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Steuerrecht
09.10.2014
Steuerrecht
EuGH: Bestimmung des Ortes der Lieferung von Gegenständen

EuGH, Urteil vom 2.10.2014 – Rs. C-446/13; Fonderie 2A gegen Ministre de l’Économie et des Finances

Tenor

Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Ort der Lieferung eines Gegenstands, der von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber verkauft wird und den der Verkäufer durch einen in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister einer Endbearbeitung unterziehen lässt, mit der die Eignung des Gegenstands für die Lieferung hergestellt werden soll, bevor er ihn durch diesen Dienstleister zum Erwerber befördern lässt, als in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Erwerbers gelegen anzusehen ist.

Aus den Gründen

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fonderie 2A, einer Gesellschaft mit Sitz in Italien, gegen den Ministre de l’Économie et des Finances (Minister für Wirtschaft und Finanzen) wegen dessen Ablehnung, dieser Gesellschaft die Mehrwertsteuer zu erstatten, die sie im Jahr 2001 in Frankreich für in diesem Mitgliedstaat durchgeführte Arbeiten entrichtet hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Die Sechste Richtlinie

3 Die Sechste Richtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) aufgehoben und ersetzt. Da jedoch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Mehrwertsteuer im Jahr 2001 entrichtet wurde, sind die Vorschriften der Sechsten Richtlinie einschlägig.

4 Art. 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

…“

5 Art. 5 Abs. 1 der genannten Richtlinie definiert den Begriff „Lieferung von Gegenständen“ wie folgt:

„Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“

6 Art. 8 der Sechsten Richtlinie, in dem der Ort des steuerbaren Umsatzes festgelegt ist, bestimmt in seinem Abs. 1 Buchst. a, dass für den Fall, dass der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert wird, der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet, als Ort der Lieferung gilt.

7 In Art. 28a der Sechsten Richtlinie, der den Anwendungsbereich der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten festlegt, heißt es:

„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen auch

a) der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der gegen Entgelt im Inland durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder aber durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist und als solcher handelt …

(3) Als innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstands gilt die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, welcher durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versendet oder befördert wird.

(5) Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist

b) die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat.

Als in einen anderen Mitgliedstaat verbracht gilt jeder körperliche Gegenstand, der vom Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung nach Orten außerhalb des in Art. 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft für andere Zwecke seines Unternehmens als für die Zwecke einer der folgenden Umsätze versandt oder befördert wird:

–  Erbringung einer Dienstleistung an den Steuerpflichtigen, die in Arbeiten an diesem Gegenstand besteht, die im Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung des Gegenstands tatsächlich ausgeführt werden, sofern der Gegenstand nach der Bearbeitung wieder dem Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat zugeschickt wird, von dem aus der Gegenstand ursprünglich versandt oder befördert worden war.

(6) Einem innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die Verwendung eines Gegenstandes durch einen Steuerpflichtigen in seinem Unternehmen, der von dem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung aus einem anderen Mitgliedstaat, in dem der Gegenstand von dem Steuerpflichtigen im Rahmen seines in diesem Mitgliedstaat gelegenen Unternehmens hergestellt, gewonnen, umgestaltet, gekauft, im Sinne des Absatzes 1 erworben oder aber eingeführt worden ist, versandt oder befördert wurde.

…“

8 In Art. 28f („Recht auf Vorsteuerabzug“) dieser Richtlinie heißt es:

„1. Art. 17 Abs. 2, 3 und 4 erhalten folgende Fassung:

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

(3) Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:

a) seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;

(4) Mehrwertsteuererstattungen nach Absatz 3 erfolgen

– an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige entsprechend den in der [Achten] Richtlinie 79/1072/EWG [des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige, ABl. L 331, S. 1, im Folgenden: Achte Richtlinie] festgelegten Bestimmungen.

–        …‘

Die Achte Richtlinie

9 Art. 1 der Achten Richtlinie bestimmt:

„Für die Anwendung dieser Richtlinie gilt als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG, der in dem Zeitraum nach Artikel 7 Absatz 1 erster Unterabsatz Sätze 1 und 2 in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat und der in dem gleichen Zeitraum im Inland keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat …“

10 Art. 2 dieser Richtlinie lautet:

„Jeder Mitgliedstaat erstattet einem Steuerpflichtigen, der nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, unter den nachstehend festgelegten Bedingungen die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen im Inland erbrachten Dienstleistungen oder gelieferten beweglichen Gegenstände belastet wurden oder mit der die Einfuhr von Gegenständen ins Inland belastet wurde, soweit diese Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke der in Artikel 17 Absatz 3 Buchstaben a) und b) der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Umsätze oder der in Artikel 1 Buchstabe b) bezeichneten Dienstleistungen verwendet werden.“

Französisches Recht

11 Art. 256 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) in der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung sieht vor:

„I. Der Mehrwertsteuer unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt ausführt.

II.      Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

…“

12 Art. 258 CGI lautet:

„I. Frankreich gilt als Ort der Lieferung körperlicher Gegenstände, wenn sich der Gegenstand in einem der folgenden Fälle in Frankreich befindet:

a) zum Zeitpunkt der durch den Verkäufer, den Erwerber oder für deren Rechnung erfolgten Versendung oder Beförderung an den Erwerber;

b) bei der durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung vorgenommenen Montage oder Installation;

c)      bei Übergabe an den Erwerber, sofern keine Versendung oder Beförderung erfolgt ist;

…“

13 Art. 271 CGI und Art. 2420 M von Anhang II des CGI dienen zur Umsetzung der Art. 1 und 2 der Achten Richtlinie.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens stellte im Jahr 2001 in Italien Metallteile her, die sie an Atral, eine in Frankreich ansässige Gesellschaft, verkaufte.

15 Bevor die Klägerin diese Metallteile an Atral lieferte, sandte sie sie für eigene Rechnung an eine andere französische Gesellschaft, Saunier-Plumaz, um durch diese Gesellschaft die Endbearbeitung, d. h. Lackierarbeiten, durchführen und anschließend die Metallteile direkt an den Endabnehmer schicken zu lassen.

16 Diese Endbearbeitung war in dem Atral von Fonderie 2A in Rechnung gestellten Kaufpreis enthalten. Die Endbearbeitung wurde Fonderie 2A vom Dienstleister, d. h. von Saunier-Plumaz, in Rechnung gestellt, wobei der Rechnungsbetrag auch die Mehrwertsteuer für diese Arbeiten umfasste.

17 Fonderie 2A beantragte bei der französischen Steuerverwaltung, gestützt auf die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Achten Richtlinie, ihr die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer zu erstatten.

18 Dieser Antrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie Frankreich als Ort der Lieferung der fraglichen Gegenstände anzusehen sei.

19 Daraufhin erhob Fonderie 2A gegen diesen Bescheid Klage vor dem Tribunal administratif de Paris. Diese Klage wurde mit Urteil vom 3. Juli 2008 abgewiesen. Nachdem auch die bei der Cour administrative d’appel de Paris eingelegte Berufung mit Urteil vom 21. Oktober 2010 zurückgewiesen worden war, legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens Kassationsbeschwerde beim Conseil d’État ein.

20 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht im Rahmen dieses Rechtsmittels geltend, die Cour administrative d’appel de Paris habe die Vorschriften des CGI, die zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie ins französische Recht erlassen worden seien, verkannt. Ihrer Ansicht nach hat sie von Italien aus eine innergemeinschaftliche Lieferung durchgeführt und keinen in Frankreich steuerbaren Umsatz getätigt. Deshalb sei die Mehrwertsteuer für diesen innergemeinschaftlichen Kauf vom Käufer zu tragen.

21 Unter diesen Voraussetzungen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über die Festlegung des Ortes einer innergemeinschaftlichen Lieferung dahin zu verstehen, dass die Lieferung eines Gegenstands durch eine Gesellschaft an einen Kunden in einem anderen Land der Europäischen Union, nachdem der Gegenstand für Rechnung des Verkäufers in der Niederlassung einer anderen, im Land des Kunden ansässigen Gesellschaft einer Bearbeitung unterzogen worden ist, als eine Lieferung zwischen dem Land des Verkäufers und dem Land des Endabnehmers anzusehen ist, oder dahin, dass es sich um eine Lieferung innerhalb des Landes des Endabnehmers handelt, ab der Niederlassung, in der die Bearbeitung stattfand?

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkungen

22 Aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 der Achten Richtlinie folgt, dass in einer Situation wie der der Klägerin des Ausgangsverfahrens der Lieferer eines Gegenstands nur dann einen Anspruch auf Erstattung der auf diesen Gegenstand erhobenen, von ihm an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister gezahlten Mehrwertsteuer hat, wenn dieser Lieferer im letztgenannten Mitgliedstaat keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat. Hat nämlich ein Lieferer in einer Situation wie der der Klägerin des Ausgangsverfahrens Gegenstände in denselben Mitgliedstaat geliefert, so gebietet der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer nicht, dass die dem Dienstleister gezahlte Mehrwertsteuer zu erstatten ist, denn der genannte Lieferer ist, soweit die von diesem Dienstleister erbrachten Dienstleistungen für die Zwecke besteuerter Umsätze dieses Lieferers verwendet wurden, gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28f Nr. 1 zum Vorsteuerabzug berechtigt.

23 Das vorlegende Gericht möchte also wissen, ob in einer Situation wie der der Klägerin des Ausgangsverfahrens die Lieferung von Gegenständen durch einen Lieferer an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber als eine Lieferung in diesem letztgenannten Mitgliedstaat anzusehen ist, wenn der Lieferer einen Dienstleister in dem letztgenannten Mitgliedstaat mit der Endbearbeitung beauftragt, bevor er die genannten Gegenstände zum Erwerber befördern lässt.

24 Zwar bezieht sich die gestellte Frage in allgemeiner Weise auf die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie, nach denen der Ort einer innergemeinschaftlichen Lieferung festgelegt werden kann, doch ist davon auszugehen, dass sie auf die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie abzielt. Nach der Rechtsprechung unterscheidet diese Vorschrift nämlich in Bezug auf die Bestimmung des Ortes, der als Ort einer Lieferung gilt, nicht zwischen „innergemeinschaftlichen“ und „innerstaatlichen“ Lieferungen (vgl. Urteil EMAG Handel Eder, C245/04, EU:C:2006:232, Rn. 46).

25 Folglich ist der Ort der Lieferung von Gegenständen in Form des Verkaufs der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Metallteile durch Fonderie 2A an Atral, wie die Generalanwältin in Nr. 52 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie zu bestimmen, und die „Verbringung“ oder „Verwendung“ im Sinne von Art. 28a Abs. 5 Buchst. b und Abs. 6 der Sechsten Richtlinie spielt insoweit keine Rolle, so dass sich eine Auslegung der letztgenannten Vorschriften zur Beantwortung der Vorlagefrage erübrigt.

26 Somit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Ort der Lieferung eines Gegenstands, der von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber verkauft wird und den der Verkäufer durch einen in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister einer Endbearbeitung unterziehen lässt, bevor er ihn durch diesen Dienstleister zum Erwerber befördern lässt, als in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Lieferers oder als in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Erwerbers gelegen anzusehen ist.

Antwort des Gerichtshofs

27 Es ist erstens auf den Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie abzustellen, wonach als Ort der Lieferung „der Ort [gilt], an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet“. Eine wörtliche Auslegung dieser Vorschrift lässt aber nicht darauf schließen, dass als der Ort einer Lieferung wie der, die hier zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und dem Erwerber stattgefunden hat, als in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Lieferers gelegen anzusehen wäre. Die fraglichen Gegenstände sind nämlich zunächst zu dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister befördert worden, und dieser hat sie anschließend, nach Durchführung einer Endbearbeitung, an den im selben Mitgliedstaat ansässigen Erwerber versandt. Die einzigen Gegenstände, auf die sich der zwischen dem Lieferer und dem Erwerber geschlossene Vertrag bezog, d. h. die Fertigerzeugnisse, befanden sich also „zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bereits im Mitgliedstaat der Niederlassung des Erwerbers.

28 Zweitens spricht für diese wörtliche Auslegung auch die systematische Stellung dieser Vorschrift. Der Ort einer „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, d. h. der Ort, an dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, übertragen wird, ist nämlich anhand der in Art. 8 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie festgelegten Regeln zu bestimmen. Wenn aber ein Lieferer von Gegenständen, der sich in der Lage der Klägerin des Ausgangsverfahrens befindet, diese Gegenstände einem Dienstleister übersendet, der damit beauftragt ist, die Gegenstände einer Endbearbeitung zu unterziehen, überträgt der Lieferer damit dem Erwerber nicht die Befähigung, über die betreffenden Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen. Eine solche Übersendung dient ausschließlich dazu, die betreffenden Gegenstände in den vom Lieferer vertraglich geschuldeten Zustand zu versetzen, damit anschließend die Lieferung an den Erwerber erfolgen kann.

29 Außerdem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie das Bestehen eines hinreichenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der Lieferung des in Rede stehenden Gegenstands und seiner Beförderung sowie einen kontinuierlichen Ablauf des Vorgangs voraussetzt (vgl. Urteil X, C84/09, EU:C:2010:693, Rn. 33).

30 An einem solchen Zusammenhang und an einer solchen Kontinuität fehlt es jedoch, wenn die Beförderung der Gegenstände durch den Lieferer an den Dienstleister zu dem Zweck erfolgt, sie vor ihrer Lieferung an den Erwerber zu bearbeiten, um sie, wie vom Lieferer mit dem Erwerber vereinbart, in den vertraglich geschuldeten Zustand zu versetzen. Unter diesen Umständen gilt als Ort der Lieferung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie der Ort, an dem sich die Gegenstände befinden, die in den zwischen diesen beiden Parteien vereinbarten vertragsgemäßen Zustand versetzt worden sind.

31 Eine derartige Auslegung steht schließlich ebenfalls im Einklang mit dem Zweck der Vorschriften der Sechsten Richtlinie über die Festlegung des Ortes des steuerbaren Umsatzes. Diese Vorschriften sollen sowohl eine Doppelbesteuerung als auch eine Nichtbesteuerung der genannten Umsätze verhindern (vgl. in diesem Sinne zu Art. 9 der Sechsten Richtlinie Urteil ADV Allround, C218/10, EU:C:2012:35, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Auslegung erlaubt es nämlich, wie die Generalanwältin in Nr. 42 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, eindeutig den Ort der Lieferung eines Gegenstands zu bestimmen, der über den Mitgliedstaat entscheidet, dem die Mehrwertsteuer für diesen Umsatz zusteht.

32 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Ort der Lieferung eines Gegenstands, der von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber verkauft wird und den der Verkäufer durch einen in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister einer Endbearbeitung unterziehen lässt, mit der die Eignung des Gegenstands für die Lieferung hergestellt werden soll, bevor er ihn durch diesen Dienstleister zum Erwerber befördern lässt, als in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Erwerbers gelegen anzusehen ist.

Kosten

33 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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