Barlohnumwandlung: Auszahlung des Urlaubsgeldes in Form von Warengutscheinen kein Sachlohn - kein Vorrang Zivilrecht vor Steuerrecht
BFH, Urteil vom 6.3.2008 - VI R 6/05
Vorinstanz: FG Münster vom 9.7.2004 - 4 K 5742/01 L (EFG 2005, 858)
Leitsatz:
Die Umwandlung von Barlohn in Sachlohn setzt voraus, dass der Arbeitnehmer unter Änderung des Anstellungsvertrages auf einen Teil seines Barlohns verzichtet und ihm der Arbeitgeber stattdessen Sachlohn gewährt. Ob ein Anspruch auf Barlohn oder Sachlohn besteht, ist auf den Zeitpunkt bezogen zu entscheiden, zu dem der Arbeitnehmer über seinen Lohnanspruch verfügt.
EStG § 8, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Sachverhalt:
I.
Streitig ist, ob der Austausch des tarifvertraglich festgelegten Urlaubsgeldanspruchs gegen einen beim Arbeitgeber einzulösenden Warengutschein zur Anwendung des Freibetrags nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führt.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren (1997 bis 1999) mehrere Möbelhäuser in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Den Arbeitsverhältnissen mit ihren Arbeitnehmern lagen die Tarifverträge für den Einzelhandel in ... zugrunde. Danach betrug das Urlaubsgeld für 1997 1 780 DM, für 1998 1 810 DM und für 1999 1 850 DM.
Am 19. Juni 1996 vereinbarten die Geschäftsführung der Klägerin und der Betriebsrat, dass das Anfang Juli fällige Urlaubsgeld von den Arbeitnehmern wahlweise ganz oder teilweise als Warengutschrift in Anspruch genommen werden könne. Erklärte in der Folgezeit ein Mitarbeiter, an dieser Regelung teilnehmen zu wollen, erhielt er von der Klägerin anstelle der entsprechenden Geldzahlung ein an ihn persönlich gerichtetes Schreiben ("Gutschein"). Darin hieß es, der jeweilige Arbeitnehmer erhalte "gemäß Vereinbarung" über den gewünschten Betrag eine Waren-Gutschrift, die bis zum jeweiligen Jahresende in jeder von der Klägerin betriebenen Filiale eingelöst werden könne; eine Barauszahlung der Gutschrift sei nicht möglich. Die Klägerin behandelte diese Gutschriften, soweit der jeweilige Wert zusammen mit anderen Vorteilen i.S. des § 8 Abs. 3 EStG den Betrag von 2 400 DM je Arbeitnehmer im Kalenderjahr nicht überstieg, unter Berufung auf den Rabattfreibetrag als lohnsteuerfrei.
Für den Zeitraum von August 1997 bis März 2000 fand bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Die Prüferin beanstandete die geschilderte Praxis; nach ihrer Auffassung gehörten die geldwerten Vorteile aus den aufgrund der Gutschriften überlassenen Sachleistungen in voller Höhe zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Auf einen entsprechenden Pauschalierungsantrag der Klägerin hin erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin einen entsprechenden Lohnsteuer-Haftungs- und -Nachforderungsbescheid. Im Einspruchsverfahren verringerte das FA den Nachforderungsbetrag geringfügig und wies im Übrigen den Einspruch zurück.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 858 veröffentlichten Gründen ganz überwiegend ab.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt,
das Urteil des FG Münster vom 9. Juli 2004 insoweit aufzuheben, als der Nachforderungsbetrag nach Maßgabe der dortigen Entscheidungsgründe nicht um insgesamt 169 293,99 DM herabgesetzt wurde, sowie den Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 21. September 2000 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 19. September 2001 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Aus den Gründen:
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Steuerbefreiung des § 8 Abs. 3 EStG nicht auf das nach Wahl der Arbeitnehmer in Form eines Warengutscheines ausgezahlte Urlaubsgeld Anwendung findet. Denn das in dieser Form zugewandte Urlaubsgeld ist nicht als Sachlohn, sondern als Barlohn zu behandeln.
a) Urlaubsgeldzahlungen gehören zu den nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG lohnsteuerpflichtigen Vorteilen. Dies ist im Grundsatz zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig. Allerdings finden entgegen der Auffassung der Klägerin auf die im Streitfall in Form von Gutscheinen geleisteten Urlaubsgelder nicht die für Waren oder Dienstleistungen i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG geltenden Steuerbefreiungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG Anwendung.
b) Die besondere Rabattbesteuerung des § 8 Abs. 3 EStG setzt u.a. voraus, dass der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber Waren oder Dienstleistungen aus dessen Produktpalette (verbilligt) erhält. Nur für Sachbezüge gilt die Sonderbewertung des § 8 Abs. 3 EStG. Barlohn bedarf keiner gesonderten Bewertung; er ist nach dem Nominalwertprinzip mit dem Nennwert zu erfassen (vgl. u.a. Senatsurteile vom 16. Februar 2005 VI R 46/03, BFHE 209, 214, BStBl II 2005, 529, m.w.N; vom 23. August 2007 VI R 44/05, BStBl II 2008, 52).
c) Erhält der Arbeitnehmer als Entlohnung solche Waren oder Dienstleistungen des Arbeitgebers, kann dafür zwar die besondere Rabattbesteuerung für Sachbezüge nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG Anwendung finden. Dies setzt jedoch voraus, dass der Anspruch des Arbeitnehmers originär auf diese Sachbezüge gerichtet ist. Hatte stattdessen der Arbeitnehmer einen auf Geld gerichteten Lohnanspruch und verwendet er diesen zum Erwerb der entsprechenden Ware oder Dienstleistung, ist dies Lohnverwendung.
d) Wie der Senat schon mit Beschluss vom 20. August 1997 VI B 83/97 (BFHE 183, 568, BStBl II 1997, 667) ausgesprochen hatte, sind nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung für Lohneinkünfte zwar grundsätzlich nicht Ansprüche, sondern Zuflüsse maßgebend. Allerdings kann ein Zufluss auch darin liegen, dass der geschuldete Barlohn nicht an den Arbeitnehmer ausbezahlt, sondern auf seine Weisung anderweitig verwendet wird. Denn eine solche Lohnverwendung erweist sich nur als Abkürzung des Zahlungsweges, die den Charakter als Barlohn unberührt lässt. Dies gilt gleichermaßen für die Fälle, in denen sich Arbeitnehmer ihre Verbindlichkeiten gegenüber Dritten etwa aus Kauf, Miete oder Darlehen erfüllen lassen, wie auch für die Fälle, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Rechtsgeschäfte wie zwischen fremden Dritten abschließen und die Arbeitnehmer zu deren Erfüllung Barlohn verwenden.
e) Diese Grundsätze schließen indessen nicht aus, Barlohn in Sachlohn umzuwandeln. Eine solche Barlohnumwandlung setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer unter Änderung des Anstellungsvertrages auf einen Teil seines Barlohns verzichtet und ihm der Arbeitgeber stattdessen Sachlohn z.B. in Form eines Nutzungsvorteils oder Warenbezugsscheines gewährt (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 183, 568, BStBl II 1997, 667). Dabei ist die Frage, ob ein Anspruch auf Barlohn oder Sachlohn besteht, auf den Zeitpunkt bezogen zu entscheiden, zu dem der Arbeitnehmer über seinen Lohnanspruch verfügt. Bestand zu diesem Zeitpunkt jedenfalls auch ein Anspruch auf Barlohn, lässt auch eine vor diesen Zeitpunkt rückwirkende Fiktion der Leistungskonkretisierung nach § 263 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) den Befund, dass zum Zeitpunkt der Wahlausübung ein unentziehbarer Barlohnanspruch bestanden hatte, nicht nachträglich entfallen. Zivilrecht und Steuerrecht sind nebengeordnete, gleichrangige Rechtsgebiete, die denselben Sachverhalt aus einer anderen Perspektive und unter anderen Wertungsgesichtspunkten beurteilen. Die Parteien können zwar einen Sachverhalt vertraglich gestalten, nicht aber die steuerrechtlichen Folgen bestimmen, die das Steuergesetz an die vorgegebene Gestaltung knüpft. Insoweit gilt zwar eine Vorherigkeit, aber kein Vorrang des Zivilrechts (vgl. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Dezember 1991 2 BvR 72/90, BStBl II 1992, 212).
2. Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze hat die Vorinstanz zutreffend entschieden, dass die an die Arbeitnehmer im Streitfall ausgehändigten Warengutscheine nicht zu einem Sachbezug nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG, sondern zu Einnahmen in Geld i.S. des § 8 Abs. 1 EStG geführt haben. Denn die Arbeitnehmer haben auf ihren Barlohnanspruch nicht zugunsten eines Sachlohns verzichtet, sondern den Barlohn zum Erwerb der Warengutscheine verwendet.
a) Nach den Feststellungen des FG blieb mit der Betriebsvereinbarung der tarifvertraglich bestehende schuldrechtliche Anspruch auf Urlaubsgeld unangetastet. Insbesondere ersetzte die Betriebsvereinbarung, die den Arbeitnehmern das Recht einräumte, zwischen Urlaubsgeld und Warengutschein zu wählen, nicht von vornherein den Anspruch auf Urlaubsgeld durch einen solchen auf einen Warengutschein. Danach blieb es vielmehr der Entscheidung jedes einzelnen Arbeitnehmers überlassen, ob er seinen Anspruch auf Urlaubsgeld in Form einer Geldzahlung oder in Form eines Warengutscheines geltend machte. Insofern gab die Betriebsvereinbarung lediglich eine Rechtsgrundlage dafür, dass die Klägerin als Arbeitgeberin den Anspruch auf Urlaubsgeld mit befreiender Wirkung durch einen Warengutschein erfüllen konnte.
b) Das Revisionsvorbringen der Klägerin, dass nach § 263 Abs. 2 BGB die gewählte Leistung als die von Anfang an allein geschuldete gelte und sich das Schuldverhältnis rückwirkend auf die gewählte Leistung --nämlich den Warengutschein-- konzentriere, lässt dieses Ergebnis unberührt. Denn im Streitfall bestand der Barlohnanspruch der Arbeitnehmer unentziehbar fort, bis die Arbeitnehmer sich für eine der Leistungen entschieden hatten. Die Betriebsvereinbarung selbst ließ den Anspruch der Arbeitnehmer auf Barentlohnung unberührt, ersetzte insbesondere nicht den schuldrechtlichen Anspruch auf Barlohn durch einen solchen auf Sachlohn. Die Ausübung der Wahl durch die Arbeitnehmer beinhaltete somit die Verfügung über ihren fälligen oder fällig werdenden Lohnanspruch, der zu diesem Zeitpunkt auch ein Barlohnanspruch war. Mit der Entscheidung für einen Warengutschein verwendeten die Arbeitnehmer den ihnen geschuldeten Barlohn für den Erwerb des Gutscheines.
Die Entscheidung, einen Warengutschein zu wählen, war deshalb Barlohnverwendung, nicht Barlohnersetzung unabhängig davon, ob im Streitfall die Betriebsvereinbarung eine Wahlschuld im eigentlichen Sinne oder eine Ersetzungsbefugnis begründet hatte (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., § 262 Rz 1 ff., 7 ff., jeweils m.w.N.).