FG Münster: Behandlungsraum einer Ärztin als häusliches Arbeitszimmer – Abgrenzung zu „betriebsstättenähnlicher Raum“
FG Münster, Urteil vom 14.7.2017 – 6 K 2606/15 F
ECLI:DE:FGMS:2017:0714.6K2606.15F.00
Volltext:BB-ONLINE BBL2017-2518-2
unter www.betriebs-berater.de
Sachverhalt
Streitig ist, ob die Aufwendungen für einen Notbehandlungsraum in dem von der Klägerin selbstgenutzten Wohnhaus den Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegen.
Die Klägerin ist Augenärztin und betreibt zusammen mit zwei weiteren Ärztinnen und einem Arzt eine Gemeinschaftspraxis in U in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Beigeladene). Aus dieser Tätigkeit erzielt die Beigeladene Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, die der Klägerin anteilig zugerechnet werden.
In ihrem privaten Wohnhaus in A-Straße 1 in N befindet sich im Keller ein für die Behandlung von Patienten in Notfällen eingerichteter Raum. In dem Raum befinden sich eine Klappliege, eine Spaltlampe, eine Sehtafel an der Wand, ein Medizinschrank, Instrumente und Hilfsmittel, z.B. zum Entfernen von Fremdkörpern, ein kleiner Tisch zum Ausstellen von Rezepten und mehrere Stühle. Das Haus verfügt über einen Hauseingang im Erdgeschoss, durch den man in einen Flur gelangt. Von dem Flur führt eine Treppe in den Keller, wo sich neben dem Notbehandlungsraum ein Heizungsraum, Hauswirtschaftsraum, Waschraum und ein weiterer Raum befinden. Von dem Flur im Erdgeschoss gelangt man zudem in das Schlafzimmer, die Küche, das Wohn- und Esszimmer und in den Raum mit einem Gäste-WC. Die Räume im Keller sind nicht über einen gesonderten Kellereingang erreichbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Grundrisse des Erdgeschosses und des Kellers des Wohnhauses Bezug genommen.
Die Beigeladene reichte Feststellungserklärungen für die Jahre 2010 bis 2012 beim Beklagten ein. Darin waren für die Klägerin für das Jahr 2010 Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 15.029,79 € erklärt. In den erklärten Sonderbetriebsausgaben waren Aufwendungen für den streitrelevanten Notbehandlungsraum im privaten Wohnhaus der Klägerin in Höhe von insgesamt 3.015,34 € enthalten. Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 07.11.2011 wurde die Höhe der erklärten Sonderbetriebsausgaben auf insgesamt 12.384,37 € korrigiert. Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen für den Notbehandlungsraum blieb unverändert.
Der Beklagte erließ am 19.01.2012 einen Feststellungsbescheid für 2010, in dem für die Klägerin Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 9.369,03 € festgestellt wurden. In diesem Betrag waren die erklärten Aufwendungen für den Notbehandlungsraum im Wohnhaus der Klägerin nicht enthalten. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Für das Jahr 2011 erklärte die Beigeladene Aufwendungen für den Notbehandlungsraum der Klägerin in Höhe von 1.704,77 € als Sonderbetriebsausgaben, die im Feststellungsbescheid 2011 vom 24.06.2013 unberücksichtigt blieben.
Für das Jahr 2012 erklärte die Beigeladene Aufwendungen für den Notbehandlungsraum der Klägerin in Höhe von 3.562,88 € als Sonderbetriebsausgaben, die im Feststellungsbescheid 2012 vom 14.05.2014 ebenfalls nicht anerkannt wurden. Am 14.07.2015 erließ der Beklagte einen geänderten Feststellungsbescheid wegen eines nicht weiter streitigen Punktes.
Gegen die Feststellungsbescheide legte die Beigeladene, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Einsprüche ein, die mit Einspruchsentscheidung vom 20.07.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurden. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Der von der Klägerin beruflich genutzte Raum in dem ansonsten privat genutzten Haus falle unter die Abzugsbeschränkungen eines häuslichen Arbeitszimmers im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Da der Klägerin in der Augenarztpraxis ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, seien die Aufwendungen für den Behandlungsraum im privaten Wohnhaus nicht abziehbar. Die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelungen der Vorschrift lägen nicht vor. Der Notbehandlungsraum sei nicht der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit der Klägerin.
Zur weiteren Begründung der Rechtsauffassung, dass der als Notfallpraxis genutzte Raum wie ein Arbeitszimmer steuerlich zu behandeln sei, führte der Beklagte aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) maßgeblich sei, ob der Notbehandlungsraum für die Patienten durch einen besonderen Eingang zugänglich sei. Es sei entscheidend darauf abzustellen, ob die Räumlichkeiten durch einen eigenen Eingang nach außen hin erkennbar dem Publikumsverkehr gewidmet seien. Fehle es an einem eigenen Zugang, könne eine Widmung der Räumlichkeiten für den Publikumsverkehr auch darin gesehen werden, dass die Praxisräume für die Patienten leicht zugänglich seien. Der Patient dürfe aber nicht einen auch privat genutzten Flur oder eine Diele durchqueren müssen. Hieran fehle es im Streitfall. Zum einen sei kein Hinweis am Gebäude angebracht, der auf eine Augenarztpraxis hindeute, so dass es an einer nach außen erkennbaren Widmung fehle. Zum anderen sei der Notbehandlungsraum in die häusliche Sphäre eingebunden, so dass es an einer leichten Zugänglichkeit fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen für den Notbehandlungsraum als Sonderbetriebsausgaben. Sie macht geltend, dass es sich bei dem streitrelevanten Raum nicht um ein Arbeitszimmer im Sinne des Gesetzes handele. Zentrales Möbelstück sei nicht ein Schreibtisch, sondern die Spaltlampe. Für die Erledigung verwaltungstechnischer Arbeiten nutze sie – die Klägerin – ihr häusliches Arbeitszimmer im Obergeschoss des Hauses. Die Patienten müssten, um in die Notfallpraxis zu gelangen, privat genutzte Räume der Wohnung weder betreten noch durchqueren. Es bestehe lediglich ein gemeinsamer Zugang zu den Kellerräumen. Bei den Kellerräumen – außerhalb des Notbehandlungsraumes – handele es sich um Zubehörräume, die selten betreten würden und für die Berechnung der Wohnfläche irrelevant seien. Durch diese Kellerräume werde die Nutzung des Notbehandlungsraums nicht beeinträchtigt. Die Nutzungsbereiche könnten ungestört nebeneinander existieren.
Weiter macht die Klägerin geltend, dass ein Praxisschild am privaten Wohnhaus keinen Sinn mache. Denn die Patienten würden über den Anrufbeantworter der Arztpraxis über den jeweiligen Ort der Notfallpraxis informiert. Die Notfallpraxis der Klägerin sei auch nicht „rund um die Uhr“ besetzt. Vielmehr habe sie – die Klägerin – lediglich an bestimmten Wochen im Streitzeitraum Notdienst gehabt. Darüber hinaus sei sie im Notfall außerhalb der Sprechstundenzeiten über das Mobiltelefon erreichbar gewesen. Der Notbehandlungsraum werde ausschließlich für ärztliche Behandlungen genutzt. Im Streitzeitraum habe sie ca. 160 Patienten behandelt. Zum Nachweis hat die Klägerin eine Liste über abgerechnete Behandlungen für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2012 vorgelegt. Danach sind 147 Behandlungen dokumentiert.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein unbeschränkter Betriebsausgabenabzug möglich sei, wenn der betreffende Raum nach dem äußeren Erscheinungsbild eindeutig nicht als Arbeitszimmer eingerichtet sei, sondern als betrieblich/beruflich genutzter Raum wie im Streitfall. Der Notbehandlungsraum der Klägerin sei kein Arbeitszimmer, da es am Schreibtisch als zentralem Möbelstück fehle. Der Raum werde auch (unstreitig) nicht privat genutzt, sondern ausschließlich beruflich. Aus diesem Grund komme es auch nicht auf die „leichte Zugänglichkeit“ an, da der Notbehandlungsraum nicht von einem häuslichen Arbeitszimmer abzugrenzen sei. Der BFH messe dem Merkmal der „leichten Zugänglichkeit“ keine Vorrangigkeit bei, sondern prüfe zunächst, welche Funktion und Einrichtung der Raum aufweise. Würde man einen eigenen Zugang oder eine leichte Zugänglichkeit für die Anerkennung des Betriebsausgabenabzugs fordern, käme den Merkmalen der Funktion und Einrichtung keine eigenständige Bedeutung zu, und man käme auch zu widersprüchlichen Ergebnissen. Für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer, das in die häusliche Sphäre eingebunden sei, sei ein steuermindernder Abzug möglich, während dies bei einem ausschließlich beruflich genutzten Raum ohne separaten Zugang ausgeschlossen sei. Der betrieblich/beruflich genutzte Raum werde damit steuerrechtlich schlechter gestellt als das häusliche Arbeitszimmer. Das Merkmal der leichten Zugänglichkeit sei nur in den Fällen relevant, in denen ein Raum mit einem Schreibtisch als zentralem Möbelstück ausgestattet sei und zudem betrieblich/beruflich genutzt werde. Dies sei im Streitfall mangels Einrichtung mit einem Schreibtisch gerade nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 19.01.2012 (2010), vom 24.06.2013 (2011) und vom 14.07.2015 (2012), jeweils in Form der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2015, dahingehend zu ändern, dass bei der Klägerin zusätzliche Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 3.015,34 € (2010), 1.704,77 € (2011) und 3.562,88 € (2012) festgestellt werden,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Für die Beigeladene wurde kein gesonderter Antrag gestellt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner Auffassung, dass die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG greift und begründet dies im Wesentlichen damit, dass es im Streitfall an dem Merkmal der leichten Zugänglichkeit fehle, so dass ein unbeschränkter Betriebsausgabenabzug nicht in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten Bezug genommen.
Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 26.04.2017 erörtert. Auf das Protokoll zum Erörterungstermin wird verwiesen.
Der Senat hat die Sache am 14.07.2017 mündliche verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Aus den Gründen
A. Die Klage ist zulässig. Die Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach kann gegen Feststellungsbescheide Klage erheben, soweit es sich um eine Frage handelt, die einen Beteiligten persönlich angeht, jeder, der durch die Feststellungen über die Frage berührt wird. So liegt es auch im Streitfall. Die Klägerin ist Feststellungsbeteiligte der angefochtenen Feststellungsbescheide 2010 bis 2012 und rügt mit ihrer Klage die Höhe der festgestellten und ihr zugerechneten Sonderbetriebsausgaben.
B. Die Beigeladene war gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren notwendig beizuladen. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte (notwendig) beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Klagen nicht alle von mehreren nach § 48 FGO Klagebefugten, müssen deshalb die übrigen Klagebefugten mit Ausnahme solcher, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt von dem Ausgang des Rechtsstreits betroffen sind, zum Verfahren beigeladen werden (z.B. BFH-Urteile vom 13.04.2017 IV R 25/15, juris, und vom 04.11.2003 VIII R 38/01, BFH/NV 2004, 1372, unter II.A.). Die Klagebefugnis der Beigeladenen folgt aus § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO, wonach zur Vertretung berufene Geschäftsführer Klage gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erheben können. Diese Regelung ist dahin zu verstehen, dass die Personengesellschaft als Prozessstandschafterin für ihre Gesellschafter und ihrerseits vertreten durch ihre(n) Geschäftsführer Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid erheben kann (z.B. BFH-Urteile vom 11.11.2014 VIII R 37/11, juris, und vom 27.05.2004 IV R 48/02, BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964, m.w.N.).
C. Die Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 19.01.2012 (2010), vom 24.06.2013 (2011) und vom 14.07.2015 (2012), jeweils in Form der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Der Beklagte hat zu Recht den Abzug der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für den streitrelevanten Notbehandlungsraum im Wohnhaus der Klägerin als Sonderbetriebsausgaben abgelehnt.
I. Gemäß § 4 Abs. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind Betriebsausgaben einer Personengesellschaft die Ausgaben, die durch den Betrieb dieser Gesellschaft oder – als Sonderbetriebsausgaben – durch die Beteiligung der Gesellschafter an der Personengesellschaft veranlasst sind (vgl. auch BFH-Urteile vom 29.07.2015 IV R 16/12, BFH/NV 2015, 1572, und vom 26.01.1995 IV R 73/93, BFHE 177, 367, BStBl II 1995, 589).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin den in ihrem Wohnhaus eingerichteten Notbehandlungsraum in den Streitjahren ausschließlich für die notfallmäßige Behandlung von Patienten und damit ausschließlich im Rahmen ihrer selbstständigen Tätigkeit genutzt hat. Weitere Ausführungen zur betrieblichen Veranlassung der geltend gemachten Aufwendungen erübrigen sich daher.
II. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer den Gewinn nicht mindern. Von einem häuslichen Arbeitszimmer im Sinne der genannten Vorschrift ist eine Betriebsstätte im Sinne des § 12 der Abgabenordnung (AO) und ein „betriebsstättenähnlicher Raum“ abzugrenzen, für die die Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht gelten.
Bei dem streitrelevanten Notbehandlungsraum der Klägerin handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts nicht um eine ärztliche Notfallpraxis, die als betriebsstättenähnlicher Raum einzuordnen wäre.
1. Unter einer Notfallpraxis sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Räume zu verstehen, die erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet und für jene leicht zugänglich sind (BFH-Urteile vom 05.12.2002 IV R 7/01, BFHE 201, 166, BStBl II 2003, 463, und vom 20.11.2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203; BFH-Beschluss vom 16.04.2009 VIII B 222/08, BFH/NV 2009, 1421; vgl. auch BFH-Beschluss vom 09.05.2017 X B 23/17, juris: Büro eines Versicherungsmaklers, und BFH-Urteil vom 09.06.2015 VIII R 8/13, HFR 2016, 13: Klavierstudio einer Musikpädagogin). Die Einordnung als Praxis, die entsprechende ärztliche Einrichtung unterstellt, kommt daher nur in Betracht, wenn die Räumlichkeiten über einen von den privaten Räumen separaten Eingang verfügen (BFH in BFH/NV 2009, 1421). Muss der Notfallpatient erst einen Flur oder eine Diele durchqueren, die dem Privatbereich unterfallen, fehlt es an der nach außen erkennbaren Widmung der Räumlichkeiten für den Publikumsverkehr und damit an der für die Patienten leichten Zugänglichkeit. Die Räumlichkeiten unterliegen dann unabhängig von ihrer Einrichtung dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG (BFH in BFH/NV 2009, 1421 und in BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt der streitrelevante Notbehandlungsraum der Klägerin unabhängig von seiner Einrichtung den Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Denn die Patienten müssen, um in den Notbehandlungsraum im Keller zu gelangen, zunächst den Eingangsbereich des Hauses und einen Teil des Flures im Erdgeschoss durchqueren. Es gibt nur eine (einzige) Haustür, die ohne gesonderten Flur (Windfang) in das Erdgeschoss führt, wo sich außer der Treppe zum Keller das Schlafzimmer der Klägerin, das Wohnzimmer, die Küche und ein Gäste-WC befinden. Das Bad ist über das Schlafzimmer zu erreichen. Nach dem Betreten des Flures im Erdgeschoss müssen die Patienten, um in den Notbehandlungsraum zu gelangen, die in den Keller führende Treppe benutzen und im Keller nochmals einen Flur überqueren, der nicht nur zum Notbehandlungsraum führt, sondern zu weiteren privat genutzten Räumen. Hiervon gehen auch die Beteiligten aus.
Nach der Rechtsprechung des BFH wäre es für die Einordnung des Raumes als Notfallpraxis nur unschädlich, wenn der Eingangsbereich der Praxisräume sich erkennbar von den ansonsten privat genutzten Räumlichkeiten absetzen und – abgesehen von einer Tür – keine räumliche Verbindung zu diesen aufweisen würde, z.B. Windfang (vgl. BFH in BFH/NV 2009, 1421). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.
3. Die hiergegen von der Klägerin erhobenen Einwendungen sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Jedoch hält der Senat sie im Ergebnis nicht für überzeugend.
a. Zum einen verzichtet der BFH auch in den Fällen, in denen der Raum unstreitig als betrieblich genutzter Raum eingerichtet ist, nicht auf das Merkmal der leichten Zugänglichkeit. So hat der BFH in seiner Entscheidung in BFHE 205, 46 dem Finanzgericht (im Wege der Rückverweisung) aufgegeben, „zunächst“ festzustellen, ob die streitrelevanten Praxisräume im Kellergeschoss für die Patienten leicht zugänglich waren. Der BFH hat damit in seiner Entscheidung gerade nicht darauf abgestellt, dass zwei Räume – nach den Angaben der Steuerpflichtigen – als Behandlungsräume dienten. Erst im zweiten Schritt hat der BFH dem FG aufgegeben, Feststellungen zur außerbetrieblichen Nutzung der Räume zu treffen.
b. Zum anderen hat der Große Senat des BFH in seinem Beschluss vom 27.07.2015 entschieden, dass Aufwendungen für Räume innerhalb des privaten Wohnbereichs des Steuerpflichtigen, die nicht dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers entsprechen, „gleichwohl“ unbeschränkt als Betriebsausgaben/Werbungskosten gemäß § 4 Abs. 4 oder § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar sind, wenn sie betrieblich/beruflich genutzt werden und sich der betriebliche/berufliche Charakter des Raumes und dessen Nutzung anhand objektiver Kriterien feststellen lassen (BFH-Beschluss vom 27.07.2015 GrS 1/14, BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265, D.2.b.bb.). Aus dem Wort „gleichwohl“ ergibt sich, dass die unbeschränkte Abzugsmöglichkeit bei beruflich genutzten Räumen im privaten Wohnhaus „trotz“ der Einbindung in die Sphäre der privaten Lebensführung gilt, jedoch nur dann, wenn eine private Mitbenutzung der Räume, die maßgeblicher Grund für die Abzugsbeschränkung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist, ausgeschlossen werden kann.
Die Annahme einer nicht auszuschließenden privaten Mitbenutzung gilt nach der Rechtsprechung des BFH für solche Räume nicht, bei denen bereits aus ihrer Ausstattung (z.B. als Werkstatt, Tonstudio, Warenlager) und/oder wegen ihrer Zugänglichkeit durch dritte Personen sich eine private Mitbenutzung ausschließen lässt (vgl. BFH in BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265; BFH-Urteil vom 08.09.2016 III R 62/11, BFHE 255, 198, BStBl II 2017, 163). Das gegenüber einer Werkstatt, einem Tonstudio und einem Warenlager bei einer Notfallpraxis zusätzlich geforderte Merkmal der leichten Zugänglichkeit folgt daraus, dass in einer ärztlichen Notfallpraxis naturgemäß Publikumsverkehr stattfindet (vgl. BFH in BFHE 201, 166, BStBl II 2003, 463). Die Widmung nach außen führt zugleich zu der Annahme, dass der Raum auch (regelmäßig) betrieblich bzw. beruflich genutzt wird, während dies nicht angenommen werden kann, wenn der Raum eine solche Widmung bzw. entsprechende Zweckbestimmung nicht aufweist. Die Annahme der betrieblichen bzw. beruflichen Nutzung bei Räumen, die für den Publikumsverkehr gewidmet sind, gilt grundsätzlich selbst dann, wenn eine tatsächliche entsprechende Nutzung des Raumes nicht festgestellt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 09.05.2017 X B 23/17, juris). Der leichten Zugänglichkeit als maßgebliches Kennzeichen der Widmung für den Publikumsverkehr kommt damit entscheidende Bedeutung zu; das Vorliegen der leichten Zugänglichkeit ist für die Frage der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von beruflich veranlassten Aufwendungen unverzichtbar.
4. Da der Notbehandlungsraum im Keller der Klägerin nach Maßgabe der oben dargestellten Rechtsgrundsätze nicht als Notfallpraxis im Sinne der Rechtsprechung anzuerkennen ist, unterliegen die geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG mit der Folge, dass diese nicht abziehbar sind. Denn der Klägerin standen – unstreitig – ärztliche Behandlungsräume in den Räumlichkeiten der Praxis der Beigeladenen in U zur Verfügung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG).
5. Die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Einer weiteren Erörterung dieses Punktes bedarf es daher nicht.
D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und Abs. 3 FGO. Es erscheint billig, außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht zu erstatten, weil die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt hat und sich damit auch nicht dem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 139 Abs. 4 i.V.m. § 135 Abs. 3 FGO).
E. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob Aufwendungen für (ausschließlich) betrieblich genutzte Räume in privaten Wohnungen unbeschränkt abziehbar sind, wird in der Rechtsprechung des BFH in Bezug auf die Räume nach unterschiedlichen Maßstäben beantwortet. Teilweise wird eine nach außen erkennbare Widmung der Räumlichkeiten für den Publikumsverkehr bzw. leichte Zugänglichkeit gefordert (z.B. Büro eines Versicherungsmaklers, Notfallpraxis), teilweise nicht (z.B. Tonstudio, Werkstatt, Warenlager).
Das FG hat die Revision zugelassen.