergibt, in Kraft getreten ist und die Sechste Richtlinie 77/388 ersetzt hat (Urteil vom 12. Mai 2011, Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, EU:C:2011:298, Rn. 24).

Der 66. Erwägungsgrund gibt die Umsetzung in nationales Recht vor

41        In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es im 66. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt: „Die Pflicht zur Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht sollte nur jene Bestimmungen erfassen, die im Vergleich zu den bisherigen Richtlinien inhaltlich geändert wurden. Die Pflicht zur Umsetzung der inhaltlich unveränderten Bestimmungen ergibt sich aus den bisherigen Richtlinien.“ (Urteil vom 4. Oktober 2017, Federal Express Europe, C-273/16, EU:C:2017:733, Rn. 29 [BB 2017, 2453 Tenor]).

Die hier in Rede stehenden Vorschriften der Richtlinie 2006/112 entsprechen den Vorschriften der Sechsten Richtlinie

42        Aus der Tabelle in Anhang XII der Richtlinie 2006/112 ergibt sich jedoch, dass die Bestimmungen in Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388, wonach Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführte, der Mehrwertsteuer unterlagen, den Bestimmungen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 entsprechen.

Inhaltiche Änderungen zwischen den Fassungen liegen nicht vor

43        In Ermangelung inhaltlicher Änderungen gegenüber der Sechsten Richtlinie 77/388 ist davon auszugehen, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie am 1. Januar 2007 bereits in das portugiesische Recht umgesetzt war (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Oktober 2017, Federal Express Europe, C-273/16, EU:C:2017:733, Rn. 30 [BB 2017, 2453 Tenor]). Die Sechste Richtlinie 77/388 musste nämlich gemäß Art. 395 in Verbindung mit Anhang XXXVI, II a. E. des Vertrags über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 1985, L 302, S. 9) bis spätestens 1. Januar 1989 in portugiesisches Recht umgesetzt werden.

Die Prüfung der Vorlagefragen ist für die Auslegung der Bestimmung maßgeblich

44        Folglich ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 insofern auf das Ausgangsverfahren zeitlich anwendbar, als sich der Ausgangsrechtsstreit auf die Erhebung der für das Jahr 2009 geschuldeten Mehrwertsteuer bezieht (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Oktober 2017, Federal Express Europe, C-273/16, EU:C:2017:733, Rn. 31 [BB 2017, 2453 Tenor]). Daher ist für die Prüfung der Vorlagefragen die Auslegung dieser Bestimmung maßgeblich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2011, Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, EU:C:2011:298, Rn. 26).

Zu den Vorlagefragen

Die Mehrwertsteuerpflicht setzt fünf Kriterien voraus

45        Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Umsätze, die zur Verbuchung von Belastungsanzeigen eines Mehrwertsteuerpflichtigen und zum Vorsteuerabzug für die Lieferung derjenigen Gegenstände und die Erbringung derjenigen Dienstleistungen Anlass gegeben haben, die diese Umsätze ermöglicht haben, gegen Entgelt erbrachte Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, wenn sie sich zum einen auf Gegenstände bezogen haben, für die noch eine Garantie bestand, und zum anderen von diesem Steuerpflichtigen so dargestellt werden, dass sie zu keinem Gewinn zu seinen Gunsten geführt haben.

46        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrwertsteuerpflicht nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112, wie sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, voraussetzt, dass fünf Kriterien erfüllt sind, nämlich dass der in Rede stehende Umsatz eine Dienstleistung ist, dass diese gegen Entgelt erbracht wird, dass sie im Gebiet eines Mitgliedstaats erbracht wird, dass sie von einem Steuerpflichtigen erbracht wird und dass dieser als solcher handelt.

Zwei der Kriterien sind offenkundig erfüllt

47        Erstens geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Suzlon Wind Energy Portugal in Portugal mehrwertsteuerpflichtig ist und dass die in Rede stehenden Umsätze im Gebiet dieses Mitgliedstaats bewirkt wurden, sodass zwei der in der vorstehenden Randnummer genannten Kriterien offenkundig erfüllt sind.

Der Steuerpflichtige muss die Umsätze in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger bewirken

48        Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass das nunmehr zu prüfende Kriterium, ob der Steuerpflichtige als solcher handelt, die Feststellung voraussetzt, dass der Steuerpflichtige die fraglichen Umsätze tatsächlich in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger bewirkt hat, ob er sie, anders gesagt, also zum einen nicht für private Zwecke (Urteil vom 4. Oktober 1995, Armbrecht, C-291/92, EU:C:1995:304, Rn. 16 bis 18 [BB 1995, 2630 m. Anm. Lohse, EWS 1996, 185, RIW 1996, 75]), sondern im Rahmen seiner steuerbaren Tätigkeit ausgeführt hat (Urteil vom 12. Januar 2006, Optigen u. a., C-354/03, C-355/03 und C-484/03, EU:C:2006:16, Rn. 42) und ob er zum anderen im Rechtssinn ihr wahrer Urheber ist. Im vorliegenden Fall ist daher hinsichtlich der Umsätze, die Gegenstand der streitigen Belastungsanzeigen sind, zu prüfen, ob die Suzlon Wind Energy Portugal in ihrem eigenen Namen als Mehrwertsteuerpflichtige oder im Namen und für Rechnung der Suzlon Energy Indien gehandelt hat.

Durchlaufende Posten erfüllen diese Bedingung nicht

49        Insoweit wird das vorlegende Gericht den durch Vertrag und Buchführung vorgegebenen Rahmen zu prüfen haben, in dem es zu den streitigen Belastungsanzeigen kam, insbesondere um festzustellen, ob es sich möglicherweise um durchlaufende Posten im Sinne von Art. 79 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juni 2006, De Danske Bilimportører, C-98/05, EU:C:2006:363, Rn. 25).

Die Garantieregelungen erstrecken sich auch auf Tochterunternehmen

50        In vertraglicher Hinsicht geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Vereinbarung von 2006 die Garantie für Vertragsgemäßheit und Funktionsfähigkeit der gelieferten Gegenstände zwischen dem Lieferer, der Suzlon Energy Indien, und der Erwerberin, der Suzlon Wind Energy Dänemark, regelt und sich auch auf deren Tochtergesellschaften wie die Suzlon Wind Energy Portugal erstreckt. Im vorliegenden Fall zeigt sich vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Überprüfungen, dass der Suzlon Wind Energy Portugal im Zuge der unmittelbaren Einfuhr der mangelbehafteten Gegenstände von Suzlon Energy Indien die in der Vereinbarung von 2006 vorgesehene Garantie zugutekam.

Ein Fall der direkten Garantie gegenüber einem Endkunden liegt nicht vor

51        Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht nicht um die von der Suzlon Wind Energy Portugal ihren Kunden angebotene Garantie geht. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht auch nicht hervor, dass es im vorliegenden Fall eine direkte Garantie seitens der Suzlon Energy Indien zugunsten der Endkunden gibt.

Die vertragsgegenständlichen Dienstleistungen werden an eine Kundin erbracht

52        Aus den im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegebenen Auszügen des Vertrags von 2008 ergibt sich unmissverständlich, dass die vertragsgegenständlichen Dienstleistungen der Reparatur bzw. des Austauschs von einer Dienstleisterin, der Suzlon Wind Energy Portugal, an eine Kundin, die Suzlon Energy Indien, erbracht werden.

Der Mehrwertsteuerpflichtige hat den Buchführungsnachweis zu führen

53        Was die Buchführung betrifft, so muss ein Mehrwertsteuerpflichtiger in der Lage sein, die Richtigkeit und den Inhalt der in seiner Buchführung verzeichneten Umsätze nachzuweisen. Hierbei können die nationalen Steuerbehörden die Bezeichnung dieser Umsätze neben allen übrigen relevanten Umständen berücksichtigen, um die Steuerbarkeit eines Umsatzes zu bestimmen. Im vorliegenden Fall wird im Vorabentscheidungsersuchen die Formulierung der streitigen Belastungsanzeigen angegeben, aus denen hervorgeht, dass die Suzlon Wind Energy Portugal mehrere „Berichte über die fehlende Konformität“ erstellt und „Umrüstungen“ der betreffenden Geräte für die Suzlon Energy Indien vorgenommen hat.

Eine grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung liegt vor

54        Die Suzlon Wind Energy Portugal hat ferner erklärt, sie habe sich dafür entschieden, die betreffenden Reparaturen bzw. die Austausche im portugiesischen Hoheitsgebiet zu übernehmen. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sie hierzu auf Lieferer von Gegenständen und Erbringer von Dienstleistungen zurückgegriffen habe. Sämtliche in diesem Zusammenhang ausgestellten Rechnungen seien nicht auf die Suzlon Energy Indien, sondern auf die Suzlon Wind Energy Portugal ausgestellt worden. Diese habe den in diesen Rechnungen ausgewiesenen Betrag der Mehrwertsteuer abgezogen, die daher als Vorsteuer der mit den streitigen Belastungsanzeigen verbuchten Umsätze anzusehen sei.

Eine Verbuchung als durchlaufender Posten hat nicht stattgefunden

55        Außerdem sind, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird, seitens der Suzlon Wind Energy Portugal die Beträge für die Reparatur- bzw. Austauscharbeiten offenbar nicht als durchlaufende Posten verbucht worden, wie dies im Hinblick auf eine sofortige Neuzuweisung dieser Beträge der Fall sein muss.

Die Eigenschaft als Steuerpflichtiger liegt vor

56        In Anbetracht der Angaben des vorlegenden Gerichts und vorbehaltlich der ihm obliegenden Prüfungen ist daher davon auszugehen, dass bei einem Mehrwertsteuerpflichtigen, der so gehandelt hat, wie es die Suzlon Wind Energy Portugal offenbar getan hat, davon auszugehen ist, dass er als ein Steuerpflichtiger anzusehen ist, der als solcher handelt.

Ein Dienstleistungsumsatz ist festzustellen

57        Drittens muss es sich bei dem fraglichen Umsatz um eine Dienstleistung handeln.

Jeder Umsatz, der keine Lieferung ist, ist Dienstleistung

58        Nach Art. 24 der Richtlinie 2006/112 gilt als Dienstleistung jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist. Zur Bestimmung des in Rede stehenden Umsatzes sind die Gesamtumstände zu berücksichtigen, unter denen der fragliche Umsatz getätigt wird (Urteil vom 17. Januar 2013, BGŻ Leasing, C-224/11, EU:C:2013:15, Rn. 32). In diesem Zusammenhang sind die einschlägigen Vertragsbestimmungen ein Umstand, der bei der Feststellung zu berücksichtigen ist, wer Erbringer und wer Begünstigter einer „Dienstleistung“ im Sinne dieser Richtlinie ist (Urteil vom 2. Mai 2019, Budimex, C-224/18, EU:C:2019:347, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung [BB 2019, 1109 Tenor]).

Eine Dienstleistungserbringerin ist gegeben

59        Insoweit ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass der als „Services Agreement“ bezeichnete Vertrag von 2008 und die streitigen Belastungsanzeigen, die sich auf die Berichte über die fehlende Konformität und die Umrüstungen beziehen, zeigen, dass die Suzlon Wind Energy Portugal offenbar eine Dienstleistungserbringerin ist, deren Kundin die Suzlon Energy Indien ist.

Eine Rücksendung defekter Materialien ist nicht zu sehen

60        Hinzu kommt, dass Umsätze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht der Rücksendung defekter Materialien an den Lieferer zum Zwecke der Reparatur bzw. des Austauschs gleichgestellt werden können, da es im vorliegenden Fall die Erwerberin der in Rede stehenden Gegenstände war, die vom Lieferer beauftragt wurde, eine bestimmte Anzahl von Dienstleistungen zur Umsetzung der Garantie dieses Lieferers zu erbringen.

Die Dienstleistung muss gegen Entgelt erbracht werden

61        Viertens muss die Dienstleistung gegen Entgelt erbracht werden.

Ein Leistungsaustausch ist erforderlich

62        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Dienstleistung nur dann im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 gegen Entgelt erbracht wird, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (Urteil vom 16. September 2021, Balgarska natsionalna televizia, C-21/20, EU:C:2021:743, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Eine Leistung liegt vor

63        Unbeschadet der Bewertung dieser verschiedenen Gesichtspunkte durch das vorlegende Gericht kann darauf hingewiesen werden, dass schon bei bloßer Durchsicht des Vorabentscheidungsersuchens erstens das den streitigen Belastungsanzeigen zugrunde liegende Rechtsverhältnis der Vertrag von 2008 ist, zweitens die Vergütung der Dienstleistungserbringerin offenbar diesen Belastungsanzeigen entspricht und drittens die von der Suzlon Wind Energy Portugal der Suzlon Energy Indien erbrachten Dienstleistungen, d. h. insbesondere die Unterstützung bei Reparatur bzw. Austausch der defekten Rotorblätter, der Definition einer „dem Leistungsempfänger erbrachten bestimmbaren Dienstleistung“ entsprechen.

Die Belastungsanzeigen sind die Gegenleistung

64        Sodann schließt der Umstand, dass sich der Gegenwert dieser Dienstleistungen in Form von Belastungsanzeigen darstellt, es nicht aus, diesen Gegenwert als Vergütung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 anzusehen. Der Gerichtshof hat nämlich bereits festgestellt, dass der Umstand, dass eine Vergütung nicht die Form der Zahlung oder der Zahlung spezieller Gebühren annimmt, für die Ermittlung des entgeltlichen Charakters einer Dienstleistung ohne Belang ist (Urteil vom 22. Oktober 2015, Hedqvist, C-264/14, EU:C:2015:718, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung [EWS 2015, 357 Tenor, K&R 2015, 786, RIW 2016, 239]).

Die Ausführung des Leistungsaustausches zum Selbstkostenpreis hat für die Frage Umsatz gegen Entgelt keine Bedeutung

65        Was schließlich den Umstand – sein Vorliegen unterstellt – anbelangt, dass die Suzlon Wind Energy Portugal die Kosten für den Austausch bzw. die Reparatur der defekten Rotorblätter ohne Marge oder Aufpreis weiterberechnet hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem Preis unter oder über dem Selbstkostenpreis ausgeführt wird, unerheblich ist, wenn es darum geht, einen Umsatz als „entgeltlichen Umsatz“ zu qualifizieren, da dieser Begriff lediglich das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der Gegenleistung voraussetzt, die der Steuerpflichtige tatsächlich erhalten hat (Urteil vom 12. Mai 2016, Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C-520/14, EU:C:2016:334, Rn. 26).

Eine Dienstleistung gegen Entgelt liegt vor

66        Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Umsätze, wie sie das vorlegende Gericht beschreibt, die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 aufgestellten Kriterien einer Dienstleistung gegen Entgelt erfüllen.

Die Erbringung im Rahmen einer Garantie führt zu keiner anderen Beurteilung

67        Hinzuzufügen ist, dass eine Garantie für die gelieferten Gegenstände nur dann Auswirkungen auf die Einstufung als Dienstleistung gegen Entgelt hätte, wenn sie eines der in dieser Bestimmung genannten Kriterien beeinflussen würde. Dies wäre z. B. der Fall, wenn der Dienstleistungserbringer im Namen und für Rechnung eines anderen gehandelt hätte, indem er sich darauf beschränkt hätte, die Beträge, die sich auf die in Rede stehenden Gegenstände und die Austausch- bzw. Reparaturarbeiten beziehen, als durchlaufende Posten im Sinne von Art. 79 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 zu behandeln, indem er die Vorsteuer nicht abgezogen und auf den Bestellungen und Rechnungen den Namen der Gesellschaft angegeben hätte, für deren Rechnung diese Gegenstände erworben und die Arbeiten durchgeführt wurden.

68        Jedenfalls unterscheidet sich eine Situation, in der Berichte über die fehlende Konformität der von der Garantie gedeckten Gegenstände über mehrere Monate hinweg erstellt und Umrüstungen dieser Gegenstände vorgenommen wurden, von Konstellationen, in denen defekte, von einer Garantie gedeckte Gegenstände schlicht und einfach ersetzt wurden.

Ordnungsgemäß verbuchte Leistungen sprechen für den Charakter einer Dienstleistung

69        Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Umsätze, die sich in einen vertraglichen Rahmen einfügen, in dem ein Erbringer von Dienstleistungen, der Empfänger dieser Dienstleistungen und die Art der in Rede stehenden, vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß verbuchten Leistungen benannt werden, deren Charakter als Dienstleistungen durch ihre Bezeichnung bestätigt wird und die zu einer vom Erbringer empfangenen Vergütung geführt haben, die den tatsächlichen Gegenwert dieser Dienstleistungen in Form von Belastungsanzeigen bildet, gegen Entgelt erbrachte Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, ungeachtet des etwaigen Fehlens eines Gewinns des Steuerpflichtigen oder des Bestehens einer Garantie in Bezug auf die Gegenstände, die Gegenstand dieser Leistungen waren.

Kosten

Die Kostenentscheidung ist Sache des vorlegenden Gerichts

70        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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