BFH: Berichtigung der fehlerhaften Festsetzung eines ordnungsgemäß erklärten Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 EStG im Einkommensteuerbescheid trotz "6-Augen-Prinzip"
BFH, Urteil vom 27.11.2019 – V R 23/19 (V R 62/17)
ECLI:DE:BFH:2019:U.271119.VR23.19.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2020-341-1
Leitsätze
1. Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.
2. Ist eine Gutschrift nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.
Sachverhalt
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 2013 bis 2015 leitender Angestellter der S-AG und bis zum 02.03.2015 Aufsichtsratsmitglied der E-AG, deren Alleingesellschafter die S-AG war. Gemäß § 13 Abs. 1 der Satzung der E-AG erhielt jedes Aufsichtsratsmitglied für seine Tätigkeit eine jährliche Festvergütung von 20.000 EUR oder einen zeitanteiligen Anteil hiervon. Gemäß § 13 Abs. 4 der Satzung wurden den Aufsichtsratsmitgliedern die durch die Ausübung ihres Amtes entstehenden Auslagen --einschließlich einer etwaigen auf die Vergütung und den Auslagenersatz entfallenden Umsatzsteuer-- erstattet.
Nach § 4 Abs. 4 des Anstellungsvertrags zwischen dem Kläger und der S-AG waren Vergütungen für die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in Konzern- und Beteiligungsgesellschaften zu melden und abzuführen. Die Abführung erfolgt jährlich über die Verrechnung bei der Auszahlung der Tantiemen.
Die E-AG rechnete gegenüber dem Kläger die Aufsichtsratsvergütung für 2013 mit Gutschrift vom 10.12.2013 mit Steuerausweis (Entgelt: 20.000 EUR und Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz: 3.800 EUR) ab. Dieser Gutschrift widersprach der Kläger mit Schreiben vom 16.12.2014. Der Kläger zahlte die Umsatzsteuer in Höhe von 3.800 EUR im Jahr 2015 an die E-AG zurück. Für 2014 rechnete die E-AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift ohne Steuerausweis in Höhe von 20.000 EUR ab. Für den Zeitraum 01.01.2015 bis 02.03.2015 rechnete die E-AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift in Höhe von 3.342,47 EUR ohne Umsatzsteuerausweis ab.
Der Kläger gab für die Streitjahre 2013 bis 2015 Umsatzsteuererklärungen ab, in denen er die Aufsichtsratsvergütungen als Entgelt für dem Regelsteuersatz unterliegende Leistungen behandelte. Er legte gegen die nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltenden Erklärungen Einspruch ein. Berichtigten Erklärungen stimmte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg.
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 323 veröffentlichten Urteil des FG ist auch ein Aufsichtsratsmitglied, das leitender Angestellter der Konzernmutter ist und in den Aufsichtsrat einer Tochter-AG entsandt wird, mit seiner Aufsichtsratstätigkeit Unternehmer nach § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er geltend macht, dass er als Aufsichtsratsmitglied nicht als Unternehmer tätig geworden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 04.04.2016 sowie die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 vom 08.12.2014 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016, die Umsatzsteuerfestsetzung 2014 vom 20.05.2015 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016 und die Umsatzsteuerfestsetzung 2015 vom 31.07.2015 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Kläger sei Unternehmer gewesen.
Während des Revisionsverfahrens hat der erkennende Senat das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-420/18 IO mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung beschlossen. Mit Urteil IO vom 13.06.2019 - C-420/18 (EU:C:2019:490) hat der EuGH zur Auslegung von Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) entschieden, dass das Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung nach diesen Bestimmungen eine nicht selbständige Tätigkeit ausübt.
Der Kläger weist hierzu darauf hin, dass er keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Er sei nicht selbständig, sondern weisungsgebunden tätig gewesen. Es liege kein Handeln im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vor. Es habe sich um eine Nebentätigkeit zu seiner Stellung als Arbeitnehmer gehandelt. Das Gesamtbild der Verhältnisse sei zu berücksichtigen. Er habe kein wirtschaftliches Risiko getragen. Er habe im Hinblick auf die Anrechnungspflicht kein Vergütungsrisiko getragen und keine Unternehmerinitiative entfaltet. Es fehle auch an einer gegen Entgelt erbrachten Leistung.
Nach Auffassung des FA ist der Streitfall mit dem Sachverhalt des EuGH-Urteils nicht vergleichbar. Auf das Arbeitsverhältnis bei der Muttergesellschaft komme es nicht an. Das Aufsichtsratsmitglied hafte persönlich. Es sei nur der Arbeitslohn bei der Muttergesellschaft gekürzt worden.
Aus den Gründen
II.
13 Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.
14 1. Der erkennende Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung ohne weitergehende Differenzierung davon ausgegangen, dass Mitglieder von Aufsichtsräten als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG tätig seien.
15 a) Unternehmer ist gemäß Art. 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.
16 Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, wonach als Steuerpflichtiger gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt, auf Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL, nach dem als wirtschaftliche Tätigkeit alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe gelten und nach dem als wirtschaftliche Tätigkeit insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen gilt, sowie auf Art. 10 MwStSystRL, wonach die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung ausschließt, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
17 b) In seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 UStG hat der erkennende Senat die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer AG als Arbeitnehmervertreter gegen Zahlung einer Aufsichtsratsvergütung als selbständige Tätigkeit eines Unternehmers angesehen (BFH-Urteil vom 27.07.1972 - V R 136/71, BFHE 106, 389, BStBl II 1972, 810; ebenso BFH-Urteil vom 02.10.1986 - V R 68/78, BFHE 147, 544, BStBl II 1987, 42), ohne dabei nach der weiteren Ausgestaltung oder den Begleitumständen dieser Tätigkeit zu unterscheiden. Er hat hieran auch nach der unionsrechtlichen Harmonisierung durch Art. 9 und Art. 10 MwStSystRL festgehalten (BFH-Urteil vom 20.08.2009 - V R 32/08, BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88).
18 2. Demgegenüber übt das Mitglied eines Aufsichtsrats nach dem EuGH-Urteil IO (EU:C:2019:490, Rz 40 ff.) keine selbständige Tätigkeit aus, wenn es dabei zwar weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, aber nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und dabei auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da es --im konkreten Streitfall-- eine feste Vergütung erhielt, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängig war. Zudem führte der EuGH an, dass eine durch das Aufsichtsratsmitglied begangene Fahrlässigkeit keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung hatte.
19 3. Der Senat schließt sich dem unter Einschränkung seiner bisherigen Rechtsprechung für den Fall an, dass das Mitglied des Aufsichtsrats kein wirtschaftliches Risiko trägt.
20 Auf der Grundlage des EuGH-Urteils IO (EU:C:2019:490), das das FG bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, war der Kläger nicht als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG selbständig tätig. Als Mitglied eines Aufsichtsrats wirkte er nur an den durch Beschluss zu treffenden Entscheidungen des Aufsichtsrats mit (vgl. § 108 Abs. 1 des Aktiengesetzes --AktG--). Weiter hat er in Bezug auf seine Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats kein wirtschaftliches Risiko getragen, da er eine jährlich gleich hohe Festvergütung erhielt, die keinerlei variable Vergütungsbestandteile (vgl. hierzu z.B. § 113 Abs. 3 AktG) aufwies. Fahrlässiges Handeln hatte auf die Vergütung keinen unmittelbaren Einfluss, sondern begründete nur eine Verantwortlichkeit nach § 116 AktG. Auf die den Kläger in Bezug auf seine Tätigkeit bei der S-AG treffende Verrechnungspflicht und ein sich hieraus ergebendes Abhängigkeitsverhältnis kommt es somit nicht an.
21 In welchen anderen Fällen die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats demgegenüber weiterhin als unternehmerisch ausgeübt anzusehen sein könnte, hat der erkennende Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht zu entscheiden.
22 4. Die Sache ist auch hinsichtlich des Streitjahrs 2013 spruchreif. Zwar liegt hier eine Gutschrift mit Steuerausweis vor, der der Kläger erst im Folgejahr widersprochen hat. Ist eine Gutschrift aber entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.
23 a) Damit eine Gutschrift nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG einer Rechnung gleichsteht und eine Steuerschuld des Gutschriftsempfängers nach § 14c Abs. 2 UStG begründen kann, muss sie über "eine Lieferung oder sonstige Leistung des Unternehmers ausgestellt werden". Dabei verweist § 14 Abs. 2 UStG auf den allgemeinen Unternehmerbegriff des § 2 UStG. Damit fehlt es im Streitfall an der danach erforderlichen Unternehmerstellung (offengelassen im BFH-Urteil vom 16.03.2017 - V R 27/16, BFHE 257, 462).
24 b) Ob für derartige Fälle zum Schutz des Steueraufkommens eine Steuerschuldnerschaft gerechtfertigt wäre (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 17.02.2011 - V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734), hat der erkennende Senat im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG nicht zu entscheiden. Soweit die Finanzverwaltung in Abschn. 14.3 Abs. 1 Satz 2 UStAE die Erteilung von Gutschriften durch juristische Personen, die nicht Unternehmer sind, als möglich ansieht, schließt sich der erkennende Senat dem nicht an.
25 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.