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Steuerrecht
02.10.2009
Steuerrecht
: Bankenhaftung für Erbschaftsteuer

BFH, Urteil vom 12.3.2009 - II R 51/07

Vorinstanz: FG Köln vom 8.11.2007 - 9 K 2200/06 (EFG 2008, 475)

Leitsätze

1. Die Haftung eines inländischen Kreditinstituts für die Erbschaftsteuer eines nicht im Geltungsbereich des ErbStG wohnhaften Erben gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG erstreckt sich bis zur Höhe des ausgezahlten Betrags auf die Erbschaftsteuer für den gesamten dem Erben angefallenen Erwerb von Todes wegen einschließlich eines Erwerbs aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall.

2. Soweit die Haftung des Kreditinstituts gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG auch dann eingreift, wenn der nicht im Geltungsbereich des ErbStG wohnhafte Berechtigte nicht Erbe ist, sondern Vermögen ausschließlich aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall erworben hat, ist das für die Haftung erforderliche Verschulden nur anzunehmen, wenn das Kreditinstitut dem Berechtigten das Vermögen nach Veröffentlichung des Urteils vom 12.3.2009 - II R 51/07 zur Verfügung stellt.

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4, § 20 Abs. 6 Satz 2

Sachverhalt

I. Der im März 2001 verstorbene Erblasser unterhielt bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einem inländischen Kreditinstitut, ein Spar- und ein Girokonto, die beim Eintritt des Erbfalls Guthaben in Höhe von jeweils rd. 100 000 DM aufwiesen. Während das Girokonto in den Nachlass fiel, erhielt die in den USA wohnende Alleinerbin das Sparkonto sowie ein Konto des Erblassers bei einem anderen inländischen Kreditinstitut mit einem Guthaben von rd. 18 000 DM aufgrund von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall, die der Erblasser mit dem jeweiligen Kreditinstitut geschlossen hatte. Ein weiterer Erwerb von Todes wegen wurde nicht festgestellt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Ermittlung des Nachlasswerts die Guthaben auf den drei Konten als Erwerb von Todes wegen und setzte die Erbschaftsteuer gegen die Erbin auf 22 319,94 € (43 654 DM) fest. Die Erbin bezahlte die Erbschaftsteuer nicht. Ein Pfändungsversuch des FA bei der Klägerin blieb erfolglos, weil diese die Guthaben auf den bei ihr geführten Konten an die Erbin ausgezahlt bzw. überwiesen hatte.

Das FA erließ daraufhin gegen die Klägerin den Haftungsbescheid vom 29. Juli 2004 über die gegen die Erbin festgesetzte Erbschaftsteuer. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FA vertrat in der Einspruchsentscheidung die Auffassung, die Haftung der Klägerin ergebe sich gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) aus der Auszahlung des Guthabens auf dem Girokonto. Die Auskehrung des Guthabens auf dem Sparkonto hätte hingegen die Haftung der Klägerin nicht begründet, da es sich dabei nicht um Nachlassvermögen gehandelt habe. Dies wirke sich aber auf den Haftungsbescheid nicht aus, da das Guthaben auf dem Girokonto für die Begleichung der Erbschaftsteuerschuld der Erbin ausgereicht habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 475 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Klägerin habe schuldhaft gehandelt, weil sie das Guthaben auf dem Girokonto der Erbin ausgezahlt habe, ohne zuvor beim FA eine Unbedenklichkeitsbescheinigung einzuholen, obwohl sie gewusst habe, dass die Erbin in den USA wohne. Die Haftung erstrecke sich auf die Steuer auf den gesamten Erwerb von Todes wegen, weil das Guthaben auf dem Girokonto zur Begleichung dieser Steuerschuld ausgereicht habe. Die Klägerin sei die einzige Haftungsschuldnerin gewesen. Das bei dem anderen Kreditinstitut unterhaltene Konto sei nicht in den Nachlass gefallen und daher auch nicht als Haftungsmasse in Betracht gekommen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Der Tatbestand dieser Vorschrift sei nicht erfüllt, weil sie nicht der Erbin in ihrem Gewahrsam befindliches Vermögen des Erblassers zur Verfügung gestellt, sondern lediglich eine Forderung erfüllt habe. Jedenfalls müsse sich ihre Haftung aber auf die Erbschaftsteuer beschränken, die auf das Guthaben auf dem Girokonto entfalle.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Haftungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Haftung auf die Erbschaftsteuer beschränkt wird, die auf das Guthaben auf dem Girokonto entfällt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin aufgrund der Auszahlung des Guthabens auf dem Girokonto für die Erbschaftsteuer auf den gesamten Erwerb von Todes wegen hafte.

1. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet, für die Erbschaftsteuer, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein --da sich Nachlassvermögen im Inland befindet-- zunächst realisierbarer Steueranspruch vereitelt wird. Zu diesem Zweck mutet das Gesetz dem (inländischen) Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung zur Haftungsfolge führt. Zur Vermeidung der Haftungsfolge ist der Gewahrsamsinhaber daher gehalten, vor einer Aushändigung der Vermögensgegenstände an den Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen, und ggf. die Herausgabe an diesen zu verweigern (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. August 1993 II R 14/90, BFHE 172, 209, BStBl. II 1994, 116, BB 1994, 205, und vom 18. Juli 2007 II R 18/06, BFHE 217, 265, BStBl. II 2007, 788, BB 2007, 2051).

Die Haftungsvorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG greift auch dann ein, wenn ein Kreditinstitut Guthaben auf einem bei ihm bestehenden Konto des Erblassers einem nicht im Geltungsbereich des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellt (BFH-Urteil in BFHE 217, 265, BStBl. II 2007, 788, BB 2007, 2051). Das Kreditinstitut verwahrt in einem solchen Fall den Gegenwert des Guthabens (BFH-Urteil vom 12. August 1964 II 125/62 U, BFHE 80, 481, BStBl. III 1964, 647, BB 1964, 1475).

Fahrlässig handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn er dabei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs analog; BFH-Urteil in BFHE 217, 265, BStBl. II 2007, 788, BB 2007, 2051).

Sind die Voraussetzungen für die Haftung eines Kreditinstituts nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG erfüllt, weil es das Guthaben auf einem in den Nachlass gefallenen Konto des Erblassers zumindest fahrlässig dem nicht im Geltungsbereich des ErbStG wohnenden Erben zur Verfügung gestellt hat, beschränkt sich die Haftung nicht auf die Steuer, die auf das Guthaben oder den Nachlass entfällt. Vielmehr haftet die Bank bis zur Höhe des ausgezahlten Betrags für die Steuer auf den gesamten an den Erben gefallenen Erwerb von Todes wegen einschließlich der Vermögensvorteile, die der Erbe aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags bei dessen Tod unmittelbar erworben hat und die gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG als Erwerb von Todes wegen gelten (Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 20 Rz 67). Nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 ErbStG haftet der Gewahrsamsinhaber 2für die Steuer", ohne dass das Gesetz insoweit eine Beschränkung auf bestimmte Erwerbsgründe vorsieht. Eine derartige umfassende Haftung entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die eine Vereitelung des zunächst durchsetzbaren Steueranspruchs vermeiden soll. Demgemäß ist in der Vorschrift auch vom „Vermögen des Erblassers" und nicht etwa vom Nachlassvermögen die Rede. Keine Rolle spielt dabei, dass Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall zivilrechtlich nicht dem Erbrecht, sondern dem Schuldrecht zugeordnet werden (Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 26. November 2003 IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79; zur Zuwendung eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung vom 21. Mai 2008 IV ZR 238/06, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 2702). Entscheidend ist vielmehr die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 5. Oktober 1928 V e A 623/28 (RFHE 24, 135). Denn diese Entscheidung betraf ausschließlich die Haftung des Nachlasses für die Steuer der am Erbfall Beteiligten nach § 20 Abs. 3 ErbStG (früher: § 15 Abs. 3). Soweit der RFH die Haftung des Erben für die Steuerschuld dessen, der aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags unter Lebenden mit dem Tode des Erblassers unmittelbar von einem Dritten einen Vermögensvorteil erworben hat, ausschließt, kann daraus für die Haftung der Gewahrsamsinhaber nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG kein Rückschluss gezogen werden. Denn die einzelnen Haftungstatbestände unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen. Während die Haftung des Gewahrsamsinhabers die gesamte durch Erwerbe von Todes wegen i.S. des § 3 ErbStG ausgelöste Steuer umfasst, haftet der Nachlass (der Erbe) nur beschränkt für die Steuer der am Erbfall Beteiligten.

2. Die Klägerin haftet demgemäß für die Erbschaftsteuer auf den der Erbin insgesamt zugefallenen Erwerb von Todes wegen.

a) Die Klägerin hat der Erbin das Guthaben auf dem Girokonto zur Verfügung gestellt, ohne zuvor zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG erfüllt sind, insbesondere ohne eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA eingeholt zu haben, und dadurch schuldhaft gehandelt. Das an die Erbin ausgezahlte Guthaben auf dem Girokonto hätte ausgereicht, um die Erbschaftsteuer zu begleichen.

b) Ermessensfehler i.S. des § 102 Satz 1 FGO fallen dem FA nicht zur Last.

aa) Die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO--) lag im Ermessen des FA (§ 5 AO). Sie war nicht ermessensfehlerhaft. Da die Erbin die Erbschaftsteuer nicht entrichtet hatte und im Ausland wohnhaft war, hat das FA die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten und von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 217, 265, BStBl. II 2007, 788, BB 2007, 2051).

bb) Eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren möglichen Haftungsschuldnern war nicht zu treffen. Das Kreditinstitut, bei dem der Erblasser ein weiteres Konto unterhalten hatte, konnte nicht in Haftung genommen werden, auch wenn es das Guthaben auf dem Konto der Erbin zur Verfügung gestellt hatte.

aaa) Dies ergibt sich allerdings nicht allein daraus, dass der Erblasser über dieses Konto durch einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall verfügt hatte. Der Haftungstatbestand des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG kann auch dann erfüllt sein, wenn der Erblasser über das einzige bei einem Kreditinstitut unterhaltene Konto durch einen solchen Vertrag verfügt hat und das Kreditinstitut das Kontoguthaben dem nicht im Geltungsbereich des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellt, obwohl die gegen diesen festzusetzende Steuer noch nicht entrichtet oder sichergestellt ist. Dies ergibt sich vielmehr aus dem Sinn und Zweck der Haftungsnorm, durch die auch im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in umfassender Weise erreicht werden soll, dass der Steueranspruch, dessen zunächst aufgrund des im Inland vorhandenen Vermögens mögliche Durchsetzung durch die in § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG genannten Maßnahmen vereitelt oder sehr erschwert wurde, durch die Inanspruchnahme des Gewahrsamsinhabers als Haftungsschuldner realisiert werden kann (BFH-Urteil in BFHE 80, 481, BStBl. III 1964, 647, BB 1964, 1475). Dieses Ziel besteht unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage der der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb beruht.

Diesem Verständnis steht der Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen. Danach ist der Anwendungsbereich der Regelung nicht auf Gewahrsam am Nachlass beschränkt, sondern bezieht sich auf Gewahrsam am Vermögen des Erblassers. Da ein Verstorbener kein Vermögen haben kann, ist unter Vermögen des Erblassers das Vermögen zu verstehen, das ihm bei seinem Tod gehörte (vgl. die Formulierung in § 33 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Das Tatbestandsmerkmal „Vermögen des Erblassers" dient der Abgrenzung zu Schenkungen unter Lebenden, die der Schenkungsteuer unterliegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 ErbStG) und bei denen die Haftungsvorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG nicht eingreift.

bbb) Eine Haftung des anderen Kreditinstituts scheidet im Streitfall jedoch aus, weil ihm kein Verschulden zur Last fällt. Die Frage, ob auch die Auszahlung eines Guthabens auf einem Konto, das aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall nicht in den Nachlass gefallen ist, die Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG begründen kann, war bisher nicht geklärt und wurde vom FA verneint. Auch das FG war der Ansicht, dass das bei dem anderen Kreditinstitut unterhaltene Konto aufgrund der vom Erblasser vorgenommenen Verfügung durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall nicht als Haftungsmasse in Betracht komme.

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