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Steuerrecht
07.10.2021
Steuerrecht
BFH: Belegnachweis beim Vorsteuerabzug

BFH, Beschluss vom 2.7.2021 – V B 34/20

ECLI:DE:BFH:2021:B.020721.VB34.20.0

BB-ONLINE BBL2021-2390-6

Leitsätze

1. NV: Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist anzunehmen, wenn in Bezug auf einen wesentlichen Streitpunkt die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

2. NV: § 15 UStG enthält neben der Rechnung keine belegartig zu erfüllenden Voraussetzungen. Daher führt die Verletzung einkommensteuerrechtlicher Aufzeichnungspflichten zu keinem Vorsteuerabzugsverbot, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wegen nicht eingehaltener Formvorschriften für den Nachweis von Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht für den Bereich der Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist. Dies ist auch für das Fahrtenbuch als sog. Belegnachweis i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG zu beachten.

FGO § 116 Abs 6, FGO § 119 Nr 6, UStG § 15, EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 3, UStG VZ 2011, UStG VZ 2012, UStG VZ 2013, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013

Sachverhalt

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Einzelunternehmer Sachverständiger für ... . Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) insbesondere davon aus, dass der Vorsteuerabzug aus Leasingraten für einen Lamborghini aufgrund einer überwiegenden Privatmotivation auf einen angemessenen Betrag von 1/3 zu kürzen sei, zumal mit einem BMW ein weiteres unternehmerisch genutztes Fahrzeug vorhanden gewesen sei. Zu berücksichtigen sei dabei auch die geringe Fahrleistung des Lamborghini. Es ergingen Änderungsbescheide für die Streitjahre 2011 bis 2013.

Im Anschluss an seinen Einspruch erhob der Kläger Untätigkeitsklage. Die Einspruchsentscheidung erging erst während des finanzgerichtlichen Verfahrens.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur insoweit statt, als es eine Kürzung des Vorsteuerabzugs wegen Unangemessenheit nach § 15 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ablehnte.

In Bezug auf die geleasten Fahrzeuge (Lamborghini und BMW) ging das FG von einer nur teilweisen unternehmerischen Nutzung aus. Der unternehmerische Nutzungsanteil sei zu schätzen. Fahrtenbücher seien nicht mehr vorhanden. Die vom FA angefertigten Kopien seien von schlechter Qualität. Die vom Kläger in Kopie vorgelegten Fahrtenbücher seien mangels Lesbarkeit nicht als Nachweis geeignet. Zwar sei die Handschrift in den vom Kläger für beide Fahrzeuge vorgelegten Kopien im Gegensatz zu den vom FA angefertigten Kopien optisch hinreichend gut erkennbar. Dabei könne es offenbleiben, ob der Kläger die Originale der beim FA eingereichten Fahrtenbücher nicht vorlegen könne, da er sie nicht zurückerhalten habe. Die vom FG als Zeugin vernommene Betriebsprüferin habe hierzu ausgesagt, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob sie die Fahrtenbücher zurückgegeben habe. Maßgeblich sei, dass die Handschrift des Klägers in den vorgelegten Kopien für das FG nicht lesbar sei. Dass der Kläger vorgebe, seine Aufzeichnungen selbst lesen zu können, genüge zum Nachweis gegenüber dem FA nicht. Die sog. 1 %-Methode sei nicht anzuwenden. Daher sei durch das FG zu schätzen. Es sei von einem Umfang der Privatnutzung von 50 % auszugehen, wofür die frühere Regelung in § 15 Abs. 1b UStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) --UStG a.F.-- spreche.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, die er auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und auf Verfahrensfehler stützt.

Aus den Gründen

II. 6      Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG leidet an einem vom Kläger zu Recht gerügten Verfahrensmangel, auf dem es beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), da es nicht mit Gründen versehen ist (§ 119 Nr. 6 FGO).

7          1. Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss ein finanzgerichtliches Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Fehlt es hieran, ist das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 6 FGO).

8          a) Eine Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht mit Gründen versehen, wenn sie nicht erkennen lässt, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für sie maßgeblich waren (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17.8.2020 - II B 32/20, BFH/NV 2021, 31).

9          Der Begründungszwang bezweckt, die Prozessbeteiligten über die das Urteil tragenden Erkenntnisse und Überlegungen des Gerichts zu unterrichten. Dabei muss das FG zwar nicht auf alle Einzelheiten des Sachverhalts und auf jede von den Beteiligten angestellte Erwägung näher eingehen. Ein Urteil enthält aber keine hinreichenden Entscheidungsgründe, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht oder einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 31).

10        Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist somit dann anzunehmen, wenn dem Kläger in Bezug auf einen wesentlichen Streitpunkt die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dagegen liegt kein derartiger Verfahrensmangel vor, wenn noch zu erkennen ist, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Beschlüsse vom 21.07.2017 - X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447; vom 08.05.2018 - XI B 5/18, BFH/NV 2018, 958, und in BFH/NV 2021, 31).

11        b) Im Streitfall hat das angefochtene Urteil ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel des Klägers zur Frage einer privaten Mitnutzung der beiden Fahrzeuge übergangen. Der Kläger hatte geltend gemacht, die beiden Fahrzeuge (Lamborghini und BMW) insbesondere im Hinblick auf einen privat gehaltenen Ferrari ausschließlich unternehmerisch genutzt zu haben. Dem Urteil des FG ist nicht zu entnehmen, auf welcher Grundlage es dennoch von einer privaten Mitverwendung ausgegangen ist. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren, eine private Mitverwendung, die auch Voraussetzung für die Anwendung von § 15 Abs. 1b UStG a.F. war, dem Grunde nach anzunehmen. Es enthält auch keine Ausführungen dahingehend, dass das angenommene Fehlen eines anzuerkennenden Fahrtenbuchs bereits für sich allein auch im Umsatzsteuerrecht die Vermutung einer privaten Mitverwendung beider Fahrzeuge rechtfertigt (s. hierzu auch nachstehend unter 2.).

12        Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Fahrtenbücher unstreitig beim FA eingereicht hatte, während sich der weitere Verbleib der Fahrtenbücher nicht aufklären lässt, so dass von einem Verlust im Verantwortungsbereich des FA auszugehen ist.

13        c) Das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO ist ein Verfahrensmangel, auf dem das FG-Urteil beruhen kann (§ 119 Nr. 6 FGO). Dies stellt für sich allein eine Verletzung von Bundesrecht dar und führt grundsätzlich unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 31). Eine Ausnahme hiervon lässt die Rechtsprechung nur zu, wenn ein übergangenes Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung oder zur Abwehr des Angriffs ungeeignet war und eine erneute Entscheidung des FG deshalb nur zu einer Bestätigung des Urteils führen könnte (BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 31). Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich im Streitfall indes nicht (s. hierzu nachstehend unter 2.).

14        2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass § 15 UStG neben der Rechnung keine belegartig zu erfüllenden Voraussetzungen enthält. Der Senat hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Verletzung einkommensteuerrechtlicher Aufzeichnungspflichten zu keinem Vorsteuerabzugsverbot führt, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wegen nicht eingehaltener Formvorschriften für den Nachweis von Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht für den Bereich der Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist (BFH-Urteil vom 13.12.2018 - V R 52/17, BFHE 263, 381, BStBl II 2019, 345). Dies ist auch für das Fahrtenbuch als sog. Belegnachweis i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes von Bedeutung.

15        Im zweiten Rechtsgang wird es daher darauf ankommen, ob das FG zu der tatrichterlichen Überzeugung kommt, dass der Steuerpflichtige seine "Unternehmens-PKWs" zumindest nicht nahezu ausschließlich für eigene unternehmerische Zwecke genutzt hat. Dabei kann zwar --im Einzelfall-- im Rahmen eines Anscheinsbeweises davon auszugehen sein, dass ein Kfz typischerweise nicht nur vereinzelt und gelegentlich für private Zwecke genutzt wird, so dass es dann Sache des Steuerpflichtigen ist, einen derartigen Anscheinsbeweis durch geeigneten Sachvortrag zu erschüttern oder zu entkräften. Die Frage, ob die Entkräftung des für eine private Kfz-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises im Streitfall gelungen ist oder nicht, hat das FG aber aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung als Tatsachengericht zu klären (vgl. BFH-Beschluss vom 30.11.2007 - V B 58/07, juris). Für die Entkräftung dieses Anscheinsbeweises bedarf es dabei nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt. Allerdings wird der Anscheinsbeweis privater Mitbenutzung nicht durch die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen entkräftet, ein PKW, für den der Vorsteuerabzug beansprucht wird, werde nicht für Privatfahrten genutzt oder Privatfahrten würden ausschließlich mit anderen Fahrzeugen durchgeführt. An der erforderlichen Beweiswürdigung (BFH-Beschluss vom 16.06.2009 - V B 131/08, BFH/NV 2009, 1678) fehlt es bislang.

16        Dabei ist der Verlust des vom Steuerpflichtigen geführten Fahrtenbuches im Machtbereich des FA ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass von einer Unlesbarkeit von Handschriften in Kopien nicht zwingend auf die Unlesbarkeit der Handschrift im Original zu schließen ist.

17        3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

 

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