FG Niedersachsen: Aufwendungen für einen Zivilprozess in Rumänien als außergewöhnliche Belastungen
FG Niedersachsen, Urteil vom 8.1.2014 – 3 K 11296/12
Leitsatz
Aufwendungen für einen Zivilprozess sind auch dann nach den Grundsätzen des BFH Urteils vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30) als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn sie im (europäischen) Ausland angefallen sind
§ 33 Abs 1 EStG
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für einen in Rumänien geführten Zivilprozess als außergewöhnliche Belastungen.
Der Kläger wird im Rahmen einer getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer veranlagt. Seine Ehefrau ist gebürtige Rumänin, die gemeinsam mit ihrem in Rumänien lebenden Bruder Erbin ihres ebenfalls bis zu seinem Tode im Jahr 2009 in Rumänien lebenden Vaters geworden ist. Gegenüber den zuständigen Behörden gab der Schwager des Klägers seine Schwester jedoch als nicht existent an, um dadurch einen auf sich ausgestellten Erbschein und die Erbschaft für sich zu erlangen.
Die Ehefrau des Klägers erhielt von diesen Vorgängen Kenntnis, als der Bruder die elterliche Wohnung veräußerte, und beauftragte im Januar 2011 eine rumänische Rechtsanwaltskanzlei mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen. Der Erbschein und der Kaufvertrag über die elterliche Wohnung sollten gerichtlich für unwirksam erklärt werden.
Der Kläger beglich für seine Ehefrau die im Jahr 2011 durch den Rechtsstreit angefallenen Kosten i.H.v. insg. umgerechnet 5.144,90 € (davon Gerichtsgebühren i.H.v. 1.400 €, Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 3.720 € und sonstige Kosten i.H.v. 24,90 €), die nicht von einer Rechtsschutzversicherung übernommen wurden.
Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger diese Kosten als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das beklagte Finanzamt lehnte jedoch ihre Berücksichtigung im Bescheid vom 8. Mai 2012 ab.
Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger hiergegen Klage erhoben.
Er beruft sich auf die Entscheidung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015) und vertritt die Auffassung, dass die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden könnten, weil die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid für 2011 über Einkommensteuer vom 8. Mai 2012 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 14. August 2012 dahingehend abzuändern, dass die von dem Kläger geltend gemachten Zivilprozesskosten i.H.v. 5.144,90 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich auf den Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2011, wonach das von dem Kläger angeführte Urteil des BFH über den Einzelfall hinaus nicht angewandt werden soll. Auf Grundlage der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH seien die Rechtsverfolgungskosten nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger nicht ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Mit Urteil vom 19. September 2012 hat das zuständige rumänische Gericht der Klage der Ehefrau des Klägers teilweise stattgegeben. Der Erbschein wurde durch die Entscheidung für unwirksam erklärt. Der Antrag auf Annulierung des Grundstückskaufvertrages wurde dagegen aus prozessualen Gründen abgelehnt. Gegen die Entscheidung hat die Ehefrau des Klägers Berufung eingelegt. Eine Kostenentscheidung ist bis dato nicht ergangen, eine Kostenerstattung nicht erfolgt.
Aus den Gründen
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I. Die Klage ist zulässig und begründet. Die von dem Kläger getragenen Prozesskosten in Höhe von 5.144,90 € sind als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) zu berücksichtigen.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird die Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag in bestimmtem Umfang ermäßigt. Kosten eines Zivilprozesses erwachsen den Parteien nach der neuen Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (im Folgenden: BFH) unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 – VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015).
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Für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten sei nicht – wie nach der bisherigen Rechtsprechung – auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung) belastet ist. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, werde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Denn nur selten finde sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Nicht zuletzt deshalb bietet die Rechtsordnung ihren Bürgern ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Gerichtssystem an.
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Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten nach dieser neuen Rechtsprechung des VI. Senats jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider - auch des Kostenrisikos - eingegangen sein. Demgemäß sind Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.
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2. Die genannten Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
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a. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung durch die Ehefrau des Klägers bot aus Sicht eines verständigen Dritten eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hätte. Vielmehr handelt es sich um eine erbrechtliche Streitigkeit, die für die Ehefrau des Klägers eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Schon aus dem – im Hinblick auf die Unwirksamkeit des Erbscheins - teilweise stattgebenden Urteil ergibt sich auch, dass die Klage erfolgsversprechend gewesen ist, die Voraussetzungen für den Abzug der Rechtsverfolgungskosten als außergewöhnliche Belastungen insoweit also gegeben sind. Nach Auffassung des Gerichts sind aber auch im Hinblick auf das Begehren, die Unwirksamkeit des Grundstückskaufvertrags zu erreichen, - ex ante - hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen. Anders als im deutschen Sachenrecht ist der Eintritt eines gutgläubigen Erwerbs in Rumänien davon abhängig, dass der Alteigentümer seine Rechte nicht innerhalb einer bestimmten Frist geltend macht (vgl. Krimphove, Das europäische Sachenrecht: eine rechtsvergleichende Analyse nach der Komparativen Institutionenökonomik, 2006, S. 366), zum anderen hat die Ehefrau des Klägers – in formeller Hinsicht – eine rumänische Rechtsanwaltskanzlei mit der Prüfung und Realisierung ihrer Ansprüche beauftragt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ein Prozess nicht ohne hinreichende Erfolgsaussicht geführt worden wäre. Auch insoweit können die Voraussetzungen für einen steuerlichen Abzug der Rechtsverfolgungskosten also bejaht werden.
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b. Dass die Rechtsverfolgungskosten aufgrund eines Rechtsstreits im europäischen Ausland entstanden sind, kann schon vor dem Hintergrund der europäischen Diskriminierungsverbote zu keinem anderen Ergebnis führen.
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c. Außergewöhnliche Belastungen sind bei getrennter Veranlagung nach § 26a Abs. 2 EStG bei dem Ehegatten anzusetzen, der sie wirtschaftlich getragen hat. Da der Kläger die Rechtsverfolgungskosten für seine Ehefrau getragen hat, kann er sie im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung geltend machen.
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d. Die im Streitjahr bereits angefallenen und abgeflossenen Rechtsverfolgungskosten können zunächst nach § 11 Abs. 2 EStG als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG. Kommentar, 31. Auflage 2012, § 33 EStG Rz. 5). Allerdings sind nur solche Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, die den Steuerpflichtigen endgültig belasten (BFH-Urteil vom 30. Juni 1999 - III R 8/95, BStBl II 1999, 766). Sollte der von der Ehefrau des Klägers geführte Rechtsstreit deshalb in einem späteren Veranlagungszeitraum mit der Folge zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, dass der in dem Zivilrechtsstreit Beklagte die Kosten zu tragen hat und diese auch trägt, ist dies nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen und der steuerliche Abzug für das Streitjahr – ggf. mit entsprechenden Zinsfolgen - wieder rückgängig zu machen (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG. Kommentar, 31. Auflage 2012, § 33 EStG Rz. 13).
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (im Folgenden: FGO).
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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